Re: Zu G. Freyermuths Vortrag (was: Re: [ox] Stichpunkte aus deinem Vortrag)
- From: tian075 gmx.net
- Date: Tue, 15 Apr 2003 15:47:07 +0200
Hallo,
ich möchte hiermit zu einigen Punkten aus der Mail von Stefan Meretz
antworten:
1. Überbordende technologische Entwicklung
Die Frage ist aber jetzt, ob es ein Naturgesetz gibt, nach dem es
immer gelingen muss, dies zu integrieren.
Ich denke, dies ist sicherlich kein Naturgesetz und der Kapitalismus ist
sehr anpassungsfähig. Allerdings gibt es gegenwärtig keinerlei
Anzeichen hierfür, dass sich P2P-Netzwerke, Open Source etc.
durchsetzen werden. Alle Anzeichen deuten in die entgegengesetzte
Richtung. Schon vor Jahren ist die Grundsatzentscheidung gefallen,
das geistige Eigentum in der ?Informationsgesellschaft? massiv zu
verstärken. Dies wurde inzwischen in internationalen Verträgen, EU-
Direktiven und nationalen Gesetzen umgesetzt. Auch der
amerikanische Kongress befindet sich nach wie vor fest in der Hand
der Unterhaltungsindustrie.
2. Peer Review und Freie Software
Ich denke, dass die Produktionspraxis von Open Source innerhalb des
Kapitalismus nur eine Randerscheinung bleiben wird, die langfristig
nicht überleben kann. Dies hat mehrere Gründe:
-Eric Möller wies darauf hin, dass es kein Zufall sei, dass Linux
ausgerechnet in Finnland entwickelt wurde. Dies habe u.a. der noch
relativ intakte Sozialstaat ermöglicht. Mit dem gegenwärtig weltweit
betriebenen massiven Sozialabbau verschwinden für immer mehr
Menschen die Möglichkeiten, zur Entwicklung von Open Source
beizutragen (aber auch sich politisch zu betätigen etc.).
-Da sie nicht davon leben können, sind heute nur relativ wenige
Personen in der Lage, zu Open Source Projekten beizutragen. Deshalb
ist die Anzahl und Qualität der Open Source Projekte begrenzt und sie
können nur aufgrund ihrer überlegenen Produktionsweise qualitativ
auch nur einigermaßen mit Closed Source Projekten mithalten.
(Beispiel: Open Office vs. MS Office).
-Grosse Industrieunternehmen wie IBM investieren auch nur deshalb in
Open Source Projekte, weil sie gegenwärtig noch nicht die
Möglichkeit haben, sich den Quellcode anzueignen und ihn für sich zu
monopolisieren. Dies wird sich aber spätestens mit TCPA ändern.
-TCPA, Palladium und der CBDTPA werden langfristig zu einem Ende
des Personalcomputers in der Hand von Privatpersonen führen und
damit Open Source die Grundlage entziehen (siehe unten).
3. Rückzugsgefechte oder Frontalangriff?
Wie schon gesagt, der amerikanische Kongress und auch der deutsche
Bundestag etc. befinden sich fest der Hand der Unterhaltungsindustrie.
Ständig werden neue Gesetzte verabschiedet, die die Rechte der
Copyrightinhaber ausdehnen und die Rechte der KonsumentInnen
einschränken. Zugleich werden auch User von P2P-Netwerken immer
aggressiver von der Unterhaltungsindustrie verfolgt. Spätestens im
Herbst mit zweiten Urheberrechtsnovelle wird die Strafverfolgung von
P2P-Usern auch in der Bundesrepublik beginnen.
Zunächst einmal wird TCPA, DRM und CBDTPA als Hauptwirkung
das Kopieren von Multimediainhalten verhindern. Als ?Nebenwirkung?
wird jedoch auch die Entwicklung von Open Source Projekten
unmöglich gemacht. Außerdem wird TCPA/Palladium völlig neue
Dimensionen von Zensur und Überwachung ermöglichen.
Wie Volker Grassmuck in {http://waste.informatik.hu-berlin.de/Grassmuck/Texts/drm-fiffko.html" }http://waste.informatik.hu-
berlin.de/Grassmuck/Texts/drm-fiffko.html nachgewiesen hat, geht es
der Unterhaltungsindustrie letztendlich um nichts anderes, als der
Vernichtung des Personalcomputers in der Hand von Privatpersonen.
Nur noch lizenzierte ProgrammiererInnen sollen überhaupt Zugang zu
Universalmaschinen haben. Alle anderen sollen nur noch
Contentabspielstationen erhalten, die von der Unterhaltungsindustrie
fernüberwacht werden. Mittels TCPA/Palladium kann diese Vision
verwirklicht werden. Hinzu kommen noch Gesetze, die den Einsatz
von TCPA erzwingen werden. So verbietet der CBDTPA die
Produktion von Computern, die keine Kopierschutzmechanismen
implementiert haben. Auch werden diejenigen Personen mit einer
Gefängnisstrafe von bis zu 5 Jahren bestraft, die sich mit einem
Computer ohne Kopierschutz mit dem Internet verbinden. Es ist klar,
dass unter diesen Bedingungen Linux nicht mehr weiterentwickelt
werden kann. Wenn TCPA/Palladium erst einmal weit verbreitet ist,
wird der Widerstand der Computerindustrie gegen dieses Gesetz
sicherlich verschwinden. Sie werden es dann vermutlich sogar
forcieren, um dadurch Konkurrenz aus Taiwan oder durch ein freies
Betriebssystem wie Linux auszuschalten.
Im Prinzip ist natürlich auch ein TCPA-Linux denkbar. Allerdings
müsste dann neue Software von teueren Zertifizierungsinstanzen als
sicher bezeichnet werden, oder der Fritz-Chip verweigert das Starten
des Systems bzw. des Programms. Hierdurch wäre eine Community
orientierte Entwicklung natürlich nicht mehr möglich, und die großen
Konzerne könnten sich Linux aneignen.
Was die Verbindung von Open Source und P2P-Netzwerklen angeht,
so denke ich, dass das gegenwärtige Copyrightregime vor allem den
großen Unterhaltungs- und Softwarekonzernen nutzt und die
Entwicklung neuer Anwendungsmöglichkeiten des Computers und des
Internet verhindert. Allerdings ist auch klar, dass die KünstlerInnen im
Kapitalismus für ihr Schaffen bezahlt werden müssen. Die einzige
Möglichkeit sowohl neue Nutzungsmöglichkeiten wie P2P-Netzwerke
zu fördern, als auch die KünstlerInnen zu bezahlen, sehe ich in
Pauschalgebühren auf Hardware und Internetzugänge, die massiv
ausgeweitet werden müssten. Diese Gebühren sollen direkt an die
KünstlerInnen je nach Downloadhäufigkeit ausgeschüttet werden.
Zugleich sollte der Betrieb von P2P-Netzwerken aber ausdrücklich
erlaubt werden. Dies hätte folgende Vorteile: Die Gesamtkosten für
die Gesellschaft wären geringer, da in diesem Fall die Musikkonzerne
nicht mehr benötigt werden und die Gesellschaft die Distribution von
Inhalten über P2P-Netzwerke selbst übernehmen könnte. Zudem
wären mehr und vielfältiger Inhalte verfügbar und mehr KünstlerInnen
könnten von ihrer Kunst leben, während das Einkommen von
Superstars zurückgehen würde. Nach dem gleichen Muster können
u.U. Open Source ProgrammiererInnen unterstützt werden.
Dieses Modell wird sich aber nur gegen massiven Widerstand der
Unterhaltungsindustrie durchsetzen lassen. Vielleicht ist es aber bereits
zu spät hierfür. Auf jeden Fall sagt das von Freyermuth verwendete
Bibliothekenbeispiel genau das Gegenteil dessen aus, was er beweisen
wollte. Denn damit die Bibliotheken enteignet werden konnten, war
eine soziale Revolution (die Französische Revolution) notwendig. Es
handelte sich keineswegs nur um einen einfachen ?Tabubruch?.
4. Die Durchsetzung neuer Eigentumsformen
Tatsächlich verhalten sich viele User von P2P-Netzwerken so, wie du
vorschlägst: Möglichst viel Saugen, solange es noch geht. Dies dürfte
tatsächlich nur noch für eine relativ kurze Zeit der Fall sein. Denn wie
die Geschichte zeigt, ist es sehr wohl möglich, neue
Eigentumsvorstellungen gewaltsam durchzusetzen. Foucault hat dies in
?Überwachen und Strafen? eindrucksvoll demonstriert. Einen
vergleichbaren Prozess erleben wir gegenwärtig im Hinblick auf das
geistige Eigentum. Insbesondere das Strafrecht wird eine sehr wichtige
Rolle hierbei spielen. Ich sehe keinerlei Faktoren, die darauf hindeuten,
dass dieses Vorgehen der Unterhaltungsindustrie erfolglos bleiben
wird. Auch werden viel größere Zumutungen an die Bevölkerung
gerichtet, z.B. der gegenwärtig betriebene massive Sozialabbau, ohne
dass es dagegen zu Protesten kommt.
Ein anderes Beispiel ist der illegale Drogenkonsum. Auch wenn ein
großer Teil der Bevölkerung diese Drogen konsumiert, gibt es keine
nennenswerten Proteste gegen ihre andauernde Illegalisierung.
Ich glaube auch, dass viele User von P2P-Netzwerken ?Blut geleckt?
haben und nicht mehr bereit sind, die bisherigen Preise für CDs etc. zu
bezahlen. Häufig wird auch gesagt, es wird immer eine Möglichkeit
geben, Kopierschutzmechanismen zu brechen. Dies mag stimmen, aber
nach einer Zerschlagung der P2P-Netzwerke und der Einführung von
TCPA/Palladium werden Privatuser sicherlich hierzu nicht mehr in der
Lage sein. In Zukunft wird die Verbreitung von kopierten Inhalten
vermutlich analog zum Drogenhandel erfolgen. D.h. sie werden
mafiaähnlichen Organisationen verbreitet. Der Unterhaltungsindustrie
wird hierdurch vermutlich ebenfalls eine hoher Schaden entstehen,
während die Gesellschaft keine positiven Effekte davon hätte. Ganz im
Gegenteil werden Kriminalität, Überwachung und Bespitzelung noch
stark zunehmen.
Wie oben gesagt, ich sehe keine soziale Bewegung, die eine solche
wahrscheinliche Entwicklung verhindern kann.
viele Grüsse
tian
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