[ox] Artikel zur Debatte um Urheberrecht
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Thu, 15 Feb 2001 10:35:00 +0100
UlrichLeicht t-online.de
aus: http://www.trend.partisan.net/trd0201/t180201.html
Quelle: http://home.arcor-online.de/w.fruth/index.html
Der Ruf nach Gerechtigkeit
Das neue Urheberrecht und die Folgen für die Verlage
von Bernd F. Lunkewitz
Das Urheberrecht hat einen historischen Ursprung in der Zensur. Lange Zeit in
der Geschichte war es unvorstellbar, dass Gedanken, Ideen, literarische Werke,
selbst Erfindungen, Privateigentum seien und nicht etwa Gemeineigentum, da sie
ja aus dem gesellschaftlichen Leben hervorgingen und besonders die Sprache
undKultur uns ja allen "eigentümlich" ist.
Erst Gutenbergs Erfindung hat dies fürdie Literatur geändert: Als Gegenleistung
zur vorherigen inhaltlichen Prüfung der vervielfältigten Werke durch die
Obrigkeit erhielten die ersten Verleger gedruckter Bücher das Privileg
zurausschliesslichen Drucklegung und zahlten prompt den Autoren ein nicht nur
symbolisches Honorar aus ihrem Gewinn. Der Kapitalismus, der alles in Ware
verwandelt, tat dies in seiner langen Geschichte auch mit dem geistigen
Eigentum, das seit einigen Jahrzehnten in Deutschland, anders als in den USA,
freilich nicht veräusserbar ist, sondern nur zur Nutzung überlassen werden
kann. Aber in langen und komplizierten Gesetzgebungsverfahren und im nicht
weniger komplexen wirschaftlichen Verhalten der Verleger, Agenten, Autoren und
Künstler hat sich seit mehr als hundert Jahren ein Gleichgewicht der Interessen
in der deutschen Verlagslandschaft herausgebildet, das im wesentlichen allen
Parteien gerecht wird. Nur im Bereich der neuen elektronischen Medien, dort wo
ein Oligopol von wenigen Verwertern besteht, gibt es in Ungleichgewicht der
Macht. Anstatt nun an die staatliche Lizenz oder die öffentlich-rechtliche
Verfassung dieser wenigen Unternehmen einige einfache Bedingungen zu knüpfen:
z.B. "angemessene" Bezahlung der Urheber, Herausgabe nicht verwerteter Rechte,
Möglichkeit zum Remake nach gewissen Fristen usw., wird von der Bundesregierung
auf Betreiben der IG Medien und anderer Lobbyisten zum Rundumschlag ausgeholt.
Berufsfremde Nebenverdienste
Mit dem Gestus des Gutmenschen trat die Justizministerin Däubler-Gmelin, vor
die versammelte Schar der deutschen "Urheber" und verkündete der angeblich
"regelmässig schwächeren Vertragspartei", sie wolle jetzt endlich die üblen
Missstände des Urheberrechts beseitigen, die seit hundert Jahren die Dichter
und Denker unseres Landes in schmählicher Armut halten und den "regelmässig
stärkeren" blutsaugenden Verlegern, Produzenten und Verwertern ungeheure
Reichtümer bescherten. Um diesem Vorhaben den Ruch der Klientelpolitik zu
nehmen, wurden zunächst fünf deutsche Professoren mit dem Entwurf für ein
neues Urheberrecht beauftragt, die alsbald auch ein von scharfsinniger
akademischer Begründung strotzendes Werk ablieferten, das einen Nachteil hat:
für die Existenz besonders der unabhängigen Buchverlage ist es verheerend.
Die wichtigste Begründung lieferte die Statistik, wie sie schon Churchill
meisterhaft zu verwenden verstand: die deutschen Urheber leben (statistisch)
unter dem Existenzminimum, so die Behauptung. Daraus ergibt sich, dass die
deutschen Urheber ohne die wenigen Arrivierten wie Hera Lind, Stefan Raab oder
Alfred Biolek dem Hungertode nahe wären, wenn sie nicht "mit berufsfremden
Neben-verdiensten ihre Existenz sicherten", wie es in der Begründung des
Gesetzes heisst. Für die schlechten Bedingungen, in denen viele Kreative
im Kulturbetrieb arbeiten müssen, wurden als Schuldige die Verwerter und
besonders die Verlage ausgemacht.
Eine Gegenstatistik, etwa über die mehr als 2000 unabhängigen deutschen
Verlage, die nicht den Grosskonzernen angehören, oder die vielen
Auftragsproduzenten, die mit kleinen Margen als Zulieferer für die TV-Sender
arbeiten, wurde nicht vorgelegt. Für die genügt die Behauptung, dass sie den
Urhebern selbstverständlich wirtschaftlich überlegen sind und natürlich nicht
über deren gute Gesinnung verfügen, da sie ja nur von der Kreativität der
anderen profitieren.
Um diese Kreativität zu fördern, soll es daher neben der vertraglich
vereinbarten Bezahlung noch einen abstrakten Anspruch auf "angemessene"
Vergütung geben. Ausserdem werden der Rückfall der Verwertungsrechte nach
dreissig Jahren und einige andere einseitig die Interessen der "Kreativen"
begünstigenden Bestimmungen eingeführt. Es ist offensichtlich der schon von
Marx kritisierte sozialdemokratische Traum vom "gerechten Lohn", der die
Ministerin umtreibt und sie in den Pathos der "Gerechtigkeit" fallen lässt,
an einer Stelle, wo blosse Interessen verschiedener Marktteilnehmer gewahrt
werden sollen und jeder intelligente Mensch das Wort "Gerechtigkeit" nicht
durch inflationären Gebrauch entwertet.
Die Interessen aller Beteiligten sind deshalb klar auszusprechen, denn
zwischen Urhebern und Verwertern gibt es zwar darin Gegensätze aber auch
Gemeinsamkeiten, die vom Staat und von den Interessenvertretern der Urheber
und Übersetzer nicht gefährdet werden dürfen, weil sonst alle geschädigt
werden. Wenn das Resultat dieses Gesetzes der beschleunigte
Konzentrationsprozess in der Verlagslandschaft ist, wenn die bisher
unabhängigen Verlage unter das Dach von Konzernen flüchten, wenn die letzten
unabhängigen Filmproduzenten zu Abteilungen der grossen Sender geworden sind,
wenn also nur noch wenige grosse Konzerne übrig bleiben, wird durch deren
Verhalten schliesslich auch neu definiert, was "angemessen" ist und
vor allem, was überhaupt verlegt oder produziert wird.
Die im neuen Gesetz verlangte "Angemessenheit" ist eine blosse Worthülse, die
aber einseitig die Vertragsfreiheit zwischen Verleger und Autor beseitigt und
damit Stoff bietet für endlose Rechtsstreitigkeiten. Die Justitzministerin
sägt an dem Ast, auf dem nicht nur die Buchverlage, sondern auch die Autoren
und die Übersetzer sitzen: Die Kündigung der Verwertungsverträge nach dreissig
Jahren mag für den einen oder anderen Urheber und besonders für deren Erben von
grosser Bedeutung sein. Er kann erneut einen vielleicht sogar grossen Vorschuss
auf die nächsten dreissig Jahre einstreichen, besonders wenn es etwa einem
Grosskonzern in den Kram passt, den Eckpfeiler im Programm eines literarischen
Verlages herauszubrechen. Die in der Begründung des Entwurfs geäusserte Meinung
dazu, "die kleineren Verlage könnten stets mithalten", ist nicht etwa dumm,
sondern zynisch.
Sie ist ausserdem, wie auch die angebliche "Angemessenheit", ein Verrat an den
nicht so erfolgreichen Autoren, die auch dann ihre Bücher veröffentlichen
möchten, wenn sie nicht so gut verkauft werden. Aber auch dies versteht die
Ministerin nicht, für sie "kann ein reichhaltiges kulturelles Angebot nur dort
erwartet werden, wo Kreativität sich lohnt".
Solch platter Materialismus wird aber den Intentionen der Autoren und auch der
Verleger nicht gerecht. Aber in gewisser Hinsicht hat sie Recht: das Risiko,
Neues und Unbekanntes zu schaffen, werden die Autoren immer eingehen, aber die
Verleger, die das finanzielle Risiko tragen, werden das nur noch selten können,
wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. Die grossen Konzerne könnten viel Geld
vielleicht aus anderen Geschäftsbereichen abzweigen, die TV~Sender finanzieren
sich durch Werbung oder Gebühren. Bei den kleinen und mittleren Verlagen kann
dies aber nur durch das eigene Programm geschehen. Bei uns müssen die
erfolgreichen Titel und eine aktive Backlist die Vielfalt der Bücher und damit
die Suche nach neuen erfolgreichen Titeln querfinanzieren. Zu dieser
Querfinanzierung gehört auch die Beteiligung an den Nebenrechtseinnahmen eines
erfolgreichen Buches. Solange die Verleger die Bücher nicht selber schreiben,
bleibt dies als simple Notwenigkeit bestehen, auch wenn dies nicht in die Köpfe
von deutschen Professoren und Ministorinnen passt.
Die Regelung gleicht daher einer Steuer, die nicht den Gewinn, sondern die
Einnahmen besteuert, die Ausgaben aber nicht berücksichtigt.Fast jedes
Unternehmen würde dadurch in den Ruin getrieben und die Steuerquelle würde
versiegen. Ein solcher Pyrrhussieg könnte daher die Mehrheit der Urheber nicht
glücklich machen. Die deutschen Autoren würden es dadurch noch schwerer haben,
Verleger zu finden. Die übersetzte englischsprachige Literatur hat in
Deutschland fast 80 Prozent Marktanteil in der Belletristik. Von diesen
gesetzlichen Regelungen wird sie nicht betroffen, ausser dass ihre starke
Marktstellung zementiert wird. Die deutschen Verlage könnten die Übersetzungen
der englischen Literatur gleich bei den Verlagen in New York oder den Agenten
in der Schweiz einkaufen, gegen "total buy out" nach amerikanischem Recht und
nur noch wenige direkte Beziehungen zu deutschen Übersetzern haben. Auch
Verträge mit deutschen Autoren könnten in Zukunft über ausländische Holdings
abgeschlossen werden, mit noch weniger Rechten für die unbekannten Autoren.
Die könnten erst dann auftrumpfen, wenn sie dort erfolgreich waren und sich mit
späteren Titeln getrost von einem Grosskonzern vermarkten lassen, dem diese
Bestimmungen im Urheberrecht egal sind, da er sowieso nur Bestseller verlegen
will. Die sind meist nur zu noch schlechteren Bedingungen zu haben, als das
neue Gesetz festlegt. Aber der gesetzliche Zwang, alle Autoren wie
Bestsellerautoren zu behandeln, wird den unabhängigen Verlagen das Genick
brechen.
Gesetzgebers Alleingang
Die in der Gesetzesbegründung genanne "mächtige Filmindustrie" hat zwar
vielfältige Verträge mit den nicht weniger "mächtigen" Organisationen der
Urheber geschlossen, aber eine gesetzliche Regelung besteht nicht. Das ist die
Grundlage für viele "independent" Produzenten, die low-budget Filme mit (noch)
unbekannten Künstlern machen, völlige Vertragsfreiheit geniessen, und in ihrer
Kreativität auch die wirkliche Basis der amerikanischen Filmindustrie sind.
Im Zeitalter der globalen Wirtschaft und der bestehenden Überlegenheit der
amerikanischen Verlagsindustrie (Bertelsmann ist in dieser Hinsicht längst ein
amerikanisches Unternehmen und nennt seine Buchsparte auch in Deutschland jetzt
konsequent Random House) ist der Alleingang des Gesetzgebers in Deutschland für
die einheimische Literatur verheerend. Das deutsche Kino ist schon lange von
Subventionen abhängig. Auf diesen Weg führt das neue Gesetz endlich auch die
deutsche Literatur. Das Herumspielen am Urheberrecht wird gewiss nicht die
Gerechtigkeit bringen, sondern das Lieblingsszenario der Sozialdemokratie:
grosse Konzerne mit Betriebsrat und viel Verwaltung auf der einen, grosse
Gewerkschaften mit vielen Funktionären auf der anderen Seite. Auf der Strecke
werden bleiben: die unabhängigen Verlage, die meisten Autoren und schliesslich
die deutsche Literatur, sofern sie nicht subventioniert wird von
sozialdemokratisch besetzten Gremien.
Der Autor ist Verleger des Aufbau Verlages.
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