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[ox] Freie Software ist Müll




Stefan Merten schreibt:

Hi Holger und UmsonstladnerInnen oder auch nicht!

5 days ago Holger Weiss wrote:
Ich hatte aber
_nicht_ verstanden, wo die Parallele freie Software <-> Umsonstladen
liegt, da der Umsonstladen ja nichts mit Produktion zu tun hat.

Ein *ganz* wichtiger Einwand, auf den nach meiner Erinnerung bisher
noch niemensch hier gekommen ist: Umsonstläden finden qua Konstruktion
ausschließlich in der Distributionssphäre statt. Das zentrale Moment
Freier Software liegt aber in der Produktionsspähre.

Ich kann nicht einsehen, was an dieser Trennung in Produktionssphäre und
Distributionssphäre so wichtig ist und schon garnicht, warum die
Produktionssphäre was besseres sein soll als die Distributionssphäre.
Beides gehört zusammen, die Produktion ist genauso von der Distribution
abhängig wie umgekehrt. Zu Marxens Zeiten war Produktion problematisch und
damit wichtig, die Distribution wegen grosser Nachfrage dagegen leicht und
unbedeutend.Doch die Zeiten haben sich geändert, die Produktion ist
leichter geworden, der Absatz dagegen wegen Sättigung der Märkte
schwieriger.


Noch dazu findet diese Distributionssphäre auf einem Elendsniveau
statt: Als Alternative zum Müll.

Müll hat erstmal garnichts direkt mit Elend zu tun. Elendig sind bloß die
bürgerlichen Ressentiments gegen Müll, die seine Weiterverwendung
tabuisieren. Doch für barbarische Menschen, die sich einen "Dreck" um die
bürgerliche Wertordnung scheren, ist Nutzung von "Müll" eher ein Weg raus
aus dem Elend in Richtung Luxus, Freiheit und Faulheit.

Müll sind einfach nur Waren, die für wertlos erklärt wurden. Für mich zB
sind auch mindestens 99,9 % der Waren eines Kaufhauses Müll, weil sie für
mich wertlos sind, weil ich sie nicht gebrauchen kann. Diese meine Ansicht
spielt natürlich keine Rolle, weil nur der (bisherige) Besitzer das Recht
hat, etwas als Müll zu deklarieren. Festzuhalten ist jedoch die
Subjektivität des Werts. Was für einen Menschen wertlos ist, kann für
Andere durchaus wertvoll sein und umgekehrt.

Entgegen gängiger Vorstellungen ist Wert keine Eigenschaft von Dingen,
sondern eine Beziehung zwischen Menschen und Dingen. Nur durch
Gleichschaltung von Zielen und Bedürfnissen ist die Illusion
aufrechtzuerhalten, dass Dinge einen objektiven, von Menschen unabhängigen
Wert haben. Ohne Menschen hat kein Ding irgendeinen Wert. Deshalb ist auch
die Distribution, das Vermitteln zwischen Mensch und Ding, nicht
unwesentlicher als die Produktion.

Freie Software bietet dagegen
Produkte, die an der Spitze der Produktivkraftentwicklung liegen und
nach denen sich z.B. auch finanzkräftige Konzerne die Finger lecken -
was sie nach Müll nicht gerade tun.


Es gibt auch im Müll Produkte aus der Spitze der Produktivkraftentwicklung.
Der entscheidende Unterschied liegt mal wieder in der Kopierbarkeit, die
für die informationelle Welt gilt, aber nicht für die Materielle. Eine
Perle im Müll bleibt Eine, für Konzerne wärs erst interessant, wenn es
Tausende oder Millionen wären. Mit einer Softwareperle dagegen lässt sich
der ganze Konzern umrüsten, weil sie beliebig kopierbar ist.


Nun sagst Du, die Parallele liegt darin, dass fuer beides kein
Wertaequivalent verlangt wird.

Was ich bei den Umsonstläden tendenziell bezweifele. Es ist vielleicht
nicht so 1:1, aber dass eineR in einem Umsonstladen immer nur nimmt -
wie es in der Freien Software gang und gäbe ist - wird nach meiner
bisherigen Wahrnehmung immer als Problem betrachtet.

Soweit ich Umsonstläden kenne, ist es noch kein Problem, wenn eineR immer
nur nimmt. Im Gegensatz zu Tauschringen ist bei Umsonstläden die
Umverteilung von Leuten die zuviel haben zu Leuten, die zuwenig haben meist
sogar beabsichtigt. Zum Problem würde es erst, wenn jemand soviel nimmt,
dass für andere kaum was bleibt. Deshalb haben die meisten Umsonstläden eine
Mengenbegrenzung, aber keine Gebepflicht oder gar ein Äquivalenzprinzip.
Wenn alle Dinge wie Software kopiert werden könnten, wär natürlich auch die
Menge für Umsonstläden kein Problem.

Sind solcherlei
Probleme mit Hilfe sozialen Drucks und der dazu notwendigen
Nachbarschaftlichkeit noch in den Griff zu kriegen, so sind sie es
unter den Bedingungen der Massengesellschaft nicht mehr.

Die Massengesellschaft kommt doch nicht erst, sie ist schon da und die
Umsonstläden existieren mittendrin in dieser Massengesellschaft. Und für
die dadurch entstehenden Probleme ist sozialer Druck auf die Nehmenden
keine Lösung, weil es ja gerade die Funktion der Umsonstläden ist, dass
Leute sich nehmen können, was sie brauchen. Damit der Laden auch gefüllt
wird, muß er sich an die Leute wenden, die brauchbare Sachen übrig haben,
die sie bis jetzt noch auf den Müll werfen. Alternativ oder ergänzend gäbe
es auch noch die Möglichkeit, brauchbare Sachen vom Müll zurückzuholen und
über den Laden wieder zur Nutzung zurückführen.

Wenn ich mal die Stichpunkte zur Keimform aus der OEkoNux nehme
[http://www.oekonux.de/einfuehrung/kladde/default_15.html]

* Merkmale einer heutigen emanzipatorischen Keimform
    * Globale Vernetzung
    * Wert- und Tauschfreiheit
    * Selbstorganisation
    * An der Spitze der Produktivkraftentwicklung

dann ist bei Umsonstläden höchstens die Selbstorganisation zu finden
(wobei dieser Begriff vielleicht auch mal der Klärung bedürfte).
Irgendwie klingt Umsonstladen nach dem bisherigen Kenntnisstand der
Liste nicht sehr nach emanzipatorischer Keimform...

Irgendwie klingt diese Kriterienliste so, als wär sie genau dazu
geschaffen, die Freie Software zu beweihräuchern und andere Konzepte
niederzumachen.

Es langweilt mich, immer wieder die Vorzüge von freier Software gegenüber
anderen Projekten, die jedoch materieller Natur sind, zu hören. Dass ein
Adler höher fliegen kann als ein Pferd, ist nicht wirklich spannend. Es
sind ungleiche Vorraussetzungen, die Kopierbarkeit ist ein ungeheures
Privileg. Andererseits wird die Freie Software als Keimform einer neuen
Gesellschaft versagen, wenn es ihr nicht gelingt, über den privilegierten
Cyberspace hinauszukommen und auch für die materielle Welt entsprechende
Lösungsansätze zu finden. Und da seh ich in Umsonstläden einen guten
Anfang, auch wenn sie nicht so hoch fliegen können wie die freie Software.

Die Frage nach den Gemeinsamkeiten oder Parallelen zwischen Freier Software
und Umsonstläden find ich viel spannender als die danach, was besser oder
antikapitalistischer ist.

Die erste und wohl wesentlichste Gemeinsamkeit ist, dass jeder etwas
brauchbares bekommen kann, ohne dafür einen Gegenwert geben zu müssen.
Das halte auch ich für etwas ziemlich revolutionäres, weil es einem
kapitalistischen Grundprinzip widerspricht.

Die zweite Gemeinsamkeit ist die Beschränkung. Nicht alles, was ich brauche
kann ich als Freie Software oder im Umsonstladen bekommen. Software macht
weder satt, noch kann mensch sich darauf ausruhen oder sich damit
fortbewegen. Bei den materiellen Gütern im Umsonstladen sind dagegen selten
Produkte von "der Spitze der Produktivkraftentwicklung" zu finden oder
Produkte, die sich zum Angeben eignen. Im Allgemeinen sind es eben Sachen,
die auch im Müll zu finden wären. Wegen dieser Beschränkungen ist der
Kapitalismus weder von freier Software noch von Umsonstläden unmittelbar
bedroht, er kann beide innerhalb von Nischen tolerieren und sogar auch
Nutzen daraus ziehen.

Die dritte Gemeinsamkeit ist, das es Menschen gibt, die brauchbares ohne
Gegenleistung an Unbekannte weitergeben, obwohl sie auch die Möglichkeit
hätten, daraus noch etwas Wert zu schöpfen. Also aus einer solidarischen
Sichtweise handeln, die es als positiv sieht, wenn es anderen nutzt.
Allerdings ist das Weggeben für den Gebenden auch kein nennenswerter
Verlust, es ist Überschuß, der für den Gebenden nahezu wertlos ist. Das
unterscheidet dieses Geben von persönlichen Geschenken oder Spenden.

Damit kommen wir zu der Frage nach den Gemeinsamkeiten von Müll und
Software (oder allgemeiner Kopierware). Bei Beidem fällt das Weggeben
nicht schwer, weil es kein Verlust ist.

Wodurch wird eine brauchbare Sache zu Müll? Dadurch, dass sie nicht mehr
gebraucht wird. Ein Drucker ist für mich wertvoll, weil ich manchmal etwas
ausdrucken möchte, deshalb hat er seinen Platz und seine Funktion. Wenn ich
nun einen neuen Drucker bekomme, nimmt er den Platz und die Funktion des
alten Druckers ein, egal ob es der Alte noch tut oder nicht. Zwei Drucker
haben für mich kaum mehr Wert als ein Drucker, aber nehmen den doppelten
Platz ein, der bei mir knapp ist. Also muss ich mir überlegen, wo der alte
Drucker, (der möglicherweise nur wenig schlechter ist als der neue), einen
anderen Platz und vielleicht eine neue Funktion findet. Und falls er keinen
Platz findet, ist er überflüssig, ist er Müll, egal wie brauchbar.

Ähnliches gilt für Kühlschränke, Waschmaschinen, Möbel und all den anderen
Kram. Aber wie stehts mit Software und anderer Kopierware, gibts da auch
brauchbaren Müll? Wenn Müll definiert ist als wertloses Produkt, ist Freie
Software sowieso brauchbarer Müll, und das ist gut so ;-). Doch ich seh da
noch einen anderen Zusammenhang. Ein Programm auf meinem Rechner, das ich
nutze, hat genau wie mein Drucker einen Wert und eine Funktion. Wenn ich es
nun aber ein paarmal kopiere, haben die vielen Kopien für mich kaum mehr
Wert als das ursprüngliche Programm, weil ich ja nur eins von den vielen
nutzen kann. Ich habe also Müll produziert, der für mich wertlos ist, aber
für andere, die es noch nicht haben, brauchbar und eventuell wertvoll.

Gruß,Jobst





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Organisation: projekt oekonux.de


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