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 Microsoft oder Linux? Ein Diplom-Informatiker im Bundestag

 Peter Riedlberger   08.01.2002

 Hintergrundinformationen zu Ulrich Kelber, MdB

 Die Entscheidung hinsichtlich der Software-Ausstattung des Deutschen
Bundestags könnte Signalwirkung haben: Wenn Linux an die Stelle der
Microsoft-Betriebssysteme treten würde, könnte dies genau die Referenz
sein, die manche mittelständische GmbH zu einem Wechsel ermutigen
würde. Entsprechend hoch schlagen die Wellen, entsprechend viele
"offene Briefe" werden veröffentlicht, entsprechend engagiert sind die
Lobbyisten. Der Artikel will ein paar Hintergrundinformationen zum
Diplom-Informatiker Ulrich Kelber, MdB geben.

 Mit einem [1]Text von besagtem Abgeordneten Kelber begann der
Schlagabtausch zwischen [2]Linux-Verband und [3]VSI.

 Im [4]Heise-Newsticker wurde Kelbers Stellungnahme wie folgt
präsentiert:

    Der prestigeträchtige Streit um das neue Betriebssystem für die
rund 5000 Rechner im Bundestag geht in die nächste Runde. Der
SPD-Abgeordnete Ulrich Kelber hat sich in einer Stellungnahme gegen die
Stigmatisierung einzelner Hersteller ausgesprochen: "Microsoft wird von
manchen Teilnehmern der Debatte über die zukünftige IT-Ausstattung des
Deutschen Bundestages in unverantwortlicher Weise wie ein
terroristisches Netzwerk behandelt", ärgert sich der
Diplom-Informatiker. Entscheidend dürften aber nicht "Emotionen" und
"Ideologien" sein, sondern "ausschließlich funktionelle Anforderungen
und Sicherheits-Aspekte."      

 Der akademische Titel erweckt Vertrauen. Wer sollte besser als ein
studierter Informatiker im Bundestag all den Juristen und Lehrern raten
können, wie bei der Betriebssystemwahl zu verfahren sei. Ehe wir uns
ein paar Hintergründe zu Kelber ansehen, seien noch kurz ein paar
Details aus dem [5]Statement angesprochen:

    Der Source-Code wurde von Microsoft zahlreichen Universitäten zur
Verfügung gestellt, auch der Deutsche Bundestag hat den Source-Code
angeboten bekommen, so dass versteckte Schlüssel unmöglich sind.      

 Der Source-Code von Windows ist kein Programmlein, das man sich mal an
einem Abend durchkuckt. Als Hacker bei Microsoft eindrangen und die
Angst umging, sie könnten den Source-Code gestohlen haben,
beschwichtigte [6]damals Keith Blackwell, der als
Bristol-Technology-CEO Teile des Source-Codes gesehen hat:

    Was sollen die mit dem Windows-Source-Code schon anfangen? Wir
sprechen hier über rund zehn Millionen Codezeilen. Um damit etwas
anzufangen, brauchte man eine Armee von Entwicklern.      

 Um wie vieles wäre es wohl für unseren Bundestag schwieriger, einen
versteckten Schlüssel zu finden? Noch ein weiterer Punkt verdient
Beachtung: Wer behauptet, dass Windows versteckte Schlüssel enthalte,
bezichtigt Microsoft der Lüge. Wer also Microsoft a priori so wenig
vertraut, wird sich nicht mit dem Source-Code beschwichtigen lassen,
denn wer könnte unserem Advocatus Diaboli schon garantieren, dass eben
dieser Source-Code Grundlage des kompilierten Windows war?

 Kurzum werden manche diese Aussage von Seiten Kelbers fragwürdig
finden.

 Kelber will keine a-priori-Entscheidung für Microsoft. Er setzt dem
Betriebssystem eine Hürde:

    Microsoft muss seine Kompatibilität zu Marktstandards im
Auswahlverfahren nachweisen.      

 Dieser Satz hat eine durchaus komische Note bei der Firma, die die
Marktstandards mit so großem Erfolg setzt, dass sie dafür wegen
[7]Monopolmissbrauch verurteilt wurde.

    Nach wie vor hat Microsoft seine Stärken in der Integration von
Anwendungen und der Möglichkeit zu niedrigen Gesamtkosten.      

 Die "Stärken in der Integration von Anwendungen" bleiben sehr unklar.
Was ist damit wohl gemeint? Es gibt bestimmte Anwendungen nicht für
Linux, andere nicht für Windows. Aber die vorhandenen Anwendungen sind
in Linux durchaus integriert, genauso wie die anderen in Windows
integriert sind.

 Was wohl die "Möglichkeit zu niedrigen Gesamtkosten" ist? Eine
"Möglichkeit" (als Wahrscheinlichkeitswert zwischen 0 und 1) zu
niedrigen Gesamtkosten gibt es immer, die Frage ist doch, wo man denn
nun billiger weg kommt.

 Was macht denn Ulrich Kelber so? Der Abgeordnete ist derart bürgernah,
dass er sogar alle seine Einkünfte [8]offen legt:

      Meine Bezüge als Bundestagsabgeordneter: * Diäten: 13.163,84 DM /
Monat (voll zu versteuern, kein 13. Monatsgehalt) *
Aufwandsentschädigung: 6.558,- DM / Monat (steuerfrei, für Berliner
Wohnung, Wahlkreisbüro, Teile Bürokosten, Veranstaltungen, Reisen
Mitarbeiter, ...) * Freikarte Deutsche Bundesbahn, Freiflüge zwischen
Bonn und Berlin, Fahrbereitschaft innerhalb Berlins Meine Bezüge als
Stadtverordneter: * 583,- DM / Monat (steuerpflichtig, 1/3 Abführung an
SPD-Ratsfraktion zur Finanzierung von Sozial- und Mieterberatung, etc.)
* 30,- DM / Sitzung * 100,- DM / Sitzung des Aufsichtsrates der
"Energie- und Gebäudemarketing Bonn GmbH" (ca. 3 Sitzungen pro Jahr) *
Verzicht auf 9.000,- DM / Jahr für Mitgliedschaft in drei
Aufsichtsräten der Stadtwerke zugunsten sozialer Projekte *
Freifahrkarte Stadtwerke Bonn, Parkkarte Rathaus und Stadthaus

 Als Angestellter der Firma Comma Soft: * Weitere Tätigkeit, um nicht
abhängig von der Politik zu werden, ca. 2 Tage pro Monat (Bezahlung:
Stundensatz wie vor Einzug in den Bundestag)   

 Erstaunlich, dass Kelber den Comma-Soft-Stundensatz nicht nennt, wenn
er ansonsten die 84 Pfennig bei den Diäten angibt, die 30 Mark
Sitzungsgeld in Bonn explizit nennt und überhaupt alles bis auf die
letzte Stelle angibt. In jedem Fall ist es beneidenswert, wenn zwei
Tage Arbeit im Monat bei der Firma Comma Soft ausreichen, um finanziell
unabhängig zu bleiben.

 Auf der gleichen Webseite kann man auch die Basisdaten von Kelbers
Steuererklärung herunterladen (Vorsicht, [9]PDF). Danach zahlte ihm
Comma Soft letztes Jahr knapp 83.000 Mark, wobei aber nicht angegeben
ist, wie viel Zeit Kelber dafür arbeitete. Für einen Full-Time-Job wäre
das am unteren Rand eines Informatikers, bei weniger Arbeitszeit könnte
das aber durchaus ein erklecklicher Stundensatz sein.

 Wer ist [10]Comma Soft? Hauptsächlich geht es dabei um Knowledge
Management. Mit ein bisschen Rumklicken auf der Homepage findet sich
schnell heraus, wer die Partner von Comma Soft sind:

      Comma Soft AG ist ein Tier-1 Partner im Microsoft Exchange
Solutions Joint Development Program und wir arbeiten sehr eng mit der
Microsoft Exchange 2000 Entwicklung in Redmond zusammen.  
  [11]Comma Soft  

      Die Comma Soft AG ist Microsoft Knowledge-Management
BackOffice-Specialist, Microsoft Solution Provider und SAP Software
Development Partner.  
  [12]Comma Soft  

 Die Partnerschaft von Comma Soft mit dem Redmonder Riesen ist alt:

      Anfang der 90er Jahre existierte keine angewandte Technologie, um
PCs für unternehmensweit vernetzte Anwendungen (Client Server Systeme)
einsetzen zu können. Die Hauptanwendungen beschränkten sich auf Text-,
Daten- und Zahlenverarbeitung. Marktführer waren File Server
Architekturen (Novell) und herstellerabhängige Unix Systeme. Microsoft
bot ein von der Fachwelt nicht akzeptiertes Client
Server-Betriebssystem an. Comma Soft erkannte als einer der wenigen
frühzeitig die Vorteile und die Zukunftsorientierung dieser
Microsoft-Technologie. Das Microsoft-System wies Unzulänglichkeiten
auf, basierte aber auf offenen Strukturen und standardisierten
Schnittstellen. Comma Soft präsentierte 1990 als erstes Unternehmen in
Deutschland diese Microsoft-Backoffice-Technologie einer großen Anzahl
professioneller Anwender aus dem Großkundenbereich. Dabei bewies Comma
Soft, dass diese Software effiziente dezentrale Anwendungen auch mit
Anbindung an den Großrechner ermöglichte und damit einen Quantensprung
in der IT-Technologie darstellte.  
  [13]Comma Soft.  

 Wohlgemerkt: Das ist kein großer Aufdeckungsjournalismus. All diese
Angaben stehen offen im Netz, jeder kann sie sich herunterladen. Nur
sollten diese Informationen in die Debatte einfließen. Lesen Sie einmal
die folgenden beiden Absätze, und entscheiden Sie selbst:

    "Microsoft wird von manchen Teilnehmern der Debatte über die
zukünftige IT-Ausstattung des Deutschen Bundestages in
unverantwortlicher Weise wie ein terroristisches Netzwerk behandelt",
ärgert sich der Diplom-Informatiker.      

 oder aber:

    "Microsoft wird von manchen Teilnehmern der Debatte über die
zukünftige IT-Ausstattung des Deutschen Bundestages in
unverantwortlicher Weise wie ein terroristisches Netzwerk behandelt",
ärgert sich der Angestellte der Microsoft-Partnerfirma Comma Soft.     


 An Lobbyismus ist an sich nichts falsch. Lobbyismus ist zwangsläufig
Bestandteil des Pluralismus, wenn auch sicher nicht sein schönstes
Gesicht. Wenn der Präsident des Bauernverbandes Forderungen von Bauern
durchsetzen will, ist das verständlich und okay. Wenn der Angestellte
einer Microsoft-Partnerfirma bei Microsoft die "Möglichkeit zu
niedrigen Gesamtkosten" sieht, dann sei ihm das unbenommen. Aber
immerhin sollten alle, Bundestagskollegen, Presse, Wähler, wissen, wer
da spricht, und entscheiden, ob man die kompetente Stimme des
Diplom-Informatikers hört oder die Stimme des Angestellten der
Microsoft-Partnerfirma Comma Soft.

 Links

 [1] http://www.kelber.de/artikel/PM20011109_2.html
 [2] http://www.linux-verband.de/aktuell/News_133.de.shtml
 [3] http://www.vsi.de/inhalte/spezial/spezial.asp?cid=Spezial&id=20
 [4] http://www.heise.de/newsticker/data/wst-16.11.01-003
 [5] http://www.kelber.de/artikel/PM20011109_2.html
 [6]
http://www.zdnet.com/zdnn/stories/news/0,4586,2645871,00.html?chkpt=zdnn
stop
 [7] http://www.netlondon.com/news/2000-14/BA8FFE7A4C681366802.html
 [8] http://www.kelber.de/home/glaskelber.html
 [9] http://www.kelber.de/special/steuer2000.pdf
 [10] http://www.comma-soft.com
 [11] http://www.comma-soft.com/Service/Migration2000.htm?PGLCNT=3
 [12] http://www.comma-soft.com/Unternehmen/CommaSoft/Zert.htm?PGLCNT=8
 [13]
http://www.comma-soft.com/Unternehmen/Milestones/Milestones_132_89-90.ht
m?PGLCNT=13

 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/11508/1.html

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