Re: Moral und anderer Schrott (was: Re: [ox] Re: Zum Freiheitsbegriff)
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Wed, 29 Aug 2001 23:12:42 +0000
Am Mittwoch, 29. August 2001 19:08 schrieb Gabriel Pickard:
Stefan Meretz wrote:
Hi Hans-Gert,
eine Antwort auf deine Frage (ich möchte "eigentlich" keine
Moral-Debatte starten...):
Hans-Gert Graebe schrieb:
Stefan Meretz schrieb on Thu, 23 Aug 2001
mir geht nichts so ab wie eine moralbasierte Argumentation. Von
"Moral", "Ethik" und "Verantwortung" bekomme ich Ausschlag - so wie
uns das entgegengetragen wird.
Was ist "Moral", "Ethik" und "Verantwortung"?
Vielleicht hilft ein wenig Sprachkritik in dem Falle weiter ... (?)
Moral stammt ab von (lat.) mores = Sitten. Moral bezieht sich eigentlich auf
so etwas wie durch Praxis "eingebürgerte" Sitten, d.h. soziale Normative.
Solche Normative sind Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses, der
Tradition und das ist wohl auch das Problem. Wo die Tradition es nicht mehr
schafft, auf neue Entwicklungen Rücksicht zu nehmen, wird sie zum Hindernis
und ruft Affekte der Ablehnung hervor.
Ein anderer Aspekt der Moral ist der, daß man sie "erlernt" (bzw. daß sie
einem "gelehrt" wird ["Mores lehren"]) und das oft schon in persönlichen
Entwicklungsstadien, wo man noch nicht in der Lage ist, urteilend darüber zu
reflektieren. Moral hat in der Folge viel mit unbewußtem Handeln und
unbewußten Erwartungen zu tun.
Im Unterschied zur Moral, hat(te) die Ethik immer den Anspruch, Prozeß der
[individuellen] Reflexion zu sein. In der bewußten Auseinandersetzung mit dem
eigenen Handeln, dem Handeln der anderen und dessen Folgen, sollten Maßstäbe
für "gut" und "schlecht", für "richtig" und "falsch" entwickelt werden, nicht
bloß als "Altlast" der Vergangenheit in die Zukunft projiziert werden.
Die Ethik dient(e) dazu, Regeln für das eigene bewußte Handeln aufzustellen,
nicht etwa "zu schlucken".
In dieser Regelbildung liegt auch ein soziales Element, insofern die
Handlungen im sozialen Raum vollzogen werden (sollen). Dann ist die Reflexion
nicht mehr _nur_ als Privatsache anzusehen, sondern _auch_ in Kommunikation
mit den anderen Mitgliedern der Gesellschaft zu realisieren. Aber es ersetzt
nicht etwa das eine das andere (wie es etwa mit dem "Ethikbeirat" als
schlechtem Beispiel vorexerziert wird).
Und Verantwortung?
Vielleicht (a) die Selbstverpflichtung zur kontinuierlichen Reflexion und (b)
das Handeln gemäß den in der Reflexion für "richtig" erkannten/vereinbarten
Regeln.
Z.B. erforderte die Erarbeitung der GPL von Stallman ein hohes Maß an
ethischer Reflexion, würde ich sagen; die GPL als Motiv für das eigene
Handeln (in der einen oder anderen Art) zu wählen, ebenfalls. Das hat m.E.
etwas mit Verantwortungsbewußtsein zu tun. Oder nicht?
Und nun noch eine ketzerische Überlegung für "Nicht-Moralisten":
Wenn -wie von einigen hier, scheint es- das Ziel einer "GPL-Gesellschaft"
vertreten wird, heißt das dann nicht eigentlich, daß die GPL in den Kanon der
"Moral" dieser -zu schaffenden- Gesellschaft aufgenommen werden soll? So
würde aus der ethischen Auseinandersetzung [Stallmans] ein Baustein für die
-zu schaffende- Moral "geboren" werden. Ginge das unter Ablehnung jeglicher
Moral? Oder sollte die "GPL-Gesellschaft" auf "GPL"-vergleichbare Regeln
verzichten müssen, um nicht moralisch zu werden?
Das Gute? ;-}
So einfach läßt es sich wohl bloß _definieren_ und nicht _praktizieren_.
Mein Ausschlag kommt von der Verkehrung von "Ursache und Wirkung"
(unscharf formuliert): In aller Regel wird Moral usw. als Ursache von
(gewünschtem) Verhalten angesehen und betrieben. Das wird dann umgekehrt
und messerscharf geschlossen: Weil die Leute so krass durch die Welt
rennen, muss was faul sein an Moral, Werten usw. Nächster Schluss: Die
Moral, Werte etc. wurden zerstört, bla, bla.
Hmmm... das ist wirklich Dumm. Das Gegenteil von GuterMoral ist ja wohl
nicht Sittenverfall. Überhaupt ist es fraglich ob mensch von so etwas
wie SchlechterMoral überhaupt sprechen kann.
Könnte es vielleicht sein, daß es da an Ethik, d.h. Reflexion über das
Handeln fehlt, statt an "Moral"?
Moral gibt es -in irgendeiner Form- in einer Gesellschaft/sozialen Gruppe
immer. Und auch ein bewußter Verstoß gegen Moral richtet sich ja eben
dagegen, d.h. erkennt ihre Existenz eigentlich an, lehnt sie aber inhaltlich
ab. Ein Verhalten in Ignoranz ggü. Moral schließlich, spricht weder gegen
deren Existenz, noch für die Abwesenheit einer etwaigen anderen Moral.
Ignoranz spricht lediglich für einen Mangel an Reflexion.
Moral, die Verhalten beeinflussen soll, ist _immer_ von aussen. Sie
gehört über Bord geworfen. Das, was von innen kommt, dein Denken über
Welt, ist deine individuelle Art der Weltbegegnung.
Das könnte man (z.B. mit Blick auf Plato & Co.) als "Ethik" bezeichnen, wenn
es um eine Auseinandersetzung mit und eine Bewertung der "Art der
Weltbegegnung" ginge.
Nimm nur als Beispiel die Oekonux-Liste: Hätten wir versucht, vorher
eine Art "Listen-Moral" festzulegen, wäre das Projekt sofort
gescheitert.
stimmt nicht unbedingt.
Ist nicht auch _hier_ -implizit- eine gewisse Moral festgelegt, nämlich die,
daß unterschiedliche Meinungen durchaus _zu diskutieren_ und nicht etwa bloß
hinzunehmen sind, und daß der Platz dafür eingeräumt wird? Und daß nach
Argumenten gesucht werden sollte statt nach Beschimpfungen?
Weil Menschen immer Handlungsmöglichkeiten haben (insofern genuin "frei"
sind), können sie auf Moral scheissen. Und das ist gut so;-)
Unsere (äußerbare) Meinung liegt hier krass gegeneinander.
Wenn aber das "auf Moral scheissen" zur Regel würde, dann würde es selbst
wieder zur Moral - eben das zu tun ... Und der Kreis schlösse sich ... ;-)
Gruß, Robert
--
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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