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Re: [ox] Die Finsternis der "Aufklaerung"



Hi Jobst und alle!

[Eine technische Anmerkung vorne weg: Bitte vermeidet Umlaute im
Subject, das diese bei einigen Mailern zu den unschönen Effekten
führen, wie wir sie in diesem Thread beobachten.]

Puh, also ich habe mich gerade mal durch den Thread hier geackert und
muß gestehen, daß mir da einiges zu hoch ist. Na, schauen wir mal.

Erst mal kurz zu Jobst' Mail, da der sich an Petras Mail anschließende
Teil-Thread sich doch davon abgrenzen läßt.

5 days ago Jobst Quis wrote:
Stefan Merten schreibt zu
"Geschlechterproporz und GPL-Gesellschaft" :

Das "nach der Aufklärung" möchte ich nochmal unterstreichen. So wie
ich mir das alles momentan zusammenreime, kam im wesentlichen erst mit
der Aufklärung / der Moderne die (abstrakte und formale)
Gleichbehandlung / Gleichstellung von Männern und Frauen in die Welt.
Was in einer geistigen Großströmung nach der Aufklärung angesagt ist,
kann und will ich nicht sagen. Anyway bin ich aber sicher ein Kind der
Aufklärung und von daher teile ich die Basis dessen durchaus:
Chancengleichheit.

Da würd ich doch gerne mal wissen, woher du dir diese Idealisierung
der "Aufklärung" / Moderne zusammenreimst.

Aus der Aufklärung und Moderne selbst - woher sonst. Ich kann ja auch
nichts dafür, daß die Ideale der Aufklärung nie eingelöst worden sind
und sich heute schon wieder auf dem Rückzug befinden.

Und wo du ausgerechnet in
dieser Hochphase patriarchaler Ideologieproduktion Gleichstellung
von Männern und Frauen entdeckst.

Ja, wir haben seit einigen Jahren einen ziemlich massiven Backlash.
Ich habe auch nirgends behauptet, daß die Gleichstellung bereits
vollzogen wäre - eher das Gegenteil.

Dennoch halte ich es für übel, die Errungenschaften der Frauenbewegung
hier mal mit einem Federstrich als nicht-existent zu denunzieren.
Frage mal ältere Frauen, die die 50er/60er schon bewußt erlebt haben,
ob sich seitdem nichts getan hat. Woher nimmst du eigentlich eine
solche Arroganz wenn ich mal fragen darf?

Ich lese gerade das "Schwarzbuch Kapitalismus" von Robert Kurz und
da sind auch eine Menge Zitate von sogenannten "Aufklärern" wie
Rousseau, Kant oder Smith dabei.

...die dir ja scheinbar ziemlich wichtig sind. Wieso?

Abstraktionen und Formalismen
gibts da reichlich, aber von Gleichbehandlung oder
Chancengleichheit ist weder was zu lesen, noch sonst irgendwie zu
spüren.

Nun, die standen ja auch erst ganz am Anfang des Prozesses. Daß das
vom Ende her betrachtet anders aussieht, ist wohl klar - oder?

Dass solch trübe Funzeln als philosophische Leuchten gehandelt
werden,

Wenn du das gerne tun möchtest sei dir das unbenommen. Ich brauche das
nicht und kann es schon aus Unkenntnis nicht wirklich.

Ich beziehe mich ganz an der Basis auf das, was *ich* *für mich* will.
Dazu gehört (mittlerweile) eine GPL-Gesellschaft, weil ich die
Überzeugung gewonnen habe, daß es *mir* darin besser geht als heute.
Wenn andere ähnlich denken und wenn die Realität dem entgegenkommt
freut mich das natürlich, weil mich das der (erhofften) Maximierung
meiner Selbstentfaltung (schneller) näher bringt.

Die Aufklärung bzw. was ich davon verstanden habe ist dafür für mich
ein Baustein. Andere Elemente menschlichen Seins sind es für mich aber
auch. So eindimensional bin ich ja nun auch nicht ;-) .

hat im wesentlichen zwei Gründe. Zum Einen wegen
ihrer Verdienste um die Legitimierung der damaligen (und
teilweise noch heutigen) kapitalistischen Herr(en)schaften, zum
Anderen die absolut(istisch)e Finsternis ihrer Zeit. Erhellend
sind ihre Gedanken höchstens im Vergleich zu ihren noch finsteren
Zeitgenossen wie Bentham, Mandeville, Malthus oder de Sade.

Die geistige Finsternis dieser Zeit kommt aber nicht aus dem
angeblich "finsteren Mittelalter", wie die Idelogie der Moderne
gern behauptet, und auch nicht aus der Unwissenheit früherer
Zeiten, der "Barbaren" und "Wilden". Sie kommt aus der brutalen
Gewalt, mit der die Moderne zu Beginn der Neuzeit startete.

Zumindest die Verteufelung hast du bei jedem Epochenbruch. Wenn eine
neue Epoche anbricht, dann *muß* geradezu die vorherige verteufelt
werden - sonst gäbe es keinen (emotionalen) Grund für die neue Epoche.
Und den Kapitalismus verteufeln tun die Linken doch z.B. schon lange
gerne.

Der Kapitalismus wird in einer (echten) nachkapitalistischen
Gesellschaft mit Sicherheit als viel dunkleres Zeitalter gehandelt
werden, als es die real existierenden TeilnehmerInnen - auch wir -
empfunden haben.

Diese blutigen Wurzeln der Moderne werden gern verdrängt, verleugnet
oder der "Irrationalität" des "finsteren" Mittelalters zugeschoben,
um nicht mit der Tradition der herrlichen Moderne brechen zu müssen.

Ich verdränge da nix - warum auch. Ich brauche die Moderne nicht als
Herrlichkeit. Aber als historischer Fakt ist sie nun mal da und
deswegen muß ich mich damit auch auseinandersetzen.

Also Chancengleichheit schön und gut, aber mit Aufklärung und
Moderne bist du da wirklich auf dem Holzweg.

Na, die Chancengleichheit hat sich wohl kaum gegen Aufklärung und
Moderne durchgesetzt. Demokratie ist doch z.B. die Chancengleichheit
übersetzt in den (massen)politischen Raum. Selbst die Teilnahme am
Markt setzt letztlich Chancengleichheit voraus und ich würde mal
spekulieren, daß eine (funktionierende, nachhaltige) Ausweitung des
Marktes auch eine Ausweitung der Chancengleichheit voraussetzt.

Auch hier ist übrigens zu beobachten, wie die Aufklärung / Moderne /
Kapitalismus in den Ländern der sog. III. Welt eben *nicht* in dem
Maße Fuß fassen konnte - die bereits industrialisierten Länder haben
der Chancengleichheit da eben keinen Raum gegeben. Wobei ich das
jenseits des verursachten Elends jetzt gar nicht werten will - einfach
nur als Analyse.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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