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Re: Zu G. Freyermuths Vortrag (was: Re: [ox] Stichpunkte aus deinem Vortrag)



Hallo,
ich möchte hiermit zu einigen Punkten aus der Mail von Stefan Meretz 
antworten:

1. Überbordende technologische Entwicklung
Die Frage ist aber jetzt, ob es ein Naturgesetz gibt, nach dem es
immer gelingen muss, dies zu integrieren.

Ich denke, dies ist sicherlich kein Naturgesetz und der Kapitalismus ist 
sehr anpassungsfähig. Allerdings gibt es gegenwärtig keinerlei 
Anzeichen hierfür, dass sich P2P-Netzwerke, Open Source etc. 
durchsetzen werden. Alle Anzeichen deuten in die entgegengesetzte 
Richtung. Schon vor Jahren ist die Grundsatzentscheidung gefallen, 
das geistige Eigentum in der ?Informationsgesellschaft? massiv zu 
verstärken. Dies wurde inzwischen in internationalen Verträgen, EU-
Direktiven und nationalen Gesetzen umgesetzt. Auch der 
amerikanische Kongress befindet sich nach wie vor fest in der Hand 
der Unterhaltungsindustrie.

2. Peer Review und Freie Software
Ich denke, dass die Produktionspraxis von Open Source innerhalb des 
Kapitalismus nur eine Randerscheinung bleiben wird, die langfristig 
nicht überleben kann. Dies hat mehrere Gründe:
-Eric Möller wies darauf hin, dass es kein Zufall sei, dass Linux 
ausgerechnet in Finnland entwickelt wurde. Dies habe u.a. der noch 
relativ intakte Sozialstaat ermöglicht. Mit dem gegenwärtig weltweit 
betriebenen massiven Sozialabbau verschwinden für immer mehr 
Menschen die Möglichkeiten, zur Entwicklung von Open Source 
beizutragen (aber auch sich politisch zu betätigen etc.).
-Da sie nicht davon leben können, sind heute nur relativ wenige 
Personen in der Lage, zu Open Source Projekten beizutragen. Deshalb 
ist die Anzahl und Qualität der Open Source Projekte begrenzt und sie 
können nur aufgrund ihrer überlegenen Produktionsweise qualitativ 
auch nur einigermaßen mit Closed Source Projekten mithalten. 
(Beispiel: Open Office vs. MS Office).
-Grosse Industrieunternehmen wie IBM investieren auch nur deshalb in 
Open Source Projekte, weil sie gegenwärtig noch nicht die 
Möglichkeit haben, sich den Quellcode anzueignen und ihn für sich zu 
monopolisieren. Dies wird sich aber spätestens mit TCPA ändern.
-TCPA, Palladium und der CBDTPA werden langfristig zu einem Ende 
des Personalcomputers in der Hand von Privatpersonen führen und 
damit Open Source die Grundlage entziehen (siehe unten).

3. Rückzugsgefechte oder Frontalangriff?
Wie schon gesagt, der amerikanische Kongress und auch der deutsche 
Bundestag etc. befinden sich fest der Hand der Unterhaltungsindustrie. 
Ständig werden neue Gesetzte verabschiedet, die die Rechte der 
Copyrightinhaber ausdehnen und die Rechte der KonsumentInnen 
einschränken. Zugleich werden auch User von P2P-Netwerken immer 
aggressiver von der Unterhaltungsindustrie verfolgt. Spätestens im 
Herbst mit zweiten Urheberrechtsnovelle wird die Strafverfolgung von 
P2P-Usern auch in der Bundesrepublik beginnen.
Zunächst einmal wird TCPA, DRM und CBDTPA als Hauptwirkung 
das Kopieren von Multimediainhalten verhindern. Als ?Nebenwirkung? 
wird jedoch auch die Entwicklung von Open Source Projekten 
unmöglich gemacht. Außerdem wird TCPA/Palladium völlig neue 
Dimensionen von Zensur und Überwachung ermöglichen.
Wie Volker Grassmuck in {http://waste.informatik.hu-berlin.de/Grassmuck/Texts/drm-fiffko.html"; }http://waste.informatik.hu-
berlin.de/Grassmuck/Texts/drm-fiffko.html nachgewiesen hat, geht es 
der Unterhaltungsindustrie letztendlich um nichts anderes, als der 
Vernichtung des Personalcomputers in der Hand von Privatpersonen. 
Nur noch lizenzierte ProgrammiererInnen sollen überhaupt Zugang zu 
Universalmaschinen haben. Alle anderen sollen nur noch 
Contentabspielstationen erhalten, die von der Unterhaltungsindustrie 
fernüberwacht werden. Mittels TCPA/Palladium kann diese Vision 
verwirklicht werden. Hinzu kommen noch Gesetze, die den Einsatz 
von TCPA erzwingen werden. So verbietet der CBDTPA die 
Produktion von Computern, die keine Kopierschutzmechanismen 
implementiert haben. Auch werden diejenigen Personen mit einer 
Gefängnisstrafe von bis zu 5 Jahren bestraft, die sich mit einem 
Computer ohne Kopierschutz mit dem Internet verbinden. Es ist klar, 
dass unter diesen Bedingungen Linux nicht mehr weiterentwickelt 
werden kann. Wenn TCPA/Palladium erst einmal weit verbreitet ist, 
wird der Widerstand der Computerindustrie gegen dieses Gesetz 
sicherlich verschwinden. Sie werden es dann vermutlich sogar 
forcieren, um dadurch Konkurrenz aus Taiwan oder durch ein freies 
Betriebssystem wie Linux auszuschalten.
Im Prinzip ist natürlich auch ein TCPA-Linux denkbar. Allerdings 
müsste dann neue Software von teueren Zertifizierungsinstanzen als 
sicher bezeichnet werden, oder der Fritz-Chip verweigert das Starten 
des Systems bzw. des Programms. Hierdurch wäre eine Community 
orientierte Entwicklung natürlich nicht mehr möglich, und die großen 
Konzerne könnten sich Linux aneignen.
Was die Verbindung von Open Source und P2P-Netzwerklen angeht, 
so denke ich, dass das gegenwärtige Copyrightregime vor allem den 
großen Unterhaltungs- und Softwarekonzernen nutzt und die 
Entwicklung neuer Anwendungsmöglichkeiten des Computers und des 
Internet verhindert. Allerdings ist auch klar, dass die KünstlerInnen im 
Kapitalismus für ihr Schaffen bezahlt werden müssen. Die einzige 
Möglichkeit sowohl neue Nutzungsmöglichkeiten wie P2P-Netzwerke 
zu fördern, als auch die KünstlerInnen zu bezahlen, sehe ich in 
Pauschalgebühren auf Hardware und Internetzugänge, die massiv 
ausgeweitet werden müssten. Diese Gebühren sollen direkt an die 
KünstlerInnen je nach Downloadhäufigkeit ausgeschüttet werden. 
Zugleich sollte der Betrieb von P2P-Netzwerken aber ausdrücklich 
erlaubt werden. Dies hätte folgende Vorteile: Die Gesamtkosten für 
die Gesellschaft wären geringer, da in diesem Fall die Musikkonzerne 
nicht mehr benötigt werden und die Gesellschaft die Distribution von 
Inhalten über P2P-Netzwerke selbst übernehmen könnte. Zudem 
wären mehr und vielfältiger Inhalte verfügbar und mehr KünstlerInnen 
könnten von ihrer Kunst leben, während das Einkommen von 
Superstars zurückgehen würde. Nach dem gleichen Muster können 
u.U. Open Source ProgrammiererInnen unterstützt werden.
Dieses Modell wird sich aber nur gegen massiven Widerstand der 
Unterhaltungsindustrie durchsetzen lassen. Vielleicht ist es aber bereits 
zu spät hierfür. Auf jeden Fall sagt das von Freyermuth verwendete 
Bibliothekenbeispiel genau das Gegenteil dessen aus, was er beweisen 
wollte. Denn damit die Bibliotheken enteignet werden konnten, war 
eine soziale Revolution (die Französische Revolution) notwendig. Es 
handelte sich keineswegs nur um einen einfachen ?Tabubruch?.

4. Die Durchsetzung neuer Eigentumsformen
Tatsächlich verhalten sich viele User von P2P-Netzwerken so, wie du 
vorschlägst: Möglichst viel Saugen, solange es noch geht. Dies dürfte 
tatsächlich nur noch für eine relativ kurze Zeit der Fall sein. Denn wie 
die Geschichte zeigt, ist es sehr wohl möglich, neue 
Eigentumsvorstellungen gewaltsam durchzusetzen. Foucault hat dies in 
?Überwachen und Strafen? eindrucksvoll demonstriert. Einen 
vergleichbaren Prozess erleben wir gegenwärtig im Hinblick auf das 
geistige Eigentum. Insbesondere das Strafrecht wird eine sehr wichtige 
Rolle hierbei spielen. Ich sehe keinerlei Faktoren, die darauf hindeuten, 
dass dieses Vorgehen der Unterhaltungsindustrie erfolglos bleiben 
wird. Auch werden viel größere Zumutungen an die Bevölkerung 
gerichtet, z.B. der gegenwärtig betriebene massive Sozialabbau, ohne 
dass es dagegen zu Protesten kommt.
Ein anderes Beispiel ist der illegale Drogenkonsum. Auch wenn ein 
großer Teil der Bevölkerung diese Drogen konsumiert, gibt es keine 
nennenswerten Proteste gegen ihre andauernde Illegalisierung.
Ich glaube auch, dass viele User von P2P-Netzwerken ?Blut geleckt? 
haben und nicht mehr bereit sind, die bisherigen Preise für CDs etc. zu 
bezahlen. Häufig wird auch gesagt, es wird immer eine Möglichkeit 
geben, Kopierschutzmechanismen zu brechen. Dies mag stimmen, aber 
nach einer Zerschlagung der P2P-Netzwerke und der Einführung von 
TCPA/Palladium werden Privatuser sicherlich hierzu nicht mehr in der 
Lage sein. In Zukunft wird die Verbreitung von kopierten Inhalten 
vermutlich analog zum Drogenhandel erfolgen. D.h. sie werden 
mafiaähnlichen Organisationen verbreitet. Der Unterhaltungsindustrie 
wird hierdurch vermutlich ebenfalls eine hoher Schaden entstehen, 
während die Gesellschaft keine positiven Effekte davon hätte. Ganz im 
Gegenteil werden Kriminalität, Überwachung und Bespitzelung noch 
stark zunehmen.
Wie oben gesagt, ich sehe keine soziale Bewegung, die eine solche 
wahrscheinliche Entwicklung verhindern kann.

viele Grüsse
tian

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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