[ox] Bundestags-Anhörung Swpat 2001-06-21
- From: PILCH Hartmut <phm ffii.org>
- Date: 15 Jun 2001 12:55:53 +0200
Nächsten Donnerstag findet im Bundestag eine Expertenanhörung zum
Thema Softwarepatente statt. Veranstalter ist der Unterausschuss Neue
Medien.
8 Experten wurden sehr kurzfristig eingeladen, schriftliche Kommentare
zu einer Reihe von Fragen abzugeben, die eine gewisse Ähnlichkeit zu
den Konsultationsfragen des FFII
http://swpat.ffii.org/stidi/
aufweist, aber, was die letzte Frage betrifft, weniger ins Detail
geht.
Die Sitzung ist öffentlich.
Die Experten werden von Bundestagsabgeordneten befragt. Die anderen
hören zu. Diejenigen, die nicht eingeladen wurden, können dennoch
Stellungnahmen an den Bundestag schicken. Diese Stellungnahmen werden
im Netz veröffentlicht. Man schreibe an
An: christopher.speer bundestag.de
Cc: konsultation ffii.org
Betr: Softwarepatente-Anhoerung
Es ist nicht nötig, alle Fragen zu beantworten. Man kann sich
diejenigen aussuchen, für die man sich kompetent fühlt.
Hier die Liste der Fragen mit ein paar möglichen Hinweisen zu ihrer
Beantwortung.
Wie wird Patentschutz im Allgemeinen begründet?
Anerkennungstheorie
Belohnungstheorie
Anspornungstheorie
Offenbarungstheorie
Vertragstheorie
volkswirtschaftliche Begründungen
==> Machlup-Bericht lesen (über
http://swpat.ffii.org/vreji/minra/siskude.html zu finden)
Welche Schutzrechte gibt es für Software und welche Wirkungen haben sie?
Urheberrecht
verhindert Kopieren und Nachahmen/Plagiieren, soweit dies glaubhaft
nachweisbar ist (was meist nur bei plumpem Nachahmen der Fall ist,
Ideen bleiben frei)
wurde durch mehrere Novellen in den 80-90er Jahren auf Sw angepasst
und dabei ausgeweitet.
sorgt vor allem zusammen mit Quelltext-Geheimnis für starken
Investitionsschutz: Nachprogrammieren ist i.d.R. kaum weniger
aufwendig als Entwicklung eigener Werke.
Andererseits ist Nachprogrammierung um der Interoperabilität willen
nötig. Dies wurde von der EU-Urhr-Rili von 1992 ausdrücklich anerkannt.
Was unterscheidet Software von anderen Erfindungen?
Unglückliche Formulierung.
Im patentrechtlichen Sinne sind Programme ebenso wie andere Pläne
für gedankliche Tätigkeiten sowie Organisations- und Rechenregeln
keine Erfindungen.
Von anderen Neuerungen unterscheiden sich die Organisations- und
Rechenregeln u.a. dadurch, dass man zu ihrer Anwendung keine
materiellen Objekte und keinen damit verbundenen
Investitionsaufwand benötigt.
In der Regel sind Rechenregeln entweder sehr abstrakt oder trivial
und (mangels Notwendigkeit von Experimenten mit Naturgesetzen)
relativ leicht zu finden.
Einem im Vergleich zu technischen Erfindungen geringeren
Belohnungsinteresse steht ein höheres Freihaltungsbedürfnis entgegen.
dazu unbedingt lesen:
Lehrbuch des Patentrechts, 4. Auflage, Krasser 1986
http://swpat.ffii.org/vreji/papri/krasser86/
Was sind Softwarepatente und wie sind Softwarepatente hinsichtlich der
Erfindungshöhe zu beurteilen?
"Softwarepatent" ist ein Arbeitsbegriff für
Patente auf Organisations- und Rechenregeln (= Programme für Datenverarbeitungsanlagen)
im Gegensatz zu
Patente auf technische Erfindungen (= Problemlösung durch
Anwendung von Naturgesetzen)
s. Lehrbuch des Patentrechts.
Unterscheiden sich Softwarepatente von Patenten für Geschäftsideen,
Algorithmen und Dateiformaten und wenn ja, wie?
Nein
Programm = Organisations- und Rechenregel = Algorithmus
Welche Unterschiede gibt es beim Schutz von Software in Deutschland im
Vergleich zu anderen EU-Ländern und im internationalen Vergleich?
Was die Gesetze betrifft, gibt es keine wesentlichen Unterschiede
zu anderen EU-Ländern. Überall gilt das Europäische
Patentübereinkommen. Es gibt aber Unterschiede zwischen einzelnen
Gerichten, auch innerhalb der Staaten, so z.B. zwischen dem
10. Zivilsenat des BGH (patentierungsfreundlich) und dem 17. Senat
des Bundespatentgerichts (lehnt Softwarepatente weitgehend ab)
Nach welchen Kriterien beurteilen EPA, BGH und BPatG heute die
Patentierbarkeit von Software? Sind diese Kriterien und Regeln
eindeutig und welche Formulierung erweist sich bisher am
praktikabelsten?
EPA und BGH befinden sich auf einem Schlitterkurs
http://swpat.ffii.org/vreji/papri/
Nach den Worten der Swpat-Befürworter ist die Rechtslage verworren.
Z.B. hält das EPA Datenbank-Rechenregeln für technisch aber
Textverarbeitungs-Rechenregeln für untechnisch. Was ist mit XML?
Einzig brauchbares Kriterium für die Abgrenzung der
Patentierbarkeit ist und bleibt der Technikbegriff. Man lese
und zitiere die goldenen Worte in
BGH-Beschluss Dispositionsprogramm 1976
http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bgh-dispo76/
und natürlich im viel zitierten Lehrbuch des Patentrechts von 1986.
Wie viele Patente für Software gibt es in Deutschland, Europa und
weltweit?
Bei 3% der heutigen EPA-Patente liegt die "Erfindung" im Bereich
der Organisations- und Rechenregeln, die übrigen betreffen
eine erfinderische Anwendung von Naturgesetzen, sind also
technisch.
Insgesamt gibt es am EPA unter 1 Million Patenten ca 30000 Swpat.
Bei wie viel Prozent der bislang vom EPA gewährten 30.000
Softwarepatente ist die beanspruchte Innovation so bedeutend, dass es
sich für die Gesellschaft annähernd lohnen könnte, darauf ein
20jähriges Monopol zu vergeben?
Ich kenne keine, von denen das gesagt werden könnte.
Die meisten sind Trivialpatente. Auch nicht-triviale Erfindungen
führen zu breiten Ansprüchen auf ganze Problemfelder.
Am ehesten akzeptabel sind Patente wie die im Bereich der
psycho-akustischen Kompression (MP3), die wiederum z.T. auf
experimentell gewonnenen Erkenntnissen beruhen, sowie einige
sehr komplizierte und spezielle Rechenregeln im Bereich der
Kompression und Kryptographie.
Aber auch dort ist ein 20-jähriges Monopol mit breiten
Wirkungsansprüchen nicht das geeignete Förderungsmittel.
s. http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/
Gibt es zwingende rechtliche Gründe (Verfassung, Internationale
Verträge), die eine Neuregelung des Patentwesens auf Software
erforderlich machen?
Art 14 GG: nein
Art 27 TRIPS: nein
Der TRIPS-Vertrag verpflichtet indirekt zur
Definition von Begriffen wie "Erfindung", "Technik", "industrielle/gewerbliche
Anwendung".
Hier liefert der Begriff der technischen Erfindung, wie er dem EPÜ
zugrunde liegt und vom EPA (und zuletzt auch vom BGH aber nicht vom
BPatG) aufgeweicht/aufgegeben wurde, nach wie vor die einzige klare
und überschaubare Antwort.
Wie beurteilen Sie die Einführung eines eigenen Schutzrechtes für
Software?
positiv
Das Software-Urheberrecht stellt bereits ein solches
software-spezifisches Schutzrecht dar.
Man könnte es weiter mit Software-Spezifika anreichern und
zu einem unabhängigen Schutzrecht machen.
s. http://swpat.ffii.org/stidi/basti/
Wo könnte es beim Urheberrecht Unzulänglichkeiten hinsichtlich des
hinreichenden Schutzes von Software vor Nachahmung geben? Wie könnte
ein ``maßgeschneidertes Software-Schutzrecht'' aussehen?
Es gibt hier und da bedeutende mathematische Problemlösungen,
denen man besonderen Lohn, vielleicht u.a. auch in Form eines
kurzzeitigen Ausschlussrechtes zubilligen möchte.
Eine Möglichkeit bestünde in einer weiten Auslegung des
Urheberrechts: wer in den ersten 2-3 Jahren nach Bekanntwerdung
einer solchen Neuerung diese nachahmt, trägt die Beweislast
dafür, dass es sich um kein Plagiat handelt.
Wie beim Urheberrecht und Zivilrecht üblich, gelten Überlegungen der
"fairen Verwendung". Privates Kopieren, Kopieren für freie Software
und kommerzielles Abzocken sind jeweils anders zu beurteilen.
Neben Ausschlussrechten kommen auch Vergütungsrechte in Frage,
die über GEMA-ähnliche Töpfe finanziert werden. Einigen neueren
Studien zufolge sind diese im digitalen Bereich sogar effektiver.
Ferner hat die öffentliche Forschungspolitik eine bedeutende Rolle zu spielen.
Macht eine Differenzierung patentierbarer und nichtpatentierbarer
Güter Sinn? Wenn ja, nach welchen Kriterien sollte Ihrer Ansicht nach
zwischen beiden Güterarten (Erfindungsarten) unterschieden werden?
Ja, "technische Erfindung", Lehrbuch des Patentrechts, s. oben
Welche volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Effekte
hätte ihrer Meinung nach eine weitestgehend unreglementierte
Patentierbarkeit von sog. Softwareprodukten? Worauf beruhen diese
Annahmen?
s. Liste im Offenen Brief http://swpat.ffii.org/xatra/epue28/
Welches sind die Arbeitsmethoden und wirtschaftlichen Grundlagen der
Open-Source-Bewegung?
unglückliche Formulierung.
Vielleicht will die FSFE oder Daniel Riek hier einiges erklären.
Es geht hier nicht unbedingt um eine "Bewegung" sondern zunächst
mal um das Phänomen, dass bestimmte Probleme sich mit den
herkömmlichen proprietären Ansätzen nicht gut lösen lassen.
Hinzu kommen, ebenso wie bei der Patentbewegung, politische
Ordnungsvorstellungen.
Freie Software verträgt sich gut mit dem Urheberrecht, nicht
aber mit dem Patentrecht.
Welche Auswirkungen erweiterter Patentierbarkeit von Software erwarten
Sie auf die Rahmenbedingungen der Softwareentwicklung unter
sog. Open-Source-Lizenzen?
Freie Sw ist in höherem Maße gefährdet (da offen einsehbar) und
zugleich in geringerem Maße als andere in der Lage,
Ausschlussrechte für sich einzusetzen (da auf Freiheit beruhend).
Freie Sw hat nichts davon, wenn sie etwa Patent einsetzt, um
die GPL oder ein "Opensource-Geschäftsmodell" anderen aufzudrängen.
Zugleich gibt es bei freier Sw keinen Rechteeigentümer, der über
Lizenzeinnahmen ein Patent finanzieren könnte.
Würde eine Ausdehnung des Patentschutzes für Software die
Open-Source-Bewegung behindern? Wenn ja, wie könnten diese Nachteile
beseitigt werden?
Die Gefahr ist sehr groß.
Schon jetzt werden einige Entwickler behindert, s. auch
http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/xrani/
Es gibt Firmen, wie Microsoft, die freie Sw grundsätzlich als
Bedrohung ansehen und Patente zu ihrer Bekämpfung einsetzen
wollen (s. Halloween-Papiere).
Die einzige gute Karte, die Entwickler freier Sw im Patentwesen
haben, besteht in der Menge von dezentralen Vorveröffentlichungen.
Diese vergrößern die Rechtsunsicherheit im Patentwesen, da sie
eine effektive Patentrecherche erschweren und notfalls auch
in gewissem Maße zur gezielten Bekämpfung von Patentschurken
eingesetzt werden können.
Zum Schutz der freien Sw wäre es notfalls ausreichend,
Schrankenbestimmungen wie die in §11 PatG dahingehend zu
erweitern, dass die Veröffentlichung und
Inverkehrbringung von freie Software (noch besser von
Informationsgebilden aller Art) ebenso wie die Ausführung
der entsprechenden Programme auf einem herkömmlichen Rechner
keine Patentverletzung darstellen kann.
Welche Auswirkungen hätte die Ausdehnung des Patentschutzes für
Software auf die Entwicklung von kleinen und mittelständischen
Unternehmen?
Diejenigen Unternehmen, die keine eigenständigen Softwareprodukte
entwickeln und sich stattdessen auf das Anmelden von Patenten
konzentrieren, werden begünstigt.
Die anderen haben im wesentlichen hohe Kosten zu tragen und mit
Großfirmen zu konkurrieren, die dank ihres übermächtigen
Patentportfolios mit zahlreichen breiten Grundlagenpatenten
sich Zugang zu allem verschaffen können, was das Unternehmen
entwickelt hat.
Patente fördern die Orientierung von Unternehmen auf den
Kapitalmarkt hin. Das ist gut für einige Spezialisten des
Kapitalmarkts, für Technologietransferbüros und
Patentanwaltskanzleien, aber nicht für typische europäische
Softwarefirmen, die sich um ein Projekt herum gruppieren und mit
einfach mit einem guten Entwickler-Team gute Sachen machen und
viel Geld verdienen, vgl. Netpresenter, Phaidros etc und s.
http://petition.eurolinux.org/consultation/ec-consult.pdf
Sind Sie der Meinung, dass eine Ausdehnung des Patentschutzes für
Software Innovationen in dieser Branche gefährden würden? Wie
beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die MIT-Studie `Sequential
innovation, patents and imitation´ von James Bessen und Eric Maskin
(1999)?
s. dazu
http://www.researchoninnovation.org/
...
Ist das Patentrecht aus Ihrer Sicht das geeignete Werkzeug, um im
Softwarebereich Innovation und Fortschritt zu fördern? Sind
effektivere Alternativen denkbar, und wenn ja, welche?
s. oben
Urheberrecht, Betriebsgeheimnis, komplementäre Märkte usw.
Selbst in der Halbleiterindustrie rangiert das Patentwesen als
Mittel zur Förderung der Innovation nur an 7. Stelle.
Wie wirkt sich Ihrer Ansicht nach eine Klarstellung auf EU-Ebene
dahingehend, dass Software und gedankliche Konzepte nicht patentierbar
sind, auf bereits bestehende Patente in diesem Bereich aus?
Diese Patente könnten dann im Falle einer Verletzungsklage
von dem Beklagten im Gegenzug nichtig geklagt werden.
Die praktischen Auswirkung wäre eher gering, da
- diese Patente schon bisher kaum eingeklagt wurden, nicht
zuletzt wegen Zweifeln an ihrer Rechtsbeständigkeit
- nach Greg Aharonians Schätzungen 80% dieser Patente schon
wegen fehlender Neuheit nichtig geklagt werden können
- die meisten dieser Patente nur von außereuropäischen (US,JP)
Großunternehmen für defensive Zwecke gesammelt wurden.
Eine Klarstellung käme einem Abrüstungspakt gleich.
Es wurde kein Vertreter des FFII geladen, aber auch kein Vertreter von
Patentanwaltsverbänden oder Patentabteilungen von Großunternehmen.
Unter den Experten sind u.a.
Jürgen Siepmann (Justitiar LiVe)
Elke Boullion (Vorstand Phaidros AG)
Swen Kiesewetter-Köbinger (Swpat-Püfer, DPMA, s. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/patpruef/)
Bitkom e.V.
Daniele Schiuma (MPI, Patentanwalt, s. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/iic-schiuma00/)
Lutz Henkel (GMD)
Weiterführendes Seminare finden auf dem Linuxtag und auf der Systems
statt:
http://swpat.ffii.org/penmi/linuxtag-2001/
http://swpat.ffii.org/penmi/systems-2001/
--
Hartmut Pilch http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation: http://swpat.ffii.org/
80000 Unterschriften gegen Logikpatente: http://www.noepatents.org/
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de