Message 02238 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT02219 Message: 3/6 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Eindruecke von der Konferenz



Hallo,

mir geht auch vieles durch den Kopf und einiges, was meine weiteren
Aktivitäten in Oekonux auch inhaltlich tragen wird, habe ich mal
aufgeschrieben...:

Oekonux-Konferenz

 Ich habe selten so viele unbekannte Gesichter mir gut bekannter Menschen zu
sehen bekommen. E-Mail-Absender bekamen plötzlich Gestalt und Gesicht. Schon
dies war das Treffen der Oekonuxler in Dortmund wert.

Als inhaltlich aktiv Beteiligte habe ich mich der Organisationsfähigkeit der
anderen lediglich anvertraut - und bin rundum zufrieden. Der Montagmorgen
scheint für die Aktiveren eine worst-case-Erfahrung gewesen zu sein (das
schnell notwendige Aufäumen der Cafeteria...) und verstärkte mein schlechtes
Gewissen in dieser Hinsicht. Warum eigentlich ein schlechtes Gewissen? Daß
Selbstentfaltung nicht auf Kosten Einzelner geht, ist leider auch in
selbstorganisierten Zusammenhängen keine Selbstverständlichkeit und
wenigstens einen riesengroßen Dank möchte ich den Aktiven noch schicken.

Trotz des gedrängten Programms ist es mir gelungen, noch viele kleine
Gespräche am Rande zu führen. Sie sind inhaltlich fast das Wichtigste, denn
so erfuhr ich von manchem manches, was nicht in der Liste steht. Ich hoffe,
wir können vieles davon weiterführen.

Zu den Inhalten der Veranstaltungen, die ich besuchte, habe ich
unterschiedliche - insgesamt aber positive - Meinungen. Wichtig war die
besser mögliche zusammenhängende Darstellung der Konzepte von z.B. H.-G.
Gräbe, die ich so noch nicht kannte. Mir fiel dabei auf, dass in meinem
Denken "über Oekonux" tatsächlich die Hauptbeiträge von Stefan Merten und
Stefan Meretz eine zentrale Stellung haben und mir bisher andere
Gedankengebäude in ihrer Komplexität noch nicht bekannt bzw. bewusst gewesen
waren. Daß in allen Veranstaltungen, in denen ich war, jeweils viele
TeilnehmerInnen waren, finde ich für die Themen gut - für die
Diskussionsführung war es weniger gut. Für Veranstaltungen, an denen ich
mich künftig beteilige, werde ich darüber nachdenken, was sich daran ändern
lässt (z.B. können Fishbowl-Podien (s.u.) eingerichtet werden).

 Interessant fand ich auch die Mischung von Menschen, die die
Oekonux-Diskussion schon kennen und beteiligt sind und neu Hinzugekommenen.
Das Neuhinterfragen schon längst geführter Diskussionen ist immer
interessant, herausfordernd und lässt keine Routine aufkommen. Auch die
"Alten" haben alte Dissonanzen neu formuliert. Von Sabine Nuß kannte ich
bisher nur ihre Warnungen, nicht dem Utopismus zu verfallen - ich wusste
aber noch nicht, auf welcher Grundlage sie so denkt. Daß sie und Michael
Heinrich dies hier ausführen konnten, war für mich eigentlich fast das
Wichtigste der Konferenz. Damit lässt sich gut weiter arbeiten. Das nächste
Mal möchte ich allerdings gern das weiter hören, womit Michael Heinrich
geendet hat: Was können wir damit anfangen, dass wir anhand der Freien
Software "sehen, dass es auch anders geht" mit der Produktion komplexer
Produkte... Hier treffen wir uns sicher irgendwo im Bereich dessen, was z.B.
Stefan Meretz und ich so veröffentlichen.

 Manchmal waren sogar die Missinterpretationen weiterführend. Wenn Norbert
Trenkle die Texte von Meretz und Co. wirklich studiert hätte, wäre die von
ihm kritisierte Vermutung, viele von uns würden "Geschichte als
vorherbestimmten Prozeß" denken, obsolet. Problematischer ist schon sein
Insistieren darauf, "Produktivkraftentwicklung" (PKE) selbst nicht
ideologisch zu überhöhen. Dies zeigt die Notwendigkeit der Schärfung der
"Produktivkraft-" und des "Entwicklungs-"begriffs. Als Mitautorin von
diesbezüglichen Texten meine ich, dass wir der berechtigten Warnung
Trenkles, die kapitalistische Zwangsentwicklung nicht im nachhinein
legitimieren zu sollen, durchaus gerecht werden, weil viele von uns eben
nicht jegliche technisch/technologische Entwicklung als PKE kennzeichnen,
sondern einen Begriff davon haben, der Produktivität nicht an
kapitalistische Produktion, Produktivkraft nicht an Technik und Entwicklung
nicht an linearen Fortschritt bindet. Aber das muß wohl noch genauer
diskutiert werden.

Inhaltlich nicht explizit vertreten und in den Diskussionen wenigstens kurz
eingefordert wurde die Einbeziehung ökologischer oder frauenspezifischer
Sichtweisen. Bei uns gibts ja keine Instanz, wo etwas einzufordern wäre -
außer uns selber. Ich hoffe selber auch, wir finden die Kraft, dies stärker
explizit zu bearbeiten.

 Wenn ich die Diskussionen (in den Workshops, auf denen ich war) mal von
einer Metaebene aus betrachte, so waren zwei Probleme auffällig: Die
Referenten entwickelten ihr Denken oft im Kontrast zu von ihnen kritisierten
Auffassungen. Während Ralf Krämer oft Ansichten kritisierte, die wohl den
meisten Anwesenden eh sehr fern stehen, bezogen sich Sabine Nuß/Michael
Heinrich und Norbert Trenkle schon eher auf Gedanken, die bei Oekonux eine
Rolle spielen. Hier war zwar meine erste Reaktion oft, zu denken, dass das,
worauf sie insistieren, bei uns eh wenigstens implizit drin ist und ihre
Vorwürfe uns (z.B. "die Keimform-Vertreter") nicht wirklich treffen. Jetzt,
bei der Auswertung, habe ich dagegen schon Lust mich zu bemühen, diese
Problematiken auch explizit zu bearbeiten und damit nicht nur etwa "Vorwürfe
abzuwehren", sondern unser Denken weiter zu entwickeln. Und das ist ja der
Zweck des Ganzen, zumindest immer öfter... Die Inhalte verschieben sich
dabei deutlich von einer eher konkreten Ebene (Meinungsaustausch und
Untersuchung der konkreten Beziehungen zwischen konkreten Erscheinungen
aktueller Produktivkraftentwicklung und konkreter gesellschaftlicher
Situationen etc,.) auf eine eher Meta-Ebene: sich zu fragen, welches
Verhältnis Produktivkraftentwickung und Geschichte haben, inwieweit
Gesetzmäßigkeit Zwangsläufigkeit impliziert oder nicht, wie sich Kritik und
Vision grundsätzlich zueinander verhalten etc.

 Das zweite Problem liegt nicht so sehr in den Vorträgen/Impulsreferaten als
in der Diskussion selbst. Wenn man im Hinterkopf hat, dass es mindestens
mehrere Vermittlungsebenen einer Kommunikation gibt (z.B. jene
Unterscheidung nach Holzkamp: aktual-empirische Ebene, kategoriale Ebene,
Ebene der Auffassungen über Wesen der Erkenntnis, Weltanschauung etc.,Ebene
der konkreten gesellschaftlichen Kämpfe, siehe http://www.thur.de/philo/
kritpsych.htm#2methode), so war immer deutlich zu merken, dass es in den
Diskussionen munter durcheinander ging. Es zeigte sich aber, dass die
verschiedenen Vermittlungsebenen, wie schon beim ersten Problem genannt,
wichtiger werden. Die Oekonux-Debatte braucht also nicht nur eine
zusätzliche philosophisch-erkenntnistheoretische Meta-Ebene, sondern eine
Vermittlung der verschiedenen Vermittlungsebenen... (Hilfe, das klingt nach
Arbeit!)

 Fish Bowl: Eine sehr einfache, aber oft dynamische Alternative zu
Podiumsdiskussion (formale Hierarchie) oder moderierten Großplena. Bei der
Fish Bowl sitzt ein kleiner Kreis von Menschen in der Mitte (z.B. an sechs
Stühlen um einen Tisch). Alle anderen sitzen drumherum. Reden können nur die
Personen am Tisch, und zwar untereinander als direkte Diskussion, d.h. nicht
als aufs Publikum bezogene Aneinanderreihung von Reden. Spontanäußerungen
von außen wie Beifall, Zwischenrufe u.ä. stören weniger als im "normalen"
Plenum, weil bei der Fish Bowl die gerade diskutierenden Personen eine
herausgehobene Stellung haben. Diese aber ist durchlässig, d.h. es können
jederzeit Personen von außen zu dem Tisch gehen und mitdiskutieren. Ist kein
Stuhl frei oder ist es gewollt, stellt sich die/der neue DiskutantIn hinter
eine andere Person. Die muß dann (Ausreden noch möglich, wenn gerade am
Reden) Platz machen und ins Publikum wechseln, kann aber später jederzeit
wiederkehren. In der Praxis entwickelt sich nach einer anfänglichen
Unsicherheit ein Kommen und Gehen, ohne daß dadurch die Debatte abbricht.
VielrednerInnen werden schnell bevorzugt "rausgekickt" - für "Wichtigleute"
eine bemerkenswerte Erfahrung! (in einem Text von Jörg Bergstedt)


Beste Grüße und

Ahoi Annette




________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT02219 Message: 3/6 L1 [In index]
Message 02238 [Homepage] [Navigation]