Re: marktwirtschaft gescheitert, war: [ox] Freies Radeln gescheitert ?
- From: Franz Maria Tabei <franz-maria.tabei chello.at>
- Date: Sun, 23 Jun 2002 15:07:39 +0200
EINLEITUNG:
wir haben seinerzeit im gymnasium im englischunterricht "Lord of the Flies"
von Golding gelesen, wobei wir zu der erkenntnis "geführt" wurden, daß die
grausamkeit bereits den kindern innewohnt, und es der erziehung bedarf, um
aus bösen kindern zivilisierte erwachsene zu machen. gewissermaßen die
vorstellung: der mensch ist von haus aus böse und wird erst durch die
erziehung zu einem sozial verträglichen wesen. ich wußte damals schon
(vielleicht mehr dem gefühl nach, sicher nicht so konkret ausformuliert), daß
der mensch von anfang an weder böse noch gut (babys sind von natur aus auch
nicht "unschuldig", wie das manche reformpädagogen behaupten) ist, sondern
daß mensch ein natürliches "programm" besitzt, daß eine menschliche
entwicklung garantiert UNTER BESTIMMTEN VORAUSSETZUNGEN: das sind eine
entsprechende UMGEBUNG und die begleitung durch nicht allzu sehr geschädigte
erwachsene. jedenfalls war mein einwand in der schule, daß es sich bei den
kindern auf der insel keineswegs um "unbelastete" kinder handelt, sondern das
waren kinder einer ENGLISCHEN KATHOLISCHEN KLOSTERSCHULE!!! ... und daß das
beenden der grausamkeiten, die sie begangen haben durch die besatzung eines
kriegsschiffes(!) als beweis genommen wurde, ist purer zynismus: erst diese
erwachsenen haben bewirkt, daß die kinder so brutal wurden!
auch heute wieder spürt mensch mehr und mehr die tendenz zu autoritären
organisationsformen, da ja die "demokratischen" strukturen nicht zu den
gewünschten ergebnissen führen, ohne auch nur einen gedanken darauf zu
verwenden, zu überprüfen, ob unsere strukturen wirklich so demokratisch sind,
wie wir glauben, ob nicht das, was kritikwürdig ist, vielmehr darauf
zurückzuführen ist, daß unter dem deckmantel von demokratie noch immer - in
allen gesellschaftsbereichen - herrschaftsverhältnisse herrschen. während
sich die öffentliche meinung spaltet, in - immer offenere - befürworter
autoritärer strukturen auf der einen seite, und in "reformer", die mit
"sozialer(!) marktwirtschaft" (was für ein unsinn!) und tobin-tax dem ganzen
schlamassel ein neues deckmäntelchen umhängen wollen auf der anderen seite,
ist die stimme derer, die auf das unsoziale, geradezu UNMENSCHLICHE von
marktwirtschaft und herrschaft hinweisen, und ihre überwindung fordern sehr
schwach.
... und darum ist OEKONUX so wichtig. doch was können wir daraus lernen?(s.u.)
???, 23. 6? 2002 09:39?PILCH Hartmut ????????:
Versuche in MÜnchen und Wien, Fahrräder an mündige Bürger ohne allerseits
lästige Verwertungsschikanen zu verleihen, sind am Egoismus der Teilnehmer
gescheitert.
EINWAND
"mündige Bürger" und "Egoismus": wie passt das zusammen? fällt Euch da nichts
auf? bei uns in Wien wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß das projekt
"Gratisrad" wegen "EINIGER WENIGER" verantwortungsloser (oder so ähnlich)
gescheitert ist. ist das selbstberuhigung, oder sonst irgendeine form von
selbsttäuschung? das projekt ist mit "bomben und granaten", wie die
kriegerische umgangssprache das ausdrückt, durchgefallen. die probleme waren
von anfang an da und beinahe JEDES fahrrad ist einem verantwortungslosen
(oder so), egoistischem teilnehmer der marktwirtschaftlichen
verwertungsgesellschaft, genannt mündiger bürger, im besitz gewisser
menschenrechte, welche selbstverständlich mit bomben und granaten überall
anders durchgesetzt werden, in die hände gefallen.
schluß
das gratisfahrrad ist also nicht am "mündigen bürger" genannten menschen
gescheitert, sondern unser GESELLSCHAFTSSYSTEM (an dem fast alle so
krampfhaft festhalten) ist - wie Franz Schandl das ausdrückt - am gratisrad
gescheitert. es hat sich nämlich gezeigt, daß diese gesellschaftsordnung
nicht imstande ist, "mündige", emanzipierte menschen hervorzubringen.
(was den sogenannten vandalismus von jugendlichen betrifft, kann mensch an
den gratisfahrrädern auch sehen, daß es in dieser gesellschaft für
jugendliche kaum einen platz gibt, wo sie die ihnen entsprechende phase der
menschlichen entwicklung leben können. im gegenteil, sie werden weniger, und
die jugendlichen werden für ihr entwicklungsgemäßes verhalten mehr und mehr
kriminalisiert.)
auch wenn es die räder weiterhin geben sollte, DIESES PROJEKT IST
GESCHEITERT! statt einem projekt für alle, wird es in zukunft nur mehr ein
service für die reichen sein. werbung sozusagen. man hat halt mit der
kreditkarte nicht nur sein gepäck automatisch versichert, sondern kann dann
auch noch fast gratis ein fahrrad ausleihen; neben monatlich 10 freien SMS,
hat der handybesitzer dazu noch die möglichkeit ein "gratisfahrrad" zu
benutzen.
aber kam das so unerwartet? war es denn wirklich ein projekt "von unten"? hat
das irgendwas mit selbstorganisation zu tun gehabt? war überhaupt irgendeine
form von freier entscheidung, mitarbeit, verantwortung gefragt? die antwort
lautet NEIN, und der auffällige werbeschriftzug auf dem korb vorn am fahrrad
läßt auf eine gewichtige beteiligung der kRONE schließen, jener
"tageszeitung", die seit langem gegen jede form von emanzipation stellung
bezieht.
wir sind nunmal in dieser katastrophalen gesellschaft aufgewachsen, und sind
- mehr oder weniger - dadurch geprägt und auch geschädigt. und diesen umstand
werden auch richtige, wirklich emanzipative projekte "von unten"
berücksichtigen müssen. das ist eine lehre, die für uns nützlich ist.
ciao,
franz
--------------------------------
Berliner Zeitung vom 21.6.2002
http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/1532
43.html
Radfahrer sind auch nicht besser
Carmen Böker
Am vergangenen Wochenende fragte die Münchener "tz" in ihrer
Titelgeschichte an, wo es sich besser leben lasse, in Bayern oder in
Österreich. Erstaunlicherweise - man hatte die üblichen Ressentiments
vermutet - war das Ergebnis ausgewogen. Hier (Bayern) mehr
Lebensqualität, da (Österreich) ein besseres Schulsystem, und auf
beiden Seiten gibt es besser zu essen.
Beide Länder verbindet auch der Glaube, dass viele Menschen Fahrrad
fahren wollen, ohne eins zu besitzen. In Wien werden seit Mai dieses
Jahres 1 500 "Viennabikes" durch die Stadt verliehen. In München -
auch hier kommt man nicht ohne griffigen Anglizismus aus - fungiert
das Dispatchen von 1 000 Leihrädern seit zwei Jahren unter dem Slogan
"Call a bike"; es wurde jüngst, nach der Insolvenz des privaten
Betreibers, von der Bahntochter DB Rent übernommen.
Analog zu Bayerns selbstgefälligem Auftritt als wirtschaftliches
Musterland wird in München das Prinzip angewandt, dass nichts wert
ist, was nichts kostet - ein Projekt des Magazins der "Süddeutschen
Zeitung", unabgeschlossene Räder im Stadtraum klauen zu lassen, ließ
die zuständige Volontärin bis zu zwei Wochen warten, ehe sich ein Dieb
erbarmte. Die Leihräder in München also können nur benutzt werden,
wenn man zuvor 15 Euro Kaution von seiner Kreditkarte abbuchen lässt.
Dieses Guthaben darf - nach telefonischer Ermittlung des
Schlossentriegelungscodes - abgefahren werden, was bei einem
Minutentakt von drei Cent und einem 24-Stunden-Tarif von 15 Euro nicht
allzu lange dauern dürfte.
Obwohl man in München Kreditkartenbesitzer sein muss, um leihradeln zu
dürfen, funktioniert "Call a bike", denn dort sind viele
silber-orangefarbene Leihräder in Bewegung. In Wien hingegen tauchen
die hellblauen und rosaroten "Viennabikes" neuerdings eher im
Kleinanzeigenteil auf, wo sie ungerührt für 50 Euro vertickt werden.
Ursprünglich konnte man sie nach Einwerfen einer Zwei-Euro-Pfandmünze
kostenlos entlehnen - die treuherzige Hoffnung, dass sie nach einigen
Stunden wieder zurückgegeben würden, hat sich rasch zerschlagen; die
Hälfte gilt als gestohlen oder unauffindbar.
Ab Juli darf das "Viennabike" nur noch für maximal vier Stunden
genutzt werden, wenn man sich zuvor per Handy-Kurzmitteilung
angemeldet hat. Ebenfalls via SMS wird bei Nichtbeachten der
Geschäftsbedingungen künftig eine Mahnung beim Kunden eingehen.
Reagiert er immer noch nicht, wird schließlich das Fahrrad in Rechnung
gestellt. Der Blick nach Bayern hat Österreich gelehrt, dass der
Bürger mit allzu viel Mündigkeit nichts anfangen kann und besser
streng ans Händchen genommen werden sollte.
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de
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