Re: [ox] Reziprozitaet (was: Re: Umsonstlaeden)
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Thu, 28 Feb 2002 13:12:44 +0000
Hi Stefan,
und wer sonst noch das hier lesen wird.
Am Mittwoch, 28. Februar 2002 00:12 schrieb Stefan Merten:
-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
Ob es sich um eine knappe Ressource handelt (in der Literatur werden oft
Trinkwasserprobleme, eßbare Tiere und Pflanzen usw. behandelt), oder um
Freie Software (die beliebig oft kopiert werden kann), spielt keine
vorrangige Rolle.
Ack.
Beide Fälle sind in Bezug auf die Nachhaltigkeit vergleichbar: Wenn
das Wasser erschöpft ist, kann man es nicht mehr bewirtschaften. Wenn
alle nur freien Code kopieren und benutzen, niemand neuen Code
beisteuert, findet keine Weiterentwicklung statt, und dann werden die
Entwickler sich irgendwann mißbraucht vorkommen und aufgeben.
Nak.
Zumindest in unserer Debatte ist der Punkt ja, daß die EntwicklerInnen
überhaupt keinen Grund haben, sich mißbraucht vorzukommen. Sie
selbstentfalten sich ja ohnehin - was mit NutzerInnen zwar vielleicht
mehr Spaß macht, aber auch ohne schon nicht von Pappe ist.
Letzten Endes führst Du damit aber -m.E.- eine normative Prämisse für das
Verhalten ein: "überhaupt keinen Grund haben, sich mißbraucht vorzukommen".
Ob sich die Leute dem unterwerfen wollen, kann man nur spekulieren. Die
Empirie (Bsp. Umsonstläde etwa) zeigt hingegen, daß es durchaus
Mißbrauchsgefühle gibt. Darauf wollte ich hinweisen. Es gibt -jedenfalls nach
meinem Kenntnisstand- mehr Indizien, die auf Mißbrauchsgefühle bei Erfahrung
fehlender Reziprozität hindeuten als solche, die als Gegenindiz gelten
könnten.
Im Übrigen spielt das Argument der "Nachhaltigkeit" in meiner obigen Aussage
eine wesentliche Rolle. Es geht darum, dem kurzsichtig operierenden `homo
oeconomicus' zu eröffnen, daß er wider seine Interessen handelt, wenn er
nicht das Interesse der anderen durch Reflexion über die Notwendigkeit in
seine Entscheidungen einbezieht. Oder anderes formuliert, in
Oekonux-Terminologie, "die Selbstentfaltung der anderen als Bedingung der
Selbstentfaltung meiner selbst" ...
Bestenfalls landet man also in einer
Sackgasse.
Nicht, wenn die ProduzentInnen einfach "Just for Fun" weiter
produzieren.
Das wird partiell vielleicht funktionieren, führt aber nicht notwendig zu
einem "Sozialwesen" - sowohl im Sinne des `zook politikon' als auch im Sinne
der `politeia'. Man kann sehr gut `just for fun' aneinander vorbeileben oder
sogar ein Gegeneinander produzieren. Das Argument `just for fun' ist sicher
sehr wichtig, aber nicht hinreichend, um darauf eine selbstregulierte
Gesellschaft zu begründen.
Ohne "Wie Du mir, so ich Dir ..." -im positiven Sinne- geht es
nicht (sehr weit).
Genau diese Schlußfolgerung würde ich in Frage stellen. Es ist kein
Naturgesetz, daß ein Regulationsmodell auf reziprokem Tausch basieren
muß - auch wenn wir das alle mit der Muttermilch aufgesagt haben.
Historisch gibt es sicher x Regulationsmodelle, die ohne auskommen.
Das ist ein Mißverständnis. Reziproker Tausch ist allenfalls eine
Instantiierung von Reziprozität, auf keinen Fall die einzige. Es geht um
`reziprokes Verhalten', im allerweitesten Sinne.
In der Regel wird man sogar davon ausgehen müssen, daß der Markt mit seiner
Anonymität und Ware-Geld-vermittelter Kommunikation die Reziprozität
unterminiert. Das gilt sowohl in der Theorie (notwendige Unterstellung
ausschließlich eigennützigen Verhaltens zur Modellbildung) als auch in der
Praxis (Erwartungsdruck führt zu eigennützigem Verhalten). Forschungen von
Gintis/Fehr/Frey u.a. Schweizer Ökonomen, sowie Ostrom/Sugden/Rose-Ackerman
u.a. US-Ökonomen haben dafür eine Fülle von Belegen geliefert.
Hier kommt wieder der Gerechtigkeitsbegriff mit rein BTW. Und die
Knappheit lugt auch schon um die Ecke.
Mit Gerechtigkeit hat das sicher etwas zu tun, allerdings nicht mit der
normativen Gerechtigkeit der abendländisch-christlichen Tradition
("verteilende Gerechtigkeit"), sondern mit einem bottom-up-Ansatz für
Gerechtigkeit, man könnte es vielleicht in Abgrenzung als "beitragende
Gerechtigkeit" bezeichnen. Aber an dieser Stelle müßte man sicher noch viel
Theoriebildung betreiben.
Und mit Knappheit hat das m.E. nicht so viel zu tun, das ist eher ein Problem
der "verteilenden Gerechtigkeit" mit ihren großen Mängeln, angefangen bei der
Hierachisierung von Macht (Austeilende/Empfänger) etc.
Allerdings kann Knappheit m.E. in einem normativen Sinne durchaus positive
Effekte haben. Denken wir etwa an die Atemluft, so kann es sinnvoll sein,
diese normativ als `knapp' zu definieren, um eine Übernutzung im Sinne
Hardins (tragedy of the commons) zu verhindern. Dann muß man nach Auswegen
suchen, was nicht heißt, notwendig bei Hardins Schlüssen zu landen
(Exklusivität durch property rights) einzuführen. Im Gegenteil gibt es viele
nachweislich andere Möglichkeiten.
Dieser Knappheitsbegriff unterliegt also der Einschränkung, daß er nur
solange Gültigkeit behalten kann, als die Reproduktion nicht gesichert ist.
Das entspricht ja auch der Erfahrung im Bereich der freien Software. Dort
kann man solange von Knappheit sprechen, wie eine bestimmte Funktionalität
nicht in Gestalt freier SW vorliegt. Wenn sie denn -auf welche Art auch immer
in die Welt gekommen- vorliegt, hat sich das erledigt.
*Jedes* Regelsystem, das zu einem stabilen Zustand nachhaltiger Nutzung
(normativ) knapper Ressourcen führt, stellt dann eine Lösung des
(Optimierungs-)Problems dar.
Im Übrigen liegt eine solche Art normativer Knappheit doch vielleicht auch
vor, wenn jemand etwas `just for fun' produziert. Das intrinsische Motiv für
solches Handeln ist *das Bedürfnis nach* ... fun ..., "Selbstentfaltung" oder
wie auch immer man es nennen möchte.
Der *entscheidende* Unterschied liegt dabei in der Quelle der Definition von
`normativer Knappheit'.
Hier kann man übrigens die Argumentation von John Locke in seinem `An Essay
concerning Human Understanding' als Dreh- und Angelpunkt der bis heute in
weiten Teilen akzeptieren Argumentationslinie ansehen. Locke sieht als
einzige mögliche Quelle `normativer Knappheit' eine externe vor. Motivation
zu mehr als Existenz-sicherndem Verhalten (Wissenschaft, Kultur, etc. pp) ist
demnach immer nur durch Anreize von außen zu erreichen. Daß Menschen von sich
aus Kultur, Wissenschaft, usw. hervorbringen und zwar nicht nur als
singuläres Phänomen, hat Locke schlichtweg nicht für möglich gehalten. Daher
die Eigentumsanreize in der `property/intellectual property
rights'-Regulierung. [Aber das führt jetzt zu weit, fürchte ich ...]
Elinor Ostrom hat sich intensiv mit solchen Problemen befaßt. Hier ihre
conclusio:
"Reziprozität umfaßt >>(1) einen Versuch, herauszufinden, wer alles zur
Gruppe gehört, (2) eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, daß die
anderen bedingt kooperationsbereit sind, (3) eine Entscheidung, mit den
anderen zu kooperieren, wenn sie glaubwürdig bedingt kooperationsbereit
sind, (4) eine Weigerung, mit denen zu kooperieren, die nicht reziprok
handeln, und (5) die Bestrafung derjenigen, die das Vertrauen
mißbrauchen<< (Ostrom 1998, S.10). Im wesentlichen bedeutet Reziprozität,
auf die positiven Handlungen der anderen mit einer positiven Anwort und
auf die negativen Handlungen der anderen mit irgendeiner Form der
Bestrafung zu reagieren." (E.Ostrom: Die Verfassung der Allmende, S.10,
Mohr-Siebeck, Tübingen, 1999.)
Da wäre vielleicht der Begriff der Reziprozität nochmal zu klären. Ich
stelle mir darunter immer einen Äquivalententausch vor. Dann finde ich
im obigen einen Bruch: Anfangs geht es um Kooperationsbereitschaft und
dann um Reziprozität. Dies ist aber alles andere als das Gleiche.
s.o.; "Äquivalenztausch" ist definitiv nicht gemeint, auch wenn man ihn durch
entsprechende Definitionen vielleicht in den Rahmen des von Ostrom
postulierten zwängen könnten.
Wenn ich den Äquivalententausch mal weglasse, dann kommt dabei im
wesentlichen raus, daß du eine Community mit Regeln hast, zu der Leute
qua Befolgung der Regeln dazugehören - oder eben nicht. Das finde ich
in der Tat eine der typisch menschlichen Verhaltensweisen.
Genau.
dem Problem der "fairen Strafen" auseinandersetzt. Eine Besprechung gibt
es unter: http://www.nature.com/nsu/020107/020107-6.html.
Ja, aber die Bedingungen des Experiments waren die der
Tauschgesellschaft. Klar, daß die dann zu den Ergebnissen der
Tauschgesellschaft kommen.
Nichtsdestortrotz kann man daraus etwas über die Fehler herrschender Theorien
(Paradigmen) lernen. Das war ja auch das Ziel des Experiments: Theorien
überprüfen.
Mensch müßte das Experiment unter Oekonux-Bedingungen wiederholen: Die
Selbstentfaltung aller ist die Voraussetzung für die eigene
Selbstentfaltung und umgekehrt.
s.o. Da ist kein Widerspruch.
Ein Zitat aus der Besprechung:
Explanations of cooperation have tended to focus on what the
[...]
Amherst. Instead, he says, it seems that egalitarianism is "a basic
part of human behaviour".
Na ja, wenn alle gleichmächtig sind, d.h. alle die gleiche Möglichkeit
zum Strafen haben, dann ist ein egalitäres System wohl seit der
Aufklärung das Naheliegendste und spiegelt vielleicht nur die
gleichmäßige Machtverteilung wieder.
Macht setzt aber m.E. ungleiche Verteilung von Strafpotenz voraus. Ist diese
gleichmäßig verteilt, paßt der Begriff "Macht" nicht mehr so recht.
Bevor jetzt einige wieder jedwede Strafen pauschal verdammen noch eine
Anmerkung im Hinblick auf den "Umsonstladen". Dort gab es offensichtlich
eine unausgesprochene Regel, daß wer nimmt, auch geben sollte.
Eine Regel, die nur unter Knappheitsbedingungen Sinn macht. Unter
Überflußbedingungen - wie in der Freien Software - ist sie Quatsch und
geradezu kontraproduktiv.
So einfach sollte man sich das vielleicht doch nicht machen. Ob Überfluß ein
erstrebenswertes und/oder Erreichbares Ziel sein sollte, wage ich
*persönlich* zu bezweifeln.
Wie etwa Hans-Gert Gräbe als Beispiel festhält (Zitat aus follow-up):
"Es geht also bei allen von Euch diskutierten Regulationsmodellen - und
das sollte man am Anfang festhalten - als Target um eine
gesellschaftliche Regulation der Ressource 'Zeit'. Da kann ich dann
mit vielen von Stefans Argumenten nicht mehr viel anfangen. Zeit kann
man nicht tauschen, Zeiten gibt es viele (individuelle, mehr oder
weniger gesellschaftliche, langzeitlich, kurzzeitig, Eigenzeiten,
... ) usw."
... ist "Überfluß" durchaus kein Absolutes, sondern ein Relatives. Man muß
also fragen, wo `Knappheit' zutreffende Beschreibung und wo sie `causa' ist.
Drittens, das habe ich oben versucht zu skizzieren, dient `normative
Knappheit' dazu, menschliches Verhalten zu steuern - im guten wie im
schlechten Sinne.
Oder, um HGG zu zitieren:
"Es geht IMHO nicht um die Regulation eines wie auch immer gearteten
Tausches (auch nicht von Zeit), sondern um "kooperative Zusammenarbeit
kreativer Produzenten", d.h. eine Regulationsform, die in der Lage
ist, Kohärenz zwischen den verschiedenen Zeitregimes (auch) jenseits
der engen Rahmen des Marktes (der eine solche Kohärenz vermittelt!)
herzustellen. Wobei über die Genese und Dynamik dieser Zeitregimes
noch einmal gesondert nachzudenken wäre."
[Das würde ich selbst allerdings nicht nur auf Zeit beziehen.]
Je näher man an die Relität herangeht -realer und nicht virtueller
Umsonstladen-, je genauer muß man über die "real-existierende" Art der
`Knappheit' nachdenken und ggf. destruktiven Verhaltensweisen
entgegensteuern. Daß man Theorien bilden kann, die zu anderen Modellen führen
spricht nicht dagegen.
Man darf aber dabei nicht vergessen, daß es eine Faktizität der Welt gibt, in
der man handelt. Eine Regel kann dort sinnvoll (produktiv) sein, die im
theoretischen Modell unsinnig (unproduktiv) erscheint. In beiden Fällen kann
man etwas daraus lernen.
[Die Faktizität ist -nur zur Differenzierung- z.T. eine natürliche (Luft,
Licht, etc. pp), z.T. eine soziale (u.a. "Dasein" i.S.v. Heidegger) , z.T.
eine sozial geschaffene.]
aufgefordert. So wurde die Regel explizit. (Aber neu war die Regel
nicht.)
Wichtig. Hier wurde quasi durch die soziale Praxis die implizite Regel
expliziert. Das finde ich eine recht nützliche Art, sich an
funktionierende Regulationsmodelle heranzutasten.
Stimme ich voll und ganz zu.
Jedenfalls ist sie
deutlich nachvollziehbarer als Entscheidungen vom Grünen Tisch. Weiß
auch die Studie:
The research may hold lessons for policymakers attempting to build
social cohesion, he believes. Decisions may be more acceptable if
they come from within the community and not from a remote central
government. "There could be more community-based policing, and more
emphasis on shaming [criminals] and rehabilitation within the
community," Gintis says.
Aber mit dem sozialen Druck, wie er hier explizit angeführt wird
(shaming) habe ich natürlich auch so meine Probleme. Ich halte es
schon für eine Errungenschaft der Moderne, diese personalen Bindungen
zumindest gelockert zu haben.
Ich hab' da auch so meine Probleme mit. ["Moderne" hin oder her ;-)]
Allerdings ist der Ausgangspunkt nicht unwichtig: Akzeptiere ich die Regeln
(Druck), weil *ich es will*, oder *weil andere es wollen*.
Schwierig.
Du sagst es.
Transparenz und Kommunikation
erleichtern die Akzeptanz der Regeln erheblich und beugen einem Mißbrauch
vor.
Dem würde ich wiederum zustimmen. Ich finde in einigen Fällen klare
Regelsysteme auch durchaus sinnvoll. Rechtssicherheit ist die
bürgerliche Variante davon. Willkür finde ich jedenfalls nicht
sonderlich emanzipatorisch.
Jedenfalls keine Willkür, die auf Kosten anderer geht, würde ich präzisieren.
Wer aus Will-kür gute Software schreibt und verteilt, ist dagegen willkommen
;-)
Anders lief es bei der freien Software letzten Endes auch nicht, wie
Stallman berichtet.
!!
Gruß, Robert
--
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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