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Re: [ox] Dschungel, Version 2



Hi,

Hans-Gert Graebe wrote:
>> > Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass auch in Marktprozessen
>> > Elemente freier Kooperation stecken, nämlich, wenn es um die
>> > dingliche
>> > Seite geht. Sie sind auf eigentümliche Weise mit der Wertseite
>> > verquickt, bei Marx über W-G-W bzw. G-W-G'. Letzteres ist das
>> > eigentliche Übel, aus dem sich die "tautologische
>> > Selbstbewegungsstruktur des Geldes" ergibt.
>>
>>Deine These halte ich für problematisch und auch gefährlich. Da steckt
>>noch ziemlich die "alte" ML-Denke drin, die davon ausgeht, die
>>dingliche Seite - die Gebrauchswertseite - sei die "reine", nur die
>>Wertseite macht den Ärger. Man müsse also nur die Dingseite von ihrer
>>"Werthülle" befreien. Das kannst du IMHO knicken.
>
> Du weißt, dass du mich damit zu kurz interpretierst. Klar ist die
> Werthülle um alles drum rum und mit tausend Fäden auch im Inneren
> verankert.  Meine Frage (und die halte ich im Keimformansatz für
> wichtig) ist folgende: gibt es unter dieser Werthülle Tendenzen,
> diesen engen Zusammenhang zwischen dinglicher und Verwertungsseite zu
> relativieren? Und gibt es vor allem Gründe dafür?
>
> Eine solche Verselbstständigung, allerdings in die falsche Richtung,
> ist die Finanzsphäre, die sich überhaupt nicht mehr mit der dinglichen
> Seite befasst (und so für "die Welt" ein enormes finanzterroristisches
> Potenzial entwickelt).

Ich kann deiner Unterscheidung von Finanz- und dinglicher Warensphäre
und was du da an Chancen siehst nicht ganz folgen.

>>Die "eigentümliche Verquickung", von der du sprichst, und die Marx
>>"Fetischismus" nennt, besteht doch gerade darin, dass die Dinge nicht
>>Resultat einer sozialen Verständigung, sondern umgekehrt die soziale
>>Struktur Resultat der Selbstbewegung der (Wert-)Dinge ist. Was sich da
>>tautologisch selbst bewegt ist doch nicht nur das Geld! Mit in diese
>>Bewegung einbezogen sind alle Aggregatzustände des Werts: Ware,
>>Arbeit, Geld, Kapital. Das heisst, auch die Dingseite der Ware ist
>> "von Übel".
>
> Das hört sich ja richtig krisis-like an. Sorry, so deterministisch ist
> das nicht. Ding- und Geldseite haben mE. durchaus je eigene Dynamiken,
> die in den Motiven der Handelnden subtil miteinander verwoben sind.

Sicherlich, aber im Ganzen emergiert das subtil verwobene
(nichtdeterminierte!) Handeln zu eben diesen selbstreproduktiven
Warensystem. Ist doch fazinierend, oder?

> Auch die soziale Struktur ist nicht _nur_ Abklatsch der
> "Selbstbewegung der (Wert-)Dinge", weil sie ja nicht von der
> dinglichen Kausalität abstrahieren kann (König-Midas-Effekt) -
> jedenfalls so lange sie nicht gänzlich die Verbindung zu letzterer
> verloren hat.

König-Midas-Effekt sagt mir gerade nichts.

> Der Handwerker (abhängig Beschäftigter), der meine
> Heizung wartet, interessiert sich wenig für die Wertseite, denn dafür
> gibt es vorher ein Festpreis-Angebot und hinterher eine Abrechnung
> durch die Buchhaltung. Und macht diese Arbeit vielleicht sogar mit
> Freude und Selbstentfaltung, weil er dauernd was dazulernt. Und gibt
> mir noch Tipps, was ich beachten sollte. Geht natürlich auch alles
> ganz anders, wenn er von der Firma unter Druck gesetzt wird, sich
> wertförmig zu verhalten. Aber die Firma macht das nicht, weil sie
> weiß, dass gute Leute unter solchem Druck nicht lange bleiben.  Warum
> verhalten die sich nicht alle, wie es die Theorie verlangt? Was geht
> da ab an einigen Stellen unter der Werthülle?

Du hast gerade die Ebene gewechselt (gesellschafts- nach
individualtheoretische Ebene). Mein Reden andauernd und pausenlos: Das
Handeln der Leute ist nicht derterminiert, sondern genuin
möglichkeitsoffen. Das widerspricht aber nicht der Selbstreferenz- und
Reproduktivität auf der systemischen Gesamtebene. Das so zusammen zu
denken ist das Schwierige (und schon nicht mehr krisis-like).

Wenn du also Chancen der Selbstentfaltung (freien Kooperation) unter den
gegebenen Bedingungen der Wertvergesellschaftung überlegst, dann hat das
IMHO nicht viel mit dem besonderen "Dinglichen" zu tun, sondern "nur"
damit, dass sich die Menschen zu den gegebenen Bedingungen verhalten können.

> Hier bekommen einzelne Leute Freiräume, den ständigen
> Perspektivwechsel zwischen der dinglichen Seite und der abstrakten
> Tauschwertseite nicht mitzumachen.  Natürlich auch deshalb, weil das
> andere für sie übernehmen. Aber das ist ja bei FS ähnlich, wenn auch
> dort der Schwerpunkt schon deutlich weiter in Richtung
> Selbstentfaltung verschoben ist. Die materielle Basis (Rechnerzugang,
> Serverkapazität) muss da allerdings auch stimmen.

Ja.

>>Die dingliche Seite einer Ware ist auch abstrakt: sie dient als Mittel
>>der Verwertung und abstrahiert von Mensch und Natur.
>
> Die Verwertung der dinglichen Seite abstrahiert von Mensch und Natur,
> die dingliche Seite selbst kann das gar nicht.

Doch, die dingliche Seite ist nur sinnliche Hülle des Werts - völlig
egal welcher Art sie ist. Diese Art der Abstraktionsleistung ist z.B.
derzeit in Afghanistan zu bewundern.

>>Die "Nützlichkeit" ist bestenfalls Abfallprodukt, aber nicht Ziel
>>(auch wenn die Ideologen anderes erzählen).
>
> Bei G-W-G'. Im Prozessansatz hast Du aber eine relative Autonomie von
> W-Prozess (Vorhalten und Reproduktion des Instrumentenparks und des
> Know-How) und G-Prozess (Akquirieren und Abrechnen von Aufträgen).

Der W-Prozess ist stets nur existent in Bezug auf den G-Prozeß, weil es
"nur" zwei Aggregatzustände des gleichen sind. Oder meinst du die
produktiven Konsumgüter (Instrumentenpark, Maschinen etc.?). Ok, es gibt
eine je unterschiedliche Eigenlogik und das hat was mit der
Nicht/Dinglichkeit zu tun, aber relative Autonomie? Das scheint mir
einfach zu hoch gegriffen.

>> > Das ist allerdings besonders typisch für ein Denken in Produkten.
>> > Ändert sich daran etwas mit dem Übergang von einer
>> > produktorientierten zu einer prozessorientierten Ökonomie?
>>
>>Nein, sehe ich nicht. Was meinst du?
>
> So lange du das auf einzelne verkaufbare Produkte runterbrichst, hat
> der G-Prozess den W-Prozess voll im Griff.  Was passiert aber, wenn
> der "Kunde" nicht fertige Produkte will, sondern bereits im
> Produktionsstadium mitmischen möchte? Oder gar, wie bei Software als
> Prozess, die Grenzen zwischen Produzent und Konsument verschwimmen und
> nicht mehr so unidirektional sind?  Das ist Durchgriff durch die
> G-Prozesse, deren Vermittlungsfunktion damit in Frage gestellt ist.
> Wolf Göhring hat dazu hübsche Folien gemacht.

Ja, kenne ich: Austausch von Tätigkeiten statt Austausch von Produkten.
Zitat "Statt der Vergangenheit (das fertige Produkt) beherrscht die
Zukunft (der Zweck) die Gegenwart" - das haben wir doch schon: CRM, B2B,
B2C usw.

Der Prosument alleine ändert noch gar nichts. Er macht mitnichten
"Tauschwert, Geld, Kapital, Lohnarbeit" "funktionslos", wie Wolf Göhring
meint.

> Die dingliche Seite verlangt, dass sich die Buchhaltung auf die
> Organisation des Cash-Flows konzentriert und anderen nicht dauernd
> "reinredet".  Ist natürlich in der Realität komplizierter, aber
> gewisse Elemente einer relativen Autonomie glaube ich zu erkennen, die
> sich aus dem Übergang von Produkt zu Prozess ergibt.  Damit entstehen
> aber Räume, die nach den Prinzipien der FK organisiert werden können.

Ich kann diese Räume nicht erkennen, da scheinen wir unterschiedlich zu
gucken. Ich sehe eher Räume unter bestimmten Sonderbedingungen dort
entstehen, wo - um mal deine Beschreibung zu verwenden - die W- und
G-Prozesse sozusagen verschmelzen wie in der New Economy.

> Besonders deutlich wird das bei gemeinsam bewirtschafteter
> Infrastruktur.  Dazu hat Hort Müller im Oktoberheft von Utopie kreativ
> (132) unter dem Begriff "sozialwirtschaftliche Dienstleistungen" einen
> sehr interessanten Aufsatz stehen, siehe
> http://www.rosalux.de/Bib/uk/Archiv.  Der "Cash-flow" muss da vom
> Staat als Transferleistung organisiert werden, die Quote beträgt heute
> - nach verschiedenen Rechnungen ergeben sich unterschiedliche Werte -
> mehr als 50%. Neoliberale Politik versucht, das zurückzudrängen, aber
> das schlägt negativ auf die Qualität dieser "sozialwirtschaftlichen
> Dienstleistungen" durch.  Also eine recht explosive Gemengelage.

Das schlägt bestimmt negativ durch. In Berlin versucht der angehende
Ampel-Senat aber genau das, weil das G schlicht nicht mehr da ist für
solcherart staatlich "bewirtschafteter Infrastruktur". Ob das aber
explosive Folgen hat, weiss ich nicht. Der Verelendungsspielraum scheint
mir schon noch beträchtlich.

Ciao,
Stefan

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