Re(2): [ox] Re: Was ist Medienfeudalismus?
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Tue, 28 Aug 2001 11:45:33 +0000
Am Sonntag, 26. August 2001 22:06 schrieben Sie:
Es waere etwa denkbar, dass Nationalstaaten oder Supranationalstaaten a la
EU eine Art Haertetest durchlaufen und daraus erneut gestaerkt
hervorgehen. Schliesslich brauchen auch jene grossen Organisationen den
Staat zur Durchsetzung zahlreicher Belange.
Zunehmend weniger.
Wenn sich Unternehmen(skonglomerate) in der Lage sehen, vermittels
Technologien Kontrolle (DVD, DRMS etc.) auszuüben, vermittels Datensammlungen
Verhalten vorherzusagen und zu steuern (Registrierungsinformationen für
Software usw. vor der "Freischaltung") und vermittels Medien, Meinungen zu
bilden, und das alles nicht nur bei ein paar Personen, sondern bei
zig-Millionen, unabhängig von nationalstaatlichen Grenzen (man denke an
AOL/TimeWarner und andere Medienkonglomerate), dann kann sich schon der
Eindruck einstellen, daß Macht in der Größenordnung eines Staates (oder
größer) ausgeübt wird - ohne Staat jedoch.
Der Staat wird dann eigentlich nur noch benötigt, um die notwendigen Gesetze
für die Wirksamkeit der Technologien und die Durchsetzung von Vorbeuge- und
Strafmaßnahmen gegen die "Vermeidung" der Technologien zu gewährleisten. Aber
bald auch letzteres nicht mehr, wenn z.B. der UCITA in den USA zur
Etablierung von Software mit integrierten "self-help"-Mechanismen führt. Bei
Mißfallen des Softwareherstellers darüber, was mit der Software gemacht wird,
wird diese dann einfach "per Fernbedienung" abgeschaltet. Ohne, daß der Staat
dazu noch einen Beitrag leisten muß.
Kurz zusammengefasst: der Informationelle/Virtuelle Feudalismus entsteht
unabhaengig von Rechtschutzsystemen aber bedient sich ihrer.
Eine Unabhängigkeit sehe ich da nicht. Da es im Kern immer um die Kontrolle
von Informationen und ihrer Flüssen geht, kommt den Rechtsschutzsystemen eine
Schlüsselrolle zu. Ohne Rechtsschutzsystem, das zeigt z.B. die Geschichte des
Buchverlags- und Buchhandelswesens mit seiner jahrhudertelang wirksamen
Nachdruckerkultur, verbreiten sich die Informationen ungehindert dorthin, wo
Nachfrage danach besteht. Das Preis/Qualitätsverhältnis paßt sich der
Nachfrage maximal an. Wegen der Qualitätsdifferenzierung ist quasi jeder
potentielle Kunde in der Lage, sich die Informationen zu verschaffen.
Allerdings kann auch jeder zum potentiellen Anbieter werden. Man kann
niemanden vom Markt ausschließen. In der Konsequenz wird einer Monopolbildung
eher vorgebeugt.
Mit Rechtsschutzsystem kann diese Verbreitung gesteuert werden (z.B. über den
Preis der Ware Information, als Preisdifferenzierung) und ggf. auch
unterbunden werden, da alternative Informationsangebote (mit abgestufter
Qualität) verboten werden können (so z.B. der Nachdruck von Büchern im
19.Jhd. im Deutschen Reich). Der Zugang zum Markt für potentielle
Konkurrenten kann -über Lizenzierung bzw. Nicht-Lizenzierung- gesteuert
werden.
Das Urheberrecht an Programmen
ist hingegen ein seltener Gluecksfall.
In Kombination mit dem Binärvertrieb von proprietärer, urheberrechtlich
geschützter Software, führt aber z.B. das Verbot des Reverse Engineering und
der "Reparatur" eventueller Schwachstellen dazu, daß man mit unsicherer,
unzuverlässiger Software zu leben hat. (Falls es keine vergleichbaren
Alternativen im Bereich freie/Open Source Software gibt.)
Das Urheberrecht an Software ist eine zweischneidige Angelegenheit, weil es
als Recht des geistigen Eigentums (übrigens ein Begriff, den schon Hegel
verwandt hat, der mithin relativ alt ist) im Gegensatz zum dinglichen
Eigentumsrecht als eine Sammlung von Rechten ausgeprägt ist. Ein Teil der
Kontrolle verbleibt also -potentiell, bei den droits morales tatsächlich-
immer beim Urheber bzw. der Person, der die Rechte zugeordnet wurden. Ich
bleibe "Abhängiger".
Beim Autokauf z.B. erlange ich die volle Kontrolle (abgesehen von der
Software in den Steuerungen), somit auch "Unabhängigkeit".
Und wie es mit Kontrollmechanismen in Abhängigkeitsverhältnissen immer ist:
Die Art und Weise ihres Gebrauchs entscheidet letztlich, ob man von
Glücksfall oder Unglücksfall sprechen kann. Und diese Bewertung hängt
ihrerseits wieder von der Perspektive des Urteilenden und seinen Erfahrungen
ab.
"In 1998, copyright lobbyists persuaded Congress to enact a
twenty-six-thousand-word, fifty-page coda to the copyright statute
setting forth a new and convoluted series of rights and exceptions for
digital copyright."
Hier geht es eigentlich nicht um das Urheberrecht sondern um die
Foerderung von verwertungsgerecht entwerteten Informationstraegern durch
allerlei Strafsanktionen. Ob auf diesen Waren Urheberrechte oder
Patentrechte oder Datenbankrechte oder gar keine Rechte liegen ist egal:
in jedem Falle ist die Beihilfe zur Aufwertung der entwerteten Ware
strafbar, weil sie die muehsam ermoeglichte Verwertung vereitelt.
Das ist zwar richtig; aber es ging eigentlich um die Akteure: _Wer_
entscheidet darüber, welche Gesetze (Regeln) in der Gesellschaft gelten
sollen?
Wenn private Organisationen über den Prozeß der Gesetzgebung verfügen können
(wie es Jessica Litman darstellt), dann wandert die "Souveränität" faktisch
zu diesen privaten Organisationen und gleichzeitig weg von Staat bzw. den
Bürgern, die ja oft als Souverän definiert sind. Genau das ist ein
Charakteristikum für Feudalismus, wenn die faktische Souveränität
-aufgespalten- nicht bei dem liegt, was wir als Staat bezeichnen. "L'etat,
c'est moi!" könnte zu neuen Ehren gelangen.
Klar duerfte sein, dass
- bei Informationsguetern tendenziell an die Stelle des Marktes eine
aus polaren Zweierbeziehungen beruhende feudalistische Pyramide tritt
Eben nicht nur an die Stelle des Marktes und nicht nur bei
Informationsgütern. Auch andere soziale Funktionen, die bisher vom Staat
definiert, verwaltet und gewährleistet wurden, gehen an private
Organisationen über.
Man denke z.B. an die Frage des Namens-/Markenrechts. Im Internet übernimmt
die Schiedsgerichtsbarkeit der ICANN die Rolle der Justiz und die ICANN
selbst die der Exekutive.
Oder man denke an die zunehmende Privatisierung im Bildungssektor. Wer
entscheidet da über die "Bildungsstandards"? Nicht mehr der Staat in der
Regel. Es gibt viele weitere Beispiele.
- ein Beduerfnis danach besteht, den informellen
Interessensicherungsmechanismen weitere auf Rechtsschutz basierende
hinzuzufuegen
... und technische "Interessensicherungsmechanismen".
- Rechtsschutz nicht die Ursache des Feudalismus ist und je nach
Ausgestaltung ihn verschaerfen oder vielleicht auch abschwaechen kann
Wenn aber die Ausgestaltung ihrerseits bereits in privater Hand liegt (und in
der Geschichte des Urheberrechts lag sie das zum überwiegenden Teil schon
immer, jedenfalls was die materiellen Rechte anging), dann wird sich die
Waage zugunsten der privaten Interessen neigen. Zu einer Abschwächung wird es
daher m.E. wenig Ambitionen geben.
- Rechtsschutz im digitalen Bereich haeufig nur unter aeusserst
unausgewogenen Bedingungen zu haben ist
Was sich aus dem vorangehend Gesagten ergibt.
- selbst die idiotischsten Formen des Rechtsschutzes, wie Swpat, eine
maechtige Lobby finden. Je idiotischer desto groesser der Reiz.
Das hat mit Idiotie nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die rationalen
wirtschaftlichen Interessen bilden die Ursache, nicht etwa die Idiotie der
Interessenten.
Aus einer anderen, gesamtgesellschaftlichen Warte mag das unerfreulich sein,
aber das ändert nichts an den Ursachen.
Allenfalls läßt sich von ökonomischer Kurzsichtigkeit sprechen, aber auch die
ist nicht irrational: Kurzfristige Gewinnen verlocken mehr als Langfristige,
wenn der Shareholder-Value davon abhängt.
- freie Software eines der Fenster darstellt, welche man bisher oeffnen,
konnte, wenn die Luft zu stickig wurde
- die Nationalstaaten wenig getan haben, um ihre ureigene Rolle
des Foerderers von Infrastrukturen wahrzunehmen und oft sogar in
den Sog informations-feudalistischer Kraefte geraten
- die Nationalstaaten einem erneuten Haertetest ausgesetzt sind, den
sie bisher nicht bestanden haben
Könnte man so sehen.
Daß allerdings Staaten die Aufgabe haben, Infrastruktur zu fördern, ist eine
relativ junge Auffassung, die eigentlich erst mit der Herausbildung der
Nationalstaaten -und damit der Aufgabe der Herstellung einer "Nation" mit
relativ homogenem Charakter- entstand und zu ihrer Blüte mit der
Industrialisierung kam. Der Wirkungsbereich dieser Auffassung war von Land zu
Land sehr unterschiedlich groß und hing eigentlich davon ab, welcher
Stellenwert der Praxis einer "Nationalökonomie" (gerade auch ggü. anderen
Nationen als Konkurrenten) zugemessen wurde.
Wenn statt Nationalökonomie zunehmend privatwirtschaftliche "Empires" zum
Leitbild -und zur Praxis- werden, dann werden diese die Aufgabe übernehmen,
Infrastruktur -gemäß ihren Interessen- herzustellen. Man denke an
Hardware-Vernetzung und Software-Vernetzung mit je proprietären Standards.
(Ein klassisches historisches Beispiel für solch ein privates Empire war die
"East India Company".)
Gruß,
Robert
--
Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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