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Re: marktwirtschaft gescheitert, war: [ox] Freies Radeln gescheitert ?




EINLEITUNG:

wir haben seinerzeit im gymnasium im englischunterricht "Lord of the Flies" 
von Golding gelesen, wobei wir zu der erkenntnis "geführt" wurden, daß die 
grausamkeit bereits den kindern innewohnt, und es der erziehung bedarf, um 
aus bösen kindern zivilisierte erwachsene zu machen. gewissermaßen die 
vorstellung: der mensch ist von haus aus böse und wird erst durch die 
erziehung zu einem sozial verträglichen wesen. ich wußte damals schon 
(vielleicht mehr dem gefühl nach, sicher nicht so konkret ausformuliert), daß 
der mensch von anfang an weder böse noch gut (babys sind von natur aus auch 
nicht "unschuldig", wie das manche reformpädagogen behaupten) ist, sondern 
daß mensch ein natürliches "programm" besitzt, daß eine menschliche 
entwicklung garantiert UNTER BESTIMMTEN VORAUSSETZUNGEN: das sind eine 
entsprechende UMGEBUNG und die begleitung durch nicht allzu sehr geschädigte 
erwachsene. jedenfalls war mein einwand in der schule, daß es sich bei den 
kindern auf der insel keineswegs um "unbelastete" kinder handelt, sondern das 
waren kinder einer ENGLISCHEN KATHOLISCHEN KLOSTERSCHULE!!! ... und daß das 
beenden der grausamkeiten, die sie begangen haben durch die besatzung eines 
kriegsschiffes(!) als beweis genommen wurde, ist purer zynismus: erst diese 
erwachsenen haben bewirkt, daß die kinder so brutal wurden! 

auch heute wieder spürt mensch mehr und mehr die tendenz zu autoritären 
organisationsformen, da ja die "demokratischen" strukturen nicht zu den 
gewünschten ergebnissen führen, ohne auch nur einen gedanken darauf zu 
verwenden, zu überprüfen, ob unsere strukturen wirklich so demokratisch sind, 
wie wir glauben, ob nicht das, was kritikwürdig ist, vielmehr darauf 
zurückzuführen ist, daß unter dem deckmantel von demokratie noch immer - in 
allen gesellschaftsbereichen - herrschaftsverhältnisse herrschen. während 
sich die öffentliche meinung spaltet, in - immer offenere - befürworter 
autoritärer strukturen auf der einen seite, und in "reformer", die mit 
"sozialer(!) marktwirtschaft" (was für ein unsinn!) und tobin-tax dem ganzen 
schlamassel ein neues deckmäntelchen umhängen wollen auf der anderen seite, 
ist die stimme derer, die auf das unsoziale, geradezu UNMENSCHLICHE von 
marktwirtschaft und herrschaft hinweisen, und ihre überwindung fordern sehr 
schwach. 

... und darum ist OEKONUX so wichtig. doch was können wir daraus lernen?(s.u.)


???, 23. 6? 2002 09:39?PILCH Hartmut ????????:
Versuche in MÜnchen und Wien, Fahrräder an mündige Bürger ohne allerseits
lästige Verwertungsschikanen zu verleihen, sind am Egoismus der Teilnehmer
gescheitert.

EINWAND

"mündige Bürger" und "Egoismus": wie passt das zusammen? fällt Euch da nichts 
auf? bei uns in Wien wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß das projekt 
"Gratisrad" wegen "EINIGER WENIGER" verantwortungsloser (oder so ähnlich) 
gescheitert ist. ist das selbstberuhigung, oder sonst irgendeine form von 
selbsttäuschung? das projekt ist mit "bomben und granaten", wie die 
kriegerische umgangssprache das ausdrückt, durchgefallen. die probleme waren 
von anfang an da und beinahe JEDES fahrrad ist einem verantwortungslosen 
(oder so), egoistischem teilnehmer der marktwirtschaftlichen 
verwertungsgesellschaft, genannt mündiger bürger, im besitz gewisser 
menschenrechte, welche selbstverständlich mit bomben und granaten überall 
anders durchgesetzt werden, in die hände gefallen.

schluß

das gratisfahrrad ist also nicht am "mündigen bürger" genannten menschen 
gescheitert, sondern unser GESELLSCHAFTSSYSTEM (an dem fast alle so 
krampfhaft festhalten) ist - wie Franz Schandl das ausdrückt - am gratisrad 
gescheitert. es hat sich nämlich gezeigt, daß diese gesellschaftsordnung 
nicht imstande ist, "mündige", emanzipierte menschen hervorzubringen.
(was den sogenannten vandalismus von jugendlichen betrifft, kann mensch an 
den gratisfahrrädern auch sehen, daß es in dieser gesellschaft für 
jugendliche kaum einen platz gibt, wo sie die ihnen entsprechende phase der 
menschlichen entwicklung leben können. im gegenteil, sie werden weniger, und 
die jugendlichen werden für ihr entwicklungsgemäßes verhalten mehr und mehr 
kriminalisiert.)
auch wenn es die räder weiterhin geben sollte, DIESES PROJEKT IST 
GESCHEITERT! statt einem projekt für alle, wird es in zukunft nur mehr ein 
service für die reichen sein. werbung sozusagen. man hat halt mit der 
kreditkarte nicht nur sein gepäck automatisch versichert, sondern kann dann 
auch noch fast gratis ein fahrrad ausleihen; neben monatlich 10 freien SMS, 
hat der handybesitzer dazu noch die möglichkeit ein "gratisfahrrad" zu 
benutzen.
aber kam das so unerwartet? war es denn wirklich ein projekt "von unten"? hat 
das irgendwas mit selbstorganisation zu tun gehabt? war überhaupt irgendeine 
form von freier entscheidung, mitarbeit, verantwortung gefragt? die antwort 
lautet NEIN, und der auffällige werbeschriftzug auf dem korb vorn am fahrrad 
läßt auf eine gewichtige beteiligung der kRONE schließen, jener 
"tageszeitung", die seit langem gegen jede form von emanzipation stellung 
bezieht.

wir sind nunmal in dieser katastrophalen gesellschaft aufgewachsen, und sind 
- mehr oder weniger - dadurch geprägt und auch geschädigt. und diesen umstand 
werden auch richtige, wirklich emanzipative projekte "von unten" 
berücksichtigen müssen. das ist eine lehre, die für uns nützlich ist.

ciao,
franz

--------------------------------

Berliner Zeitung vom 21.6.2002
http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/1532
43.html

Radfahrer sind auch nicht besser

Carmen Böker

Am vergangenen Wochenende fragte die Münchener "tz" in ihrer
Titelgeschichte an, wo es sich besser leben lasse, in Bayern oder in
Österreich. Erstaunlicherweise - man hatte die üblichen Ressentiments
vermutet - war das Ergebnis ausgewogen. Hier (Bayern) mehr
Lebensqualität, da (Österreich) ein besseres Schulsystem, und auf
beiden Seiten gibt es besser zu essen.

Beide Länder verbindet auch der Glaube, dass viele Menschen Fahrrad
fahren wollen, ohne eins zu besitzen. In Wien werden seit Mai dieses
Jahres 1 500 "Viennabikes" durch die Stadt verliehen. In München -
auch hier kommt man nicht ohne griffigen Anglizismus aus - fungiert
das Dispatchen von 1 000 Leihrädern seit zwei Jahren unter dem Slogan
"Call a bike"; es wurde jüngst, nach der Insolvenz des privaten
Betreibers, von der Bahntochter DB Rent übernommen.

Analog zu Bayerns selbstgefälligem Auftritt als wirtschaftliches
Musterland wird in München das Prinzip angewandt, dass nichts wert
ist, was nichts kostet - ein Projekt des Magazins der "Süddeutschen
Zeitung", unabgeschlossene Räder im Stadtraum klauen zu lassen, ließ
die zuständige Volontärin bis zu zwei Wochen warten, ehe sich ein Dieb
erbarmte. Die Leihräder in München also können nur benutzt werden,
wenn man zuvor 15 Euro Kaution von seiner Kreditkarte abbuchen lässt.
Dieses Guthaben darf - nach telefonischer Ermittlung des
Schlossentriegelungscodes - abgefahren werden, was bei einem
Minutentakt von drei Cent und einem 24-Stunden-Tarif von 15 Euro nicht
allzu lange dauern dürfte.

Obwohl man in München Kreditkartenbesitzer sein muss, um leihradeln zu
dürfen, funktioniert "Call a bike", denn dort sind viele
silber-orangefarbene Leihräder in Bewegung. In Wien hingegen tauchen
die hellblauen und rosaroten "Viennabikes" neuerdings eher im
Kleinanzeigenteil auf, wo sie ungerührt für 50 Euro vertickt werden.
Ursprünglich konnte man sie nach Einwerfen einer Zwei-Euro-Pfandmünze
kostenlos entlehnen - die treuherzige Hoffnung, dass sie nach einigen
Stunden wieder zurückgegeben würden, hat sich rasch zerschlagen; die
Hälfte gilt als gestohlen oder unauffindbar.

Ab Juli darf das "Viennabike" nur noch für maximal vier Stunden
genutzt werden, wenn man sich zuvor per Handy-Kurzmitteilung
angemeldet hat. Ebenfalls via SMS wird bei Nichtbeachten der
Geschäftsbedingungen künftig eine Mahnung beim Kunden eingehen.
Reagiert er immer noch nicht, wird schließlich das Fahrrad in Rechnung
gestellt. Der Blick nach Bayern hat Österreich gelehrt, dass der
Bürger mit allzu viel Mündigkeit nichts anfangen kann und besser
streng ans Händchen genommen werden sollte.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de
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