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[ox] Texthinweis: Kreativität als Norm - zum Erfolg verdammt?



Hei alle sammen,

ein recht soziologischer Text von Ursula Holtgrewe zu Freier Software
zwischen 'Sozialer Bewegung' und Markterfolg, der m.E. den Punkt ganz
gut trifft:

http://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/bwl9/mitarbeiter/uh-veroeff/uh-dgs2k.pdf

Er beginnt mit diesem netten Zitat:

"Allgemein werden ja mit der neuen Ökonomie Gegner und Partner
identisch, aber gleichzeitig tun sich auch immer wieder neue soziale
Bewegungen auf, die die Arschbacken der Homogenität
auseinanderreißen ? oder wie soll man sagen?"

Und endet mit dem Fazit:

Wir haben also gesehen, dass in einem für den Internetbetrieb
insgesamt nicht unbedeutenden Bereich technischer Innovation die
Orientierungen und kreativen Erzeugnisse sozialer Bewegungen
weiterhin eine Rolle spielen. Die AktivistInnen versuchen, gerade
die Normen der Kreativität in Gestalt des freien, sozialen Tausches
von Gebrauchswerten zu bestimmen, und gemäß diesen Kriterien werden
die Institutionen geistigen Eigentums umgebaut und bewertet. Die
"IngenieurInnen" schließen die Kriterien technischer Exzellenz an
die Erfolgskriterien des Marktes an ? geraten dabei aber auch unter
die Zwänge des Marktes. Dabei scheint es, dass AktivistInnen und
IngenieurInnen sich bislang nicht in Flügelkämpfen verzetteln. In
der Tat profitieren beide Seiten von den unterschiedlichen Erfolgen
der jeweils anderen: Linux und die anderen weit verbreiteten
Betriebssysteme und Programme haben den Free-Software-AktivistInnen
den Beweis geliefert, dass wettbewerbsfähige Softwareentwicklung auf
nichtkommerzielle Weise möglich ist und dass technische Innovationen
auch als öffentliche Güter entstehen. Dass Linux unter der GPL
vertrieben wird, hat gerade als Selbstbindung der community die
Attraktivität für EntwicklerInnen und NutzerInnen erhöht und auch
für die Distributionsfirmen die Bedingungen und Risiken der
Vermarktung kalkulierbar gemacht: Wenn sie es nicht privatisieren
können, so können ihre Wettbewerber das auch nicht.

Die Etablierung der Kreativität als Norm in den sozial bewegten
Netzwerken der Softwareentwicklung führt also nicht bruchlos zu
einer Orientierung am Markterfolg als Bewertungskriterium kreativen
Handelns. Eine Logik der Kommerzialisierung und "Normalisierung" ist
am Beispiel Linux aufzufinden, doch bleibt diese eingebettet in
soziale Tauschbeziehungen und normative Orientierungen der
Non-Profit-Seite. Auf dieser Seite werden die Normen der Kreativität
reflexiv: Sie werden auf die Institutionen des Innovationssystems
selbst angewandt, und dieses wird ? in gewissermaßen "nachhaltiger"
Weise ? auf seine Möglichkeiten der Erhaltung und des Ausbaus der
Produktions- und Kooperationsbedingungen kreativen Handelns hin
evaluiert. Die wirtschaftlichen und moralischen "Ökonomien" der Open
Source und freien Software also bleiben miteinander verzahnt in
spannungsvollen und spannenden Verhältnissen, in denen die Grenzen
zwischen Märkten und Projekten, Kommerz und Non-Profit erst gezogen,
verschoben und verhandelt werden.

mfg

Thomas Be

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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