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[ox] subject city - stadt der subjekte



liebe leute,
vorgestern bin ich wahrscheinlich für dieses semester bei einer 
stadtplanungsprüfung durchgefallen. eigentlich ein web-entwurf für 
stadtleitbilder für die zukunft. was mich interessiert: darin habe ich 
versucht, die "unsichtbare hand des marktes" durch eine "sichtbare hand" zu 
ersetzen.
gibt es irgendwo einen freies software-programm, in welches jedeR ihreseine 
bedürfnisse eintragen kann, diese lokal, regional, kontinental und global 
gesammelt und addiert werden, um neue bedarfe zu bestimmen und zu 
entwickeln? diese idee drängte sich nach der suche um "weniger 
kapitalistisch verformte gebrauchswerte" im aufsatz "antiökonomie und 
antipolitik" [r.kurz] auf. daran könnten produktinfos mit der geschichte 
ihrer stationen gekoppelt sein, um vom kapitalistisch bestimmten 
herstellungsfluß zu einem direkt kommunizierten zu kommen und ablaufwissen 
und -wünsche zu sammeln.
ich war ganz baff, wie tief das auf mich wirkte, sah alles in 3D und bekam 
meine Füße auf dem Boden, als ich ein paar Beispiele eintrug.
siehe hier [m]eine zukunftsskizze unter:
bedürfnisse + befriedigung + produktinfo

subject city - stadt der subjekte
http://www.labor8.de/users/2030-tkn/

falls es so eine software schon gibt, würd ich gern wissen wie und wo. 
falls nicht, wär das ein ding, wenn ihr das gemeinschaftlich entwickeln 
wolltet. da wär ich gerne testnutzer. mein vorschlag ist vielleicht noch 
auf das atomisierte ausgelegt. das wäre zu verbessern.

meine prüfer schauen sich diese woche die webseiten nochmal an und geben 
uns ab 22.april die note raus. könnt ihr mir bis dahin sagen, ob da was 
weiter gehen kann, oder ob das ein alter hut ist? ist schon ein halbes jahr her, 
daß ich nicht mehr in diese liste reingeschaut hab.

wen's interessiert, zu den andern arbeiten:
wesentlich aufwändiger als meine
http://www.labor8.de/2030/

viele grüße, tom

ps: unten anschließend der heutige brief an meine Profs:
::::::::::::::::::::::::::::::::::::::


						stuttgart, 14.04.02

Guten Tag Herr Jessen und Herr Bott,

in der mir gegenüber ablehnenden bis feindseligen Atmosphäre im
Prüfungsraum sind mir in der Aufregung einige Antworten auf ihre Fragen 
leider nicht eingefallen, obwohl sie in der Arbeit schon enthalten sind.


Prof. Jessen: «Herr K, wie stellen sie sich vor, sollen wir diese
Arbeit bewerten?»

Es würde mich freuen, wenn Sie diesen Entwurf nach der Leitfrage
bewerten würden:
Welches Bild des Zusammenlebens in der Stadtregion soll zukünftig in der
Regionalplanung, dem städtebaulichen Entwurf und dem Wohnungsbau
zugrunde liegen?
Daraufhin habe ich den Entwurf ausgewählt und bearbeitet.


Prof. Jessen: «Was sie vorschlagen, sind anarchistische Vorstellungen
von vor 150 Jahren.
Heutige Anarchisten würden sich [wahrscheinlich] dagegen wehren.»

Dieses Mißverständnis gründet wahrscheinlich auf meiner Aussage "Die
Berufshoheit soll aufgehoben werden, damit sich alle an jenen
Tätigkeiten beteiligen können, die sie interessieren." Damit war nicht
die Abschaffung der Arbeitsteilung gemeint. Mit "gemeinschaftlicher
durchführung" meinte ich arbeitsteilige Durchführung auf mindestens dem
Vergesellschaftungsniveau von 2002.
Das war eine schwere Unterstellung, die ich nicht entkräften konnte und
die mich schlecht dastehen ließ.


Prof. Jessen: «Was mich beeindruckt hätte, wäre, wenn sie an ihrem
Beispiel des Vollkornbrotes anhand der Herstellungsstationen eine 
Untersuchung gemacht hätten, welche irrationalen Vorgänge vonstatten gehen 
und daß das, zum Beispiel, auf dem Rücken der «Dritten Welt» geschieht.»

JedeR im Prüfungsraum anwesendeR weiß um solche sehr rationalen
Grausamkeiten. Wer das bestreitet soll sich selbst überprüfen. So eine
Fleißarbeit hätte niemanden überrascht. Solche Untersuchungen wollte und
kann ich nicht selbst vor Ort bewerkstelligen; deren Aufdeckung ist zwar
weiterhin nötig, aber es sind schon genügend bekannt, um jeder und jedem
seine Verstrickung und Verantwortung vor Augen zu führen. Beispiele
finden sich in: Heusinger:"Einkaufen verändert die Welt. Die
Auswirkungen unserer Ernährung auf Umwelt und Entwicklung."
Schmetterling-Verlag, Stutgart 2000
Neuere Beispiele um Coltan für Handies:
http://www.welt.de/daten/2001/12/09/1209au301273.htx
http://www.nwwp.de/deu/news_d/handy.html
Mein Weg war eher der, im Hinblick auf die Zukunft [2030] und die
Leitfrage grundsätzliche Möglichkeiten aufzuzeigen, diese mörderischen
"selbstverständlichen" Grundlagen der Wertvergesellschaftung zu
überwinden die uns das Jahr 2030 vielleicht gar nicht erleben lassen.


Prof. Bott: «Das ist doch nichts neues. Marx haben wir doch schon vor
dreißig jahren gelesen. Was sie uns da bringen, ist Anfängerniveau. Marx-
Lesekreis erste Stunde. Mindestniveau, wenn man sich in einer 
anarchistischen Theoriegruppe betätigen will.»

Meines Wissens gingen frühe anarchistische [Proudon, Bakunin]
Vorstellungen nicht über Warenförmigkeit und traditionsmarxistische
Vorstellungen nicht über Wertvergesellschaftung hinaus. In "Leitbilder"
zeige ich Bedingungen für eine nichtwarenförmige Produktions- und
Vermittlungsweise ohne Wertbezug auf. Desweiteren kenne ich noch keinen
Entwurf, der die "unsichtbare Hand des Marktes" individuell dezentral
zur kollektiven Produktion vorbereitend ersetzt. Mit der
Bedürfnistabelle und der vernetzten Addition zur Bedarfstabelle glaube
ich etwas noch nicht in dieser Form Dargestelltes konkret vorgeschlagen
zu haben. Falls sie schon solche Modelle kennen, würden mich die Quellen
sehr interessieren. Zum einen, um den  Boden oder die Bodenlosigkeit
dieser Demütigung vor der ganzen Entwurfsgruppe zu sehen, zum andern
will ich gern vergleichend an diesem Strang weiterspinnen.


«Sie bringen äußerst einfache Beispiele, wie das einer Jeans, anhand der
die Bedürfnisse und die Befriedigung viel zu einfach nachzuvollziehen
sind. Richtig schwierig wird es doch erst bei Beispielen wie der
medizinischen Versorgung [Gesundheitssystem] oder der
Wissensvermittlung.»

Diese "äußerst einfachen Beispiele" in die Bedürfnis- und Bedarfstabelle
einzutragen und auf die "produktinfo" zu beziehen hat in mir ein
unvermittelbar körperlich konkreten Bezug zu diesen Dingen und ihrer
Geschichte geweckt und führt mir deren übliche kalt-herzlos-agressive
verachtende Verdrängung der indirekt-abstrakten Sichtweise körperlich-
schmerzhaft vor Augen. Wem wäre dies eine überflüssige Erfahrung?
Das Gesundheitssystem und die Wissensvermittlung würden die Individuen
so belassen, wie es ist oder vom Vorliegenden aus nach dem Bedürfnis der
Pflegenden und der Kranken weiterentwickeln. Konkretes Beispiel ist die
Klinik von Patch Adams. [Interview mit Patch Adams
http://www.globalplayerparty.org/dintad.htm ]. Nach Wunsch würde die
Wissensvermittlung so bleiben wie zur zeit üblich, oder sie würde sich,
wahrscheinlicher, weg von der Lehre, hin zum "freien Lernen" [Klaus
Holzkamp: Lernen], entwickeln.

Prof. Bott: "Ihre Arbeit ist völlig ohne Recherche entstanden."

Mein Fehler war, meine Recherche nicht zu dokumentieren. Die
Auseinandersetzung mit dem Bestehenden zeigt sich unter anderem in
meiner Kritik des Papieres "Modell Stadt/Region 2030" der Projektgruppe
Stuttgart, der sie beide angehören. Trotz des besserwisserischen
polemischen Tones scheint mir die Kritik in meinen Leitbildern
begründet, stichhaltig und nicht ganz von der Hand zu weisen. Dieser Ton
ProfessorInnen gegenüber steckt in so vielen StudentInnen. Sie haben
keine Ahnung, wie heimlich hinter ihrem Rücken gesprochen wird, um es
sich um der Prüfung willen nicht zu verscherzen. Das Machtgefälle
zwischen Lehrenden und Lernenden kreiert eine unmenschliche Kluft,
Verlogenheit und Selbstverleugnung. Wie kann jemand nur darüber hinweg
können?


Ich bitte sie, die Arbeit im Hinblick auf die Leitfrage nach ihrem
Gehalt, künftige Handlungen an ihren Leitbildern orientieren [nicht
objektivierend ableiten] zu können noch einmal durchzuschauen, da es in
der Prüfung schien, sie hätten sie als nicht ausreichend erachtet.

Nach dieser Bitterkeit mit achtsamen Grüßen,

Tom K




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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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