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Re: [ox] Re: Knappheit von Zeit



Hallo Zeitlose!

On Fri, Mar 15, 2002 at 10:13:51AM [PHONE NUMBER REMOVED], Hans-Gert Graebe wrote:

Hi Benni, SMn und wen es sonst noch interessiert!

On Thu, Mar 14, 2002 at 12:27:33PM [PHONE NUMBER REMOVED], Hans-Gert Graebe wrote:
Letzteres spüre ich z.B. bei mir: Ich würde gerne noch viel mehr Dinge
machen, als ich schon tue - aber für alles habe ich einfach nicht
genug Zeit und die beste Effektivierung stößt an ihre Grenzen. 

Das halte ich für eine Wesensart des Menschen schlechthin.  Es sind
dann Prioritäten zu setzen.

Definitiv nein, oder ich bin kein Mensch :-)

Nun, dein Credo "Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich" ist doch nur
eine andere Art zu sagen "aber für alles habe ich einfach nicht genug
Zeit".  

Nein. Wie kommst Du darauf? Vielleicht ist es eine Frage des Defaults?
Ich nehme mein Leben so wahr, dass ich erstmal defaultmässig nichts
tue, vor mich hin döse, mich der Muße hingebe. Dabei wird mir dann
gelegentlich langweilig und ich fange dann an, irgendwas zu machen
(z.B. diese Mail zu schreiben). Natürlich gibt es auch noch äußere
Zwänge, aber die hab ich jetzt mal aussen vor gelassen. Bei Dir
scheint es umgekehrt zu sein, Du tust also Defaultmässig erstmal immer
irgendwas (und möglichst viel) und gelegentlich kannst Du nicht mehr
und musst Dich ausruhen. Das klingt für mich nach protestantischem
Arbeitsethos. In der Praxis kann je nach den Schwellen (Langeweile,
Nicht-Mehr-können) zwischen Tun und Nichsttun natürlich das selbe oder
sogar umgekehrtes rauskommen, aber die Orientierung ist anders und nur
mit der Orientierung dass immer zuerst das Tun kommt macht es Sinn,
davon zu sprechen, dass immer noch mehr tun zu wollen eine Wesensart
des Menschen sei.

Und wenn du mit dem Ergebnis deiner (ich schiebe gleich ein:
ex- und intrinsisch motivierten!) Entscheidungen dabei *immer*
zufrieden bist, dann gehörst du zu den wirklich glücklichen Menschen.

Das man Prioritäten setzen muss ist schon klar. Aber eine dieser
Prioritäten ist eben auch die Gesamtmenge an Dingen, die ich tun will
und auch die ist durchaus variabel und muss nicht einfach nur
möglichst maximiert werden. Oben sagen Du auf Stefan aber, dass Du es
für "eine Wesensart des Menschen" hältst, nicht nur, dass er sich in
der zur Verfügung stehenden Zeit bestimmte Dinge aussuchen muss, die
er tun will, sondern auch, dass er immer "noch viel mehr Dinge" tun
will. Das kann ich wirklich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich kann
mir auch ein glückliches Nichtstun vorstellen.

Obwohl das natürlich ein anzustrebender Zustand ist. Oder, mit Wilhelm
Reich negativ gewendet: diese Gesellschaft macht krank.

Das versteh ich nicht, aber ich kenne ja auch Reich nicht.

Selbstentfaltung in diesem Sinne ist immer ein _gesellschaftliches
Verhältnis_ (im Sinne meiner Emanzipationsthese 4), und äußerer
und verinnerlichter Druck nur zwei Seiten einer Medaille.
Übergang zu intrinsischen Motivationsformen, was du hier gern als
"Selbstentfaltung" verkaufst, ist ein sehr wichtiges Moment der
Modernisierung von Gesellschaft, hat aber nur sehr beschränkt
damit zu tun, dass es Mechanismen braucht, die
gesamtgesellschaftlich (!) knappe Zeit auf eine
gesamtgesellschaftlich (!) rationale Weise auszugeben.

Also sowas ähnliches hatte ich ja andernmails schon geschrieben. Du
gehst davon aus, dass es "gesamtgesellschaftliche" Bedürfnisse gibt,
die zwar alle haben aber niemand konkret. Was soll das sein?

Mich würde auch mal Stefan Mz. Meinung zu diesem Thema interessieren,
da da ja eine gewisse Parallele vorliegt zu seiner These, dass es eine
Ebene gesellschaftlicher Kooperation gibt, die von personaler
Kooperation nochmal getrennt sei. Das hängt irgendwie zusammen ohne
dass es identisch wäre, aber wie ist mir grad nicht klar.

Das ist so ähnlich wie mit den Elementarteilchen und Molekülen.  Zwar
sind Moleküle (nur) aus Elementarteilchen aufgebaut, aber trotzdem ist
Physik und Chemie was *sehr* unterschiedliches.  Genauso bestehen
"gesamtgesellschaftliche" Bedürfnisse (das Wort habe ich übrigens
vermieden, die "gesamtgesellschaftlich rationale Weise" kann man auch
rein operational verstehen) aus individuellen Bedürfnissen, die sich
in gewissen Kohärenzstrukturen zueinander befinden.  Wobei Bedürfnisse
(z.B. was gegen das Ozonloch zu tun) auf individueller und
gesellschaftlicher Ebene vollkommen andere Stellenwerte (und
Handlungsoptionen) haben. 

Schönes Bild :-)

Wobei heute das prospektive Element einer solchen
Rationalität deutlich zugenommen hat, denn wenn du erst loslegst, wenn
du merkst, dass etwas schief läuft, dann ist es (meist) schon arg
spät.   Es geht darum, sich auf die Multioptionalität von Zukunft
vorzubereiten, d.h. heute vorrangig die Dinge zu machen, die morgen
wichtig sein könnten.  

Das wissen wir ja aber aufgrund von Theorien. Wenn jemand also
aufgrund seines fortgeschrittenen Verständnisses einer Theorie zu dem
Schluss kommt, dass es Handlungsbedarf gibt, den er alleine nicht
bewältigen kann, dann wird er wohl nicht drumrumkommen, die Theorie
anderen zu verklickern, damit sie seine Bedürfnisse nachvollziehen
können. Sollte das misslingen, ist die Chance, das an der Theorie
nicht allzuviel dran ist, auch nicht gerade klein. Trotzdem kann es
natürlich vorkommen, dass Kassandra recht hat und ihr trotzdem niemand
glaubt. Das ist dann tragisch aber vielleicht auch einfach nicht zu
ändern (und genau deswegen tragisch). 

Um genau diese Dynamik der Herstellung von Kohärenz geht es mir, wenn
ich von "gesamtgesellschaftlich rationaler Weise" schreibe.  Da sollte
doch heute, angesichts der technischen Möglichkeiten weltweiter
Vernetzung, mehr  drin sein als dass sich so was nur "hinter dem
Rücken" einpegelt.

Na, dann sind wir uns ja einig.

Die Alternative wäre eine Expertokratie und die Gewissheit, dass die
Experten recht haben, hat man dann auch noch lange nicht.

Die einzige Alternative? 

In der Tendenz schon. Wenn diese Dynamik nicht funktioniert, muss an
den Stellen, wo sie nicht funktioniert eben einfach auf die Experten
vertraut werden.

Im Übrigen haben "die Experten" oft mehr
Recht als man auf sie hört.  Das ist eine Variation der Luxemburgthese
von den "Anders Denkenden" 

Das mit der Freiheit? Verstehe den Zusammenhang nicht.

und Ausdruck meiner These, dass es in
Zukunft nicht um Demokratie als "die Entscheidung der Mehrheit" geht,
sondern darum, berechtigte Interessen und Positionen von Minderheiten
zu berücksichtigen und zur Geltung zu bringen.  Kompetenz ist *immer*
in der Minderheit (schon aus rein kombinatorischen Gründen).  Das
macht es ja erforderlich, die (gedankliche) "Selbstentfaltungsfessel"
zu sprengen und in der nächsten Stufe über "kooperative Zusammenarbeit
kreativer, kompetenter und natürlich damit selbstentfalteter -
d.h. intrinsisch motivierter, anders funktioniert Kreativität nicht -
Produzenten" zu sprechen.

"kooperative Zusammenarbeit" ist immer schon Bedingung von
Selbstentfaltung. Wo soll da also eine Fessel sein?

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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