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[ox] NZZ zu empire von Negri/Hardt



hi,

danke für feedback zu empire!

hier noch die nzz zu empire.

karl



------- Weitergeleitete Nachricht / Forwarded message -------
Datum:   	Mon, 03 Dec 2001 00:11:21 [PHONE NUMBER REMOVED]
Von:            	"Robert Bösch" <rob.boesch bluewin.ch>
An:             	list krisis.free.de
Betreff:        	[krisis] NZZ zu Negri/Hardt

Aus dem NZZ-Feuilleton vom 10. November:

 
Jan-Werner Müller 

«Empire» - Meer ohne Ufer
 

Ein Buch mit globaler Resonanz 

Slavoj Zizek pries «Empire» als Kommunistisches Manifest 
für unsere Zeit, und die «New York Times» gab dem Buch 
nicht nur das Gütesiegel «the next big theory», sondern 
räumte seinen Autoren, Antonio Negri und Michael Hardt, 
auch Platz auf ihrer Meinungsseite ein. - Was fasziniert 
wen an diesem Pamphlet?

«Empire» war ein Schläfer. So heisst im amerikanischen 
Verlagsjargon ein Buch, das lange in den Regalen liegt - 
und plötzlich die Bestsellerlisten stürmt. Nun, so zitiert 
Harvard University Press einen begeisterten Rezensenten, 
sei das Buch so populär, dass man in ganz New York kein 
Exemplar mehr auftreiben könne. Knapp ein Jahr nach 
seinem Erscheinen ist das umfangreiche Pamphlet von 
Michael Hardt, einem Literaturprofessor an der Duke 
University, und Antonio Negri, einem politischen Philosophen 
aus Italien, zur Pflichtlektüre nicht nur der amerikanischen 
Linken geworden. 
Die Lebensgeschichte von Antonio Negri mag dem Erscheinen 
von «Empire» zusätzlichen frisson verliehen haben - war der 
Autor doch nicht nur Theoretiker der italienischen Autonomen, 
sondern auch, in den Augen der Polizei, führender Kopf hinter 
dem Terrorismus der siebziger Jahre. Negri floh Anfang der 
achtziger Jahre nach Frankreich und lehrte an der Sorbonne, 
bevor er 1997 nach Italien zurückkehrte und erst einmal im 
Gefängnis weiterphilosophieren musste.

Das vollständige Scheitern von Negris Politik der «grossen 
Weigerung» in Italien hat Hardt und Negri aber nicht dazu 
verführt, über den Triumph des Kapitalismus oder das Ende 
der Geschichte zu lamentieren. Im Gegenteil, wie Marx 
bewundern sie die scheinbar unerschöpfliche Kraft des 
Kapitalismus zur Entgrenzung und Verflüssigung von Staat 
und Gesellschaft. Dem Nationalstaat, den die defensiv 
eingestellten Kommunitaristen als letzten, zunehmend 
undicht werdenden Container der Solidarität ausgemacht 
haben, weinen  die beiden keine Träne nach. Stattdessen 
beschrieben sie mit unverhohlener Bewunderung das Regime 
des «Empire» - wobei es sich nicht um die Vereinigten
Staaten handelt, auch wenn diese offensichtlich eine zentrale 
Rolle in der neuen Weltordnung spielen, sondern um ein 
weltumspannendes Netz von Institutionen wie den Vereinten 
Nationen und dem IMF, aber auch internationalen 
Medienkonzernen, Nichtregierungsorganisationen und, nicht 
zuletzt, den Arbeitern und Unterdrückten dieser Welt,


Kein Aussen 

Anders als für den klassischen, auf Nationalstaaten zentrierten 
Imperialismus gibt es für das grenzenlose «Empire» mit seiner 
globalen Befehlsgewalt, so eine der politischen Pointen der 
Theorie, kein politisches oder wirtschaftliches «Aussen» mehr. 
Ebenso fehlt dem Reich ein Rom, ein lokalisierbares Zentrum - 
wie das Internet ist es sowohl dezentral als auch universal. 
Laut Hardt und Negri sind Niklas Luhmann und John Rawls so 
etwas wie die Chefideologen des «Empire»: Das neue Reich 
basiere auf von selbst laufenden Gesellschaftssystemen, deren 
Eliten sich universellen, ewigen Frieden auf die normativen 
Fahnen geschrieben haben und überall dort intervenieren, wo sie 
die Werte des liberalen Kapitalismus gefährdet sehen.

Wie jedes Reich kennt «Empire» seine Barbaren - nur dass diese 
nicht vor den Toren stehen. Die globale politische Konfliktlinie 
verläuft innerhalb des Reichs zwischen den neuen Imperatoren 
aus Politik und Wirtschaft auf der einen Seite und der «Vielzahl» 
oder «Menge» auf der anderen. Mit diesem von Spinoza, Henry 
Kissingers Lieblingsphilosophen, entlehnten Begriff versuchen 
Hardt und Negri die Masse der Arbeiter und Unterdrückten zu 
fassen - oder gerade nicht zu fassen, denn die mobile «Menge» 
sei - anders als «Volk» oder «Nation» - gerade nicht eingrenzbar 
oder fassbar. So ist «Empire» wie ein Ozean ohne Ufer - in dem 
die wenigsten obenauf schwimmen, die anderen verzweifelt 
Wasser treten und die meisten zu versinken drohen.

Viele Rettungsringe auszuwerfen, gelingt den beiden 
Theoretikern nicht, auch wenn sie weit in der europäischen 
Geschichte ausholen und en passant eine manichäische Theorie 
der Moderne präsentieren, in der permanent Gut und Böse 
miteinander ringen. Alle Verdammten und Vogelfreien dieser 
Erde ziehen als Gespenster um den Globus. Wie aber die «Vielheit» 
politische Handlungsfähigkeit gewinnen kann ohne ein Minimum von 
Selbstkonstitution - und damit eben auch Selbstbegrenzung -, 
verraten die Autoren nicht. Ihre einzige konkrete Forderung lautet, 
alle nationalen Grenzen zu öffnen.

«Empire» kommt ohne jegliche Empirie aus. Trotzdem - oder 
deswegen - strotzt das Buch vor Selbstbewusstsein und Optimismus. 
«Empire», so Hardt und Negri, ist allumfassend, aber deswegen auch 
überall verwundbar. Da alle Organisationen sich von Hierarchien zu 
dezentralisierten Netzwerken wandeln, welche auf kein bestimmtes 
Territorium mehr fixiert sind, kann man das Netz auch an jeder 
Stelle kappen. Ob die «Vielzahl» diese Signale hören kann, bleibt 
offen - dafür ist es Musik in den Ohren der Globalisierungsgegner, 
die sich Hardt und Negri als Vorzeigeintellektuelle erkoren haben. 
Ihnen empfehlen die beiden vor allem wieder die «grosse Weigerung», 
um das neue Reich des Bösen im letzten Gefecht zum Einsturz zu 
bringen.

In diesem neuen Kommunistischen Manifest manifestiert sich vor 
allem eines: Das Jahrzehnt linker Melancholie ist vorüber, und 
statt in sozialdemokratischem Defaitismus zu verharren, geht man 
in die theoretische Offensive. Dass die Speerspitzen der Theorie 
alle geborgt sind, hat Michael Hardt in einem Interview freimütig 
zugegeben. Von der Rehabilitierung des humanistischen 
Republikanismus, die angelsächsische Historiker schon seit fast 
drei Jahrzehnten betreiben, bis zu der Interpretation der 
postindustriellen Gesellschaft als Netzwerk haben Hardt und 
Negri vor allem Theoriefragmente zusammengeklaubt und mit 
ihrer optimistischen Rhetorik zusammengekittet.


Messianische Rhetorik 

Ob dieser Kitt auch nach dem 11. September hält, muss sich 
zeigen. Manche Amerikaner, die sich fragen, warum so viele 
Mitglieder der «Vielzahl» ihr Land hassen, werden zu «Empire» 
greifen - und darin nur den alten marxistischen Ratschlag finden, 
dass alles schlimmer werden muss, bevor es besser werden kann. 
Amerikanische Konservative wie Roger Kimball haben Hardt und 
Negri schon als Wegbereiter des globalen Terrorismus 
gebrandmarkt - obwohl das Buch klar macht, dass die Linke jegliche 
Art von «Verflüssigung», auch die Aufweichung ideologisch 
verhärteter Fundamentalismen, begrüssen sollte. Der prominente 
Sozialwissenschafter Alan Wolfe entrüstete sich, «Empire» verhalte 
sich zu seriöser Soziologie wie Pornographie zu Literatur.

Doch kann man das Buch nicht einfach als antiamerikanisch abtun, 
wie dies nicht zuletzt Kimball reflexartig tut. Hardt und Negri 
preisen den offenen Charakter der amerikanischen Verfassung und 
Thomas Jeffersons «Reich der Freiheit» als Vorbild für eine 
demokratische, postnationale Weltgemeinschaft. Auch halten Hardt 
und Negri den linken Theoretikern von Postkolonialismus und 
Multikulturalismus, den Lieblingsgegnern der amerikanischen 
Konservativen, vor, sie sollten sich nicht einbilden, einen 
kritischen Standpunkt ausserhalb des «Empire» einnehmen zu können. 
Die multikulturelle Inklusion ist danach nicht weniger ein 
Instrument des Reichs als Amnesty International und Médecins sans 
frontières.

Mit «Empire» ist Bewegung in die (linke) Theorie gekommen - und 
die Bewegung (der Globalisierungsgegner) hat eine Theorie 
bekommen. Die messianische Rhetorik, welche den Konflikt 
zwischen «Imperium» und «Vielzahl» religiös verschärft, mag der 
Urgemeinde der Kapitalismusfeinde das Gefühl geben, wie die frühen 
Christen das Imperium von innen zerstören zu können.

Vielleicht gibt es aber auch eine ganz andere Erklärung für den 
Erfolg von «Empire», die mehr mit dem Zustand der 
amerikanischen Geisteswissenschaften zu tun hat. Amerikanische 
Literaturwissenschafter, welche ihre Arbeit als eminent politisch 
verstehen und doch weitestgehend in den Universitäten isoliert 
sind, erhalten durch die Assoziation mit Negri das Gütesiegel 
echter Radikalität. «Empire», ein Buch von alteuropäischer 
Gelehrsamkeit und gleichzeitig grosser begrifflicher Innovations- 
und Suggestivkraft, vermittelt nicht zuletzt ein Gefühl von 
Sicherheit, auf Seiten der Menge der Verdammten und des 
Guten zu stehen. Gerade jetzt spendet das zumindest den 
Trost, in der endlos wogenden See von «Empire» eine Leuchtboje 
ausgemacht zu haben - und mit dem Strom der Geschichte zu 
schwimmen.

Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Harvard University Press, 
Cambridge (Mass.) 2001. Paperback, 478 S., $ 18.95. 



P.S.

Dank gnutenberg.net habe ich noch eine besonders originelle
Anmerkung zum Anschlag auf das WTC gefunden:


Herr Theweleit, was wurde eigentlich genau getroffen,
als die beiden Flugzeuge ins World Trade Center stürzten?
Viele Zeitungen sprachen von einem Stich ins Herz Amerikas,
einige davon, dass den USA der Kopf abgeschlagen worden sei.

Es war nicht nur der Kopf, es waren die Twins. "Twin Peaks"
von David Lynch, eine der erfolgreichsten Fernsehserien des
letzten Jahrzehnts, bezog sich auf zwei Berge, um die die
amerikanische Phantasie kreist. Die Twin Peaks, das waren
die Brüste der vergewaltigten Tochter, die negative Phantasie
von der Bedrohung und des Missbrauchs. Das positive Gegenstück
dazu sind die Twin Towers, der doppelte Schwanz, der sich als
mächtiges Symbol erhebt über die ganzen Widerlichkeiten und
Gewalttätigkeiten der anderen, der negativ besetzten
Twin- Peaks-Ebene.
<<

Da kann ich nur sagen: Lieber Mädchen Amick als Männerphantasien.

------- Ende der weitergeleiteten Nachricht / End of forwarded message -------


und noch:
fwd geht nachher auch an list48, da crosspostings hier in oekonux 
ja nicht erwünscht sind. ich "hasse" diese "listenaufpasser" wie sie 
auch hier am werk sind. 

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Organisation: projekt oekonux.de


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