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[ox] Fwd: ["betacity"] Interview mit Stefan Merten, Initiator des Oekonux Projekts



Liebe Leute,

anbei ein Interview, daß Karin Hinterleitner mit mir am Rande des
LinuxTags im Rahmen eines sehr netten Gesprächst geführt hat. Gepostet
auf der Betacity-Mailing-Liste, die (u.a.?) Karin maintaint. Wenn ich
es richtig verstehe, ist das Listen-Archiv leider nur Mitgliedern
zugänglich. Aber ihr könnt ja mal unter

	http://www.betacity.de/

einen Blick riskieren.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

------- Forwarded Message

Date:  Mon, 16 Jul 2001 21:34:37 [PHONE NUMBER REMOVED]
From:  "betacity" <betacity betacity.de>
Subject:  Interview mit Stefan Merten, Initiator des Oekonux Projekts
To:  <betacity yahoogroups.com>
Message-Id:  <DLEOKOIAPJOCLKBMGEJOKEJACFAA.betacity betacity.de>

GPL-Gesellschaft im Fokus der Aufmerksamkeitsökonmie
Gespräch mit Stefan Merten, Initiator des Oekonux Projekts


Stefan Merten hielt beim LinuxTag 2001 in Stuttgart den Vortrag: "Freie
Software für eine Freie Gesellschaft -- Bringen GNU/Linux und Co uns einer
neuen Gesellschaft näher?"  Viele Ideen dazu entstanden auf der Mailingliste
Oekonux (Ökonomie und Linux), die er im Sommer 1999 eröffnete und seither
betreut. Dieses im Open Source (OS) Umfeld neuartige Diskussionsforum,
konnte sich als Schnittstelle zwischen Open Theory, Open Source Bewegung und
Kapitalismuskritik im deutschsprachigen Raum etablieren - spätestens seit
der Oekonux-Konferenz im April 2001.

In der Oekonux-Mailingliste werden ausgehend von der GPL (General Public
Licence) neue Gesellschaftsmodelle und Projekterfahrungen im Umfeld der
OS-Kultur diskutiert. Es geht um nichts weniger als die utopisch scheinende
Überwindung des kapitalistischen Verwertungssystems: durch das Prinzip der
Selbstentfaltung. Dort, wo bisher Selbstentfaltung mit Selbstausbeutung
gleichzusetzen ist, wird die "frohe Botschaft" von glücklicheren Ökonomien
hellhörig aufgenommen: im Kulturbetrieb. Reality Check, Utopie und Theorie -
Stefan Merten kennt als Informatiker und Mann mit politischer Vergangenheit
das polymorphe Umfeld rund um freie Software.  Das Gespräch führte Karin
Hinterleitner.



BETACITY.DE:
Seit wann beschäftigst du dich mit Freier Software? Hast du selbst an
Projekten mitprogrammiert?

Stefan Merten:
Klar, als Informatiker beschäftige ich mich seit meinem Studium mit Freier
Software. Ich hatte zum Beispiel den BiSon, einen Parser Generator
[http://www.gnu.org/software/bison/bison.html ], an den Atari ST angepasst.
Schlicht und ergreifend aus der Notwendigkeit heraus, dass ich diese
Software brauchte. Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, anderen Software
frei zur Verfügung zu stellen - Tutorials schreiben, Websites einrichten,
Anfragen bearbeiten -  der Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Inzwischen
gibt es öffentliche Repositories wie sourceforge.net, die einem das
Veröffentlichen  erleichtern.

Später im Beruf sollte ich mit bestimmten Programmen arbeiten. Irgendwann
wollte ich nicht mehr, weil ich freie Alternativen getestet hatte.  Der
freie GNU-Compiler z.B. hat einfach einen zuverlässigeren Code produziert
als der Compiler von SCO. Für mich war klar, ich will mit der besseren
Software arbeiten und überzeugte davon auch andere in der Firma.

Das derzeitige Projekt, mit dem ich beruflich beschäftigt bin, setzt
größtenteils auf Linux auf, neben Windows NT. Das mussten wir so machen, da
die Industrie es so wollte. Da ich immer auch beruflich massiv mit freier
Software konfrontiert bin, kann ich auf dem harten technischen Niveau
argumentieren und sagen: Freie Software ist einfach besser, macht weniger
Ärger und bietet mehr Möglichkeiten.

Wie sieht deine Freizeit aus, seit du dein privates Projekt Oekonux
gestartet hast? Weg vom Firmenrechner und zuhause gleich wieder an  den PC?

Naja, momentan läuft es tatsächlich darauf hinaus. Wenn ich mich jedoch mit
Oekonux befasse, ist der Rechner nur noch ein Medium. Die Kommunikation über
die Mailingliste ist das Entscheidende.


B:
Was bewegte dich dazu, die Oekonux-Mailingliste zu eröffnen?

SM:
Es ergab sich am Rande der ersten Wizard-of-OS-Konferenz (W-OS).
[http://www.mikro.org/Events/OS/] Ein Track zum Thema "Neue Ökonomie?" hat
mich besonders interessiert, da ich bereits im Hinterkopf das Thema "Freie
Software und Ökonomie" hatte. Die Vorträge waren für mich unbefriedigend. In
den Diskussionen zeigte sich allerdings, dass Leute dabei waren, die sich
für meinen Themenkomplex interessierten. Ich regte eine BoF-Session an,
sammelte anschließend die Mailadressen und die WOS-Veranstalter (mikro.org)
richtete uns eine Mailingliste ein.

Inzwischen hat die Liste 180 Mitglieder und hat sich wunderbar entwickelt -
eine Mailingliste "allererster Sahne". Es wird wirklich diskutiert und keine
"Flame Wars" finden statt. Ich kenn das gut, da ich auf einigen Listen war.
Bei uns ist wirklich ein offenes erkenntnisorientiertes Klima. Ein wichtiges
Signal finde ich, dass die Mitglieder mit ihren richtigen Namen
subskribieren und keine Pseudonyme verwenden.

Mittlerweile beteiligen sich einige Listenmitglieder an der Organisation.
Alle bringen spezifische Fähigkeiten ein, von der Pressearbeit bis zur
Website-Erstellung. Das war wichtig, als wir unseren erste Oekonux-Konferenz
veranstaltet haben. So ist das auch bei der Entwicklung von Freier
Software - nicht alle programmieren. Das "maintainen" hat primär auch nichts
mit programmieren zu tun, sondern ist die Fähigkeit einen sozialen
Zusammenhang zu gestalten. So gesehen ist die Entwicklung von Freier
Software vor allem ein soziales Projekt und die Oekonux-Mailingliste ein
sozialer Raum.


B:
Seit  wann interessierst du dich für  theoretische und politische Aspekte
Freier Software? Gab es da Alltagserfahrungen mit Haftungs- und
Lizenzfragen, oder bist du schön länger politisiert?

SM:
Ja ich bin schon in verschiedenen Zusammenhängen aktiv gewesen.
Mailinglisten wie die Krisis [ http://www.krisis.org] haben mein Denken
beeinflusst. Im anarchistischen Newsprojekt [ a-infos http://www.ainfos.ca]
war ich länger aktiv. Aber damit habe ich seit einiger Zeit nichts mehr zu
tun.  Bei diesen Projekten flossen schon meine Computer- und
Politik-Interessen zusammen. Bei Oekonux ist das selbstverständlich viel
stärker, das ist für mich persönlich das schöne daran - auch wenn es mich,
wie gesagt, ziemlich auslastet.


B:
Es gibt auch innerhalb der profit-orientierten Wirtschaft ethisch
argumentierende Reformbewegungen, wie die Gruppe um das Cluetrain-Mainfest.
Siehst du da Berührungspunkte und Möglichkeiten der Kooperation?

SM:
Nein, ich habe da so meine Bedenken, dass man den Kapitalismus reformieren
kann, weil das Profitinteresse dominiert.  Ich will das jetzt nicht
ausbreiten - nur ein Beispiel: Wenn man überlegt wie die ökologische Frage
Mitte der Achtzigerjahre in Deutschland diskutiert wurde, und heute
feststellen muss, dass andere Themen wie Arbeitslosigkeit diese Thema
verdrängt haben, wird vielleicht nachvollziehbar, warum ich die
Reformmöglichkeiten des Kapitalismus für erschöpft halte.

Auch Manager sehen heute, dass neuen Arbeitsformen, die die Produktivität
vorgibt, neue Modelle erfordern. Sie können zwar niemand befehlen kreativ zu
sein - das funktioniert einfach nicht und so langsam verstehen sie das
auch - das Problem ist, sie müssen es letztlich, da sie in einem
Zwangszusammenhang eingebunden sind und verwerten müssen.  Auch als
Unternehmer lässt sich dieser Widerspruch nicht überwinden. Der Illusion
darf man sich nicht hingeben. Zwar fallen für Selbstständige die Zwänge weg,
die einem ein Chef vorgibt, aber der Markt diktiert mindestens so hart. Das
bekommen inzwischen auch die Firmen in der New Economy zu spüren.

Im Software-Bereich wird mit neuen Managementmethoden versucht, das
Selbstentfaltungs-Potential, das sich im Bereich der Freien Software
gebildet hat - irgendwie in die Firmen reinzubringen. Das kann nur begrenzt
funktionieren, da der äußere Zweck siegt: Am Ende geht es immer darum, Geld
zu verdienen. Bedenken und Kritik sind dabei weniger gefragt. Auch die
Gruppenarbeitsmodelle, die inzwischen bereits wieder rückläufig sind, waren
schon Versuche in diese Richtung: Beschäftigte sollten nicht mehr wie in der
fordistischen Epoche als verlängerter Teil der Maschine gesehen werden,
sondern es wurde versucht, den Mensch als Ganzes zu sehen. Es ging darum
relevanten Ressourcen in den MitarbeiterInnen neu zu entdecken und in die
Verwertung wieder mit einzubeziehen. In der Praxis schlagen aber die
Konkurrenzbeziehungen zwischen den Gruppen voll zu und schon auf dieser
Ebene ist es Essig mit der Selbstentfaltung. Deshalb gebe ich nicht viel auf
Reformversuche. Der Kapitalismus stößt an seine Grenzen: Die Spirale zeigt
heute nicht mehr nach oben sondern nach unten.


B:
In deinem Vortrag hast du ein neues Ökonomiemodell, die GPL-Gesellschaft
vorgestellt. In der anschließenden Diskussion, wurde an der Machbarkeit
deiner Utopie gezweifelt. Besonders der Übergang von der kapitalistischen in
die GPL-Gesellschaft, erschien als unüberwindbare Hürde. Dabei wurde im
Sinne der Marktlogik argumentiert. Wie überwindest du diese immanente
Argumentation? Wie  soll mit den sogenannten Sachzwängen umgegangen werden?
Werden auf der Oekonux-Mailingliste auch Umsetzungsfragen diskutiert?


SM:
Ja. Wir schauen genau hin und reflektieren die aktuellen Entwicklungen in
den Sektoren, die uns interessieren. Wir beobachten die Freien Soft- und
Hardware-Bewegung und überlegen, welches Potential in den einzelnen
Projekten liegt. Das Spannende ist, dass unsere Prognosen eintreffen. So
geschah das auch beim OSCar-Projekt
[http://www.theoscarproject.org/de/info/oscar_deu.pdf], das zum Ziel hat,
ein neues nutzerfreundliches Auto zu entwickeln. In der Oekonux-Konferenz
stellte der OSCar-Initiator Markus Merz das Projekt vor und erzählte, wie
beispielsweise ökologische Fragen bei der Materialauswahl eine unerwartet
große Rolle spielten.  Zentralen Sach- aber auch Menschheitsfragen werden in
der profit-orientierten Entwicklung gerne einfach weggedrückt.


B:
Freie Software hat sich etabliert - nicht zuletzt wegen der GPL  von Richard
M. Stallman. Damit gelang ihm eine mindestens so virulente Erfindung, wie
mit seiner Software. Die Klausel: Jede neue Software, die einen Passus aus
einer GPL-lizenzierten freien Software verwendet, unterliegt zwinglich
wiederum der GPL. Diese Klausel verhindert, dass Freie Software
patentrechtlich geschützt oder in proprietäre Software umgewandelt werden
kann.  Welche Instanz kontrolliert die Privatwirtschaft und fordert die
Interessen der Freie-Software-Bewegung ein? Wie konnte die FS-Bewegung ihre
Interessen inmitten des aggressiven Softwaremarkts durchsetzten?

SM:
Nach einigen ausgetragenen Konflikten scheint die FS eine gewisse Machtbasis
zu haben.  Sie stellt inzwischen eine gesellschaftliche Gruppe dar, gegen
deren Interessen, man nicht mehr gerne verstößt, weil sie Rückhalt hat:
Einige der besten und engagiertesten JuristInnen in den USA unterstützen die
FS-Bewegung. Es gab in Berkley, Kalifornien, nicht nur brillante
Programmierer,  sondern eben auch Juristen. Zudem organisierte sich die
FS-Bewegung in Organisationen wie der Free Software Foundation
[http://www.fsf.org ].

Nun war die GPL die eine geniale Sache in der FS-Bewegung. Die andere
wichtige Innovation, war das Entwicklungsmodell, mit dem Linus Torwalds
Linux in die Welt gesetzt hat: "release often, release early". Das heisst,
ständig verbesserte Versionen übers Internet zur Verfügung zu stellen. Damit
verkürzten sich die Entwicklungsphasen auf bis dahin nie für möglich
gehaltene Zeitspannen. Zuvor gab es relativ abgeschlossene
Entwicklergruppen, die ab und zu etwas neues veröffentlicht haben. Die
Arbeitsorganisation bei FS-Software-Projekten  wurde durch die
Linux-Entwicklung praktisch revolutioniert. Es gab in der Umbruchszeit auch
Konflikte zwischen der alten und der neuen Herangehensweise. Der
manifestierte sich während der C-Compiler Entwicklung: Den Linux-Leuten ging
die Entwicklung zu langsam. Sie forderten z.B. eine schnellere Unterstützung
neuer Prozessoren. Sie haben sich sogar abgespalten und etwas neues
gemacht -  vorbei an den Projekt-Maintainern. Inzwischen haben sich diese
Gruppen wieder zusammengefunden, aber dieser Konflikt zeigt auf, wie der
alte Entwicklungsweg sich von dem neuen unterscheidet.

Zu den FS-Lizenzen gehört auch die BSD-Lizenz. Sie ist kostenfrei, jedoch
müssen die neuen Erweiterungen im Quelltext nicht veröffentlicht werden und
werden zu proprietärer Software.  Prominentes Beispiel ist momentan das neue
Betriebssystem von Apple: auf der Basis von BSD-Unix wurde eine eigene nicht
veröffentlichte Software aufgesetzt. Diese Reprivatisierung wäre mit
GPL-Software nicht möglich gewesen.


B:
Welche Rolle spielt freie Software jenseits von Betriebssystemen und
Anwendungen bei der Kompatibilität zwischen Hardwarekomponenten und  der
Steuerung elektronischer Geräte?

SM:
Durch die starke Vernetzung und den Wunsch nach Interoperabilität zwischen
verschiedenen Geräten werden Standards außerordentlich wichtig. Das ist ein
Bereich, wo heute freie Entwicklungen bereits eine große Rolle spielen und
auch in Zukunft bedeutsam sein werden. Das ganze Internet beruht praktisch
auf freien Standards, die RFCs [http://www.rfc-editor.org/], request for
comments. Die wurden damals nicht von Firmen entwickelt, sondern beruhen auf
Vorschlägen aus der Forschung, also von Leuten, die an technisch guten
Lösungen interessiert waren.

Die ganze Infrastruktur des Internets ist heute durch diese Standards
abgesichert. Auch für den Bereich Web, HTML, existiert ein
Standardisierungs-Gremium: das W3C. Dieses Komitee organisiert sich im
übrigen ähnlich, wie das innerhalb der freien Software üblich ist. Unter
www.w3.org kann man die Grundlagen der Organisationsstruktur nachlesen - das
ist wirklich spannend. Das W3 ist für Firmen wichtig, da es als neutrales
Gremium die Standards festlegt, die für die firmeninternen Entwicklungen
richtungsweisend sind. Konkurrierende Standards werden oft parallel
entwickelt. Daraus ergeben sich handfeste Interessenkonflikte, die vom W3
als übergeordnete Autorität entschieden werden. Zum Beispiel werden längst
nicht alle Vorschläge von Microsoft angenommen.

Im Multimediabereich versucht das Projekt oggVorbis [http://www.vorbis.com ]
neue Standarts zu kreieren, da es mit der Fraunhofer Gesellschaft einige
lizenzrechtliche Probleme gibt wegen mp3. Sobald das oggVorbis Formate
richtig funktioniert, kann ich mir vorstellen, dass es eine wichtige Rolle
spielen wird.



B:
Die FS-Bewegung und die damit verbundenen neuen Arbeitsformen werden im
künstlerischen Bereich diskutiert. Häufig wird darin ein adaptierbares
Modell gesehen, von dem ein neuer Werkbegriff  und ein überindividuelles
Autorenverständnis abgeleitet wird. Auch in der Diskussion um Urheber- und
Patentrecht gibt es einige Überschneidungen. Was unterscheidet deiner
Meinung nach die Arbeitsformen von SoftwareentwicklerInnen und
KünstlerInnen?

SM:
Ich muss vorausschicken, dass ich auf dem Gebiet der Kunst ein Laie bin. Ich
habe in verschiedenen Diskussionen das rege Interesse aus dieser Richtung
festgestellt. Zunächst fällt mir auf, dass dort viele Begriffe schwammig
verwendet werden. Das ist bei solchen Fragen häufig so; deshalb pflegen wir
zum Beispiel auf der Oekonux-Mailingliste ausführlich Begriffe vorab zu
klären, bevor wir in der Sache weiterdiskutieren.

Software entsteht in der Praxis evolutionär. Ein fertiges Produkt als
solches gibt es gar nicht. In der freien Software wird das sehr deutlich
sichtbar:  Ständig gibt es neue Versionen und permanent wird daran
weiterentwickelt. In der Kunst stellt sich mir das so dar: es gibt ein Werk,
das fertig dasteht und an dem auch nichts mehr weiterentwickelt werden kann.
So etwas, wie eine kollektive Weiterentwicklung von Projekten ist mir in der
Kunst nicht bekannt. Mir kam der Gedanke, dass Kunst eben in einem
übergeordneten Sinne evolutionär ist. Auch in der Kunst beziehen sich die
Leute ja auf bereits vorhandenes. Ausgehend von dieser Überlegung, macht es
sicher Sinn, Prinzipien, die in der freien Software entstanden sind, auf die
Kunst zu übertragen.

Die Anerkennungsökonomie wurde ebenso heiss als Alternative zur
Geldwirtschaft  diskutiert, funktioniert jedoch allein aus folgendem Grund
nicht: Anerkennung ist nicht transitiv: Zehn Mark kannst du zum Beispiel
jederzeit als neutralen Tauschwert weitergeben, hingegen  nützt dein
Bekanntheitsgrad einem dritten nur in bestimmten Zusammenhängen als
Referenz. Aufmerksamkeit bzw. Anerkennung kann nicht der Antrieb für freie
Software sein, weil es insbesondere in der Anfangszeit diesen Effekt nicht
gab. Als Linus Torwalds mit Linux anfing, hat ihn niemand gekannt und es war
überhaupt nicht vorhersehbar, dass er zehn Jahren später einer, der
gefragtesten Personen in der Szene sein würde. Und
das gilt heute immer noch. Ich meine, wie viele FS-Entwickler werden denn
wirklich bekannt - höchstens mal zehn Leute. Irgendjemand, der irgendwo auf
unserem Planeten freie Software schreibt, der kann sich, wenn er nur minimal
realistisch ist, ausrechnen, dass es mit der großen Anerkennung nicht weit
her sein wird. Gut, er kann vielleicht seinen Marktwert damit steigern, aber
er kann auch kommerzielle Projekte als Referenz nehmen. Es ist auch so, dass
gar nicht immer alle Entwickler im Source Code genannt werden. Die
Autorenschaft muss nicht durch Abgrenzung geklärt werden, weil es sowieso
eine kollektive Leistung ist.

Ausgrenzungen gibt es aber auf der technischen Ebene. Zum Beispiel wird Perl
maßgeblich von Larry Wall gemacht, der sehr klare Vorstellungen hat, wie
diese Sprache weiterentwickelt werden soll. Schon mehrmals blockierte er mit
einem  kategorischen "No" Vorschläge. Dabei hat er sich zwar als
Persönlichkeit durchgesetzt, aber nicht in dem Sinne: "Das ist mein Werk!"
Zumindest kenne ich diese Haltung nicht in der FS-Bewegung.




B:
In der Gegenwartskunst sind digitale Formate selbstverständlich geworden.
Bei der Nutzung digitaler Formate wird die Erfahrung gemacht, dass nicht nur
im übertragenen Sinn ein Werk fortgeschrieben wird, sondern dass, falls die
kopierte "Origianal"-Arbeitsdatei verfügbar ist, direkt daran
"weitergemacht" werden kann.

SM:
Ja, jedes "Werk", das in digitaler Form vorliegt, kann ganz analog zu Freier
Software entwickelt werden. Die digitale Kopie ist universell - gegenüber
Programmen genauso wie gegenüber Kunstwerken.



B:
Vieles, was in der Gegenwartskunst stattfindet, hat mit dem klassischen
Werkbegriff nichts mehr zu tun. Bei dem Wort "Kunst" hingegen, assoziieren
die meisten immer noch ein klassisches Kunstwerk. Miltos Manetas
[http://www.betacity.de/interviews/manetas.htm ] reagierte auf diesen
terminologischen Notstand und hat die Konferenz name4art letztes Jahr
einberufen. Ein neues Wort[http://www.neen.org] sollte aus der Zwickmühle
helfen.

SM:
Neue Namen beschreiben neue Dinge und können unter Umständen sinnvoll sein.
Auch ich verwende deshalb den Begriff GPL-Gesellschaft, weil er nicht an
etwas altes gebunden ist.

Es handelt sich dabei eben nicht um Sozialismus und nicht um Kommunismus.
Mag sein, dass davon vieles wiederzufinden ist, aber das Modell der
GPL-Gesellschaft ist qualitativ etwas neues, das so vorher noch nicht
gedacht worden ist. Mir ist davon jedenfalls nichts bekannt. Ein neues Wort,
bei dem die Leute erst mal komisch gucken, finde ich in unserem Falle sehr
angebracht: "Moment, das ist etwas anderes!".


Stuttgart, 7.07.2001


Glossar:
Linux = Linus+Unix
Oekonux = Ökonomie+Linux
FS = Free Software
GNU = GNU is Not Unix
GPL = General Public License
BoF = Birds of a Feather
OS = Open Source


Oekonux:
http://www.oekonux.de
http://www.oekonux-konferenz.org

Vortrag:
Freie Software für eine Freie Gesellschaft -- Bringen GNU/Linux und Co uns
einer neuen Gesellschaft näher?
http://www.oekonux.de/texte/neuegesellschaft/index.html

Stefan Mertens Linktips:
http://www.oekonux.de/projekt/links.html

http://www.linuxtag.org
http://www.linux.org
http://www.fsf.org




Copyright (c) 2001 by Karin Hinterleitner.
This material may be distributed only subject to the terms and
conditions set forth in the Open Publication License, v1.0 or
later (the latest version is presently available at
http://www.opencontent.org/openpub/). Distribution of
substantively modified versions of this document is prohibited
without the explicit permission of the copyright holder.
Distribution of the work or derivative of the work in any
standard (paper) book form is prohibited unless prior permission
is obtained from the copyright holder.


------- End of Forwarded Message


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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