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[ox] Konferenz-Beitrag: Zur Politischen Oekonomie des Informationskapitalismus



Zur Politischen Ökonomie des Informationskapitalismus
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Ralf Krämer (Dortmund)

1. Ausgangspunkte
=================

Es geht mir im Folgenden um begriffliche Grundlagen und besondere
Aspekte der Analyse

o    der Dienstleistungen und nichtmaterieller Produktion im
     Kapitalismus,

o    insb. der Politischen Ökonomie der Informationsprodukte im
     Kapitalismus,

o    der Produktionsverhältnisse im Informationskapitalismus
     (Informationsrenten, Human Capital, Shareholder Value und
     fiktives Kapital, Klassenverhältnisse, Krisenhaftigkeit),

o    der Aufgaben linker Politik und sozialistischer Perspektiven
     unter diesen Bedingungen

Hintergrund dessen ist eine Auseinandersetzung mit verschiedenen
anderen Positionen:

o    Dienstleistungs- und Informationsproduktion sei nicht
     (mehr)wertproduktiv (dazu gab es insb. im Novemebr/Dezember 2000
     Diskussionen auf der Oekonux-Mailingliste
     [http://www.oekonux.de/liste/]);

o    die neuen Informations- und Kommunikationstechniken verschärften
     die Krise der Arbeitsgesellschaft und die Zusammenbruchstendenz
     des Kapitalismus (z.B. R.Kurz/Krisis-Gruppe
     [http://www.krisis.org/])

o    die Neue Ökonomie weise so andere neue Qualitäten auf (Wachstum
     ohne Inflation und Krise, andere Arbeitsverhältnisse usw.), dass
     sie mit den Kategorien der Kapitalismusanalyse nicht mehr zu
     begreifen sei (z.B. U. Klotz).

2. Dienstleistungen und nichtmaterielle Produktion im Kapitalismus
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Die Ökonomie der Informationsprodukte kann zunächst als besonderer und
besonders interessanter Fall der Ökonomie der Dienstleistungen und
nichtmaterieller Produktion allgemein aufgefasst werden. Darum zur
Einordnung und Grundlegung zunächst einige grundsätzliche Ausführungen
zur Politischen Ökonomie kapitalistischer Waren- und
Dienstleistungsproduktion:

Waren und Dienstleistungen - Begriffsbestimmungen
-------------------------------------------------

Waren sind mit menschlicher Arbeit produzierte nützliche Dinge (sie
haben Gebrauchswert), die ausgetauscht bzw. zum Austausch/Verkauf
angeboten werden. Der Wert der Waren, der ihrem Preis zugrunde liegt,
ist grundlegend durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit bestimmt. Der Austausch der Waren im Verhältnis
ihrer (kapitalistisch modifizierten) Werte ist das grundlegende
regulative Prinzip für die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit
auf die verschiedenen Produktionen und für die Verteilung der Produkte
in der Waren produzierenden Gesellschaft, also im Kapitalismus.

Gewerbliche, marktvermittelte Dienstleistungen sind analog wie Waren
zu betrachten. Dienstleistungen sind zunächst negativ bestimmt,
nämlich dergestalt, daß es sich nicht um materielle Produktion
handelt, das Produkt der Tätigkeit kein eigenständiges materielles
Ding ist, das als solches in den ökonomischen Austausch eingehen
könnte. Dabei kommt es nicht auf die Warenförmigkeit an, auch
Produktion materieller Güter für den Eigenbedarf etwa von Unternehmen
oder des Staates wird nicht als Dienstleistung, sondern als materielle
Produktion betrachtet.

Es gibt nun verschiedene Bedingungen, unter denen Arbeit und ihre
Produkte als Dienstleistungen betrachtet werden:

1.   wenn die Arbeitsgegenstände Menschen oder die Gesellschaft sind,
     also bei personenbezogenen und bei sozialen Diensten, z.B.
     Pflege, medizinischen Leistungen, Erziehung, Unterricht,
     Kosmetik, Sport, Kultur, Unterhaltung, Beherbergung, Gaststätten,
     Wachdienste, Sozialarbeit, Politik; auch Handel (soweit es da
     wesentlich um Kommunikation geht, um KäuferInnen für die Waren zu
     finden)

2.   wenn die Arbeitsgegenstände sich nicht (als Produktionsmittel) im
     Besitz des Produzenten, sondern der Käuferin oder des Konsumenten
     der Dienstleistung befinden, also bei haushaltsbezogenen
     Dienstleistungen, einem Teil der unternehmensbezogenen
     Dienstleistungen, Transportdienstleistungen und bei
     Reparaturdienstleistungen aller Art;

3.   wenn die wesentlichen Objekte oder Produkte der Arbeit
     Informationen oder ideelle Objekte oder Eigentums- oder
     Nutzungsrechte oder ihre Kommunikation oder Verteilung oder die
     Regulierung von Prozessen sind, also etwa bei Verwaltungs- und
     Organisationsdienstleistungen, Text- oder Software- oder Musik-
     oder (künstlerische) Bild- oder Filmproduktion, Wissenschaft,
     Forschung und Entwicklung, Finanzdienstleistungen, Vermietung,
     Beratung, Werbung.

Diese Bedingungen überschneiden sich bzw. treten oft kombiniert auf,
insb. 1. und 3. bei allen primär kommunikativen Tätigkeiten, deren
Gegenstand letztlich Menschen sind, deren psychische Befindlichkeit
oder Fähigkeiten auf diese Weise verändert werden sollen. 1. ist
eigentlich in 2. enthalten, weil Menschen oder Gesellschaft jedenfalls
unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen nicht in fremdem
Besitz sein können.

Wertschöpfung und die Produktivität der Arbeit außerhalb der unmittelbar materiellen Produktion
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Vielfach werden Dienstleistungen mehr oder weniger pauschal als
"unproduktiv" gegenüber den "produktiven" Tätigkeiten in der
materiellen Produktion betrachtet und daraus dann etwa die Konsequenz
abgeleitet, durch die Abnahme der Arbeit in der materiellen Produktion
gehe dem Kapitalismus zunehmend seine wert- und mehrwertschaffende
Basis verloren, was nicht mehr lange gut gehen könne. Es werden
verschiedene Fassungen und Begründungszusammenhänge dieser Bestimmung
angeführt, die m.E. sämtlich nicht stichhaltig sind. Das ist
selbstverständlich eine Frage des jeweiligen Begriffs bzw. der Theorie
von Wert und Wertschöpfung, die dem zugrunde liegt.

Von der Produktion her gesehen ist m.E. Wert zu begreifen als eine
bestimmte soziale Gegenstandsbedeutung von Waren oder
Dienstleistungen, dass sie ihren ProduzentInnen bzw. EigentümerInnen
im gesellschaftlichen Austausch einen Anspruch auf äquivalente
Gegenleistungen, einen gleichwertigen Anteil der gesellschaftlichen
Produktion, vermitteln. Es geht also beim Wert um die marktvermittelte
Verteilung von Ansprüchen auf Produkte und Leistungen
gesellschaftlicher Arbeit unter der Prämisse, dass prinzipiell die
"Gleichheit und gleiche Gültigkeit aller Arbeiten" (MEW 23, 74)
unabhängig von der Person der Arbeitenden anerkannt wird, was
bürgerliche Verhältnisse von auf persönlicher Abhängigkeit beruhenden
vorbürgerlichen Klassenformationen unterscheidet. Die Quantität des
Werts ist dabei grundlegend durch den jeweils aktuell im
gesellschaftlichen Durchschnitt (also nicht den individuell)
notwendigen Arbeitsaufwand bestimmt. (Die kapitalistischen
Modifikationen der Verteilung des gesellschaftlichen Wertprodukts auf
die einzelnen Waren, v.a. die Produktionspreisbildung, tun hier nichts
zur Sache.) Wertschöpfung ist letztlich nichts anderes als die
Erarbeitung von Einkommen als Ansprüche auf quantitativ bestimmte
Anteile am gesellschaftlich in Form von Waren (oder Dienstleistungen)
produzierten Reichtum, im Unterschied zur Aneignung anderweitig
erarbeiteter Werte durch Ausbeutung, also Aneignung fremder
Mehrarbeit, oder durch Übertragung oder Umverteilung bereits
produzierter Werte bzw. Einkommen (in privatem Rahmen oder durch den
Staat).

In der einfachsten, von den konkreten Produkten und Tätigkeiten
ausgehenden, Fassung werden Dienstleistungen deswegen als nicht
wertschöpfend angesehen, weil Wert nur materiellen Dingen zugemessen
wird, oft verbunden mit der Begründung, dass Dienstleistungen immer
eine entsprechende materielle Produktion als ihre Basis voraussetzen,
keine Gesellschaft nur von Dienstleistungen leben kann. Letzteres ist
prinzipiell richtig, allerdings kann ebenso keine Gesellschaft nur
aufgrund der Produktion im sekundären Sektor leben, sondern diese
setzt entsprechende Primärproduktion (Agrarproduktion und Fischerei,
je nach Definition werden auch Bergbau und Energieerzeugung zum
primären Sektor gezählt) voraus. Und ebenso wie die Entwicklung der
industriellen Produktion die Grundlage für gewaltige Steigerungen der
Produktivität der Primärproduktion war, so ist die Entwicklung
qualifizierter Dienstleistungen und insb. Informationsverarbeitung und
Kommunikation eine Grundlage für Produktivitätssteigerungen in der
materiellen Produktion. So wie Marx (und andere) die mit der
industriellen Revolution überholte bornierte physiokratische Sicht,
dass nur Agrarproduktion produktiv sei, überwanden, ist heutzutage die
Sicht, dass nur materielle Produktion produktiv sei, als borniert und
überholt zu betrachten, als Ausdruck spezifischer Ideologie der in der
materiellen Produktion tätigen. Die Produktion von Dienstleistungen
ist vielmehr unter den gleichen Kriterien als produktiv oder
unproduktiv zu betrachten wie die von materiellen Waren.

Ganz allgemein bezeichnet `produktiv' die Fähigkeit der Arbeit,
nützliche Produkte, also Gebrauchswerte, zu erzeugen. Als unproduktiv
gilt dann Arbeit, bei der nichts Brauchbares (was allerdings immer
eine Frage der Perspektive ist) herauskommt. Ökonomisch oder
wertproduktiv ist eine Arbeit, deren Produkt gegen andere austauschbar
bzw. verkäuflich ist, unproduktiv wäre dann z.B. wissenschaftliche
Arbeit, die sich nicht unmittelbar in verkäuflichen Produkten
niederschlägt. In der Marx'schen Werttheorie wird die Problematik
unter dem Gesichtspunkt ihrer spezifisch kapitalistischen
Charakteristik betrachtet. Marx kommt es ausschließlich auf die
gesellschaftliche Form und nicht auf den stofflichen Inhalt der Arbeit
an oder darauf, ob die Arbeit zur Produktion von Gütern oder von
Diensten verausgabt wird. Zunächst erweitert er deshalb den Begriff
der produktiven Arbeit für einen auf Kooperation beruhenden
Arbeitsprozess auf alle Tätigkeiten, die notwendige Bestandteile der
Gesamtarbeit sind (vgl. MEW 23, 531), betrachtet sogar
Leitungstätigkeit als "produktive Arbeit, die verrichtet werden muss
in jeder kombinierten Produktionsweise" (MEW 25, 397). Andererseits
verengt er den Begriff der produktiven Arbeit, indem er ihn für die
kapitalistische Produktion spezifiziert. Produktiv ist Arbeit hier nur
dann, wenn sie nicht nur Warenwert erzeugt, sondern wenn sie Mehrwert
für das Kapital produziert. Wenn dies gegeben ist, gelten auch
Dienstleistungen als produktiv (vgl. MEW 23, 532; als Beispiel nimmt
Marx hier einen angestellten Lehrer an einer kommerziell betriebenen
Privatschule, aber das gleiche gilt auch z.B. für Lohnarbeitende in
der Gastronomie oder anderen Dienstleistungsbereichen). Diese werden
aber nicht weiter behandelt, weil sie damals im Verhältnis zur
gesamten kapitalistischen Produktion nur einen marginalen Umfang
hatten.

Nicht produktiv sind in dieser Perspektive - nämlich der des Kapitals
als der beherrschenden ökonomischen Macht der bürgerlichen
Gesellschaft - solche Arbeiten, die nicht als Lohnarbeit zwecks
Kapitalverwertung verrichtet werden, sondern im Rahmen des privaten
Haushalts oder nichtkapitalistischer Produktion, also auch
Dienstleistungen, die aus Haushaltseinkommen (Revenue) gekauft werden
und der unproduktiven Konsumtion dienen (auch wenn es
Kapitalistenhaushalte sind), etwa die Arbeit von HaushälterIn,
FriseurIn oder privater NachhilfelehrerIn. Wenn diese aber
LohnarbeiterInnen bei kapitalistischen Unternehmen (z.B.
Friseurbetrieb oder Privatschule) sind, gälte ihre Arbeit wieder als
produktiv (nämlich aus der Perspektive ihrer kapitalistischen
Arbeitgeber), denn es wäre nicht unmittelbar das Haushaltseinkommen
der Kunden, aus dem sie bezahlt werden, sondern sie erhalten Lohn.
Alle öffentlichen Dienste gelten aber als unproduktiv, weil die dort
beschäftigten LohnarbeiterInnen keinen Mehrwert produzieren.

Auf das besondere Thema der Zirkulationsdienstleistungen, Handel,
Vermietung und Finanzdienstleistungen, brauchen wir hier nicht
einzugehen. Wohl aber sind jetzt die sog. Informationsprodukte und
ihre Besonderheiten genauer zu betrachten.

3. Politische Ökonomie der Informationsprodukte im Kapitalismus
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Informationsprodukte - begriffliche Klärungen
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Als Informationsprodukte betrachte ich hier Produkte, die 1.
wesentlich Resultate oder Vergegenständlichungen geistiger Arbeit sind
und die 2. wesentlich dazu dienen, dass die NutzerInnen dieser
Produkte sich diese Resultate geistiger Arbeit aneignen können. Es
handelt sich also z.B. um Software, Texte, Musik, (auf menschlicher
Kreativität beruhende) Fotos und Filme, Kunst, Bau- und
Produktionspläne, Designerprodukte usw. (Die Diskussion darüber, wie
der Begriff der `Information' zu bestimmen wäre, ist hier nicht zu
führen.) Bei Informationsprodukten ist wichtig, dreierlei zu
unterscheiden:

1.   das ideelle Produkt selbst (häufig in eins gesetzt mit dem
     Original, also dem ursprünglichen materiellen Träger der
     entsprechenden Information, aber dennoch nicht damit zu
     verwechseln),

2.   die einzelne Kopie bzw. das einzelne materielle Exemplar eines
     Informationsprodukts, z.B. einzelne Schallplatte, Fotoabzug,
     CD-ROM, Buch, Designermöbelstück usw.

3.   das Nutzungsrecht an dem ideellen Produkt, das nicht identisch
     und nicht zu verwechseln ist mit dem Nutzungsrecht an dem
     materiellen Einzelexemplar.

Bei normalen Waren oder Dienstleistungen liegen die auch ihnen immer
zugrundeliegenden Informationen über ihre Gestaltung und
Produktionsmethoden häufig gar nicht als ideelle Produkte vor oder nur
im Kopf der ProduzentInnen oder als gesellschaftlich frei verfügbares
Wissen. Liegen sie bereits als Privateigentum vor, geschieht dessen
Verwertung im Rahmen des Verkaufs der mit dessen Hilfe produzierten
Waren oder Dienstleistungen und wird normalerweise nicht gesondert
behandelt, weil der Wert des Endprodukts überwiegend vom materiellen
Produktionsprozess bestimmt wird oder weil die Produkte nicht einfach
kopierbar sind. Da die Nutzung dieser Produkte sich dann auf das
einzelne Exemplar bezieht und eine darüber hinaus gehende Nutzung der
zugrundeliegenden ideellen Produkte nicht möglich ist, sind besondere
Einschränkung der Nutzungsrechte überflüssig. Verboten ist aber auch
dann schon die gewerbliche Kopie solcher Produkte, soweit die
zugrundeliegenden Informationsprodukte entsprechend geschützt sind
durch Patente, Warenzeichen usw.

Anders ist das bei Informationsprodukten. Die Vervielfältigung und
Verbreitung dieser Produkte verursacht heutzutage normalerweise nur
relativ geringe bis nahezu gar keine Kosten, jedenfalls wenn sie auf
elektronischem Wege erfolgt und nur die beim Kopierenden jeweils
anfallenden Grenzkosten betrachtet werden. Aber auch traditionell,
also als die Vervielfältigungskosten noch eine größere Rolle spielten,
war hier schon das geistige Eigentum oder Urheberrecht zu
unterscheiden von dem Nutzungsrecht und dem Eigentum an einem
Einzelexemplar und dieses war bzgl. der Vervielfältigung jedenfalls zu
gewerblichen Zwecken eingeschränkt. Das Problem ist also nicht
grundsätzlich neu durch die elektronischen Informations- und
Kommunikationsmedien entstanden, hat aber durch sie eine ganz neue
Dimension und Bedeutung erhalten.

Durch die qualitativ höhere Bedeutung von Informationsprodukten
entsteht aber keine ganz andere, etwa nicht mehr kapitalistische,
Ökonomie, und die Kategorien der (marxistischen) Kritik der Politische
Ökonomie sind auch für die Analyse dieser Prozesse geeignet, aber auch
weiter zu entwickeln. Zunächst ist wichtig, die Unterscheidung
zwischen Gebrauchswert und (ökonomischem) Wert auch hier nie aus den
Augen zu verlieren (wie es etwa Klotz in seinen Beiträgen tut). Der
Gebrauchswert von Produkten ist grundsätzliche Bedingung für deren
Wert, aber bestimmt ihn nicht quantitativ. Dass der Gebrauchswert
bestimmter Informationsprodukte oder von informationstechnischen
Infrastrukturen etwa durch das Ausmaß ihrer Verbreitung wesentlich
bestimmt und gesteigert wird, verändert nicht ihren Wert, der durch
den zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand
bestimmt ist.

Zweitens ist wichtig, zu klären und jeweils gesondert zu behandeln,
was eigentlich der ökonomische Gegenstand ist, um den es geht, und
konkret, dessen Eigentum beim Kauf erworben wird: das - möglicherweise
in verschiedener Hinsicht beschränkte - Nutzungsrecht (wie beim
Softwarekauf die Regel), das bestimmte Einzelexemplar (mit dem
weitgehend unbeschränkten Recht, es zu nutzen und andere davon - aber
nur von diesem Einzelexemplar! - auszuschließen) oder das ideelle
Produkt bzw. das `Intellektuelle Eigentumsrecht' (etwa das Copyright,
ein Patent oder einen Quellcode). Als Käufer für Letzteres treten
i.d.R. nur Unternehmen auf.

Drittens sollte man sich nicht durch die einseitige Konzentration auf
bestimmte Erscheinungen oder Besonderheiten der Ökonomie der
Informationsprodukte oder des Internets verwirren lassen und den
kapitalistischen Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Das
gilt z.B. für das Gerede von der `Aufmerksamkeitsökonomie', das nicht
davon ablenken sollte, dass es auch bei den ökonomischen (also nicht
den zur Selbstverwirklichung, aus altruistischen oder politischen oder
sonstigen Motiven betriebenen oder öffentlich finanzierten)
Aktivitäten im Internet letztlich nicht um Aufmerksamkeit oder
Reputation geht, sondern um Geld, das unmittelbar (etwa über
Werbeeinnahmen) oder mittelbar (über die Rückwirkung der
Internetpräsentation auf das sonstige Geschäft des Unternehmens) damit
verdient werden soll.

Wertschöpfung und Mehrwertaneignung bei Informationsprodukten, Informationsrenten
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Inwieweit findet nun bei Informationsprodukten Wertschöpfung statt?
Dazu gab es im November/Dezember 2000 in der Oekonux-Liste eine
kontroverse Debatte, an der ich beteiligt war. Grundsätzlich vertrete
ich die Auffassung, dass wie in anderen Bereichen auch die für die
kapitalistische Produktion dieser Produkte gesellschaftlich notwendige
Arbeit als produktiv zu betrachten ist. Insbesondere betrachte ich
auch die im eigentlichen Sinne geistige und kreative Arbeit etwa in
der Entwicklung neuer Softwarecodes, Texte, Produktdesigns und
Produktionsmethoden als produktiv. Für das Kapital bedeuten die hier
beschäftigten Arbeitskräften jedenfalls einerseits Kosten,
andererseits können ihre Produkte entweder unmittelbar (also das
ideelle Produkt, indem z.B. neu entwickelte Software oder Patente an
andere Unternehmen verkauft werden) oder dadurch verwertet werden, das
sie für die Herstellung von Informationsprodukten im engeren Sinne
materieller Trägerobjekte verwendet oder indem Nutzungslizenzen daran
verkauft werden.

Aber es treten Besonderheiten gegenüber normalen Waren oder
Dienstleistungen: Wie schlägt sich die verschiedene aufgewendete
Arbeit im Wert und im Preis der letztlich verkauften
Informationsprodukte nieder?

1.   In Bezug auf die Arbeit bei der Vervielfältigung, Distribution
     etc. ist die Situation so wie bei anderen Produkten auch. Die
     kreative und Entwicklungsarbeit wäre m.E. ähnlich zu behandeln
     wie die für die Produktion selbst erstellten fixen Kapitals, d.h.
     der durch sie produzierte Wert würde anteilig auf die auf dieser
     Basis dann produzierten und verkauften Endprodukte verteilt.
     Allerdings ist die Zahl dieser Endprodukte nicht im Voraus zu
     fixieren, sondern nur grob aufgrund von Erfahrungen mit ähnlichen
     Produkten oder aufgrund Marktanalysen abzuschätzen und darauf
     baut dann die Kalkulation auf. Diese wird in vielen Fällen etwa
     aufgehen, in anderen übertroffen und in wieder anderen nicht
     realisiert werden können. Bei `normalen' Informationsprodukten,
     die prinzipiell gegen andere ähnliche austauschbar sind und mit
     ihnen im Wettbewerb stehen, wird sich so im Durchschnitt der
     meisten Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt in etwa eine
     Realisierung des durch die Entwicklungsarbeit geschaffenen Werts
     ergeben. Dies ist ein altbekanntes Phänomen etwa im
     Verlagsgeschäft für nichtdigitalisierte Informationsprodukte wie
     Bücher oder auch in Bezug auf normale Produkte wie z.B. neue
     Fahrzeugmodelle oder Chemikalien, in denen hoher
     Entwicklungsaufwand steckt. Wenn es sich um elektronisch
     kopierbare Informationsprodukte handelt, ändert sich daran nichts
     Prinzipielles, es ist nur schwieriger für die Unternehmen, die
     unbezahlte Nutzung ihrer Produkte zu verhindern, also ihr
     `Intellektuelles Eigentumsrecht' durchzusetzen. Auf der anderen
     Seite sparen sie aber auch einen Großteil der früher nötigen
     Aufwendungen für die Produktion und Distribution materieller
     Produkte, in denen ihr ideeller Produkt vergegenständlicht war.

2.   Viele Informationsprodukte sind aber gerade nicht prinzipiell
     gegen andere ähnliche austauschbar, sondern ihr Gebrauchswert ist
     in gewissem Maße einzigartig, nur durch Informationsprodukte
     diesen bestimmten Typs, die auf dem selben ideellen
     Ursprungsprodukt beruhen, zu realisieren, es sind insoweit
     monopolistische Informationsprodukte.

Dies kann, muss aber nicht durch besondere Qualitäten des Produkts
bedingt sein, sondern ist häufig ein externer Effekt der weiten
Verbreitung oder gar Monopolposition des betreffenden Produkts. Dabei
führt die Natur solcher Informationsprodukte tendenziell zu einer
Verfestigung monopolistischer Positionen, weil der Gebrauchswert
steigt, wenn es möglichst viele benutzen und damit diverse
Transaktionskosten sinken. Dies gilt etwa für bestimme
Softwareprodukte, in idealtypischer Weise für viele Microsoft-Produkte
und insb. das Windows-Betriebssystem, das technisch eher schlecht ist,
aber weil es fast jede/r hat, es bei fast jedem neuen Computer dabei
ist und dafür die meisten Anwendungsprogramme existieren und weil die
grundlegenden Anwendungsqualifikationen dafür weit verbreitet sind,
hat es in den meisten Fällen von allen Betriebssystemen immer noch den
größten oder gar einen einzigartigen Gebrauchswert. Auf dieser
Grundlage ist es den Eigentümern des entsprechenden Intellektuellen
Eigentumsrechts möglich, sich über die Realisierung des Werts und des
darin enthaltenen Mehrwerts weit hinausgehende Preise und
Zusatzprofite anzueignen. Auch dieser Effekt ist nicht prinzipiell
neu. Er wirkt sich allerdings bei elektronisch vervielfältigbaren
Produkten in besonders starkem Maße aus, weil hier nach Überschreiten
des "break even points", also der verkauften Auflage, die für die
Deckung der in hohem Maße durch den Entwicklungsaufwand bestimmten
Kosten notwendig war, jede weitere verkaufte Kopie oder Lizenz ein
Vielfaches an Einnahmen gegenüber den geringen zusätzlichen Kosten
bringt. Um diese Stellung zu halten und auszunutzen, werden alle
möglichen technischen und geschäftlichen Tricks eingesetzt.

Diese Effekte werden häufig unter bloßer Bezugnahme auf die
beherrschende Marktposition in Kategorien oligopolistischer Konkurrenz
oder von Monopolpreisbildung dargestellt. M.E. ist es aber sinnvoll,
hier die Spezifik von Informationsprodukten ausdrücklich zu
berücksichtigen. Zwar versuchen auch bei anderen Produkten die
Hersteller von Markenartikeln mit Produktdifferenzierung und Werbung
mehr oder minder erfolgreich, ihre Waren als einzigartig darzustellen,
aber bei Informationsprodukten ist der Unterschied vielfach
tatsächlich wesentlich, etwa zwischen verschiedenen Musikstücken oder
Texten des gleichen Genres oder auch zum gleichen Thema oder zwischen
verschiedener Software für gleiche Zwecke. Es handelt sich also nicht
um Produkte, die von irgendeiner Konkurrenz beliebig reproduziert
werden können. M.E. macht es Sinn, die über die Realisierung des
normalen Profits hinausgehenden Gewinne, die auf der ökonomischen
Ausnutzung dieser besonderen Situation beruhen, als Informationsrenten
(vgl. Verzola 1) zu betrachten, in Analogie zu der von Marx
analysierten Grundrente.

Marx hat die Grundrente analysiert, die sich die Eigentümer knapper,
nicht beliebig produzierbarer Produktionbedingungen wie Ackerboden,
Rohstoffquellen, Infrastruktureinrichtungen usw. aneignen. Die
produzierenden Betriebe sind auf die Nutzung dieser
Produktionsbedingungen angewiesen, können andererseits mittels dieser
Nutzung überdurchschnittliche Profite erzielen. Soweit die
Kapitalisten der Produktionsbetriebe und die Eigentümer dieser
Produktionsbedingungen nicht identisch sind, fließt letzteren die
Differenz zwischen diesem überdurchschnittlichen und dem normalen
Profit als Rente, konkret als Pacht oder irgendeine andere Form von
Nutzungsentgelt zu. Da sie auf einer monopolistischen Position
beruhen, unterliegen diese Renteneinkommen nicht dem Ausgleich der
Profitraten, sondern können dauerhaft und in großer Höhe bestehen.

Nun könnte man meinen, dass Informationsprodukte ganz im Gegensatz
dazu doch gerade keine knappen Produktionsbedingungen, sondern
beliebig und extrem billig zu vervielfältigen sind. Technisch gesehen
ist das richtig, und das ist die Basis für die Verbreitung von
"Raubkopien", "Markenpiraterie" usw. Aber gesellschaftlich ist es
nicht so, sondern die Informationsprodukte sind als kapitalistisches
Eigentum produziert worden. Dieses Eigentumsrecht bezieht sich auf das
ideelle Produkt, die Urheberschaft der Idee bzw. des ursprünglichen
Produkts, das den folgenden Kopien oder Anwendungen zugrunde liegt.
Als solches ist es ein Monopol, und damit eine potenzielle Basis für
Renteneinkommen. Dieses Eigentum soll möglichst hoch verwertet werden,
indem möglichst nicht nur normaler Profit erzielt wird, sondern
darüber hinausgehende Informationsrenten. Die Aneignung solcher
Informationsrenten ist eine zentrale ökonomische Triebkraft der
kapitalistische Informationsökonomie.

Ein Hauptinteresse des Informationskapitalismus besteht daher darin,
die technisch mögliche billige Verbreitung und Nutzung von insb.
digitalisierten Informationsprodukten zu verhindern. Dabei kann es, im
Softwarebereich oder bei Handys z.B., durchaus sinnvoll sein,
bestimmte Produkte sogar kostenlos zu verbreiten, aber nur, um damit
die Basis für die möglichst massenhafte Nutzung darauf aufbauender
Dienste oder Informationsprodukte zu schaffen. Das gilt bis hinunter
zu den "Start-ups" und den einzelnen Unternehmensgründern in diesem
Bereich, denn davon träumen sie doch fast alle: jetzt reinklotzen und
mit einem Produkt ganz vorne sein, und dann Geld scheffeln ohne Ende.
Die Gier nach globalen Informationsrenten ist auch eine zentrale
Triebkraft des modernen Imperialismus und eine Hauptmotivation der
massiven Bemühungen der entwickelten Staaten und insbesondere der USA,
im Rahmen der WTO weltweit ihr Konzept der "Intellectual Property
Rights" (IPR) durchzusetzen (vgl. Verzola 1).

4. Aspekte der Produktionsverhältnisse des Informationskapitalismus
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Informationsrenten als Umverteilung von Mehrwert
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Erträge aus der Aneignung Informationsrenten sind also kein Resultat
von Wertschöpfung, die in dem jeweiligen Betrieb stattgefunden hat
(auch nicht in dem kapitalistisch modifizierten Sinne der Produktion
von `Produktionspreis'), sondern Aneignung von Teilen des anderweitig
gesellschaftlich (oder auch international) produzierten Mehrwerts.
Besonders hohe Profite von hier aktiven Unternehmen, die z.T. darauf
beruhen (z.B. Microsoft, SAP, Cisco) sind also nicht Resultat
besonders hoher Wertschöpfung, sondern besonders hoher Ausbeutung
nicht der eigenen Beschäftigten, sondern anderer Bereiche der
Wirtschaft inkl. der anderer Länder. Sie können also auch nicht
unendlich weiter wachsen, sondern sind immer begrenzt durch die
insgesamt zu verteilende Mehrwertmasse. Aber man darf dieses Problem
auch nicht überschätzen, da bisher und auf absehbare Zukunft der
Anteil dieser Unternehmen und ihrer Gewinne an der Gesamtwirtschaft
und am Gesamtmehrwert sich durchaus in Grenzen hält. Außerdem kann man
nicht sagen, dass das nur oder primär zu Lasten des Kapitals in
anderen Branchen geht, sondern es ist verbunden mit und eine
Triebkraft von durchaus erfolgreichen Bemühungen, die Mehrwertrate zu
steigern und diese Lasten also auf die abhängig Arbeitenden
abzuwälzen.

`Human Capital'
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In gewissem Maße profitieren aber auch abhängig Arbeitende, insb. hoch
qualifizierte IT-Spezialisten, von der Aneignung von
Informationsrenten, wenn ihre Einkommen ggf. weit über üblichen Löhnen
auch qualifizierter Beschäftigter liegen. Diese Einkommen sind
offenbar nicht, wie es Löhne in marxistischer Sicht allgemein sind,
durch den Wert der Arbeitskraft bestimmt, also ihren
Reproduktionskosten auf dem historisch erreichten und gesellschaftlich
im Rahmen der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit
durchgesetzten Niveau (inkl. aller Abgaben, Altersvorsorge und den
normalen Annehmlichkeiten des Lebens), sondern sie liegen deutlich
darüber, auch unter Berücksichtigung des Qualifizierungsaufwands. Sie
können nicht als Ausdruck der besonders hohen Qualifikation und
Produktivität dieser Arbeitskräfte begriffen werden, sondern nur so,
dass es ihnen aufgrund der Knappheit an solchen Arbeitskräften und
ihrer besonderen Bedeutung für den Betrieb gelingt durchzusetzen, dass
Teile der besonders hohen Profite, die ihre Betriebe erzielen oder
auch nur für die Zukunft erwarten, an sie weitergegeben werden. (Z.T.
haben sie aber auch nur erwartet, solche Einkommen erzielen zu können,
und wurden dann enttäuscht, nämlich wenn sie mit Aktienoptionen
bezahlt wurden, die dann im Zuge des Crashs der High-Tech-Aktien
wertlos wurden.) Das ist allerdings auch nichts Neues oder
Spezifisches für den Bereich der Informationsökonomie.

Nun ist aber insb. mit Bezug auf solche hoch qualifizierten
Arbeitskräfte oft vom `Human Capital' die Rede, und dieses wird als
der eigentliche Reichtum in der `New Economy' betrachtet und soll die
Grundlage dafür sein, dass hier besonders hohe Wertschöpfung
stattfindet. Ich habe vorhin dargelegt, wieso man das m.E. so nicht
sehen kann. Diese besonderen Qualifikationen sind lediglich die
Grundlage ob diese Person oder der Betrieb in der Lage ist, unter den
gegebenen Bedingungen besonders hohe Einkommen oder Erträge zu
erzielen. Aber es geht hier um Mechanismen, die zu einer extrem
ungleichen Aneignung gesellschaftlich produzierter Werte führen, nicht
um die Produktion besonders hoher Werte. Richtig ist allerdings
selbstverständlich, dass ein qualifiziertes Arbeitskräftepotential
eine wichtige Bedingung für hochproduktive Produktion ist. Aber dabei
geht immer um gesellschaftliche Produktion und Produktivität und es
ist nur eine Bedingung, und sie ist nicht individualisierbar.

Und sie nicht quantifizierbar, oder höchstens in der Weise, dass man
versucht, den gesellschaftlichen Aufwand für die Qualifizierung der
Arbeitskräfte zu erfassen, was problematisch genug ist. Aber wenn vom
"Wert" des `Human Capital' die Rede ist, insb. auch aus der
Perspektive seines unmittelbaren `Besitzers', nämlich des
Erwerbstätigen selbst, ist etwas anderes gemeint. Dieser "Wert" des
Human Capital ist eine rein fiktive Größe, es handelt sich auch nicht
vermittelt um einen Wert im werttheoretischen Sinne, der irgendwie
durch seine Reproduktionskosten, letztlich die dazu gesellschaftlich
notwendige Arbeit, bestimmt wäre, sondern um einen fiktiven Preis, der
quantitativ bestimmt ist durch die Kapitalisierung der erzielten oder
künftig erwarteten Einkommen. Es handelt sich sozusagen um den
"Shareholder Value" der Arbeitskraft, wobei unter bürgerlichen
Verhältnissen die Person selbst ihr eigener und einziger Shareholder
ist und dieser fiktive Kapitalwert also prinzipiell nicht in Geld
realisierbar ist (außer in besonderen Fällen partiell als
`Ablöseprämie'). Der so ermittelte fiktive Wert hängt ab von
erwarteten realisierbaren Erträgen bzw. Einkommen einerseits, dem
allgemeinen Zinsniveau andererseits, kann also je nach ökonomischer
Lage und ihrer Einschätzung heftig schwanken.

In der kapitalistischen Ideologie soll nun allerdings dieses besonders
große Human Capital, über das diese Menschen verfügen, die Ursache
dafür sein, dass sie so hohe Wertschöpfung und Einkommen erzielen.
Dies ist allerdings Unfug und auch ein klassischer Zirkelschluss, denn
wie wir eben sahen, ist genau andersherum dieses Human Capital gerade
durch die Höhe dieser Einkommen bestimmt, die es hier erklären soll,
und davon unabhängig überhaupt nicht zu bestimmen. Dass und in welchem
Maße und welches "Können und Verhalten" hohe Einkommen ermöglicht, ist
ökonomisch bzw. gesellschaftlich bestimmt und nicht durch die
Fähigkeiten der betreffenden Person. Als Legitimationsideologie wird
diese angebliche Erklärung allerdings gerne aufgegriffen.

Marx hat im Kapital III diese Phänomen schon genau beschrieben, und
ich zitiere jetzt dazu Abschnitte aus MEW 25, S. 483 - 486, die auch
schon gleich überleiten zum nächsten Punkt:

Fiktives Kapital
----------------

Der Arbeitslohn wird hier als Zins aufgefaßt und daher die
Arbeitskraft als das Kapital, das diesen Zins abwirft. Ist z.B. der
Arbeitslohn eines Jahrs = 50 Pfd.St. und steht der Zinsfuß auf 5%, so
gilt die jährliche Arbeitskraft als gleich einem Kapital von 1.000
Pfd.St. Die Verrücktheit der kapitalistischen Vorstellungsweise
erreicht hier ihre Spitze, indem statt die Verwertung des Kapitals aus
der Exploitation der Arbeitskraft zu erklären, umgekehrt die
Produktivität der Arbeitskraft daraus erklärt wird, daß Arbeitskraft
selbst dies mystische Ding, zinstragendes Kapital ist. (...)

Die Bildung des fiktiven Kapitals nennt man kapitalisieren. Man
kapitalisiert jede regelmäßig sich wiederholende Einnahme, indem man
sie nach dem Durchschnittszinsfuß berechnet, als Ertrag, den ein
Kapital, zu diesem Zinsfuß ausgeliehen, abwerfen würde; z.B. wenn die
jährliche Einnahme = 100 Pfd.St. und der Zinsfuß = 5%, so wären die
100 Pfd.St. der jährliche Zins von 2.000 Pfd.St., und diese 2.000
Pfd.St. gelten nun als der Kapitalwert des juristischen
Eigentumstitels auf die 100 Pfd.St. jährlich. Für den, der diesen
Eigentumstitel kauft, stellen die 100 Pfd.St. jährliche Einnahme dann
in der Tat die Verzinsung seines angelegten Kapitals zu 5% vor. Aller
Zusammenhang mit dem wirklichen Verwertungsprozeß des Kapitals geht so
bis auf die letzte Spur verloren, und die Vorstellung vom Kapital als
einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten befestigt sich.
(...)

Aber dies Kapital existiert nicht doppelt, einmal als Kapitalwert der
Eigentumstitel, der Aktien, und das andre Mal als das in jenen
Unternehmungen wirklich angelegte oder anzulegende Kapital. Es
existiert nur in jener letztern Form, und die Aktie ist nichts als ein
Eigentumstitel, pro rata, auf den durch jenes zu realisierenden
Mehrwert. (...)

Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel, nicht nur
der Staatseffekten, sondern auch der Aktien, bestätigt den Schein, als
bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital oder dem Anspruch,
worauf sie möglicherweise Titel sind. Sie werden nämlich zu Waren,
deren Preis eine eigentümliche Bewegung und Festsetzung hat. Ihr
Marktwert erhält eine von ihrem Nominalwert verschiedne Bestimmung,
ohne daß sich der Wert (wenn auch die Verwertung) des wirklichen
Kapitals änderte. Einerseits schwankt ihr Marktwert mit der Höhe und
Sicherheit der Erträge, worauf sie Rechtstitel geben. (...) Der
Marktwert dieser Papiere ist zum Teil spekulativ, da er nicht nur
durch die wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete, vorweg
berechnete bestimmt ist. (...)

Soweit die Entwertung oder Wertsteigerung dieser Papiere unabhängig
ist von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, das sie
repräsentieren, ist der Reichtum einer Nation gerade so groß vor wie
nach der Entwertung oder Wertsteigerung. (...)

Soweit ihre Entwertung nicht wirklichen Stillstand der Produktion und
des Verkehrs auf Eisenbahnen und Kanälen oder Aufgeben von angefangnen
Unternehmungen ausdrückte oder Wegwerfen von Kapital in positiv
wertlosen Unternehmungen, wurde die Nation um keinen Heller ärmer
durch das Zerplatzen dieser Seifenblasen von nominellem Geldkapital.

Alle diese Papiere stellen in der Tat nichts vor als akkumulierte
Ansprüche, Rechtstitel, auf künftige Produktion, deren Geld- oder
Kapitalwert entweder gar kein Kapital repräsentiert, wie bei den
Staatsschulden, oder von dem Wert des wirklichen Kapitals, das sie
vorstellen, unabhängig reguliert wird.

In allen Ländern kapitalistischer Produktion existiert eine ungeheure
Masse des sog. zinstragenden Kapitals oder moneyed capital in dieser
Form. Und unter Akkumulation des Geldkapitals ist zum großen Teil
nichts zu verstehn als Akkumulation dieser Ansprüche auf die
Produktion, Akkumulation des Marktpreises, des illusorischen
Kapitalwerts dieser Ansprüche.

Fiktives Kapital ist also der durch Kapitalisierung ermittelte fiktive
`Wert' von Wertpapieren aller Art, insbesondere auch Aktien, die nur
Eigentumstitel an Anteilen und Profiten eines Kapitals sind, das real
z.B. in Form von Gebäuden, Maschinerie oder auch Geld ganz woanders
angewendet wird. Der Markt- bzw. Kurswert dieses fiktiven Kapitals
kann ein Vielfaches des realen Kapitalwerts betragen, erst recht, wenn
die Kurse auch noch spekulativ überhöht sind, wie im gegenwärtigen
Casino-Kapitalismus. Analog bestimmt sich übrigens der Bodenpreis im
Kapitalismus, nämlich aus der Kapitalisierung der Grundrente (vgl.
etwa MEW 25: 636f.), der nach Marx dritten grundlegenden
Einkommensform im Kapitalismus neben Profit und Arbeitslohn (MEW 25:
822).

Wenn irgendwo von gewaltigen Summen der Börsenkapitalisierung von
Unternehmen die Rede ist, die sich ergeben aus der Multiplikation des
Aktienkurses mit der Gesamtzahl der ausgegebenen Aktien, dann ist das
genauso solch ein fiktiver Kapitalwert und also in keiner Weise
Ausdruck materiell vorhandener Werte bzw. gesellschaftlichen
Reichtums. Auch in seriöser volkswirtschaftlicher Statistik wird das
Anlagevermögen einer Volkwirtschaft ja nicht in Höhe seines
Shareholder Value oder fiktiven Kapitalwerts ausgewiesen, sondern
ausgehend von den Anschaffungs- oder Wiederbeschaffungspreisen.
Dennoch ist dieser fiktive Kapitalwert ökonomisch wirksam und kann
z.B. dazu dienen, den Kauf von anderen Aktiengesellschaften mit
eigenen Aktien zu bezahlen (z.B. AOL - Time-Warner, Vodafone -
Mannesmann). Und insoweit die Verwendung real erwirtschafteter
Einkommen dadurch beeinflusst wird, etwa wenn bei Neuemissionen
frisches Geld da rein fließt oder wenn Spekulationsgewinne oder
-verluste realisiert werden (müssen), wenn Unternehmen Pleite gehen,
weil ihre in fiktivem Kapital bestehenden Aktiva in einem Crash
plötzlich entwertet werden (z.B. die japanischen Banken beim Platzen
der japanischen Immobilienspekulationsblase) oder wenn die Sparquote
sich im Zuge von Börsenbooms oder Crashs ändert, kann das große
realwirtschaftliche Auswirkungen haben.

Aber das ist auch prinzipiell nichts Neues und daran wird der
Kapitalismus nicht zugrunde gehen. Auch das eine Zeitlang zu
beobachtende Phänomen der hohen Gewinne, die bei der Neuemission von
High-Tech-Aktien in die Kassen der Unternehmen gespült wurden, ist
ähnlich in früheren Phasen beobachtet worden. Es gibt eine Bezeichnung
dafür, nämlich der `Gründergewinn', der eingestrichen wird und der
sich aus der Differenz zwischen dem aus der Kapitalisierung der
erwarteten Erträge berechneten fiktiven Kapitalwert und dem Realwert
des Unternehmen ergibt. Auch dass das von wilder Spekulation und
betrügerischer Bereicherung von Unternehmensgründern begleitet war,
ist nichts prinzipiell Neues. Neu ist allerdings das höhere Ausmaß der
Verbreitung von Aktienvermögen in der Bevölkerung, und höhere
Quantität führt irgendwann auch zu neuer Qualität. Es gibt auch noch
viele weitere neue Erscheinungen und Funktionsweisen des
`Shareholder-Kapitalismus', aber das wäre ein neues Thema.

Anlaufverluste und Entwicklungskosten als Investitionen
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Bekanntlich waren die Aktienkurse in der Boomphase des `Neuen Marktes'
völlig überhöht und beruhten auf Gewinnerwartungen für die Zukunft,
die in den allermeisten Fällen völlig unrealistisch waren, und auf dem
selbstverstärkenden Herdeneffekt der Spekulation. Aber ebenfalls ganz
unrealistisch und falsch wäre die Auffassung, Gewinnerwartungen in
diesen Bereichen wären nun ganz und gar verfehlt und die New Economy
wäre dauerhaft eine reine Geldvernichtungsmaschine. Zum einen gibt es
bereits heute einige hochprofitable Unternehmen und auch bei anderen
bisher hohe Verluste einfahrenden Unternehmen ist durchaus
realistisch, dass sie in einigen Jahren tatsächlich die Gewinnzone
erreichen und einige von ihnen auch sehr profitabel sein und
erhebliche Informationsrenten aneignen werden. In vielen Fällen fallen
bei neu gegründeten Unternehmen im High-Tech und e-Commerce-Bereich
die wesentlichen Kosten bei der Entwicklung bzw. im Zuge der Erringung
einer entsprechenden Marktposition an, hier ist erheblicher
Kapitalvorschuss notwendig, der heute häufig über die Börse oder
andere Kapitalanlagemodelle von vermögenden Privathaushalten
eingesammelt wird. Wenn das Produkt kein Erfolg wird, kann dieser
Einsatz verloren gehen. Wenn das Produkt aber ein Erfolg wird, winken
hohe Informationsrenten und sehr hohe Profite.

Denn wie ich vorhin schon mal feststellte, sind die Aufwendungen für
die kreative und Entwicklungsarbeit bei der Erstellung von
Informationsproduktion, aber auch die Entwicklungs- und anderen
Vorlaufkosten auch bei anderen Produkten ökonomisch ähnlich zu
betrachten wie die Erstellung oder der Kauf von Fixkapital. Soweit die
Resultate solcher Arbeit in Form von Informationsprodukten wie
Softwarelizenzen gekauft werden, werden sie im neuen Europäischen
System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auch als
immaterielles Anlagevermögen ausgewiesen, ich meine zurecht. Werden
sie aber selbst erstellt, stellen sich diese Aufwendungen nicht als
Investitionen dar, sondern als Betriebsausgaben, hauptsächlich
normalerweise als Personalausgaben. Während aber die `normalen'
Investitionen in der Gewinn- und Verlustrechnung nur im Maße der
Abschreibungen als kalkulatorische Kosten auftauchten und ansonsten
den Gewinn nicht schmälern, führen diese Personal- und anderen
Betriebsausgaben bilanziell zu Verlusten, auch wenn sie ökonomisch
betrachtet investiven Charakter haben.

Dieser Effekt gilt auch bei bereits profitablen Unternehmen im Bereich
der Informationsökonomie oder auch anderen Bereichen, bei denen hohe
Forschungs- und Entwicklungskosten anfallen (z.B. Pharmazie,
Biotechnologie, aber auch Fahrzeugbau). Wenn diese in der Lage sind,
diese hohen Kosten aus ihren laufenden Erlösen zu decken und dennoch
hohe Profite zu erzielen, bedeutet das, dass ihre Profite, die sie aus
dem Verkauf ihrer bereits eingeführten Produkte erzielen, real ggf.
noch deutlich höher zu bewerten sind. Denn es werden gleichzeitig
faktisch Investitionen in künftige Produkte vorgenommen und finanziert
in Form der F&E-Abteilungen dieser Unternehmen. Anders als andere
Investitionen haben diese aber nie die Form von Profit angenommen bzw.
sind als solcher ausgewiesen worden, sondern haben als
Betriebsausgaben den ausgewiesenen Gewinn geschmälert. Zugleich
produzieren sie so die Voraussetzungen für ihre zukünftigen Gewinne
mit den neuen Produkten, die sie jetzt entwickeln.

Klassenverhältnisse im Informationskapitalismus: Cyberlords und Intellectuals/WissensarbeiterInnen
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Betrachtet man nun die sich im Sektor der Informationsökonomie
darstellende Klassenstruktur, kann man die Eigentümer intellektueller
Eigentumsrechte (Software- und Medienunternehmen, aber auch
Patentinhaber im Bereich der Pharmazie, Biotechnologie etc.), die
Eigentümer der zur Produktion oder Verbreitung der
Informationsprodukte nötigen Infrastruktur (z.B. des Internet), und
die privilegierten KünstlerInnen, besonders herausragenden Text- oder
SoftwareautorInnen, Staranwälte etc., die sich Informationsrenten
aneignen und so übermäßige Profite oder Einkommen erzielen können, als
die Rentiersklasse der Informationsökonomie bezeichnen. Der
philippinische Autor Roberto Verzola hat dafür aus den Wörtern
"Cyberspace" und "Landlord" die Bezeichnung "Cyberlord" konstruiert
(Verzola 2). Diese "Cyberlords" sind ein immer wichtiger werdender
Teil der herrschenden Klasse in den entwickelten Ländern, in den USA
vielleicht schon der dominante Teil.

Die überwältigende Mehrheit der geistige Arbeit Leistenden oder
`WissensarbeiterInnen' gehört nicht zu diesen "Cyberlords", sondern zu
den von Verzola so bezeichneten "Intellectuals", die überwiegend von
Einkommen aus ihrer Arbeit leben und überwiegend zur Klasse der
abhängig Arbeitenden zu rechnen sind. Allerdings gibt es hier
fließende Übergänge zu Gruppen, die "es geschafft haben" und deren
Einkommen überwiegend nicht mehr als Arbeitseinkommen im engeren
Sinne, sondern als Anteile am angeeigneten Mehrwert zu betrachten
sind. Solche Übergangsgruppen zur Bourgeoisie sind kein Spezifikum von
"Human Capital"-intensiven Branchen, machen hier nur einen höheren
Anteil aus. Insbesondere ist aber in diesem Bereich die ideologische
Orientierung verbreiteter, durch besonderen Einsatz in jungen Jahren
vielleicht relativ schnell zu Reichtum zu gelangen und für den Rest
des Lebens dann ausgesorgt zu haben - in der Ideologie als Resultat
der eigenen besonderen Leistungen, real durch Aneignung fremder
Arbeit.

Krisenhaftigkeit des Informationskapitalismus
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Der in wachsendem Maße Informationsprodukte verwertende und anwendende
Kapitalismus weist eine Reihe von Besonderheiten gegenüber dem
bisherigen auf, die hier nicht alle angesprochen wurden. Es gibt aber
keinen Grund, ihn nicht mehr als Kapitalismus zu betrachten und die
grundlegenden Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Produktion und
Reproduktion und der Akkumulation des Kapitals als nicht mehr wirksam
zu betrachten. Dazu gehört auch die immanente Krisenhaftigkeit, die
sich in zyklischen und in überzyklisch wirksamen Krisenprozessen
darstellt. Es bedeutet aber auch, realistischerweise davon auszugehen,
dass diese Krisenhaftigkeit zur Funktionsweise des Kapitalismus gehört
und keineswegs von sich aus zu seinem Untergang führen wird, und schon
gar nicht zu einer vorwärtsweisenden Überwindung in Richtung einer
sozialistischen Gesellschaft. Dies ist und bleibt eine Aufgabe
gesellschaftlicher und politischer Bewegung.

5. Linke Politik und Perspektiven
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Soziale Gestaltung über Gewerkschaften und Staat
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Zunächst geht es auch im Informationskapitalismus um sozialen Schutz,
auch derjenigen überwiegenden Mehrzahl der intellektuell Arbeitenden,
die keineswegs Millionäre oder auf dem Weg dahin sind. Sie leiden
zunehmend unter wachsendem Stress und sozialer Unsicherheit, gerade
auch wenn sie selbständig tätig sind. Die IG Medien hat große und
international beispielhafte Erfolge bei der für Gewerkschaften
traditionell kaum vorstellbaren Organisierung von solchen "Freien".
Dabei geht es selbstverständlich auch um angemessene Entgelte. Der
Maßstab gewerkschaftlicher Aktivität kann dabei aber auch weiterhin
nur in einem ausgewogenen Verhältnis von Leistungsprinzip und
Solidarität bestehen, nicht darin, privilegierte Gruppen bei der
Aneignung möglichst hoher Informationsrenten zu unterstützen.

Der zentrale Ausgangspunkt linker und gewerkschaftlicher
Herangehensweise ist m.E., dass auch in diesem Sektor Menschen tätig
sind, für die die Anwendung der eigenen Arbeitskraft nicht nur
Verwertung ihres "Human Capital" ist, sondern zugleich
Lebenstätigkeit, Verwendung der eigenen Lebenszeit. Und als Menschen
und in Bezug auf ihre Zeit und Tätigkeit haben sie auch und v.a
andere, menschliche Bedürfnisse, sind sie nicht nur sozusagen, um
einen Begriff von Marx aufzugreifen, "Charaktermasken" ihres eigenen
"Human Capital". Sie haben z.B. Bedürfnisse an angenehmer und
kollegialer Arbeit, selbstbestimmter und kürzerer Arbeitszeit und
qualitativ guter Arbeit statt ständiger Hetze von einem Projekt zum
nächsten. Sie haben sogar moralische Bedürfnisse und gesellschaftliche
Wertorientierungen auf Solidarität und Gerechtigkeit und sie haben
Möglichkeiten, diese betrieblich und gesellschaftlich geltend zu
machen.

Solche Prozesse voranzubringen und zu fördern, durch Regulierung und
soziale Gestaltung andere Kriterien einzubringen als möglichst hohe
Produktivität im Wirtschaftskrieg, das ist die Aufgabe von
Gewerkschaften und Linken. Diejenigen in der Informationswirtschaft
Tätigen, die dort diese Bedürfnisse artikulieren, sich kritisch mit
neuen Managementmethoden auseinandersetzen und Kommunikation darüber
unter den Beschäftigten organisieren, das sind die Pioniere in diesem
Bereich (vgl. etwa Pickshaus u.a.).

Mal zugespitzt und ohne die praktischen Schwierigkeiten unter den
momentanen Bedingungen leugnen zu wollen: Ob und inwieweit die
zeitlichen Anforderungen an solche Jobs mit Regelarbeitszeiten
vereinbar sind, hat wenig mit dem grundsätzlichen Charakter von
Informationsarbeit zu tun, sondern mit den heute hier üblichen und
durchaus veränderbaren Konkurrenz- und Arbeitsbedingungen. Rein
technisch gesehen ist Informationsarbeit problemloser als irgend eine
andere Arbeit unterbrechbar. Ob den Einkommen in der
Informationswirtschaft das Leistungsprinzip und soziale Kriterien
zugrunde liegen oder ob die Ungleichheiten immer größer werden, hat
nichts mit den besonderen dort herrschenden
Qualifikationsanforderungen an die Arbeit zu tun, sondern mit den
sozialen Bedingungen ihrer Anwendung und der Verteilung der
gesellschaftlichen Wertschöpfung.

Ob eine Gesellschaft diese wachsenden Ungleichheiten zulässt oder
dagegen anreguliert, ist wiederum gesellschaftlich und nicht technisch
bestimmt. Es ist z.B. eine Frage der Tarifpolitik und des
Arbeitsrechts, des Urheberrechts, des Patentrechts, der Sozialpolitik
und des Steuersystems. Auch ein qualitativ hochstehendes und auf
Chancengleichheit (also Abbau statt Hinnahme vorgegebener
Ungleichheiten) ausgerichtetes Bildungswesen und die Förderung
ständiger Weiterqualifizierungsmöglichkeiten ist wichtig ebenso wie
ein öffentliches Hochschul- und Wissenschaftssystem. Nur sollte man
sich nichts vormachen: man wird die ungleiche Verteilung von "Human
Capital" nicht mit besserer Bildungspolitik in den Griff bekommen,
denn die Ungleichheit der erzielbaren Einkommen ist ja wie dargestellt
kein Ausdruck irgendwie objektivierbarer individueller
Leistungsbeiträge oder angeeigneter Bildung. Wenn man die soziale
Ungleichheit begrenzen will, muss man dies direkt mit den genannten
Instrumenten angehen, es wird kein automatisches Resultat von mehr
Bildung sein.

Sozialistische Perspektiven
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The key to the transformation of a monopolistic information economy
towards a non-monopolistic information economy is to replace
monopolistic IPRs [Intellectual Property Rights] with other means of
rewarding intellectual activity. This transformation will of course be
opposed to the very end by the cyberlord class, which furthermore is
politically and economically very strong. As the privatization process
subsumes under cyberlord monopolies more and more of what is now
public domain information, the public of information users will
acquire a higher level of political consciousness, and this struggle
will eventually express itself as the main conflict in a monopolistic
information economy. As such, it will increasingly manifest itself in
cultural, economic as well as political fronts. -- Roberto Verzola.

SozialistInnen müssen in den Veränderungen der Produktivkräfte und der
Ökonomie die Ausgangspunkte und Widersprüche suchen, die auf eine
mögliche sozialistische Überwindung des Kapitalismus verweisen. In
Bezug auf die Informationsökonomie liegt ein zentraler Widerspruch
zwischen der Möglichkeit, Informationen universell und praktisch
kostenlos zur Verfügung zu stellen einerseits, und der Einschränkung
dieser Möglichkeit und damit der Entwicklung des gesellschaftlichen
Reichtums sowie der Aneignung erheblicher Teile des gesellschaftlich
produzierten Reichtums durch die Monopolisierung intellektueller
Eigentumsrechte andererseits. Die daraus resultierenden
Interessengegensätze zwischen den Eigentümern dieser Rechte auf der
einen Seite und der breiten Masse sowohl der Informationsnutzer als
auch der intellektuell Arbeitenden sowie der Entwicklungsländer, deren
Abstand hier noch viel größer und unaufholbarer ist als in allen
anderen Bereichen, auf der anderen Seite, kann eine zentrale
Triebkraft zukünftiger Auseinandersetzungen sein.

Bisher erfüllt der Informationskapitalismus seine "historische
Mission", zum Zwecke der Aneignung von Informationsrenten in
gewaltigem Tempo die informationstechnische Erschließung und
Durchdringung der Welt voranzutreiben. Die Kehrseite dieser
Entwicklung ist die fortschreitende Privatisierung und Kapitalisierung
der Medienwirtschaft und -infrastruktur bis hin zum Bildungswesen
sowie Polarisierung der Einkommen und Vermögen. Auf die Dauer ist
dieser Privatisierungs- und Polarisierungsprozess aus der Perspektive
der Gesellschaften bzw. der ganz überwiegenden Mehrheit der Menschen
kontraproduktiv und sozial zerstörerisch, führt zur Einschränkung von
Entwicklungsmöglichkeiten, kultureller Vielfalt und Demokratie.

Im Bereich der Informationsprodukte gelten tatsächlich einige häufig
zitierte Sätze von Marx in den Grundrissen, die er dort vielleicht
vorschnell und zu weit voraussehend auf die große Industrie bezogen
hat, nämlich dass "das allgemeine gesellschafliche Wissen, knowledge,
zur unmittelbaren Produktivkraft geworden ist" (Gr. 594) [nicht etwa
das individuelle "Human Capital", RK] und: "Sobald die Arbeit in
unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums
[nicht etwa des Werts, denn dessen Quelle ist immer die Arbeit, RK] zu
sein, hört und muss aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und
daher der Tauschwert das Maß des Gebrauchswerts." (Gr. 593) Bisher ist
allerdings in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Tauschwert, also
das Geld, mehr denn je das Maß aller Dinge, und die Kapitalisten aller
Sektoren haben das gemeinsame Interesse, dass es dabei bleibt. Die
Monopolisierung von intellektuellen Eigentumsrechten und darauf
beruhende Aneignung von Informationsrenten ist genau der Mechanismus,
dies auch in Bezug auf Informationsprodukte durchzusetzen.

Sozialismus bedeutet unter anderem, dies aufzuheben, allgemeinen und
freien Zugang aller zum gesellschaftlichen Wissen zu ermöglichen, die
dazu grundlegende Infrastruktur und Produktion zu vergesellschaften,
wissenschaftliche Arbeit tatsächlich als "allgemeine Arbeit" zu
setzen, also unmittelbar für die Gesellschaft statt für private
Verwertung. Dies schließt ein, angemessene Organisations- und
Vergütungsformen dafür zu entwickeln (denn es reicht weder aus, auf
Freie Software zu setzen, so sinnvoll das ist, noch kann das alles im
unmittelbaren öffentlichen Dienst ablaufen), denn in überwiegenden
Bereichen der Wirtschaft wird auf absehbare Zeit auch weiterhin die
Arbeitszeit als Maß des Werts eine zentrale Rolle für die Produktion
und Verteilung spielen. M.E. gilt das auf absehbare Zeit auch noch
unter sozialistischen Verhältnissen, ich bin also gegenüber
Vorstellungen einer `GPL-Gesellschaft' mehr als skeptisch.

Die sozalistischen Potenziale scheinen in allen Bereichen durch, wo
Wissenschaft, Kultur und Politik sich ihrer Unterwerfung unter die
Logik von Kapitalverwertung widersetzen und der Gebrauchswert oder die
Tätigkeit selbst im Mittelpunkt stehen. Das Problem besteht darin,
dass die notwendige gesellschaftliche Alimentation dieser Bereiche als
Abzug vom zu verteilenden Reichtum erscheint und hier ein
unmittelbarer Kampf gegen die Kürzungs- und
Privatisierungsbestrebungen des Kapitals und kapitalorientierter
Politik zu führen ist.

Gerade im Bereich der Software hat das sozialistische Prinzip aber
gute Chancen, sich auch ökonomisch auf die Dauer durchzusetzen, indem
es auf Freie Software setzt und so seine Vorzüge zur Geltung bringt
und die Monopolisten auf dem eigenen Feld schlägt. Auch viele
kapitalistische Staaten haben durchaus Interesse, dies zu fördern,
jedenfalls solange die Freie Software in Konkurrenz zu ganz
überwiegend ausländischen, konkret US-Produkten steht, und damit die
Informationsrenten ins Ausland fließen und auch das einheimische
Kapital, also den `Standort' und die Leistungsbilanz belasten. Dies
verweist aber auch auf Grenzen und zu erwartende Widerstände.

A. Literatur
============

o    Ulrich Klotz, Die Herausforderungen der Neuen Ökonomie, in:
     Gewerkschaftliche Monatshefte 10/99

o    Karl Marx, Das Kapital I, Marx Engels Werke Bd. 23, Berlin 1962

o    Karl Marx, Das Kapital III, Marx Engels Werke Bd. 25, Berlin 1964

o    Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin
     1974

o    Klaus Pickshaus/Klaus Peters/Wilfried Glißmann, "Der Arbeit
     wieder ein Maß geben", Supplement der Zs. Sozialismus 2/2000

o    Roberto Verzola (1): Towards a Political Economy of Information
     [http://dkglobal.org/crit-ict/rv3.htm], März 1998

o    Roberto Verzola (2): Cyberlords: The Rentier Class of the
     Information Sector
     [http://www.igc.org/trac/internet/corpspeech/cyberlords.html],
     März 1998

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