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Re: [ox] Boden(un)recht



Hi Liste!

Endlich komme ich dazu, mich mal wieder mit der Liste zu befassen -
und mit diesem Thread einsteigend ich bin ein bisschen entsetzt.
Immerhin haben sich Kurt-Werner und Franz ja mit den - auch für mich
inhaltlich schwer erträglichen - Beiträgen von Hartmut
auseinandergesetzt. Hartmuts immer wieder aufscheinenden reichlich
rechten Ideologeme - insbesondere die durchscheinende
Ausländerfeindlichkeit / Abschottungspolitik - gehen bei mir auch
öfter über Grenzen.

Ich fände es allerdings noch viel besser, wenn ich bei Hartmut auch
mal den Wunsch zum Lernen erkennen könnte. So, wie ich Hartmuts
Antworten lese, wischt er wichtige Argumente mit sehr allgemeinen
Phrasen einfach zur Seite. Dann wundert es mich allerdings nicht, dass
er nichts oder fast nichts lernt hier. Wer alles schon (besser) weiß
hat ja eigentlich auch keine Veranlassung mehr noch was Neues zu
verstehen. Ohne eine gewisse Einlassung auf die Inhalte ist Lernen nun
mal schlechterdings nicht möglich. Nun, ich habe aus dem, was ich
seitens Hartmut als schiere Ignoranz empfinde, die Konsequenz gezogen
einfach nicht mehr zu antworten: "Don't feed the troll." bewährt sich
als relativ wirksames Mittel in solchen Fällen.

Was mich aber wirklich nachdenklich macht an diesem Thread, sind die
(fehlenden) Reaktionen schon auf seinen Beginn. Es gibt hier wirklich
genug Leute auf der Liste, von denen es mich schon wundert, wie sie
Christophs Ansatz so unwidersprochen stehen lassen können. Um das hier
- nach einem Monat! - nicht einfach so stehen zu lassen, also einige
Kommentare hierzu von meiner Seite.

Last month (28 days ago) Christoph Reuss wrote:
Das römische Boden(un)recht ist die Fortsetzung des Feudalismus mit
raffinierteren Mitteln.

Die Gleichsetzung von Feudalismus und Kapitalismus halte ich nun
wirklich nicht für angezeigt. Sind wir uns einig darin, dass es
zwischen beiden Systemen *erhebliche* Unterschiede gibt und
insbesondere die Grundlagen ihrer Reproduktion sich fundamental
unterscheiden?

Dass auch vereinzelte Machtgruppen aus dem alten Regime in das neue
wechseln konnten, ist dabei kein Widerspruch. Dass Teile der
Profiteure des alten Regimes ihre Möglichkeiten genutzt haben, um
einen Fuß ins neue zu bekommen belegt aber noch lange nicht die
durchgehende Kontinuität auf allen Sektoren.

Allein für die dadurch künstlich überhöhten
Bodenpreise muss der "normale" Werktätige etwa 20%-40% seines Lohnes
abliefern (via Miete, Steuern[*] und allgemein höhere Preise) -- er
arbeitet also jede Woche 1-2 ganze Werktage für "Millionenbauern" und
Bodenspekulanten, die ihrerseits dafür weder arbeiten noch Risiken
tragen.

Hier finde ich bereits den hochproblematischen Kern von Christophs
Argumentation. Christophs Argumentationslinie liegt ja nichts anderes
zu Grunde, als das es unter Geldbedingungen so etwas wie einen
"gerechten Lohn" gäbe, der sich an der persönlichen Arbeitsleistung
bemesse.

Selbst wenn mensch diese Annahme mal für einen Moment durchhält, dann
ist das ganze System so irre, dass sich die "Millionebauern" darin nur
noch als ein kleines Fünkchen innerhalb eines völlig verrückten
Feuerwerks ausmachen lassen. Wenn wirklich die persönliche
Arbeitsleistung - und irre ich mich wenn Christoph hier letztlich die
Leidensbereitschaft meint? - wenn also wirklich die persönliche
Arbeitsleistung eine zentrale Rolle spielen soll, dann hat jede
Erziehungsperson / Putzkraft / BandarbeibeiterIn aber das gleiche
Recht auf ein Einkommen wie ich, Herr Schrempp oder die
"Millionenbauern".

Wie hier sofort offensichtlich wird, ist das Geldsystem (vulgo:
Kapitalismus) grundsätzlich nicht dazu in der Lage solcherart
Gerechtigkeit herzustellen. Arbeitskraft wird wie jede Ware am Markt
angeboten und ihr im Tauschakt realisierter Wert bestimmen den Preis.
(Die SchweigerInnen mögen das sicher noch besser erläutern können.)
Das hat aber *gar nichts* mehr mit irgendeiner persönlichen Leistung
zu tun, die mensch aufgrund von allgemeiner menschlicher Anerkennung
der Leistung anderer irgendwie würdigen könnte. Bei mir nicht, bei
Herrn Schrempp nicht und bei der Putzkraft nicht.

Wobei mir übrigens völlig rätselhaft bleibt, warum die UnternehmerIn,
die ihr Einkommen ja erheblich aus der Arbeitskraft anderer bezieht,
bei Christoph so gut wegkommt. Wenn Christophs Theorie zu Ende gedacht
wird, dann dürfte ausschließlich nach der geleisteten Arbeitszeit
bezahlt werden. Das ist zwar als Grundsicherungsmodell vielleicht ganz
nett, aber auf dem Arbeitsmarkt schlicht Quatsch. Vielleicht können ja
die Realsozialismus-Erfahrenen hier auf der Liste mehr dazu sagen, da
in der Ex-DDR ja m.W. die Einkommen für verschiedene Arbeiten
vergleichsweise sehr eng beieinander lagen.

Innerhalb des Geldsystems ist ein "gerechter Lohn" nach menschlichen
Maßstäben - die ich Christoph einfach mal unterstelle - also immer
eine Illusion. Dies ist strukturell so und ist ohne Abschaffung der
Tauschsysteme nicht behebbar. Die Parole "Leistung muss sich wieder
lohnen", die gerne von den Konservativen ausgegeben wird meint eben
nicht das, was mensch naiv verstehen müsste - nämlich die Leistung der
Erziehungsperson / Putzkraft / BandarbeibeiterIn. Vielmehr ist das
leistungslose Einkommen Ziel der ganzen Veranstaltung und
dementsprechend der Neid derer groß, bei denen sich der
TellerwächerIn-MillionärIn-Traum als das blamiert hat, was er immer
schon war: Eine schillernde Seifenblase, die nur bei statistisch
vernachlässigbar vielen Fällen nicht platzt.

Was aber in Christophs Argumentation letztlich auch durcheint ist das
alte "Wer nicht arbeitet soll nicht essen!" (oder biblisch: "Im
Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!" - Gott zu Adam
anlässlich der Vertreibung aus dem Paradies - wenn ich nicht irre).
Dies folgt logisch daraus, dass Christoph denen das Brot / den Luxus
neidet, die ihn sich nicht "ehrlich" erarbeitet haben.

Wo in dieser Grundhaltung das emanzipatorische Potential liegen soll,
ist mir nicht so recht einsehbar. Gerade auf dieser Liste, wo viele
die Selbstentfaltung aller als Grundlage einer neuen
Vergesellschaftungsform zumindest als Möglichkeit spannend finden und
in der Freien Software keimförmig erkennen können, gerade auf dieser
Liste sollten doch solche Haltungen wie Christophs eigentlich
inhaltlich kritisiert werden - oder? Wenn Selbstentfaltung schon für
eine entscheidende, wenn nicht *die* emanzipatorische Größe gehalten
wird, dann ist die maximale Leidensfähigkeit, die aus dem Bibelspruch
spricht ja das exakte Gegenteil von dem, was erwünscht wäre.

Verglichen damit war der mittelalterliche "Zehnte" (10%
Gesamtsteuer) an die fürstlichen Herrschaften noch bescheiden!

Wie könnte es anders sein, in einer Gesellschaft, die eben nicht auf
dem Geld beruht, sondern in der Geld nur eine relative Nebenrolle
spielt.

Das Haupt-Unrecht besteht darin, dass der Bodenpreis bei der Umzonung
von Agrarland in Bauland astronomisch ansteigt (bis ca. 1'000-fach).

Und das hat nichts mit Metaphysik zu tun, sondern ist ganz klar eine
Folge, dass ein Ding von einer Ware (Agrarland) zu einer anderen
(Bauland) umdeklariert wird. Der Wert dieser Waren ist eben (krass)
unterschiedlich weil die Rentabilität eben auch (krass)
unterschiedlich ist. Und?

So konnten einfache Bauern "über Nacht" zu Millionären
werden, durch den einfachen Verkauf von ein paar Aeckern.

Und was ist jetzt daran das Problem in einer Gesellschaft in der die
allgemeine Plusmacherei das fundamentale Prinzip ist? Mit dem gleichen
Recht ließe sich jedeR Lotto-MillionärIn verdammen. Tust du das dann
wenigstens konsequenterweise auch?

Wohlgemerkt:  Das Bodenunrecht würde auch ohne Geldwirtschaft
"funktionieren".  Ob die Bezahlung in Naturalien, Privilegien oder
Geld erfolgt, ist praktisch egal -- das Problem bleibt: Privater
Bodenbesitz und künstliche Bodenpreis-Ueberhöhung.

Für die Wareneigenschaft braucht es kein Geld - in der Tat. Aber um
über ein Elendsniveau heraus zu kommen, scheint Geld in einer
Tauschgesellschaft notwendig zu sein.

Wie könnte ein gerechtes Bodenrecht aussehen ?

Z.Bsp. ein Allmend-Recht, in dem Landbesitz (bzw. -"Leihe") nur für
den Eigengebrauch (wohnen/gärtnern/bauern) erlaubt ist (d.h. man
muss den Boden im wahrsten Sinne _be-sitzen_), entsprechend dem
Bedarf und den Fähigkeiten der "Be-sitzer", und an die Bedingung
der guten Pflege geknüpft (-->auch keine Umweltverschmutzung).

Ja, den Besitz als Grundlage für Nutzungsrechte finde ich auch ein
spannendes Konzept.

(...nicht ganz GPL, denn Boden ist _echt_ knapp (nicht vermehrbar).)

Auch das finde ich zumindest hinter der Diskussion auf dieser Liste
zurück, wo Benni die Unterscheidung zwischen Vorkommen, Begrenztheit
und Knappheit eingeführt hat:

* Das Vorkommen an Boden ist endlich - zumindest auf diesem Planeten.
  Die Landmasse mag als grobe Richtschnur gelten. Sogar die ist im
  übrigen vermehrbar wie uns die Niederländer demonstrieren.

* Boden ist auch begrenzt. Da es hier schon um menschliche Kategorien
  geht ist genauer der (für verschiedene Zwecke) von Menschen nutzbare
  Boden begrenzt. Die absolute Obergrenze bildet das genannte
  Vorkommen.

  Davor gibt es aber eine Unmenge von gesellschaftlich-historischen
  Bedingungen, die eine Bodennutzung möglich machen. Gerade auch die
  technische Entwicklung hat im Laufe der Geschichte dazu geführt,
  dass immer mehr Boden nutzbar wird. Er ist also definitiv
  vermehrbar.

  Heute sind wir in Mitteleuropa sogar an einem Punkt angelangt, wo
  die bisherige landwirtschaftliche Bodennutzung tendenziell wieder
  zurück genommen wird. Hier wird also Boden auch "vermindert".

* Die Knappheit von Boden jenseits der genannten Begrenztheiten ist
  dagegen zwecks Profitmaximierung herbeigeführt. *Gerade* die
  Phänomene, die du beschreibst sind ein Anzeichen dafür. Der Boden
  *ist* also alles andere als "echt knapp", sondern er wird echt
  verknappt. Und das ist selbstredend auch anders zu organisieren wenn
  es denn gewollt wäre.

Die These, dass Boden nicht vermehrbar sei, halte ich also nach so
ziemlich allen möglichen Kriterien für haarsträubend. Außerdem wäre zu
klären, inwieweit hier Bodennutzung mit verschiedenen Formen von
Bedürfnisbefriedigung zusammenspielen. Es ist ja nicht ausgemacht,
dass unter allen möglichen gesellschaftlichen Bedingungen, die je
existenten Begrenzungen von Boden sich als Begrenzungen von
Bedürfnisbefriedigung niederschlagen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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