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Re: [ox] Re: Redundanz



liste oekonux.de (stefan meretz) schreibt:
Hi ihr Redundanten;-),

was ist eigentlich "Redundanz"?? Kram, ... Duden: Das
Fremdwörterbuch ... ah ja: "1. Überreichlichkeit, Überfluß,
Üppigkeit. 2. (Sprachw.) a) ... mehrfache Kennzeichung derselben
Information ... b) stilistisch bedingte Überladung ... Pleonasmus,
Tautologie 3. ...Informationstheorie, Nachrichtentechnik ...
weglaßbare Elemente einer Nachricht..."

Also 1. Überreichlichkeit, Überfluß, Üppigkeit. Stefan Mn. hat mal
geschrieben, die GPL-Gesellschaft sei keine Armuts-, sondern eine
Reichtumsgesellschaft. Eine solche Gesellschaft braucht Redundanz!
Die Frage, ist doch, welche Redundanz. Die Antwort scheint mir klar:
Redundanz bei der unbeschränkten Entfaltung der Individualität. Was
sie nicht braucht, scheint mir auch klar: Verschwendung materieller
Ressourcen, Raubbau an Lebensgrundlagen etc.

Was der Kapitalismus produziert, ist so ziemlich das Gegenteil.
Warum? Weil alles durch eine abstrakte Form, den Wert, das Geld,
hindurch muss. Und dieses Abstraktum ist eben gleichgültig gegen
Erhaltung der Lebensgrundlagen, gegen die Bedürfnisse der Menschen
etc. - will ich nicht alles aufzählen.

Ich glaub die Sache ist noch einen Grad schlimmer. Die Geldform
per se bedeutet noch keine Aussage über den nützlichen/notwendigen
Charakter der Produktion. Wiederum erinnert sei an die ISEW-Debatten
mit ihrem überraschenden Resultat: bis 1970 oder so war ein Zuwachs
in der Wertproduktion grosso modo ein Zuwachs in "welfare", gemessen
in stofflichen und sozialen Indikatoren. Darauf hat Stefan Mn in seiner
Replik
auf Christian Fuchs hingewiesen, und das ist es, was in der linken Theorie-
bildung immer ein blinder Fleck geblieben ist, mit "Nachkriegsboom"
etc. mühsam kaschiert.

Dann kippt der Laden um, d.h. kapitalistische Produktion wird
augenscheinlich
destruktiv, ihr vermehrter output bedeutet "negativen Mehrwert",
also die Verringerung von gesellschaftlichem Reichtum, schön 
nachgemessen und empirisch belegt durch erwähnten Indikatoren.

Das ist tatsächlich etwas historisch einmaliges. Noch  dazu fast zeitgleich
mit dem Zurückgehen der 68-er Bewegung. Der "LUXUS" fundamentaler
Kritik ist nicht mehr drinnen, auch ein Zeichen wie die Gesellschaft
verarmt.

Dieses Umkippen ist noch lange nicht fertig analysiert.

Ich möchte aber nochmal auf die Theorie von Uli Sigor hinweisen,
der dieses Umkippen in die "negative Mehrwertproduktion" zu
analysieren versucht. Das heißt, im selben Maß wie die Industrie durch 
Automation ersetzt wird, kommt es zu einem fundamentalen Funktionswandel 
des Kapitals. Erst jetzt wird es wirklich das, worauf Kapitalismuskritiker
immer wieder verwiesen....ein Hemmschuh menschlicher Produktivität.

An einem seiner vielen Fragmente finden sich ein paar Bemerkungen zu
dem Spruch "Investition schafft Arbeitsplätze":

"Potentiell arbeitsloses bzw.brachliegendes Kapital droht uns. Aber
womit? Es droht uns mit Tohuwabohu. Es sucht Gelegenheiten, diejenigen
Strukturen rechtzeitig zu blockieren oder zu zerstören, die emanzipierte
Arbeit noch nicht einmal richtig als nötige Infrastruktur ihrer Tausch-
und Kooperationsprozesse erkannt hat.

Tohuwabohu ist auch schon lange bewährtes taktisches Instrument innerhalb
konventioneller Produktion und Überproduktion von Überflüssigem: je
tausend Farben und tausend Formen in tausend verschiedenen Verpackungen
für eine einzige, meist kaum bewährte Funktion. Der Fachbegriff heißt
Absatzförderung...

Kopfarbeitskraft ist, wenn man so will, der ärgste Konkurrent des
Kapitals; sie ist aber aufgrund der ihr eigenen Lebendigkeit und
Flexibilität, des ihr eigenen immer neuen Konkretisierungserfordernisses
äußert anfällig gegenüber Irritationen und Tohuwabohu.

Überflüssigkeit, Redundanz hat einen prädestinierten Lebensraum und zwar
als Störeffekt innerhalb derselben Verhältnisse einer
"Informationsgesellschaft", die Kopfarbeit und Automation benötigen. Wo
die Arbeit unseres Kapitals früher in der Bereitstellung der
Produktionsmittel noch eine lohnenswerte Sache war,ist hier nichts zu
holen. Der lebendigen Arbeit das Feld abzutreten, bedeutet Kapitulation,
die man sich nicht leisten will. Die Lösung ist, ihr das Feld wohl
kontrolliert zu überlassen und kräftig Zehnten einzutreiben. Was Kapital
rechtzeitig sich ergattern muß, ist Terrain, abstrakter Grund, für die
Medienmacht. Hier kann wieder effektvoll investiert werden. Ins Medium
als solches und ins Mitpokern, um die Tarife hochzutreiben."


an einer anderen Stelle versucht er die strukturellen Mechanismen im
Produktionsprozeß zu analysieren, die diesem "Rückzug des Kapitals von der
Arbeit" entsprechen: Das ist eine ganz andere Kritik als die Scheidung von
"schaffendem" und "raffendem" Kapital: eher die Konsequenz aus der
Tatsache, daß Kapital als Träger von Produktion ausgespielt hat, sie aber
dennoch nicht aus der Hand gibt.


Desorientierung (I), 
Hochskalierung von Produktionsmitteln (II) und
Aneignung/Privatisierung von Infrastruktur (III) 
sind die drei wesentlichen Mechanismen.

Die Attrappenwirtschaft, ein Image-getriebener Merkantilismus, ist
primäre Reaktion auf die Sättigung der Märkte und darf aber nicht nur
oberflächlich als Exzess des augenscheinlichen Marketings gesehen werden;
redundante Komplexität erstreckt sich bis in Forschung und Wissensbildung
und ganze Produktlinien insbesodere der Hochtechnologie.

I. Sich ausbreitende Desorientierung und Aushöhlung
gebrauchsnutzentragender Funktionalität entsteht
teils diffus im System, wird teils gezielt gefördert. Daraus ergeben sich
vielfältig ursächlich verflochten, aber in einem phänomenologischen
Zusammenhang,

?Absatzsicherung für kapitalakkumulierende Produktion in gesättigten
Märkten;
?Behinderung kapitalunabhängiger Arbeit in der Konstitution, Darstellung,
Kooperation, in ihren feingranularen Tauschvorgängen;
?Behinderung der Eigenleistung, Blockade eines sinnvollen Rückgangs der
Arbeitsteiligkeit, unnötige
Zwangsveräußerung der Arbeitskraft;
?Verarmung an instrumentellem Potential bzw.Behinderung der akuten
Selbsthilfe minderbemittelter
Schichten;
?Erschwerung von Widerstand und Solidarisierung per Beschäftigungstaktik
(bis ins alltägliche Detail);
?Streuen der Folgen, Anonymisieren der Ursachen, Anschein der
Sachzwanghaftigkeit.

Die "Strategie" trifft keineswegs nur den Einzelnen, bzw.das autonome
Angebot von Arbeit und die ideale
Entfaltung einer Qualitätsentwicklungswirtschaft. Sie trifft ebenso, und
jetzt bereits, traditionelle Unternehmen, die tatsächlich primär als
Gebrauchsnutzen-Versorger fungieren - und zwar prinzipiell unabhängig von
ihrer Größe. Sie trifft auch so manchen konservativen "Ausbeuter". Es ist
wichtig das hervorzuheben, weil der behauptete Widerspruch von Kapital
und Arbeit gerade nicht im Gespann von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im
klassischen Verständnis festgemacht werden darf.

II. Die Skalierung der Technologien,als zweiter Mechanismus der
industriellen Restauration, ist einfach zu verstehen, hier daher nicht
detailliert auseinanderzusetzen. Hochtechnologie wird so erschlossen, daß
ihr Einsatz nur für Massenerzeugung in bestimmten Vorformen/Vorprodukten
zur Verfügung steht. So daß sich daran unmittelbar eine technisch
einfache Erzeugung von Attrappen anschließen kann. Dem flexiblen kleinen
Produzenten stehen Schlüsseltechnologien nicht mehr zur Verfügung;
praktisch wird genau dies von der Forschungspolitik unterstützt. Wichtig
am Begriff der Schlüsseltechnologie ist dabei nicht der Vorbehalt des
Nutzens der Technologie an sich, sondern das Verhindern, daß dieser
Nutzen unveredelt, ohne Attrappenaufbauten, in Umlauf kommt. 

Es wird immer nur wenig Hochtechnologie auf viel Attrappe verwendet. Dies
stellt auch einen Aspekt des bekannten Steppings der Produktentwicklung
dar. Fortschritt wird so mutwillig entwertet. Im Unterschied zu allen
anderen Technologien hat die Informationstechnik eine Schlüsselrolle. Sie
wäre der ausschlaggebende Faktor im Widerstreit der beiden o.g.
Grundprinzipien, und bedarf deshalb besonderer strategischer
Aufmerksamkeit.

(Moderne, insbesondere IKM-Technologien bieten die realen materialen
Bedingungen für eine perfekte Tausch-und Kooperations-Infrastruktur
lebendiger emanzipierter Arbeit. Die Informationstechnik ermöglicht die
pre-produktive Arbeit am Modell. In Verbindung mit systematischer
analytischer Standardisierung, und in Verbindung mit genossenschaftlichen
"Kopierbetrieben" könnte es einen riesigen Markt der
gesamtwirtschaftlichen Systemverfeinerung geben, mit noch unvorstellbaren
Positiv-Effekten lebensweltlicher Entlastung; das fördert Nachfrage nach
Kooperation i.S. wechselseitiger Ergänzung in Selbstversorgungsstrukturen
und Kleinstwirtschaftskreisläufen.)

III. Privatisierung von Infrastruktur i.w.S. bedeutet eine
Weichenstellung für die oben angezeigten Entwicklungsperspektiven.
Privatisierung bietet dem Kapital verbesserte Möglichkeiten zur Sabotage
einer autonomen Produktivkraft Kopfarbeit:

?das Aufkaufen und Monopolisieren der Marktplätze selbst (Medien) - die
Aneignung des Schlüssels zur
Emanzipation der Kopfarbeit.
?den universellen Trend zur destrukturierenden, animativ-symbolisierenden
Darstellung unreduzierter Komplexität
(Multimedia-Trends, "Employtainment"); damit die attrappenwirtschaftliche
Bindung des autonomen
Produzenten.
Ferner auch die indirekte Vererbung der Akkumulationsfähigkeit auf
Marktplatzeigentum: Investition in
Desorientierung löst Diskriminationsarbeit aus.
?Die Adaption von Bildungs- und Forschungsinstitutionen.

Der zu befürchtende grundsätzliche Wandel der Industriegesellschaft
vollzieht sich in zwei Etappen:
?Spekulationskapital trägt nur noch die Markt- und Börsenkämpfe aus.
Durch Auslagerung erhält man pro-miscuide kleinere Einheiten, d.h. durch
Entkopplung von der Produktion kann sich Kapital vorläufig weiter
konzentrieren ohne an den Absatzsystemen zu kollabieren. Die Masse der
kleineren Einheiten entwickelt sich zu niederen risikotragenden Bedienern
der Maschinerie, ein kleinerer Teil zu autonomen edelgewerblichen
Parasiten.
?Schließlich verlassen die Investitionsziele angesichts immer stärker
drohender "Vergesellschaftlichung" (i.S. von Entprivilegierung via
Entwertung) die Sphären industrieller Produktion und werden auf die
Embargotechnik zur Bezollung der infrastrukturellen Verkehrsströme
verlegt.
Globalisierung gliedert sich parallel in die Blüte der Attrappen- und
Redundanzwirtschaft mit weltweitem Selektions- und Absatzgebiet, und in
die überlappende Phase der Privatisierung von Nationaleigentum an
Infrastrukturen.
Globales mediales und infrastrukturelles Eigentum zur Bezollung fremder
Arbeit (statt wie bisher
zur Ausbeutung) ergibt am Ende eine ganz neuartige Form
akkumulationsfähiger Feudalwirtschaft.

Die Folgerungen sind nicht ohne:

Die handlungspraktisch zunehmend unsinnigen Attrappenprodukte, d.h. die
instrumentelle Verarmung des Einzelnen, behindern auch eine Selbsthilfe
was bei verschärfter gesamtwirtschaftlicher Lage existentielle Bedeutung
gewinnt. Der kulturell-technische Entwicklungsstand sollte eigentlich
jede Form von neuer Armut oder Hilflosigkeit ausschließen lassen.

Instrumentelle Verarmung und Solidarisierungs-Brecher sind
strategieverdächtig: Die Demontage der Industriekultur hinter einer
LasVegas-Fassade bietet die Gelegenheit die reale Versklavung
handlungsunfähiger Massen vorzubereiten. Es gibt unternehmensberaterische
Visionen, die diesen "Teufel an der Wand" in geeigneter Verbrämung
bereits als Vorgehensmodell empfehlen.

Ganz so schlimm wird wohl nicht werden. Oder doch?



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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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