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[ox] Editorial Krisis 25 (Teil 3) zu empire




... und das noch.

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Von:            	NTrenkle aol.com
Datum:   	Fri, 24 May 2002 10:14:30 EDT
An:             	krisisinfo yahoogroups.de, list krisis.free.de
Betreff:        	[krisis] Editorial Krisis 25 (Teil 3)

Editorial Krisis 25, Teil 3


...

Einem anderen nicht weniger aktuellen Thema wendet sich Ernst Lohoff in 
seinem Beitrag Antikapitalistisches Frühlingserwachen? zu: der 
"Antiglobalisierungsbewegung". Auch wenn die verbreitete Euphorie sicherlich 
übertrieben war, die nach Genua bereits eine neue APO zu erkennen glaubte, 
stellt der Protest doch zweifellos einen oppositionellen Aufbruch nach langen 
Jahren der Bewegungsflaute dar. Darüber hinaus birgt er auch einige neue 
Qualitäten, wozu insbesondere sein transnationaler Charakter, aber auch sein 
Verzicht auf Vereinheitlichung, hierarchische Strukturen und identitäre 
Abgrenzung gehört. Doch diese Momente stellen zugleich auch eine Schwäche 
dar, denn sie verweisen auf eine äußerst unklare gesellschaftskritische 
Ausrichtung. Die proklamierte und praktizierte Offenheit ist oft nicht viel 
mehr als das beliebige Nebeneinander unvereinbarer Positionen. Darin birgt 
sich die Gefahr einer Fremdbestimmung durch den Markt der Meinungen und die 
Vorgaben der offiziellen Politik, die das Ringen um Autonomie zur Farce 
macht. Dagegen hält Lohoff, dass die bewusste Abkehr von der Vorstellung des 
politischen Einheitssubjekts weder Verbindlichkeit und Kohärenz noch die 
klare Abgrenzung des kritischen vom herrschenden Bewusstsein überflüssig 
macht. Eine radikal gesellschaftskritische Strömung kann sich nur formieren, 
indem sie beides in einer gegenüber dem alten Subjektmodus veränderten Weise 
herstellt.
Radikale Gesellschaftskritik darf sich nicht einreden, der 
Antiglobalisierungsprotest gehe schon von selbst in die richtige Richtung. 
Noch verkehrter ist es allerdings, ihn einfach nur äußerlich abzukanzeln - 
eine insbesondere in den Kreisen, die mit einem ideologiekritischen 
Reduktionismus operieren, verbreitete Unsitte. Wer sich weigert, im Dubiosen 
am Anti-Globalisierungsprotest wesentlich auch die Misere 
gesellschaftskritischer Theorieproduktion wiederzuerkennen, verrät völlige 
Ignoranz gegenüber der Frage, wie sich Widerstand und kritisches Bewusstsein 
unter den heutigen Bedingungen überhaupt formieren können und welche Rolle 
gesellschaftskritische Theorie dabei selber spielen kann. Eine praktische 
Neuorientierung auf radikalen Antikapitalismus ist nur denkbar, wenn sie mit 
einer theoretischen Neubestimmung zusammenfindet. Kritische Kritik, die als 
Gralshüter eines vorgeblich feststehenden antikapitalistischen 
Wissensschatzes auftritt, kaschiert mit ihrer Beckmesserei nur ihre eigene 
Zahnlosigkeit, ihr eigenes Versagen. 

Im gleichen thematischen Zusammenhang nimmt Anselm Jappe sich in Des 
Proletariats neue Kleider jenes Buch vor, das derzeit im 
globalisierungskritischen Spektrum große Furore macht und von einigen sogar 
als das Kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts gefeiert wurde: "Empire" 
von Michael Hardt und Antonio Negri. Jappe kann diese Einschätzung gelinde 
gesagt nicht teilen. Er sieht in dem Buch im Grunde nur eine postmodern 
veredelte Neuversion des italienischen Operaismus der siebziger Jahre, der 
seinerseits nichts anderes war als eine Neuversion des Traditionsmarxismus. 
Was darüber hinwegtäuschen mag, ist zunächst vor allem der eklektische Umgang 
mit Theorie, wie ihn Hardt und Negri an den Tag legen, und die Tatsache, dass 
nicht mehr vom guten alten Proletariat, sondern von der "Multitude" geredet 
wird, die sich bei näherem Hinsehen aber nur als dessen Wiedergeburt 
entpuppt. Hatte etwa der Operaismus in seiner radikalen Subjektemphase die 
Kämpfe der Arbeiterklasse und anderer Ausgebeuteter zum eigentlichen Motor 
der gesamten historischen Entwicklung des Kapitalismus, einschließlich seiner 
Krisen, verklärt, so soll nun auch die Herausbildung des supranationalen 
Empire eine Reaktion der Souveränität auf den Druck der "Multitude" gewesen 
sein. 
Insgesamt ist das Buch theoretisch sehr viel altbackener, als es zu sein 
vorgibt. Zu einer Kritik des gesellschaftlichen Formprinzips dringt es nicht 
ansatzweise vor und eine ökonomiekritisch entwickelte Krisenanalyse sucht man 
vergeblich, auch wenn andauernd von der Krise die Rede ist, die aber nur das 
ganz normale Funktionieren des Kapitalismus anzeigen soll. Es verwundert 
daher auch nicht, dass von einer kategorialen Arbeitskritik in Empire nichts 
zu finden ist. Im Gegenteil. Ganz wie im traditionellen Marxismus wird die 
Arbeit sogar zum Ausgangspunkt der Emanzipation, wobei es allerdings nun die 
"immaterielle Arbeit" sein soll, der diese Ehre zukommt. Begrifflich gerät 
dabei einiges durcheinander. Die Kooperation soll der immateriellen Arbeit 
völlig immanent sein, sie trete nicht von außen hinzu. Deshalb könne diese 
Arbeit sich selbst verwerten und sei kein variables Kapital. Kein Wunder, 
dass dieses Loblied der lebendigen Arbeit die mehr als bloß dubiose 
Vorstellung nach sich zieht, sie werde von der ihr äußerlichen, toten Arbeit 
ausgesaugt wie von einem Vampir. 

...


Es bleibt der Ausblick auf die nächste Nummer: Sie wird sich schwerpunktmäßig 
mit dem Verhältnis von gesellschaftskritischer Theorie und Praxis 
auseinandersetzen, eine Fragestellung also, die ganz unmittelbar auch die 
Krisis selbst und ihre Aktivitäten betrifft, weshalb ihre Behandlung 
natürlich auch selbstreflexiven Charakter haben wird. Außerdem werden weitere 
Beiträge zur Kritik der Aufklärung folgen, ein Schwerpunkt, der uns noch über 
längere Zeit beschäftigen wird. Auf Widerspruch zu den in dieser 
Krisis-Ausgabe dazu veröffentlichten Artikeln, die auch unter uns nicht 
unumstritten waren, sind wir gefasst. Ja wir würden uns wundern, käme er 
nicht. Es sei also dazu eingeladen, ihn auch schriftlich zu äußern. Die 
Debatte ist eröffnet. 
Ankündigungen sind an dieser Stelle schon viele gemacht worden, doch da wir 
es mit dieser Nummer geschafft haben, weitgehend in unserem Zeitplan zu 
bleiben - woran die Tätigkeit der neuen Redaktion nicht ganz unschuldig war - 
wagen wir die Aussage, dass Krisis 26 noch im Spätherbst dieses Jahres 
erscheinen wird. 

Franz Schandl und Norbert Trenkle für die Redaktion

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