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[ox] Konkurrenz, Vielfalt und Selektion




Hallo,

Christoph Spehr schreibt:

Ich fände eine nähere Auseinandersetzung mit dem Thema überhaupt
nicht spinnert, sondern sehr angesagt. Ich ärgere mich oft bei
Diskussionen und Workshops darüber, wenn so flott gesagt wird,
wir wollen eine Gesellschaft ohne Konkurrenz (und ohne Geld, und
ohne Markt, und ohne Tausch, und ohne Staat, und ohne Kapital,
und ohne Leistung, und ohne ...). Weil einfach nicht wirklich
nachgedacht wird, was man damit nun meint.

Natürlich gibt es eine Ebene, auf der Konkurrenz etwas ist, was
wir für uns geradezu einfordern. Wenn wir daran festhalten, dass
wir uns aussuchen mit wem wir zusammenleben, dann ist das ein
Bekenntnis auch dazu, dass Menschen umeinander konkurrieren -
wir suchen aus, wir nehmen nicht den ersten Besten. Wo man von
seinen Eltern verheiratet wird, gibts zwischen den jungen Leuten
keine Konkurrenz (da gehts dann um die Kamele der Eltern).

Also ich find, dass das nicht gleich für Konkurrenz spricht,
sondern erstmal gegen das Heiraten und ähnliche ausschließenden
Partnerschaften, gegen den Zwang zu einer Wahl mit großen
Konsequenzen, der zum großen Teil gesellschaftlich / kulturell ist.
Meine Freundschaften such ich mir zwar auch aus, doch da
keineR der/die Einzige sein muss, entfällt ein großer Teil der
Rivalität.

Ich kann deine und Bennis Relativierungen des Konkurrenz-Dualismus
nachvollziehen und halte es auch für nötig, die Ambivalenz
solcher Begriffe deutlich zu machen. Doch wenn es bei der
Schlussfolgerung stehenbleibt, dass Konkurrenz notwendig ist
und deshalb Kritik am Konkurrenzprinzip unserer Kultur sinnlos
ist, bereitet mir das doch ziemliche geistige Bauchschmerzen.

Ich werd den Verdacht nicht los, dass wir dadurch beschönigende
und herrschaftsstabilisierende Ideologie produzieren. Es ist ja
meist nicht so, dass solche Ideologien von den Herrschenden entwickelt
oder in Auftrag gegeben werden, sondern von Leuten wie uns, die
eigentlich Auswege suchen, aber unbewußt doch "Lösungen" anstreben,
die Frieden mit der drohenden Herrschaft versprechen.

Anti-Dualismus ist paradox, weil es auch ein Dualismus ist, wenn
Dualismus als allgemein schlecht und falsch gesehen wird und
Ambivalenz als gut und wahr. Wenn wir allen Sachen und Begriffen
Ambivalenz (also gute und schlechte Seiten) zugestehen, dann muss
das auch für den Dualismus gelten. Also zugestehen, dass auch das
Ambivalenzkonzept Schwächen hat und deshalb manchmal etwas Dualismus
notwendig ist. Ein strenger Verzicht auf Dualismen ermöglicht
vielleicht, alles zu verstehen (Vita contemplativa), aber er ist
ungeeignet, um in das Weltgeschehen einzugreifen (Vita aktiva).

Auch wenn ich immer wieder versuche, beide Seiten einer
Angelegenheit zu sehen, bleibt es doch oft so, dass die eine Seite
sehr überwiegend bleibt und nach Einmischung schreit. So ist
es auch bei der Konkurrenz. Trotz aller theoretischer Einsicht
in ihre Unvermeidbarkeit bleibt der Eindruck bestehen, dass in
dieser Gesellschaft viel zu viel davon gefordert und gefördert
wird, so dass es nicht falsch sein kann, sie als
Konkurrenzgesellschaft zu bezeichnen und zu kritisieren.

Bennis Gegenüberstellung von Konkurrenz und Kooperation erscheint
mir nicht treffend. Kooperation ist nicht das Gegenteil von
Konkurrenz, unsere Konkurrenzgesellschaft ist zugleich
hochkooperativ, weil arbeitsteilig. Die Kooperationen sind jedoch
größtenteils erzwungen, erzwungen durch die Konkurrenz.

Konkurrenz heißt soviel wie miteinander laufend. Das könnte so
harmlos sein wie es klingt. Doch der kritische Punkt ist, was dieses
miteinander laufen für Konsequenzen hat, sowohl für die in diesem
Lauf Stärkeren als auch für die Schwächeren. Und das ist eine
gesellschaftliche Frage, kein unvermeidbares Naturgesetz. Hier
unterscheiden sich die Kulturen, ob der Sieger alles bekommt und
der Rest nichts, oder ob der Sieger die Annerkennung bekommt und
die Gewinne auf alle verteilt werden. Oder ob Mitlaufende zu Feinden
werden müssen, weil den Verlierern der Existenzberechtigungsnachweis
entzogen wird. Auch ist es eine Frage der gesellschaftlichen
Organisation, ob jegliches Nebeneinander zum Wettbewerb
umstrukturiert wird, oder ob Rivalität weitgehend vermieden wird.

Deshalb ist das Gegenteil von Konkurrenz für mich nicht Kooperation
sondern Solidarität. Doch vielleicht sollte ich für das, was mir an
Konkurrenz kritikwürdig und hassenswert erscheint, angesichts der
Schwammigkeit dieses Begriffs besser Rivalität oder Selektion
gebrauchen.

Das Spektrum an Bedeutungen von "Konkurrenz" reicht von Vielfalt bis
Selektion. Eure positive Einschätzung meint eigentlich die
Wahlmöglichkeit, also die Vielfalt, während meine Bedenken sich an der
Selektion, der Existenzbedrohung für die Verlierer entzünden.

Nun ist aber Vielfalt nicht dasselbe wie Selektion, es steht in einem
dynamischen Verhältnis zueinander (im Winkel von 90 Grad für Leute,
die sich das bildlich vorstellen). Vielfalt ist die Voraussetzung
von Konkurrenz bzw Selektion, doch die Wirkung der Selektion ist
Monotonie oder Vereinheitlichung, also die Reduzierung von Vielfalt.
Auch der wirtschaftliche Wettbewerb führt zu Monopolen oder zu
einem immer-ähnlicher-werden der wenigen Überlebenden und schafft
damit selbst die Wahlmöglichkeiten ab, die zu seiner Rechtfertigung
herangezogen werden.

Um durch Variation wieder von der Monotonie zur Vielfalt zu kommen,
muss Selektion vermieden werden. Spielen, Experimentieren, Grübeln,
Muße, Spontaneität, Ab- und Ausschweifungen und andere
kreativitätsfördernde Umstände sind unter strengen Bedingungen der
Selektion kaum möglich. Deshalb braucht es Nischen verminderten
Drucks, um wieder Vielfalt entstehen zu lassen.

Die Dynamik zwischen Vielfalt und Konkurrenz ist ähnlich wie
zwischen Holz und Feuer. Das Feuer braucht das Holz zum Brennen,
produziert aber Asche, die nicht brennt. Die Asche kann zum
Wachstum von neuem Holz beitragen, aber das Holz kann nicht wachsen
ohne Schutz vor dem Feuer.

Der Kreislauf von Vielfalt, Selektion, Einheit und Variation ist
der Kern der Evolution, nicht nur von Pflanzen und Tieren, sondern
auch aller anderen Entwicklungen. Der Darwinismus projezierte das
gesellschaftliche Konkurrenzdenken in die Natur, indem er der
Selektion die Hauptrolle der Weiterentwicklung gibt und von den
vielen Variationsmechanismen nur die zufälligen Mutationen erkennt.
So entstand der Glaube, dass man nur streng genug selektieren müsse,
um hohe Zuchtqualitäten zu erreichen. Die Sozialdarwinisten holten das
dann als Weisheit der Natur wieder aus der Biologie zurück in
Gesellschaft, Wirtschaft und Erziehungswesen.


Ich finde auch nicht einzusehen, dass man schlechte Handwerker
ertragen muss, weil es Konkurrenz wäre, wenn man den Besseren
(oder einem Genehmeren) nimmt. Und ich finde auch nicht
einzusehen, dass einer, ders nun wirklich überhaupt nicht
bringt, die gemeinschaftlichen Rohstoffe, Umwelteinheiten und
Vorprodukte zu irgendwas verwurstet was niemand haben will.

Ich finde diese Beispiele gehen an der Realität vorbei. Von all
den Leuten, die ich kenne, die was gegen Konkurrenz haben, fordert
keiner, dass man nicht mehr wählen können soll. Im Gegenteil, die
Konkurrenz wird abgelehnt, weil sie zu Monopolen führt und damit
die freie Wahl gefährdet ist. Und das Problem von Neuschrott, der
Verschwendung von Rohstoffen, Umwelteinheiten und Vorprodukten in
Produkten ohne Qualität liegt nun wirklich nicht an Einzelnen,
"dies nicht bringen" und was herstellen, was niemand haben will.
Mit dem steigenden Konkurrenzdruck des letzten zwei Jahrzehnte sind
auch die Berge von Neuschrott nicht kleiner geworden, sondern
gewaltig angestiegen.


Was wir ablehnen, ist doch nur eine Konkurrenz, die allen als
Norm von außen aufgezwängt wird, so dass wir gar keine
wirklichen Entscheidungen mehr treffen können. Das ist ja auch
mein Verhältnis zur Wertkritik: man kann sagen, Wert in diesem
(negativen) Sinne ist eine herausgehobene, "heilige" Norm
innerhalb einer Kooperation, an der alles gemessen wird, so dass
keine reale Verhandlung mehr stattfindet. Im Kapitalismus z.B.
der Profit. Im ReSoz häufig die "Produktivität".

Zustimmung bis auf das "nur". Den Verlust an Vielfalt durch
Konkurrenzdruck hab ich schon genannt und es gibt noch einiges mehr
an Gründen der Ablehnung. Doch das wird mir jetzt zu umfangreich.

Gruss,Jobst




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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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