[ox] Editorial Krisis 25 (Teil 3) zu empire
- From: "Karl Dietz" <karl.dietz gmx.de>
- Date: Mon, 19 Aug 2002 23:54:08 +0200
... und das noch.
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Von: NTrenkle aol.com
Datum: Fri, 24 May 2002 10:14:30 EDT
An: krisisinfo yahoogroups.de, list krisis.free.de
Betreff: [krisis] Editorial Krisis 25 (Teil 3)
Editorial Krisis 25, Teil 3
...
Einem anderen nicht weniger aktuellen Thema wendet sich Ernst Lohoff in
seinem Beitrag Antikapitalistisches Frühlingserwachen? zu: der
"Antiglobalisierungsbewegung". Auch wenn die verbreitete Euphorie sicherlich
übertrieben war, die nach Genua bereits eine neue APO zu erkennen glaubte,
stellt der Protest doch zweifellos einen oppositionellen Aufbruch nach langen
Jahren der Bewegungsflaute dar. Darüber hinaus birgt er auch einige neue
Qualitäten, wozu insbesondere sein transnationaler Charakter, aber auch sein
Verzicht auf Vereinheitlichung, hierarchische Strukturen und identitäre
Abgrenzung gehört. Doch diese Momente stellen zugleich auch eine Schwäche
dar, denn sie verweisen auf eine äußerst unklare gesellschaftskritische
Ausrichtung. Die proklamierte und praktizierte Offenheit ist oft nicht viel
mehr als das beliebige Nebeneinander unvereinbarer Positionen. Darin birgt
sich die Gefahr einer Fremdbestimmung durch den Markt der Meinungen und die
Vorgaben der offiziellen Politik, die das Ringen um Autonomie zur Farce
macht. Dagegen hält Lohoff, dass die bewusste Abkehr von der Vorstellung des
politischen Einheitssubjekts weder Verbindlichkeit und Kohärenz noch die
klare Abgrenzung des kritischen vom herrschenden Bewusstsein überflüssig
macht. Eine radikal gesellschaftskritische Strömung kann sich nur formieren,
indem sie beides in einer gegenüber dem alten Subjektmodus veränderten Weise
herstellt.
Radikale Gesellschaftskritik darf sich nicht einreden, der
Antiglobalisierungsprotest gehe schon von selbst in die richtige Richtung.
Noch verkehrter ist es allerdings, ihn einfach nur äußerlich abzukanzeln -
eine insbesondere in den Kreisen, die mit einem ideologiekritischen
Reduktionismus operieren, verbreitete Unsitte. Wer sich weigert, im Dubiosen
am Anti-Globalisierungsprotest wesentlich auch die Misere
gesellschaftskritischer Theorieproduktion wiederzuerkennen, verrät völlige
Ignoranz gegenüber der Frage, wie sich Widerstand und kritisches Bewusstsein
unter den heutigen Bedingungen überhaupt formieren können und welche Rolle
gesellschaftskritische Theorie dabei selber spielen kann. Eine praktische
Neuorientierung auf radikalen Antikapitalismus ist nur denkbar, wenn sie mit
einer theoretischen Neubestimmung zusammenfindet. Kritische Kritik, die als
Gralshüter eines vorgeblich feststehenden antikapitalistischen
Wissensschatzes auftritt, kaschiert mit ihrer Beckmesserei nur ihre eigene
Zahnlosigkeit, ihr eigenes Versagen.
Im gleichen thematischen Zusammenhang nimmt Anselm Jappe sich in Des
Proletariats neue Kleider jenes Buch vor, das derzeit im
globalisierungskritischen Spektrum große Furore macht und von einigen sogar
als das Kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts gefeiert wurde: "Empire"
von Michael Hardt und Antonio Negri. Jappe kann diese Einschätzung gelinde
gesagt nicht teilen. Er sieht in dem Buch im Grunde nur eine postmodern
veredelte Neuversion des italienischen Operaismus der siebziger Jahre, der
seinerseits nichts anderes war als eine Neuversion des Traditionsmarxismus.
Was darüber hinwegtäuschen mag, ist zunächst vor allem der eklektische Umgang
mit Theorie, wie ihn Hardt und Negri an den Tag legen, und die Tatsache, dass
nicht mehr vom guten alten Proletariat, sondern von der "Multitude" geredet
wird, die sich bei näherem Hinsehen aber nur als dessen Wiedergeburt
entpuppt. Hatte etwa der Operaismus in seiner radikalen Subjektemphase die
Kämpfe der Arbeiterklasse und anderer Ausgebeuteter zum eigentlichen Motor
der gesamten historischen Entwicklung des Kapitalismus, einschließlich seiner
Krisen, verklärt, so soll nun auch die Herausbildung des supranationalen
Empire eine Reaktion der Souveränität auf den Druck der "Multitude" gewesen
sein.
Insgesamt ist das Buch theoretisch sehr viel altbackener, als es zu sein
vorgibt. Zu einer Kritik des gesellschaftlichen Formprinzips dringt es nicht
ansatzweise vor und eine ökonomiekritisch entwickelte Krisenanalyse sucht man
vergeblich, auch wenn andauernd von der Krise die Rede ist, die aber nur das
ganz normale Funktionieren des Kapitalismus anzeigen soll. Es verwundert
daher auch nicht, dass von einer kategorialen Arbeitskritik in Empire nichts
zu finden ist. Im Gegenteil. Ganz wie im traditionellen Marxismus wird die
Arbeit sogar zum Ausgangspunkt der Emanzipation, wobei es allerdings nun die
"immaterielle Arbeit" sein soll, der diese Ehre zukommt. Begrifflich gerät
dabei einiges durcheinander. Die Kooperation soll der immateriellen Arbeit
völlig immanent sein, sie trete nicht von außen hinzu. Deshalb könne diese
Arbeit sich selbst verwerten und sei kein variables Kapital. Kein Wunder,
dass dieses Loblied der lebendigen Arbeit die mehr als bloß dubiose
Vorstellung nach sich zieht, sie werde von der ihr äußerlichen, toten Arbeit
ausgesaugt wie von einem Vampir.
...
Es bleibt der Ausblick auf die nächste Nummer: Sie wird sich schwerpunktmäßig
mit dem Verhältnis von gesellschaftskritischer Theorie und Praxis
auseinandersetzen, eine Fragestellung also, die ganz unmittelbar auch die
Krisis selbst und ihre Aktivitäten betrifft, weshalb ihre Behandlung
natürlich auch selbstreflexiven Charakter haben wird. Außerdem werden weitere
Beiträge zur Kritik der Aufklärung folgen, ein Schwerpunkt, der uns noch über
längere Zeit beschäftigen wird. Auf Widerspruch zu den in dieser
Krisis-Ausgabe dazu veröffentlichten Artikeln, die auch unter uns nicht
unumstritten waren, sind wir gefasst. Ja wir würden uns wundern, käme er
nicht. Es sei also dazu eingeladen, ihn auch schriftlich zu äußern. Die
Debatte ist eröffnet.
Ankündigungen sind an dieser Stelle schon viele gemacht worden, doch da wir
es mit dieser Nummer geschafft haben, weitgehend in unserem Zeitplan zu
bleiben - woran die Tätigkeit der neuen Redaktion nicht ganz unschuldig war -
wagen wir die Aussage, dass Krisis 26 noch im Spätherbst dieses Jahres
erscheinen wird.
Franz Schandl und Norbert Trenkle für die Redaktion
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