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Re: [ox] Zur heraufziehenden Informationsgesellschaft



StefanMn writes:
Wollte ich euch vor allem mal so mitteilen. Ich weiß nicht, was daraus
folgt - oder vielleicht folgen sollte. Eine Überlegung, die mir in den
letzten Tagen durch den Kopf geht, ist so etwas wie ein

		Manifest der Informationsgesellschaft

zu versuchen. Im Gegensatz zu der Charta also etwas, was schon mit
beiden Beinen in der Informationsgesellschaft steht. Geistert so durch
meinen Kopf. Als erste Aufgabe wäre vielleicht erstmal zu klären, um
was es sich bei Informationsgesellschaft eigentlich handelt.

Was meint ihr? Oder habe ich hier schon alle längst abgehängt?

Uli Sigor hat dazu einen Text gemacht, dens schon länger gibt. s.u.

Ich poste den text jetzt nochmal, weil bei jedem Punkt eigentlich
ein "Aber" bzw. ein "Stattdessen" angehängt werden müßte, aus dem
sich das von Dir geforderte Manifest wohl ganz von selbst ergeben
würde ;-) 

Dieser Text entstand 1998, also zur Hochblüte der New Economy.
Aus diesem historishen Hintergrund ist verständlich, warum
"Informationsgesellschaft" mit ihrem Bewirtschaftungszerrbild
gleichgesetzt wird. Jetzt, nach dem Scheitern der New Economy, wäre der
Begriff neu zu definieren. Dabei ist dieser Text sehr hilfreich. Er zeigt,
wie dieser Begriff uns eigentlich aufgezwungen wurde, ohne daß wir über
seine innere Rationalität überhaupt sicher sind - danke Stefan daß Du da
noch mal drauf hinweist. Aber so ist das eben in der Geschichte ;-) 

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Thesen zur "Informationsgesellschaft"

Den Geisteswissenschaftler widert dieses politgewerbliche Konstrukt an,
weil das Abstrakte geschmäht wurde, solange es nicht verwertbar war; jetzt
aber, da die Elektromechanik gewisse Bedingungen der Emanzipation des
Abstrakten hergibt, artikuliert sich in den Händen von Edeldrückern gerade
noch der Abklatsch der Chancen.

Der Insider des IT-Markts kann sich nur an den Kopf greifen, weil er zu
gut weiß, daß Sektenbeauftragte, Kartellämter, Mafia- und Betrugsdezernate
die besseren Adressaten für die Diskussion wären, als die von
Innovationsideologien gebeutelte demokratische Öffentlichkeit.

Der politisch engagierte Mensch schließlich muß sich zur Verzweiflung
getrieben sehen, weil Sprache und Kommunikation, ein großer Teil seines
genuinen Handwerkszeugs zum Zentrum ideologischer
Deformationsanstrengungen gemacht werden.

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Man kann gar nicht mehr anders als derart einzuleiten - denn der Zeitgeist
einverleibt sich jede Kritik als flankierende Sorge in einem rasanten
Fortschritt. Es geht darum Bösartigkeit im Grundsatz anzuprangern - und
totzdem ohne jede Maschinenstürmerei: Die Informationsgesellschaft ist das
Totem einer neuen Gesellschaft, nicht ihr Begriff. Der bleibt tabu,
während man die realen Ansätze erstickt.

Der Begriff der potentiellen neuen Gesellschaft läßt sich mit einem Satz
umreißen: das Ende der Wirtschaft ist nah. Das ist tabu. Und das Totem
schwebt über dem Büchertisch und reklamiert dafür das Ende der Arbeit. Es
wird hier auch nicht der Krisentheorie das Wort geredet; die hat mit der
Wirtschaft ihr Ende und ihre Seligkeit auch, denn das Ende des
Kapitalismus kann man ruhig prognostizieren. Es ist aber nicht das Ende
der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Die Praxis triumphiert im
Niemandsland über die Theorie der Formationen.

Die zu tabuisierende Utopie der drohenden neuen Gesellschaft ist denkbar
einfach. Die Automation lieferte uns idealiter die Kopien eines jeden
beliebigen Nutzenschemas zum Preis der verkörperten Ressourcen. Das gilt
rekursiv für die Automation. Die Informatisierung liefert uns die
Wissenstechnik für die Entwicklung der Urbilder dieser Nutzenschemata. Zum
Preis der lebendigen Arbeit, die darin zu verkörpern ist. Je komplexer die
Welt, desto mehr Anstrengungen braucht es, sie in Ordnung zu halten. Zwei
Dinge gehörig in Beziehung zu setzen braucht gestern 4, heute 8, morgen 16
Überlegungen und wer ans Ende der Arbeit glaubt, muß mindestens hinterm
Mond sein. Obendrein legt der materiale Zustand der Gesellschaft nahe, daß
wir viel zu spät mit dem Potenzieren angefangen haben. Wir müssen
reichlich Überlegungen nachholen. Das Geschrei, das wäre übertrieben,
kommt aus dem Marketing der Kopien, nicht aus der Lebenswelt. Das Geschrei
i.Ü., wer soll die Arbeit denn bezahlen, kommt aus den Buchhaltungen, doch
dazu später.

Die Arbeit wird zur Meta-Arbeit, zur Arbeit an der Arbeit, dabei
keineswegs bloß in Gestalt geistiger Arbeit; Arbeit bricht weg, und
Meta-Arbeit rückt nach. Der Prozeß ist so alt wie die Arbeit, aber die
Vehemenz ist neu. Daß die Entwicklung nicht verstanden wird, liegt an der
Reihenfolge, die auf dem Kopf steht, weil die Wirtschaft mobbt.

Rationalisiert wird nämlich nicht, um die Lebenskontexte zu verbessern,
sondern um sie mit "Produkten" vollzustopfen, deren Erzeugung und Absatz
wird beschleunigt. Es bricht nicht Arbeit weg, sondern eine bestimmte
Sorte Arbeit liefert mehr - und zwar immer mehr - Schrott. Das ist keine
Automation, sondern dumpfe Getriebetechnik. Aber lassen wir uns darauf ein
und sagen: dank der Getriebetechnik bricht Arbeit weg; dann müssen wir
argumentieren dürfen: dank des Schrottplatzwachstums nimmt Meta-Arbeit zu.
Die will niemand bezahlen, am wenigsten die Verusacher - darum blökt die
Buchhaltung wie oben gesagt, und allen scheint es plausibel - wir sind
eben an die falsche Richtung gewöhnt.

Richtig wäre es eben anders herum: Die Automation beginnt mit der Suche
nach Reproduzierbarem; das ist selbst der Archetyp menschlicher Sprache.
Die Suche beginnt mit dem Sinn des Programms, mit der Zweckmäßigkeit und
Eleganz der Sprache, die diese Programme zu schreiben erlaubt. Dann bricht
Arbeit weg - im glücklichsten Falle schon vor ihrer Entstehung, wenn wir
erst denken und dann handeln, sind die richtigen Automaten schon vor den
Produktserien da! Und die richtige Organisation vor den Stereotypen der
Abläufe. Niemand würde sich bei solcher konstruktiven Richtung über die
Frage der Bezahlbarkeit Gedanken machen. Diejenigen, die bezahlen, sind
die gleichen, die die Arbeit machen, weil es ein Unternehmen auf
Gegenseitigkeit ist und die Einsicht der Antrieb und der Nutzen das Ziel
der Arbeit ist.

Von einer Krise der Arbeit vermöge einer Produktivkraftsteigerung wäre
kaum etwas zu merken, wir würden einfach hin und wieder auf eine
gigantische Produktivkraftentwicklung zurückblicken, die uns eine Menge
Arbeit gekostet hat, die sich aber gelohnt hat, und in die wir deswegen
noch mehr Arbeit stecken, es sei denn es reicht uns. Aber das stünde uns
wenigstens frei. Einen Haufen Schrott wegzuräumen, in dem wir zu ersticken
drohen, wird als weniger fakultativ empfunden.

Im positiven Falle "investieren" wir Arbeit, lebendige Arbeit, weil wir
uns einen Nutzen davon versprechen dürfen. Jedesmal, wenn wir darüber
nachdenken wie wir arbeiten, sehen wir durch ein Stück Meta-Arbeit einen
noch größeren Nutzen vor uns. Im negativen Falle sehen wir den
Zusammenhang gar nicht: man setzt uns eine, ihrem Qualitätenmuster nach
ausgewürfelte, von Trendsettern errochene Serie von Kopien vor, dazu
kommen die Verschlimmbesserungs-Serien der Supporte und Services,
eingeschoben und übereinandergetürmt zwischen den fliegenden Verdrahtungen
ausgewürfelter Innovationen. Die einzige Perspektive der Meta-Arbeit ist
die Retrospektive, wie hätten wir es anders machen können; und die Chance
für die Idee, es von nun an anders zu machen wird immer geringer: Ein
Stück Ordnung würde im Chaos und der Irrationalität versinken. Entweder es
ist grundsätzlich so oder grundsätzlich anders.

Grundsätzlich anders ist jedoch gar nicht erwünscht, denn die
Kopienwirtschaft liefert die größeren Profite; ist sie erstmal
installiert, schützt sich das Chaos dadurch, daß es die Ordnung zur
Resignation zwingt. Es gibt keine Konkurrenz, außer diejenige der
Varianten der Kopien, und die ist selbst systemkonformer Chaosfaktor.
Meta"logisch" haben wir eine Konkurrenz zwischen Urbild und Kopie, die
aber nicht real zum Tragen kommt, weil die Kopien sich wie ein Tumor
durchsetzen  und nichts neben sich dulden, als die nächste Generation
entdifferenzierterer Kopien. Es ist eine Konkurrenz der Systeme und wir
müssen zwischen den Perspektiven in die Systeme hin und her schalten, für
den folgenden Vergleich:

Im einen Falle bringt der Zusatz von Kapital einen gewissen Nutzen, mit
abnehmender Tendenz, und die Arbeit bricht weg. Die abnehmende Tendenz
schlägt schließlich um in einen zunehmenden Schaden durch die Produkte.
Doch weil wir nicht wollen, daß immer mehr Arbeit wegbricht, müssen wir
immer noch größeren Schaden und Unordnung in Kauf nehmen.

Im anderen Falle bringt der Zusatz von lebendiger Arbeit einen
überwiegenden Nutzen, Kapital bricht weg. Kapital, nämlich als noch 
unperfekte stoffliche Unterstützung unperfekter Handlungsorganisation wird
"aufgearbeitet". Zusätzliche Arbeit einzuführen geschieht nicht um den
Preis einer Zunahme der Unordnung, sondern nach einem Konsens über einen
anzustrebenden noch größeren zusätzlichen Nutzen.

Im einen Fall muß der Erhalt (obendrein) schlecht verteilter Arbeit
abgetrotzt werden, und ihr Effekt ist funktionell fragwürdig, die
Steigerung des Arbeitsvolumens ist ein an den Haaren herbeigezogener
"Notnagel" sozialer Sicherheit. Im anderen Falle ist die Vermehrung gut
verteilter Arbeit zu verabreden und ein Zuwachs ist meist auch gut durch
den größeren Zuwachs an Nutzen zu begründen; d.h. funktionell und direkt
aus dem Sinn der Arbeit heraus zu begründen.

Die Spannung in der Entwicklung von Arbeit und Technik entsteht durch die
Pole Arbeit und Meta-Arbeit und die Aspekte "Urbild" und "Kopie"; und
diese Dynamik kann axiomatisiert werden primär durch das Kapital, als
Vorrat toter Arbeit (i.S. bevorrateter Handlungsvorbereitung) oder primär
durch eine verwertungsfreie kooperative Selbstorganisation lebendiger
kreativer Gestaltung der Lebenswelten.

Ein Gespenst schaut sich hoffnungsvoll wieder um, weniger geharnischt. Die
"Informationsgesellschaft" ist der digitale Smog, um dieses Gespenst
wirkungsvoll der toten Arbeit vom Leib zu halten. Die gesamte
Phänomenologie dieses sehr phänomenalen Gespensts muß verhintzt werden.
Alles, was das Übel bannt, wird als kommunistisch verschrien. So setzt man
dem Volk die Hörner doppelt auf!


Eine Reihe von Gemeinplätzen ist in Umlauf, die beinahe eine Art
Katechismus der "innovierten Gesellschaft" bilden, der selbst akademischen
Verstand und linke Kritik niedermacht. Hierzu einige thesenartige
Streiflichter ohne Anspruch auf innere Ordnung in der Reihenfolge.

1.

Wir haben keine Informationsflut, sondern einen Imagewettbewerb der
Sachverhaltsrepräsentationen. Information wird professionell, regelrecht
in nachrichtendienstlicher Manier, unbrauchbar gemacht. Die "Ware" fordert
ihren Tribut: Ware als Information, Information als Ware, und Information
über Ware.

2.

Die Formel von lebenslangen Lernen verdeckt einerseits die Verwilderung
unseres Wissens, andererseits die erwünschte Kritiklosigkeit der
Lohnarbeiter - verhindert Emanzipation und Mitgestaltung: es darf keine
Routiniers geben. Der Unsinn der Arbeit muß kaschiert werden, ihr
Verkommen zu einem Prestige- und Privilegierungsobjekt, die
Instrumentalisierung ihrer Hülle zur Vortäuschung von Produktion, zur
Rechtfertigung von Wohlstandsunwuchten. Ferner wird immer schlechteres
Produktdesign qualifikationsseitig, beim Abnehmer, nachgearbeitet.

3.

Die (gewünschte) Berufsschwemme ist nichts anderes als die krampfhafte
Prophylaxe gegen eine Universalisierung der Kompetenzen und eine
natürliche Marginalisierung des absatzstrategischen Faktenzirkus. Wissen
als Kontrolle über den Produktions- und Wirtschaftsprozeß wird permanent
enteignet.

4.

Benutzerfreundlichkeit ist nichts anderes als die Zwangsdegradierung zum
reinen Bediener und Kompetenzenentzug. Geradezu unvermeidliche
Gestaltungsoptionen müssen transformiert werden in die Umwälzung von im
Hintergrund zwangsverknüpften Aspekten vorgestalteter Teilmodelle.
Semantik und Kalkül werden vorkombiniert, serialisiert, sekundär
hierarchisiert; das normative und politische Element des Kreativen wird
ausgeschaltet durch den Terror von Formen und Maskierungen, bis der
Behaviorismus als Standard der Aneignung des technischen Fortschritts
akzeptiert werden muß, wo dies noch nicht schon freiwillig geschieht.

5.

Kundenorientierung heißt faktisch nichts anderes als manipulative
Psychologie der Absatzwirtschaft. Es ist gleichsam der Edelschimmel auf
der Beschwatzermentalität der Handelsvertreter. Faktisch ist der Kunde
entweder Opfer oder als Besitzer von Rest-Eigenarbeit Gegner, oder er ist
als gewerblicher Durchreicher der Possenreiser für übergeordnete
Investitionsstrategien. Die IT ist durch ihren universellen Zugriff,
Vorreiter- und Katalysator für die Diktatur der Bewirtschaftung jeder
Lebensregung. Leben wird indirekt enteigent und zurückverkauft.

6.

"Investieren" heißt alles andere als "etwas einbringen", es meint
"wegkaufen"; Schlüsselpositionen eruieren, markieren und besetzen. In
diesem Sinne ist Investieren Kapitalanlage in Erpressungsmittel.
Informationswirtschaft ist nicht Proliferation befreiender Hilfsmittel,
sondern mehr oder weniger fortgeschrittene, d.h. abstrakte
Lizenzenspekulation. Die Enteignung von Eigenregung, von Identität als
Eigentum.

7.

Es ist in hohem Maße spezifisch für den Weg in die
Informationsgesellschaft, daß Arbeit und Kapital nicht mehr Parteien im
Anspruch auf die Verteilung des Mehrwerts sind, sie sind zu klassenweisen
Konkurrenten auf dem Markt selbst geworden, so wie zwei Typen von
Unternehmen. Die Konkurrenz ist eine ausschließende. Lebendige Arbeit
könnte sich_verfeinernde Bedürfnisse immer effektiver befriedigen. Kapital
sucht effizient eine Basis desorientierter zerrütteter Zielsysteme zu
verbreitern und mit toter Arbeit Segmente entmündigten Handelns
prothetisch zu versorgen.

8.

Neue Arbeit ist ein billiger Mythos mit dem Ziel, eine Suche nach solcher
"Beschäftigung" zu provozieren, die dann so gelenkt werden kann, daß nur
noch Carrier von Investition als Arbeit erkannt werden. "Neue Arbeit"
heißt die wesentlichen historischen Aspekte von Arbeit übersehen zu
sollen, nämlich Arbeit als Wegrationalisieren von Kapital!

9.

"Dienstleistung" ist so eine Perspektive neuer Arbeit: "Wir sollen wieder
dienen lernen". Lebendige Arbeit - aber zur privaten Bedürfnisbefriedigung
- taucht als Lösung plötzlich auf. Diese eine Seite jedenfalls der
Dienstleistung als Teillösung der Arbeitslosigkeit ist der Ausdruck
a-sozialisierter Produktion: das Dienstbotenzeitalter. Die andere
"restwirtschaftliche" Seite der Dienstleistung ist Patronage: der
Diebstahl fremden Lebensvollzugs, um ihn wieder zurückzuverkaufen (s.o.).
Niemand darf mehr selbst handeln, Selbsthandeln entzieht der Wirtschaft
bewirtschaftbare Ressourcen.

Dienstleistung ist so die Übersteigerung des Wirtschaftens und Umschlag in
eine negative Aufhebung, bei der Kapital sich selbst überlebt und als
Zombie lebendige Arbeit nach feudaler Art regiert.

10.

"Innovation" meint nichts anderes als immer neue Besen für die
Absatzstrategien. Eine Aufbauspritze für die versiegende Knappheit. Kaum
eine Innovation ist wirklich eine solche aus der Sicht des
Gebrauchsnutzeninteressenten. Im Gegenteil: echt rationaliserende Produkte
fielen der Wirtschaft ja in den Rücken; sie kollaborieren mit der
Eigenarbeit.

11.

Der Propagandismus von der qualitätssteigernden Wirkung des Wettbewerbs
ist hanebüchen. Die Konvergenz von Qualitäten wäre Gegenstand einer rein
beitragsorientierten kooperativen Struktur. Wettbewerb diversifiziert
Qualitäten, d.h. löst die Ordnung der Dinge auf! Der BWL-Begriff der
Qualität hat diese Funktion bereits assimiliert und überschwemmt die
akademische Welt mit ideologischen Sterilisaten (z.B. "Anspruchsklasse") -
jedes Interesse, jede unausweichliche Normativität des Begriffs wird
verleugnet. Jede Gesellschaftlichkeit des Ökonomischen wird der
Entwicklung der Dinge ausgetrieben.

12.

"Employability" ist nicht ein Erfordernis des Strukturwandels, sondern die
Vergewaltigung des Lohnarbeiters zur Übernahme von Risiko und
Eigenverantwortung aber ohne Selbstbestimmung; der Zwang zur
Bewirtschaftung der Lebenszeit ohne Kapitalisierung und Unternehmerstatus
- morituri te salutant: es gilt das Gladiatorenethos. Employability heißt
Arbeit "besetzen" können, unter Anerkennung aller Geschäftsbedingungen des
Strukturwandels. Wer unter Arbeit die Beseitigung von Mangel versteht, hat
bereits das Schauspiel nicht verstanden.

13.

Ein eher "progressives Klischee ist die Meinung, man hätte es nicht mit
Arbeitslosigkeit, sondern mit Erwerbslosigkeit zu tun. Gerade die mit
Arbeit verbundene Emanzipation soll ja unterbunden werden. Die Situation
der Arbeitslosigkeit korrespondiert mit der Irrationalität der Produktion,
der Güterwelten, mit einer zunehmenden und paradoxen Erschwernis der
Selbsthilfe - als Minimalverständnis von "Arbeit ohne Erwerb". Armut ist
oberflächlich Folge von Erwerbslosigkeit, in der Tiefenstruktur der "neuen
Gesellschaft" produziert sie Arbeitslosigkeit - teils als Vorratskammer
für die feudalistische Auslegung der Dienstleistungsgesellschaft, teils
einfach zur Reservierung der knappen nicht-erneuerbaren Ressourcen für die
Schicht der "Wirtschaftenden".

14.

Hinter dem Unfug vom "turbulenten Umfeld" steckt möglicherweise eine sehr
raffinierte übergeordnete Ideologisierung der Wirtschaft im Ganzen. Sie
herrscht als Autoplastizismus-Klischee in praktisch allen Bereichen der
akademischen Aufarbeitung von Wirtschaft und Produktion: in den
Prozeß-Theorien, den Modellierungstheorien, den Frühwarnsystemen, der
fraktalen Fabrik, im gesamten Bereich der informationstechnisch
durchdrungenen operativen Ebene der Unternehmensgestaltung.

Eine Megamaschine formt den Trend und wir folgen der Devise: Freiheit ist
Einsicht in die Notwendigkeit; im Falle der Wirtschaft ist grundsätzlich
nur Selbstanpassung erlaubt. Zur Unterstüzung dieses Glaubens dienen die
Theorien von der Selbstorganisation, die "Kybernetik" in den
Managementlehren, die Naturalisierung der Ökonomie.

15.

Daß sich langsam die "Trennung von Freizeit und Arbeit auflöst" ist
Zynismus. Die möglichen Spielräume kreativer Arbeit werden mit
Gehirnwäsche gefüllt, die abgearbeitet werden muß; die vermeintliche
Arbeit dagegen wird durch Entertainment unschädlich gemacht, d.h.
hinsichtlich Gebrauchsnutzen und Rationalität kurzerhand denaturiert. Dies
ist eine Funktion der Multimediawelle. Unter dem Deckmantel einer solchen
Verschmelzung vollzieht sich schließlich die für den gesamten ökonomischen
Prozeß opportune destruktive Enteignung von Sprache - als dem
Produktionsmittel der Zukunft. Es ist das Märchen von der
Fortschrittlichkeit der Analogmanipulation: Weltbewältigung und
Ordnungskompetenzen sollen aberzogen werden. Passivität unter dem
Deckmantel der Kreativität anerzogen.

16.

Rationalisierung der Produktion ist keine Rationalisierung und erst Recht
keine Rationalität der Produkte. Faktisch haben wir keine Rationalisierung
sondern eine Irrationalisierung, geradezu eine Sabotage der Rationalität
in jedem Gebrauchsgegenstand, um zu verhindern, daß sich die
Bedarfsdeckung der Verwertung entzieht und der Verwertung Boden entzieht.
Das trifft auch die gewerblichen Mittel selbst, es bedarf nur des
Perspektivenwechsels vom Käufer zum Hersteller. Der Widerspruch in der
Rationalisierung selbst löst sich sofort, wenn wir wir sehen, daß es eine
Rationalisierung des Wirtschaftens ist, eben nicht des produktiven
Prozesses im Ganzen. Daß Rationalisierung des Wirtschaftens isoliert auch
als solche der Produktion erscheint, trägt ja auch zur Akzeptanz der
Menschen bei - sie wollen ja nicht gegen den Fortschritt sein.

17.

Praxisbezug der Universität und der Bildung ist letztlich ein Angriff auf
die Kanonisierung von Wissen; und auf die Kompetenzen, mit dem
Güterschrott aufzuräumen. Klare Entwicklungslininen gerade in praktischer
Hinsicht dürfen nicht zum Entwurf kommen. Weiterhin wird die Universität
benötigt, um die Autoritäten aufzubauen, die sich sachkundig vor die
Erkenntnis des Prozesses zu stellen bereit sind. Die Ideologie ist vom
brachialen Überbau in die stoffliche Basis selbst eingeflossen.

18.

Arbeit wird nicht immer spezieller, weiter vergesellschaftet, sondern
immer universeller; wegen der Verschiebung zur Meta-Arbeit und wegen der
Verfügbarkeit der Produktionsmittel. Lediglich falsch proportionierte und
skalierte Produktionsmittel können sachwidrig eine höhere
Vergesellschaftung erzwingen.

19.

Automation reduziert die Konkurrenzkraft des Kapitals gegenüber der
Arbeit, beschleunigt den Verfall der Verwertungsanreize. Erst entwickelte
Automation gibt der Arbeit Chancen - einmal weil sie als konzeptionelle
Arbeit überhaupt erst Angriffspunkte findet; zweitens, weil physische
Arbeit als Kostenfaktor für die eigentlich freien Multiplikate zur
elementaren Versorgung entfällt. Erst wenn die Multiplikate kostengünsitg
genug sind, ist lebendige Arbeit nicht mehr auf anteilige Produktion
dieser Art angewiesen, sie muß keine "Devisen" anschaffen.

20.

Die Arbeit wird nicht weniger, sie wird nach Belieben mehr. Aber nicht zum
gleichen Effekt, sondern mit mehr Effekt. Ein Quantum lebendige Arbeit
liefert einen Zuwachs an Nutzen der größer ist, als der durch ein Quantum
investiertes Kapital. Lebendige Arbeit ist ergiebiger. Der Umlauf neuer
Arbeit hat schon zur Bedingung daß die gesellschaftlichen Ansprüche
steigen.

21.

Arbeit ist keineswegs nicht bezahlbar, wie es immer heißt; Arbeit auf
Gegenseitigkeit muß gewährleistet sein. Gegenseitigkeit wäre aber gerade
immer besser gewährleistet - kraft der Produktivkraftenwicklung und kraft
der Universalisierung der Kompetenzen - und faktisch einrichtbar.

22.

Die Arbeitskosten sind ein viel geringeres Problem als die unnötigen
Kosten für unnötig komplexe Vorbedingungen der Einrichtung der Arbeit.
Tote Arbeit - Kapital, raffgierige spekulative Vervielfältigung auf
Vorrat, fordert ihren Tribut und versucht sich mit Produkteschrott
spitzfindig in den Umfang der Handlungsvorbereitungen hineinzuzwängen.

23.

Auch der sog. "Arbeitsplatz" liefert ein Klischee. Daß man mit dem
Argument der Scheinselbständigkeit gegen die längst fällige Auflösung der
Lohnarbeit eintritt, kommt dem Kapitalismus zugute. Schlimmer als die
Kritik an der Scheinselbständigkeit wären für ihn die Forderungen nach
einer echten Selbständigkeit; denn natürlich liegt die Zukunft in der
eigenverantwortlichen Arbeit, aber nicht unter Markt- und
Verwertungsbedingungen.


Nicht alle Aspekte sind mit dieser Liste angesprochen; es sollte die
Aufmerksamkeit dafür geweckt werden, daß die Diskussion der "neuen Zeit",
namentlich einer Informationsgesellschaft nicht einen realen neuen
Gegenstand hat, sondern eine reaktionäre Verlängerung der
Industriegesellschaft überspielt - einerseits - und die vorwegnehmende
präventive Besetzung von Chancen ist - andererseits. Die öffentliche
Diskussion soll die Entfaltung einer Realität verhindern - das Ende der
Wirtschaft hinausziehen, bis es gangbar ist, das Scheitern der Republik
offen auszurufen. 






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Organisation: projekt oekonux.de



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