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[ox] Re: Fw: Fahrrad und Marktwirtschaft



Nun aber droht der Versuch an den marktwirtschaftlich dimensionierten
Menschen zu scheitern.

Das ist eine voreilige Interpretation.

Vielleicht ist es einfach nur Gedankenlosigkeit, Lieblosigkeit,
unvollkommene Zivilisierung usw, wie man sie bei jedem Menschen, nicht
zuletzt beim Autor dieses Artikels, beobachten kann.

Wer schließlich auf so eine blöde Idee wie Gratisfahrräder kommt, ist
selber schuld. Karl Timmel (ÖVP), stellvertretender Bezirksvorsteher
in Wien-Wieden sagt es ganz deutlich: "So gut sind die Menschen, auch
wenn sie Radfahrer sind, nicht", ohne uns jedoch zu sagen, wo diese
unguten Menschen herkommen. "Diese Aktion kann nur im Chaos enden"
(Wiener Bezirkszeitung, Ausgabe 8/2002, S. 14), befürchtet er sich
freuend.

Das "sich freuend" ist wahrscheinlich eine böse Unterstellung. Auch wer
pessimistisch über Menschen denkt und deshalb die Marktwirtschaft in
weiten Bereichen als relativ praktikable Problemlösung anerkennt, ist
nicht unbedingt froh darüber, wenn die Schlechtigkeit der Menschen alle
alternativen Ansätze in allen Bereichen zunichte macht.  Denn dass
Privatisierung Schattenseiten hat und oft unsinnige Kosten erzeugt, spüren
wohl die meisten Leute.

Schadenfreude scheint ein Charakteristikum der Warensubjekte
zu sein, die anderen alles missgönnen, was nicht marktkonform ist:

Schandl sollte das Scheitern seines Lieblingsmodells eingestehen.  Der
Versuch, dieses Scheitern dem gegnerischen Modell zur Last zu legen, ist
mehr als plump.  Leider erinnert er fatal an die Propaganda
realsozialistischer Dogmatiker aus Sowjetzeiten.

Man vernimmt fast überall den obligaten Sermon, dessen Stehsätzchen
ungefähr so lauten: Der Mensch ist nicht so. Zwangsbeglückung
scheitert. An solchen Dingen ist auch der Sozialismus zugrunde
gegangen...

Sicherlich ist das ein dogmatischer Sermon.  Aber Schandls Haltung ist die
eines Dogmatikers aus dem Bilderbuch.  Sie provoziert solche Sermone.

Dass die Funktionäre der kapitalistischen Organisationsform da nichts
anderes sind als die Marodeure der Fahrräder, will ihm absolut nicht
auffallen.

Ist auch nur eine plumpe Schuldzuweisung an den (imaginären) Gegner.

Wer behauptet, dass der Kapitalismus funktioniert, funktioniert nicht
mehr, höchstens als besoldeter Ideologiesekretär der Marktwirtschaft,
die er blind jeder konkreten Entwicklung zu verteidigen hat.

Sicherlich produziert das Konkurrenzsystem viel Ineffizienz.  Die
deprimierende Wiener Botschaft ist allerdings, dass seine teilweise
Beseitigung selbst in einem sehr begrenzten Bereich eventuell noch mehr
Ineffizienz produziert.  Der Weg zu einer besseren Gesellschaft ist also
beschwerlicher als Schandl gehofft hat, und es nützt nichts, die
Überbringer der schlechten Nachricht zu beschimpfen.

Es darf einfach nicht gelingen, was den gängigen Marktkriterien nicht
entspricht. Die Destrukteure (seien es gewöhnliche Diebe, Journalisten
oder ÖVP-Politiker) verhalten sich so wie die Köter des Kapitals, um

Alles, was zum Scheitern des eigenen Lieblingsmodells geführt hat, in
einen Topf zu werfen, gilt nicht.

"Schluß mit lustig", so der Organisator Michael Kühn heisst freilich
nichts anderes, als dass jetzt der kapitalistische Ernst begonnen hat.
Die Ausleihbedingungen werden auf jeden Fall verschärft und
verkompliziert. Sie machen wohl das ganze ursprüngliche Vorhaben
kaputt, sind nur Zwischenstufen auf dem Weg zur Abschaffung oder zur
Monetarisierung einer Dienstleistung.

Na und:  der Weg zu einer Verringerung der kapitalistischen Ineffizienzen
ist eben beschwerlicher, als Schandl gehofft hat.  Immerhin geht die
Entwicklung weiter.  Wenn sich allmählich praktikable Organisationsfinden
herausbilden, die es Erlauben, die beklagten "kapitalistischen"
Ineffizienzen zu überwinden, wird niemanden interessieren, was das
"ursprüngliche Vorhaben" in irgendwelchen Köpfen war.

Eines jedenfalls sollten wir und nicht einreden lassen: Nicht das
Gratisrad ist an der Marktwirtschaft gescheitert, sondern die
Marktwirtschaft am Gratisrad!

Vermutlich weder noch.
Da ist jemand über seine Dogmen gestolpert.
Man kann nur noch ahnen, was er uns vielleicht einreden wollte.

-- 
Hartmut Pilch, FFII e.V. und Eurolinux-Allianz            +49-89-12789608
Innovation vs Patentinflation                       http://swpat.ffii.org/
120000 Stimmen 400 Firmen gegen Logikpatente    http://www.noepatents.org/

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