Message 06749 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT06749 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Fwd: Pit Schultz * Intellektuelles Eigentum ist ein Hebel zur zentralen Kontrolle




------- Forwarded Message

Date:  Wed, 04 Jun 2003 16:03:01 [PHONE NUMBER REMOVED]
From:  Markus Beckedahl <m.beckedahl gmx.de>
Subject:  [Wsis]
 =?iso-8859-1?q?=BBIntellektuelles_Eigentum_ist_ein_Hebel_zur?=
 zentralen =?iso-8859-1?q?_Kontrolle=AB?=
To:  wsis ilpostino.jpberlin.de
Message-Id:  <5.2.0.9.0.20030604160221.019a6ca0 mail.gmx.net>

Das Interview: Juni 2003

http://www.swr.de/swr2/audiohyperspace/ger_version/interview/schultz.html

»Intellektuelles Eigentum ist ein Hebel zur zentralen Kontrolle«

Pit Schultz im Gespräch mit Sabine Breitsameter

____________________________
  Interview hören:
http://www.swr.de/meta/swr2/audiohyperspace/interview/pit_schulz.28_64s.rm.ram
(RealAudio, 7,24 min.)
____________________________

Der Computer erlaubt grenzenloses Kopieren; Internet und eine immer
effizientere Datenkomprimierung - Stichwort: mp3-Revolution - erlauben
grenzenlose Distribution von kreativen Inhalten. Das alles hat nicht nur
die Medienbranche und die Musikindustrie in Aufruhr versetzt. Einige
Kreative und Kulturschaffende lehnen das Internet als Publikationsmedium
ab, weil es eine Art Wildwest-Szenario geschaffen habe: Der Autor habe
keine Kontrolle mehr über die Verbreitung und Nutzung seiner Arbeiten, so
lautet die berechtigte Kritik. Während die einen mit einer Verschärfung des
Copyrights darauf reagieren wollen, gibt es eine immer breitere Bewegung,
die sich mit der tradierten Urheberrechts-Auffassung kritisch
auseinandersetzt. Das Stichwort "creative commons" macht die Runde: Kunst
und Kultur seien Allgemeingüter, so die Argumentation, die ungehindert
zugänglich gemacht werden müssten und folglich gegenüber dem Urheberrecht
abzuwägen seien.

Sabine Breitsameter:
Pit Schultz, es gibt mehr und mehr alternative Medienorganisationen, Freie
Radios, Künstlerradios, namentlich im Internet, die den Begriff des
Urheberrechts vehement hinterfragen. Warum eigentlich?

Pit Schultz:
Es geht nicht nur um Musik, sondern generell um das Thema, was Urheberrecht
eigentlich bedeutet heutzutage. Wofür es benutzt wird, politisch. Nicht nur
im Bereich künstlerische Produktion, sondern auch im Bereich
Biotechnologie, bei Patenten im technischen Bereich. Intellektuelles
Eigentum ist mittlerweile ein Hebel, um die zentrale Kontrolle in der Hand
zu behalten. Dass Urheberrechte und Patente von grossen Firmen gesammelt
werden und dass dadurch versucht wird, andere Firmen davon abzuhalten,
komplexere Produkte zu entwickeln - das ist im Computerbereich absolut
üblich. Es führt dazu, dass Innovation und Wettbewerb schwierig werden, in
dem Moment, wo Firmen wie Microsoft oder Intel einfach einen Grossteil im
Software- und Hardware-Bereich besitzen und dadurch verhindern, dass alles,
was damit im Zusammenhang steht, weiter entwickelt wird. Diese
Monopolbildung findet auch im Inhaltsbereich statt.

Sabine Breitsameter:
...damit meinen Sie den Bereich der so genannten etablierten Medien, die
privaten ebenso wie die nicht-kommerziellen. Was kritisieren Sie da?

Pit Schultz:
Bei den Grossen ist es so, dass sie Monopole bilden und innerhalb der
Monopole alles frei zirkulieren kann. Bei den kleinen Institutionen ist es
so: Dadurch, dass man so oft nach den Rechten fragen muss, ist ein
Mehraufwand an Rechteverwaltung zu leisten, und deshalb lässt sich da -
namentlich mit kleinen Labels und Einzel-Autoren - nur schwer arbeiten. Das
ist wie im Mittelalter, wo man an jeder Brücke Zoll zahlen musste und wo
dadurch der freie Handel nicht wirklich in Gang kam. Und die, die diese
Netzwerke hatten - die Fugger und die Hanse - die haben damals davon
profitiert.

Sabine Breitsameter:
Das heisst: Sie wollen, dass mit einem neuen Verständnis von Copyright den
Verteilungs-Strukturen des Netzzeitalters Rechnung getragen wird und damit
auch einer wichtigen Tatsache des elektronischen Zeitalters: den weltweit
immer zahlreicheren nicht-kommerziellen Radiostationen von Universitäten,
Künstlern oder Kulturinitiativen. Was für ein Umdenkungsprozess muss da
Ihrer Ansicht nach stattfinden?

Pit Schultz:
Wichtig ist, dass Kultur immer auch prozessual gesehen werden kann: als
Weiterverarbeitung von Kulturdaten, die andere produziert haben.
Re-Interpretation und in gewisser Weise Plagiarismus spielen immer eine
Rolle. In der Musik sowieso, wenn man etwa zuhört und sagt: Der Rhythmus
gefällt mir, das wird jetzt mein Rhythmus, und dann kann man da auch nicht
Copyright geltend machen. Auf der anderen Seiten muss man dafür sorgen,
dass die Künstler nicht am Hungertuch nagen, dass sie von irgendwas leben
können. Und Radio hat da die Funktion, bestimmte Formen publik zu machen
und so die Nachfrage anzukurbeln. Und darauf spekulieren wir eigentlich,
dass wir Aufmerksamkeit herstellen für bestimmte Kulturformen und so den
Künstlern die Möglichkeit geben, sich bekannt zu machen.

Sabine Breitsameter:
Um das zu regeln, sind Sie gerade dabei, ein Lizenzmodell mit zu
entwickeln, das einen ziemlich langen und komplizierten Namen hat:
"Attributed Creative Commons Licence". Was verbirgt sich dahinter?

Pit Schultz:
"Attributed" heisst, das man den Autor nennen muss beim Abspielen. Es gibt
da mehrere Feinheiten. Da sind wir gerade in Verhandlungen. Was man wissen
muss ist "Creative Commons", übersetzt: "künstlerisches Allgemeingut" - das
ist das Lizenz-Modell. Im Grunde wird das ganze zurückgeführt auf die freie
Softwareszene, nur dass es nicht mehr um Software geht, im Sinne von
Computerprogrammen, sondern um Software im Sinne von Kulturdaten, die auch
digital vorliegen. Da ist der Weg nicht so weit, vom Computerbereich
ausgehend für den Content die selben Lizenzen zu adaptieren. Und das
entwickelt "Creative Commons" mit einer Reihe von namhaften Rechtsanwälten
im Hintergrund. Das machen wir im Moment zusammen mit Lawrence Lessig von
der Stanford-Universität und seinem Projekt "Creative Commons".

Wir sind mit ihm in Kontakt, für nicht-kommerzielle Radiostationen eine
Lizenz zum Tauschen zu entwickeln, zum Filesharing, zum begrenzten
Filesharing, um die Durchlässigkeit zwischen den Projekten so zu erhöhen,
dass wir auf die Kulturdaten auf San Francisco zugreifen können oder China
oder wo auch immer, und die umgekehrt auch.

Sabine Breitsameter:
Wie wird das konkret aussehen?

Pit Schultz:
Das kann bedeuten, dass man peer-to-peer-Netzwerke benutzt, die im Internet
existieren. Es kann also ein Bereich des Internet zum Austausch genutzt
werden, der nur von bestimmten Benutzern verwendet werden sollte, nämlich
Redakteuren, die in Radiostationen arbeiten. Das wäre GEMA-rechtlich in
Ordnung, was die Distribution angeht. Jetzt muss man noch auf Seiten der
Produzenten sicherstellen, dass diese Form der nicht-kommerziellen
Distribution ermöglicht wird. Das ist im Grunde eine spezielle Lizenz, die
dann besagt: Meinen künstlerischen Teil an dieser Arbeit stelle ich im
nicht-kommerziellen Rahmen, in diesem Netzwerk, zur Verfügung. Sobald aber
nun jemand hingeht und sagt: Das will ich auf CD pressen und verkaufen,
müßte er sich mit Autor oder Autorin einigen, zu welchem Preis das
passieren kann. Die "Attributed Creative Commons Licence" regelt die
nicht-kommerzielle Distribution. Wo Geldwert ins Spiel kommt, muss die
Lizenz quasi zu Ende sein und es müssen Vertragsverhandlung mit dem
Künstler stattfinden.

Sabine Breitsameter:
Trotzdem: Ist da nicht zu befürchten, dass dieses System zugunsten der
ohnehin wirtschaftlich starken Produzenten gekippt werden kann und dass die
unbekannten Autoren und Labels im Endeffekt nicht doch ohne materielle
Vorteile dastehen?

Pit Schultz:
Wir können jetzt nicht alles beantworten, aber auf jeden Fall ist es
wichtig, eine Durchlässigkeit zu erzeugen, und wer weiss, was da noch für
Bezahlmodelle möglich sind damit. Die wollen wir ja nicht verhindern. Ich
denke, gerade der Bereich elektronische Musik ist prädestiniert für diese
Formen der Distribution, weil auch die Kultur selber so funktioniert: über
die Dezentralität der Labels, der Clubs, der Orte, der verschiedenen
Communities, die daran teilnehmen. Und ich hoffe auch, dass im Bereich
politische Information und Wort-Kulturprogamm ähnliche Möglichkeiten gibt.

Sabine Breitsameter:
Vielen Dank für das Interview, Pit. .



Pit Schultz, *1965 in Heidelberg, studierte Informatik in Berlin und
arbeitet seit Ende der neunziger Jahre als international renommierter
"Motor" und Organisator in freien Medien- und Kulturprojekten der
Hauptstadt. Er war Mitbegründer von "Radio Internationale Stadt" und
"Nettime", machte sich 1997 im "Hybrid Workspace" der Kasseler Documenta X
einen Namen und gründete 1999 das "Klubradio", das die Veranstaltungen der
künstlerisch wichtigsten Berliner Clubs live im Internet streamt. Im Jahr
2000 gründete er das Bootlab, einen Zusammenschluss zur Förderung
elektronischer Kunst und Kultur.

Links
http://www.klubradio.de
http://www.bootlab.org/
http://www.juniradio.net


_______________________________________________
Wsis Mailingliste
JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider
Wsis ilpostino.jpberlin.de
http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/wsis


------- End of Forwarded Message


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT06749 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 06749 [Homepage] [Navigation]