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Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?



* Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org> [2003-05-23 17:43]:
On Tuesday 20 May 2003 02:47, Holger Weiss wrote:
Es gibt also nach meiner Auffassung nicht _die_ wissenschaftliche
Methode, sondern stets jeweils Methoden, die gegenstandsadäquat sind
oder nicht.

Richtig! Aber es ist eben _keine_ gegenstandsadaequate Methode, das
Subjekt zu befragen, wenn es um die Bestimmung seiner objektiven
Interessen geht. Diese Interessen hat es, _insofern_ es in einer
objektiv bestimmten und daher wissenschaftlich bestimmbaren Lage ist.
Frage ich nach seinen oekonomischen Interessen, bestimmt der
Gegenstand, dass ich mir einen Begriff von den oekonomischen Formen
machen muss, in denen sich das Subjekt bewegt. Befragung nuetzt da gar
nix.

Wenn du hier was über irgendeinen Menschen sagen willst, sozusagen über
einen (konkret nicht existenten) Durchschnittsmenschen in dieser
Gesellschaft, dann kannst du das im Modus dritter Person tun:
durchschnittlich tun die Menschen dies oder das. Etwa wie Marx, für den
"Arbeiter" und "Kapitalisten" nur "Personifikation(en) ökonomischer
Kategorien" (Vorwort zum Kapital, erste Auflage) sind.

Du hast recht, wenn Du sagst, dass Marxens Charaktermasken eine
Abstraktion vom konkreten Menschen sind (wenn auch keineswegs zum
empirischen Durchschnittshandeln hin abstrahiert wird, das nur BTW).
Abstraktion bedeutet aber _nicht_ Unterstellung oder Transzendenz. Dem
konkreten Menschen wird nichts untergejubelt. Abstraktion bedeutet hier
nur Absehung von nicht oekonomisch bestimmten Merkmalen des konkreten
Menschen. Der Mensch, nur _insofern_ er Arbeiter oder Kapitalist ist.
Heisst aber auch: Insofern er es tatsaechlich _ist_. Die oekonomischen
Kategorien sind fuer Marx _real_ unterwegs und werden von _konkreten_
Menschen getragen, sonst waere die Analyse sinnfrei. Sie werden nur
nicht von subjektiven Entscheidungen, sondern von objektiven
Gesetzmaessigkeiten bestimmt, gerade das will Marx an der zitierten
Stelle zeigen (um klarzustellen, dass z.B. ein Kapitalist nicht
moralisch fuer sein Handeln verantwortlich zu machen ist). Der
Kapitalist mag, weil er seine Arbeiter lieb hat, auf Entlassungen
verzichten, obwohl sie oekonomisch geboten waeren. Dann handelt er
gerade nicht _als_ Kapitalist. Ihm geht's dadurch _oekonomisch_
schlechter, im Extremfall geht er deshalb Pleite. Spaetestens dann sieht
er, dass die analytische Abstraktion von seiner Freundschaft zu seinen
Arbeitern (und von vielen anderen Bestimmungen seiner konkreten Person)
nicht als _unabhaengig_ von seiner konkreten Person zu verstehen war.

Wenn du Karl-Heinz vor dir hast, dann geht das genau nicht mehr.

Bei Karl-Heinz kann ich, wie bei obigem Kapitalisten, nicht sagen,
inwieweit er tatsaechlich seinem oekonomischen Interesse enstprechend
handeln wird oder inwieweit subjektive Praeferenzen oder andere Faktoren
sein Handeln bestimmen. Wie bei obigem konkreten Kapitalisten kann ich
das oekonomische Interesse des konkreten Karl-Heinz aber prinzipiell
bestimmen.

Worum dreht sich dann der Streit? Du weisst offensichtlich auch, dass
die Nahrungsaufnahme in meinem Interesse liegt, ohne mich zu fragen.

Das ist ein biotisch bestimmter Vorgang: Ich/du/er/sie muss Nahrung
aufnehmen. Eine Aussage, die ich in dritter Person treffen kann.

Wenn Du die Aussage machst, abstrahierst Du von vielen meiner
Bestimmungen und betrachtest mich nur, insofern ich ein biologisches
Wesen bin. Insofern ich mich aber auch in den oekonomischen Formen
dieser Gesellschaft bewegen muss, bin ich eben auch ein gesellschaftlich
bestimmtes Wesen. Diese Analogie scheinst Du zu bestreiten. Dann weiss
ich nicht, was Dir Marxens Analyse bringt (auf die Du ja positiv Bezug
genommen hast, wenn ich's recht verstanden habe).

Holger

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