[ox] Re: Andre Gorz zu Rifkins Buch "Access ..." et al.
- From: Hans-Gert Graebe <graebe informatik.uni-leipzig.de>
- Date: Thu, 19 Jul 2001 15:27:10 +0200 (MET DST)
Hallo allerseits!
Leider kein Reply, also sorry, wenns nicht automatisch im richtigen
Thread landet. Trotzdem noch ein paar Nachbemerkungen zum Beitrag von
A. Gorz zu Rifkins Buch, den Uli hier am 8 Jul 2001 gepostet hat, denn
ein paar Überlegungen gehören m.E. doch noch einmal hinterfragt, ob
sie schon die _ganze_ Problematik erfassen.
...
Die Firmen haben somit das Kunststück vollbracht, ihr "intellektuelles Kapital"
immer vollständiger vom Sach- und Finanzkapital abzukoppeln und schließlich in
der "neuen Ökonomie" nur noch als solches zur Börse zu tragen. Dafür dürfte es
meines Erachtens noch einen tieferen Grund geben. Vom betriebswirtschaftlichen
Standpunkt aus ist der "Wert" des "intellektuellen Kapitals" nicht messbar.
Seine materielle Substanzlosigkeit eignet sich ganz besonders dazu, als "von
jeglichem Körper befreite Geldseele des Kapitals" (Robert Kurz) zu gelten, als
Versprechung grenzenloser zukünftiger Märkte für zukünftige Waren von nicht
messbarem "Wert", und folglich auch als Versprechung von grenzenlosen
zukünftigen Kursgewinnen. Die gigantische Finanzblase, die sich seit Beginn der
neunziger Jahre aus fiktiven Wertanstiegen des Aktienkapitals nährt, wird damit
weiter aufgebläht und der Glauben verbreitet, dass die Börse alle
wirtschaftlichen Probleme lösen und alle Menschen reich machen kann. (...)
Der berühmte Goldesel! Einmal denken, den Automaten programmieren -
und dann Hängematte. Der Automat (oder von mir aus die Fremdfirma -
das ist den Aliens egal) produziert und meine Kasse klingelt, in
Ewigkeit ... Auf diese Grundphilosophie, vielleicht nicht ganz so
trivial vorgetragen, lässt sich wohl so manche Euphorie am Neuen Markt
reduzieren. Dass es lokal eine Weile sogar so gehen mag, global aber
keine Minute lang, brauche ich sicher nicht zu begründen. Der
Goldesel lebt von einer lokalen Differenz, die mit Macht (sofern man
sie hat) aufrecht erhalten werden muss. Anders: der Goldesel braucht
einen statischen oder wenigstens über einen gewissen Zeitraum
konstanten (man ist ja heute schon mit wenig zufrieden, z.B. einer
Ewigkeit von 2 Jahren) Markt, um überhaupt zu funktionieren. Der
"Markt der Ideen" ist aber hochgradig dynamisch und mit IPR wird
versucht, eine solche Dynamik zu dämpfen oder gar ganz zu eliminieren
(bis zum Zurückhalten von Update-Innovationen, die auf
Basisinnovationen aufsetzen, die anderen (rechtlich) nicht
zugänglichen sind). Perversität in Reinkulktur, wenn man einen
einigermaßen rationalen Maßstab anlegt.
Bill Gates hat da übrigens den Metagoldesel, also einen, aus dem man
sich jeden Tag neue Goldesel a la Win 2000 schnitzen kann (soviel zur
Rolle von Software- und anderen Denkpatenten in diesem Geschäft).
Die Geldblase lebt allerdings m.E. gerade vom Gegenteil, nämlich nur
noch Marktgradienten zu suchen und abzuschöpfen, also einem hochgradig
dynamischen Geschäft, wo es vor allem darauf ankommt "gut zu sein und
schnell", wie es bei Udo L. in einem Lied heißt. Das hat wenig mit dem
"intellektuellen Kapital" zu tun, über das oben im Zitat gesprochen
wird, im Gegenteil. Venture-Kapital wir im Regelfall die wohlfeilen
den innovativen Ideen vorziehen.
"Vom Standpunkt des unmittelbaren Produktionsprozesses aus" kann die
Entwicklung von Wissen als "Produktion von capital fixe betrachtet werden" und
lebendiges Wissen als Humankapital (K. Marx, Grundrisse, S. 599).
Ein paar Absätze weiter zeigt der Meister, dass Wissen eben doch nicht
als capital fixe durchgeht.
Zum Unterschied von Kunst und künstlerischem Können ist Wissen wesensgemäß
immer ein Ergebnis gesamtgesellschaftlicher Zusammenarbeit und universalen
Austausches und Verkehrs. Es gilt als Gemeingut der Menschheit und verlangt
als solches allen zugänglich zu sein, um je nach Bedarf in besonderen Formen
eingesetzt und weiterentwickelt zu werden. Seine Inhaber können es weg- und
weitergeben, teilen und tauschen, ohne es dadurch zu verlieren oder zu
schmälern. Ganz im Gegenteil, je mehr Menschen am Austausch und am Weitergeben
von Wissen teilnehmen, umso größer wird das Wissen, zu dem jede und jeder
Zugang haben kann.
Das ist m.E. eine sehr starke Verkürzung der Prozesse, die bei der
Sozialisierung von Wissen wirklich ablaufen. Besonders der Aspekt der
unvorhergesehenen Querverbindungen ist vollkommen ausgeblendet. Mit
der Grundthese ("Es gilt als Gemeingut der Menschheit und verlangt als
solches allen zugänglich zu sein, um je nach Bedarf in besonderen
Formen eingesetzt und weiterentwickelt zu werden") bin ich aber völlig
d'accord.
Durch
die Privatisierung des Bildungs- und Ausbildungswesens, die sich im Internet
vollziehende Vermarktung und tendenzielle Monopolisierung von allen möglichen
Lehrkursen sollen die menschlichen Subjekte in ihrer Lernfähigkeit, ihrem
Denken, ihrer Imagination, ihren Wertvorstellungen und in ihrer kommunikativen
Aktivität beherrscht und zu Kunden der privaten Bildungsindustrie gemacht
werden. Die Menschen sollen ihr Wissen, ihre Kompetenzen als warenförmige
Bildungsgüter wahrnehmen und folglich von den Lehrkräften, die sie für ihre
(Aus-)Bildung bezahlen, möglichst nützliches und schnell verwertbares Wissen
einfordern. Die Beziehung zwischen Kunde und Verkäufer soll auf diese Weise -
wie dies bereits in Großbritannien geschieht - das Bildungswesen sowie auch
die Politik beherrschen und bereits bei Heranwachsenden die Selbstverwertung
und Selbstvermarktung zum entscheidenden Lebensziel machen.
Das geradezu totalitäre Vorhaben des Kapitals, sich der Menschen bis in ihre
Denkfähigkeit hinein zu bemächtigen, ...
Solche Prozesse laufen zweifelsohne und Leute wie Gorz (oder Ingrid
Lohmann) scheinen von deren Unumkehrbarkeit auch irgendwie überzeugt
zu sein. Jedenfalls sehe ich in solchen Argumentationen nie die
Zweischneidigkeit eines solchen Totalitätsanspruchs. Denn auf der
anderen Seite ist es ja gerade die autonome Denkfähigkeit der
Produzenten, die in der IBM-Formel "macht, was ihr wollt, aber seid
profitabel" zum Ausdruck kommt. Ja, was denn nun? Autonomie oder
totale Kontrolle? Untergräbt das Kapital hier nicht die eigenen
Grundlagen, indem es versucht, durch Kontrolle (Eigen-)Dynamik aus
einem System zu nehmen, das statisch gar nicht funktioniert? Und da
rede ich noch gar nicht von eher ethischen Prinzipien wie Humanismus,
Selbstentfaltung usw.
So viel für heute.
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Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
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