[ox] Artikel zu Online-Communities
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Wed, 21 Nov 2001 17:13:23 +0100
Liebe Leute,
bereits in der c't 11/01 (vom 21.5.), S. 92 ist ein interessanter
Artikel von Dr. Nicola Döring zu Online-Communities erschienen:
Netzwärme im Ausverkauf
Online-Communities zwischen Utopie und Profit
Zwei wichtige Passagen möchte ich euch hiermit zukommen lassen. Nach
den dort gegebenen Kriterien würde ich uns BTW für eine recht
ordentliche Online-Community halten :-) .
Mit Freien Grüßen
Stefan
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...
Aber es hat sich seit dem Massenansturm aufs Internet herausgestellt,
daß die Bildung virtueller Gemeinschaften doch mit viel mehr und viel
ernsthafteren Problemen behaftet ist, als es anfangs schien:
- *Mythos Selbstorganisation*: Während Barlow noch von der neuen
`Zivilisation des Geistes' schwärmte, klagen Surfer heute selbst
darüber, wie unzivilisiert und geistlos es in vielen Online-Foren
zugeht und fordern konsequentere Strafen.
- *Mythos Egalität*: Als diskriminierungsfreie Orte haben sich
Netzgemeinschaften nicht erwiesen: Rassismus, Nationalismus und
Sexismus äußern sich teilweise besonders ungehemmt und aggressiv.
- *Mythos Wissensbildung*: Der Erkenntnisgewinn, den Online-Diskurse
liefern, ist begrenzt, da allzu oft Laien und Möchtegern-Experten
im eigenen Saft schmoren. Manchmal werden sogar gefährliche
Ideologien kultiviert, wie Sonia Worotynek anhand einer
Mailingliste von Tagesmüttern zeigte, bei der die
Arbeitserleichterung über den Interessen der Kinder stand.
- *Mythos Partizipation*: Die überwältigende Mehrzahl der
Community-Mitglieder ergreift nie selbst das Wort und bleibt passiv
- wie vor dem Fernsehschirm, so vor dem Computermonitor.
- *Mythos Demokratisierung*: Wenn sich Netznutzer überhaupt online
engagieren, dann verfolgen sie nur in den seltensten Fällen
demokratisch-emanzipatorische Ziele. Unpolitische oder gar
antidemokratische Beteiligung scheint in der Praxis typischer zu
sein [http://www.heise.de/tp/deutsch/special/pol/8001/1.html].
- *Mythos Persönlichkeitsentwicklung*: Die meisten Nutzer stellen im
Zuge ihrer Online-Aktivitäten keine Veränderung ihrer
Persönlichkeit im Sinne verstärkter Selbsterkenntnis fest. Von
Internet-Sucht, also einer exzessiven Nutzung, die auf Kosten
anderer Lebensbereiche geht und als seelische Verarmung erlebt
wird, sind drei Prozent betroffen, sieben Prozent sind gefährdet.
Die Entmystifizierung von Cyber-Utopien sollte jedoch nicht zur
Ablehnung des Netzes führen, sondern Anlaß sein, sich um eine aktive
und reflektierte Gestaltung von und Beteiligung an Online-Communities
zu bemühen.
Maß der Gemeinschaft
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Jenseits von Revolutionspathos, Ertragsprognosen, Kulturpessimismus
und persönlichen Anekdoten versucht die sozialwissenschaftliche
Forschung, systematisch zu ergründen, ob und wo sich in Online-Foren
tatsächlich Gemeinschaften bilden. Verschiedene Ansätze haben sich
ausgeprägt:
- *Virtual Settlement*: Die /kommunikationswissenschaftliche/ Theorie
von der virtuellen Besiedlung von Quentin Jones
[http://www.ascusc.org/jcmc/vol3/issue3/jones.html] besagt, daß nur
beim Nachweis einer Mindestmenge von Kommunikationsvorgängen davon
auszugehen ist, daß sich in einem Online-Forum tatsächlich eine
virtuelle Gemeinschaft gebildet hat. Und zwar muß es a) mehrere
Kommunikatoren geben, von denen sich b) einige als Stammmitglieder
längere Zeit beteiligen und c) in nennenswertem Umfang auf der
öffentlichen Ebene des Forums Beiträge publizieren, die sich d)
wechselseitig aufeinander beziehen. Nach diesen Kriterien läßt sich
etwa eine Mailingliste, die nur als Informationsverteiler genutzt
wird, von einer Mailinglisten-Gemeinschaft abgrenzen.
- *Virtual Culture*: Gemäß diesem /soziologischen/ Ansatz schlägt sich
die Existenz einer virtuellen Gemeinschaft nicht nur darin nieder,
daß ein fester Kern von Stammmitgliedern untereinander
kommuniziert, sondern auch darin, daß die Kommunikation zu einem
nennenwerten Anteil auf die Gemeinschaftsbildung selbst Bezug nimmt
[http://www.aluluei.com]: Die Existenz von kommentierten
Mitgliederverzeichnissen, schriftlichen Verhaltensregeln,
Erfahrungsberichten, Mythen, Ritualen, Zitatesammlungen,
Insider-Jargon, Klatschgeschichten oder Fotoalben beweist, daß die
Forumsmitglieder eine eigene Kommunikationskultur etablieren und
sich damit als Gemeinschaft von anderen Foren abheben. Umfassende
Willkommensbotschaften, FAQs oder Einführungskurse für Neulinge
unterstreichen in der Praxis, daß im Forum eine bestimmte Kultur
gepflegt wird.
- *Common Identity*: Dieser Ansatz konzentriert sich als
/psychologische/ Theorie auf das Erleben der einzelnen
Community-Mitglieder. Je stärker sichalle Beteiligten mit dem Forum
beziehungsweise seinen Funktionen identifizieren, umso stärker ist
auch die dort ansässige Gemeinschaft ausgeprägt. Eine solche
kollektive Identifikation ist unabhängig von konkreten Beziehungen
zu anderen Gemeinschaftsmitgliedern.
So zeigt sich etwa, daß MUD-Spieler sich aufgrund ihrer
Begeisterung für das Mudden als Gemeinschaft empfinden und etwa von
den Chattern abgrenzen. Das MUD vermittelt ihnen dabei sogar ein
stärkeres Gemeinschaftgefühl als ihr Heimatland, das heißt, die
MUD-Identität ist stärker ausgeprägt als die nationale Identität.
Auch Religionsgemeinschaften oder wissenschaftliche Communities
werden ja durch gemeinsame Werte und Ziele zusammengehalten, nicht
durch alltägliches Zusammenleben und Zusammentreffen aller
Mitglieder, das in romantischen Gemeinschaftsvorstellungen zu
Unrecht immer wieder als notwendiges Kriterium angeführt wird.
- *Common Bond*: Eine gemeinsame ideelle Identifikation ist nur ein
Teilaspekt des Gemeinschaftserlebens. Zugehörigkeit, Geborgenheit
und Rückhalt werden durch die konkreten Beziehungen zu anderen
Gemeinschaftsmitgliedern vermittelt, wie der Common-Bond-Ansatz
betont. Beide Arten von sozialem Klebstoff sind notwendig, denn
Gemeinschaften sind oft fraktal aufgebaut: Die Zugehörigkeit zur
Weltgemeinschaft der Gläubigen (Common Identity) und die Einbindung
in die lokale Kirchengemeinde (Common Bond) ergänzen sich. Und die
Identifikation mit der AOL-, IRC- oder MUD-Community wird bestärkt
durch die soziale Bindung an andere Mitglieder im eigenen
AOL-Stamm-Chat, Lieblings-Channel oder bevorzugten MUD.
Die persönlichen Bindungen zwischen den einzelnen Mitgliedern sind
umso wichtiger für den Gemeinschaftszusammenhalt, je weniger
übergeordnete gemeinsame Themen bestehen. So mag man den
Off-Topic-Channel #flirtcafe verlassen, sofern andere einem
unsympathisch werden - flirten kann man schließlich überall.
Dagegen wird man den On-Topic-Channel #linux.ger eher treu bleiben,
um weiter an der Linux-Gemeinschaft zu partizipieren.
Wiederholte Messungen im selben Forum erlauben es,
Gemeinschaftsveränderungen zu verfolgen. Auch Vergleiche zwischen
verschiedenen Online-Foren sowie zwischen Online- und
Oflline-Communities sind anhand der oben beschriebenen
Gemeinschaftsindikatoren möglich.
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de