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Re: [ox] On Conflict and Consensus



Hallo Stefan Merten und liste,

bitte schreibe doch etwas darüber, was Du als Freiheit ansiehst.

Für mich ist der Text FK von Spehr nämlich genau ein Versuch,
zu definieren, was wir darunter verstehen könnten, wenn wir
von Freiheit in einer gesellschaftlichen Gruppe (Kooperation)
sprechen.

Du schreibst

Vielleicht so: Die Freie Kooperation konstruiert die Menschen als
 (Geld-)Monaden indem sie über den Scheidungspreis die Teilbarkeit und
 die Zurechenbarkeit unabdingbar macht. Durch das individuelle
 Verpissen bei gleichzeitiger Androhung der Zerstörung der Kooperation
 wird das Partialinteresse der Menschen gefördert. Ja, wer in der
 Freien Kooperation nicht auf die eine oder andere Weise seine
 Schäfchen ins Trockene bringt, ist jederzeit existentiell bedroht.
 Dies sagt sie natürlich nicht explizit, aber das ist das Ergebnis, auf
 das du nun wirklich nicht viele Gedanken verwenden mußt.

Ich habe versucht darauf hinzuweisen, das Dein Verständniss des
Begriffs "Scheidungspreis" (SP) nicht viel taugt, um den Text zu verstehen.
Für Dich scheint der SP etwas zu sein, was der einzelne (Geldmonade)
der Gruppe unter Androhung des Verpissens abzwingt.
Ich habe versucht zu erläutern, das ich Scheidungspreis eher als
die in Kauf zu nehmenden Folgen für den Einzelnen, wenn er die
Gruppe verläßt, lese. Dazu ein Beispiel: Wir beide leben in einer Kommune
in einer Oase in der Wüste. Die Gruppe trifft Entscheidungen im Konsens.
Ich möchte die Gruppe verlassen, weil ich Deine Nähe nicht mehr ertage.
Ich könnte einfach gehen, aber ohne Wasser und Nahrungsvorräte
würde ich verhungern. Ich bin nur frei, zu gehen, wenn Die
Gruppe dem Anspruch genügt, mich beim Weggehen zu unterstützen
und meinen Scheidungspreis (Verhungern und Verdursten) zu mindern.

Konsensverfahren beschreiben dagegen, wie es gelingen kann, einen
 kollektiven Prozeß in Gang zu setzen, bei dem sowohl die Freiheit der
 Individuen als auch die Freiheit des Kollektivs maximal ermöglicht
 sind. Entscheidende Größe dafür ist nach meinem Empfinden die
 Wahrnehmung von Verantwortlichkeit der beiden Entitäten.

Aber genau das ist es doch, was mit Scheidungspreis gemeint ist.
Eine Kooperation ist nur dann frei, wenn alle Beteiligten durch
Verantwortung den anderen jederzeit eine Scheidung ermöglichen könnten.
Das ist doch genau das Gegenteil von Erpressung. Erpressung ist
doch die Androhung eines nicht vertretbaren Scheidungspreises.

Das hat viel mit Freiheit und mit Selbstentfaltung zu tun.
 Verantwortung hört sich für Leute, die in der Trotzphase stecken
 geblieben sind, aber nicht so schrecklich attraktiv an :-( . Und es
 hat auch was mit (freiwilliger) Bindung zu tun - noch etwas, was für
 Frei-Kooperative sakrosankt ist.

Ich verstehe nicht, wie Du darauf kommst.

Verantwortung kommt bei der Freien Kooperation indirekt nur insofern
 vor, als daß die Monade im eigenen Interesse ihren Partialinteressen
 maximal nachgehen sollte. Kollektive Verantwortung bleibt der Monade
 fremd und sobald das Kosten-Nutzen-Kalkül in die negative Richtung
 ausschlägt, ist die Monade zu Gewalteinsatz berechtigt wenn nicht
 sogar aufgerufen. Dies unterscheidet sich vom liberalen Modell nur
 dadurch, daß im Liberalismus der Staat als letzte Grenze der
 Partialinteressen konstruiert wird. In einer Gesellschaft, in der der
 Krieg aller gegen alle Programm ist, halte ich das nach wie vor für
 eine Notwendigkeit - ja, mit sakrosankten Regeln. (BTW: *Wirklich*
 sakrosankt sind nur die Naturgesetze. Alles andere kann und wird
 verändert - halt nicht völlig spontan jederzeit, überall und völlig
 willkürlich.)

Ja. Aber es ist schon ein ganz schöner Druck seitens der Gesellschaft,
das ihre Spielregeln eingehalten werden.

Technik kann emanzipative Prozesse begünstigen oder behindern -
 deswegen ist das nicht beliebig und deswegen meine Kritik an der
 Freien Kooperation. Aber die Technik alleine macht's nicht - weder bei
 Konsensverfahren noch bei der Freien Kooperation. In beiden Fällen
 sind leicht Szenarien denkbar, in denen die Techniken funktionieren
 bzw. nicht funktionieren - das geht immer. Entscheidend ist die Frage,
 welche Dynamiken begünstigt werden. Und da bin ich immer noch der
 (erfahrungsgestützten) Meinung, daß Konsensverfahren *wesentlich* mehr
 zu bieten haben.

Du konstruiert einen Gegensatz von Konsensverfahren und FK, den
ich nicht verstehe. Wo siehst Du die Anleitung zu einer Technik in der FK ?
So wie ich sie verstehe stellt sie nur ein Schema dar,
in dem mensch beurteilen kann, ob eine gesellschaftliche Gruppe frei ist
oder nicht. Meiner Meinung nach sind es zwei unterscheidliche paar Schuhe.
Letzten Endes ist nur eine Gruppierung frei, die ich auch verlassen kann.
Du wirst "Scheidungspreisregelungen" oder "Ausstiegsregelungen" in
jeder freien Gruppe (nehmen wir zum Beispiel die Kommune Niederkaufungen)
finden. Meiner Ansicht nach sind diese Regelungen konstituierend für
die Gruppe. Sie sind dies Basis für Vertrauen und Konsens in
der Gruppe.  Wie kannst Du frei sein, wenn Du nicht vertrauen kannst,
nur mit einem blauen Auge davon zu kommen ?

Nicht wirklich. Konsens als Entscheidungsmittel aber auch als
 kooperativer Prozeß *ist* bereits ein Inhalt: Wie gestalte ich meine
 sozialen Beziehungen und wie gehe ich mit Konflikten um.

Ich sehe es eher so, daß die Verpflichtung zum Konsens als
Entscheidungsmittel
Ausdruck eines bestimmten Menschenbildes ist. Eine Gruppe kann nur
auf einen Grundkonsens aufbauend existieren.



Ich habe kann leider nicht weiter auf Deine Mail eingehen, aber ich möchte
doch noch einmal anregen, etwas besser zu sortieren.

Könnten wir eine kleine Zäsur machen, und nochmals die Fragen, die zu klären
sind,
formulieren. Es wäre schon ein guter Fortschritt, wenn wir uns über
die Fragen einig werden könnten.

Es wäre auch gut, einige Begriffe genauer festzulegen, denn mir scheint, das
die pro und contra FK ganz verschiedene Vorstellungen davon, was z.Bsp.
unter
Kooperation verstanden werden soll, existieren.
Es macht meiner Meinung auch keinen Sinn, einen Begriff auf eine Bestimmte
Bedeutung festkloppfen zu wollen. Ein guter Schritt wäre schon einmal,
wenn wir uns gegenseitig erklären könnten, welche Vorstellung jemensch von
einem Begriff in einem bestimmten Kontext hat.
So hat für mich zum Beispiel der Begriff der Kooperation im Kontext mit FK
und Spehr
eine doch anderer Bedeutung als wenn ich dieses Wort einfach so gebrauchen
würde.
Explizit müßte ich immer schreiben
Kooperation{FK,Spehr,ToKa} oder Kooperation{FK,Spehr,Merten) usw.



Grüße,

ToKa










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