Re: [ox] Reality-Check
- From: Thomas Berker <thomas.berker gmx.de>
- Date: Fri, 01 Feb 2002 16:15:39 +0100
Hallo,
flugs mich selbst in Stefans 'Kategorisierung' von Kritik einsortiert:
At 23:24 31.01.02 [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
> Und die Kritik von Sabine?
Na, wenn ich es richtig erinnere würde ich in aller Kürze sagen, daß
die beiden vor allem sagten, daß Freie Software den Kapitalismus nicht
ankratzen kann. Ferner sei er voll kompatibel damit.
Dem letzteren stimme ich erstmal zu. Ich glaube aber durchaus, dass Freie
Software und ihre Produktionsweise eine qualitativ neue von uns bisher
bekannten Formen der Produktion unterschiedene Stufe darstellen _kann_ .
Ich glaube also auch, dass sie den derzeit vielversprechendsten Kandidat
fuer eine Keimform (whatsoever) einer Umwaelzung (also nicht nur einer
Veraenderung) des Bestehenden darstellt.
Mir scheint, dass bestimmte Gruppierungen (Oekonux z.B.), die mit Freier
Software verbandelt sind, der linke Fluegel einer breiten Stroemung sind,
die die eine weitreichende Veraenderung der Gesellschaft betreibt ('an
sich', also nicht zwingend sich dessen bewusst). Man koennte diese
Veraenderung Informatisierung nennen (im Sinne Negri/Hardts, vgl.:
http://www.jungle-world.com/_2002/02/sub01a.htm, und auf Englisch als
Word-Doc: http://aleph-arts.org/io_lavoro/textos/Hardt.doc, siehe auch das
Postscriptum).
An dieser Veraenderung gefaellt manches, manches nicht. Wenn ich mir aber
Informatisierung unter kapitalistischen Vorzeichen vorstelle (Hardt
beschreibt das sehr schoen), dann wird mir ganz anders. Umso wichtiger
halte ich daher ein Buendnis mit dem linken Fluegel darin, der will
naemlich Informatisierung ohne Kapitalismus und will herausgefunden haben,
wie das geht. Als Modell dient ihm Freie Software und ihre Produktionsweise.
Erfolgreiche FS-Projekte funktionieren bisher nur in einem Sektor
gegenwaertiger Gesellschaften, der maximale Informatisierung (s.o.)
vorweist, sowohl die Organisation der Produktion als auch die Werkzeuge,
der Ausgangsstoff und das Produkt selbst ist informatisiert. Deshalb sind
sie Teil der Veraenderung namens Informatisierung. Soweit kein Problem.
Natuerlich haben wir noch keine FS-Produktion gesehen, die voellig frei von
kapitalistischen Funktionalitaeten war. Und wenns ueber die mittelbaren
Gewinne an Konkurrenzvorteilen und Produktivitaetssteigerung passiert, die
sich Staat und Kapital versprechen. Vielleicht ist das das Einzige, was ich
an der kapitalistischen Produktionsweise nicht mag, dass sie nichts aber
auch nichts neben sich bestehen laesst.
Andersherum ist damit auch bewiesen, dass Freie Software sich mit, sagen
wir mal, dem Multi IBM wunderbar vertraegt. Freie Softwareproduktion _kann_
im Kapitalismus funktionieren und muss nicht seine Aufhebung bedeuten. Aber
sie funktioniert auch ohne ihn.
Ein Beispiel fuer informatisierte Produktion, die ohne Kapitalismus
funktionieren kann, das ist, was ich in Freier Software sehe. Das ist schon
ganz schoen viel.
> Oder die von Thomas Berker letztens?
Mit der bin ich noch nicht fertig - siehe andernmails.
Was wäre denn außerdem der Gehalt? Daß Freie Software anders
funktioniert als Kommandowirtschaft ist ja wohl kaum strittig. Welche
Strukturen sich realiter bilden ist dann schon wieder Gegenstand von
Untersuchung.
Genau!
Thomas
P.S. (statt einer Fussnote): Wenn ich schon mit den Begriffen
Revolution/Umwaelzung und Informatisierung um mich werfe: Mit ein bisschen
Dialektik im Gepaeck (und mit Rudi Schmiedes Begriff von Informatisierung,
vgl. "Informatisierung, Formalisierung und kapitalistische Produktionsweise
- Entstehung der Informationstechnik und Wandel der gesellschaftlichen
Arbeit" in: Rudi Schmiede (Hg.) Virtuelle Arbeitswelten. Arbeit, Produktion
und Subjekt in der "Informationsgesellschaft", Berlin (edition sigma) 1996,
pp. 15-47) wissen wir, dass Umwaelzungen nicht vom Himmel fallen. Ist also
ein Lesetip fuer die mit besonders viel Zeit.
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