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[ox] Artikel zur Debatte um Urheberrecht



UlrichLeicht t-online.de

aus: http://www.trend.partisan.net/trd0201/t180201.html

Quelle: http://home.arcor-online.de/w.fruth/index.html

Der Ruf nach Gerechtigkeit 
Das neue Urheberrecht und die Folgen für die Verlage


von Bernd F. Lunkewitz

Das Urheberrecht hat einen historischen Ursprung in der Zensur. Lange Zeit in 
der Geschichte war es unvorstellbar, dass Gedanken, Ideen, literarische Werke, 
selbst Erfindungen, Privateigentum seien und nicht etwa Gemeineigentum, da sie 
ja aus dem gesellschaftlichen Leben hervorgingen und besonders die Sprache 
undKultur uns ja allen "eigentümlich" ist. 

Erst Gutenbergs Erfindung hat dies fürdie Literatur geändert: Als Gegenleistung 
zur vorherigen inhaltlichen Prüfung der vervielfältigten Werke durch die 
Obrigkeit erhielten die ersten Verleger gedruckter Bücher das Privileg 
zurausschliesslichen Drucklegung und zahlten prompt den Autoren ein nicht nur 
symbolisches Honorar aus ihrem Gewinn. Der Kapitalismus, der alles in Ware 
verwandelt, tat dies in seiner langen Geschichte auch mit dem geistigen 
Eigentum, das seit einigen Jahrzehnten in Deutschland, anders als in den USA, 
freilich nicht veräusserbar ist, sondern nur zur Nutzung überlassen werden 
kann. Aber in langen und komplizierten Gesetzgebungsverfahren und im nicht 
weniger komplexen wirschaftlichen Verhalten der Verleger, Agenten, Autoren und 
Künstler hat sich seit mehr als hundert Jahren ein Gleichgewicht der Interessen 
in der deutschen Verlagslandschaft herausgebildet, das im wesentlichen allen 
Parteien gerecht wird. Nur im Bereich der neuen elektronischen Medien, dort wo 
ein Oligopol von wenigen Verwertern besteht, gibt es in Ungleichgewicht der 
Macht. Anstatt nun an die staatliche Lizenz oder die öffentlich-rechtliche 
Verfassung dieser wenigen Unternehmen einige einfache Bedingungen zu knüpfen: 
z.B. "angemessene" Bezahlung der Urheber, Herausgabe nicht verwerteter Rechte, 
Möglichkeit zum Remake nach gewissen Fristen usw., wird von der Bundesregierung 
auf Betreiben der IG Medien und anderer Lobbyisten zum Rundumschlag ausgeholt.

Berufsfremde Nebenverdienste

Mit dem Gestus des Gutmenschen trat die Justizministerin Däubler-Gmelin, vor 
die versammelte Schar der deutschen "Urheber" und verkündete der angeblich 
"regelmässig schwächeren Vertragspartei", sie wolle jetzt endlich die üblen 
Missstände des Urheberrechts beseitigen, die seit hundert Jahren die Dichter 
und Denker unseres Landes in schmählicher Armut halten und den "regelmässig 
stärkeren" blutsaugenden Verlegern, Produzenten und Verwertern ungeheure 
Reichtümer bescherten. Um diesem Vorhaben den Ruch der Klientelpolitik zu 
nehmen, wurden zunächst fünf deutsche Professoren mit dem Entwurf für ein 
neues Urheberrecht beauftragt, die alsbald auch ein von scharfsinniger 
akademischer Begründung strotzendes Werk ablieferten, das einen Nachteil hat: 
für die Existenz besonders der unabhängigen Buchverlage ist es verheerend.

Die wichtigste Begründung lieferte die Statistik, wie sie schon Churchill 
meisterhaft zu verwenden verstand: die deutschen Urheber leben (statistisch) 
unter dem Existenzminimum, so die Behauptung. Daraus ergibt sich, dass die 
deutschen Urheber ohne die wenigen Arrivierten wie Hera Lind, Stefan Raab oder 
Alfred Biolek dem Hungertode nahe wären, wenn sie nicht "mit berufsfremden 
Neben-verdiensten ihre Existenz sicherten", wie es in der Begründung des 
Gesetzes heisst. Für die schlechten Bedingungen, in denen viele Kreative 
im Kulturbetrieb arbeiten müssen, wurden als Schuldige die Verwerter und 
besonders die Verlage ausgemacht.

Eine Gegenstatistik, etwa über die mehr als 2000 unabhängigen deutschen 
Verlage, die nicht den Grosskonzernen angehören, oder die vielen 
Auftragsproduzenten, die mit kleinen Margen als Zulieferer für die TV-Sender 
arbeiten, wurde nicht vorgelegt. Für die genügt die Behauptung, dass sie den 
Urhebern selbstverständlich wirtschaftlich überlegen sind und natürlich nicht 
über deren gute Gesinnung verfügen, da sie ja nur von der Kreativität der 
anderen profitieren.

Um diese Kreativität zu fördern, soll es daher neben der vertraglich 
vereinbarten Bezahlung noch einen abstrakten Anspruch auf "angemessene" 
Vergütung geben. Ausserdem werden der Rückfall der Verwertungsrechte nach 
dreissig Jahren und einige andere einseitig die Interessen der "Kreativen" 
begünstigenden Bestimmungen eingeführt. Es ist offensichtlich der schon von 
Marx kritisierte sozialdemokratische Traum vom "gerechten Lohn", der die 
Ministerin umtreibt und sie in den Pathos der "Gerechtigkeit" fallen lässt, 
an einer Stelle, wo blosse Interessen verschiedener Marktteilnehmer gewahrt 
werden sollen und jeder intelligente Mensch das Wort "Gerechtigkeit" nicht 
durch inflationären Gebrauch entwertet.

Die Interessen aller Beteiligten sind deshalb klar auszusprechen, denn 
zwischen Urhebern und Verwertern gibt es zwar darin Gegensätze aber auch 
Gemeinsamkeiten, die vom Staat und von den Interessenvertretern der Urheber 
und Übersetzer nicht gefährdet werden dürfen, weil sonst alle geschädigt 
werden. Wenn das Resultat dieses Gesetzes der beschleunigte 
Konzentrationsprozess in der Verlagslandschaft ist, wenn die bisher 
unabhängigen Verlage unter das Dach von Konzernen flüchten, wenn die letzten 
unabhängigen Filmproduzenten zu Abteilungen der grossen Sender geworden sind, 
wenn also nur noch wenige grosse Konzerne übrig bleiben, wird durch deren 
Verhalten schliesslich auch neu definiert, was "angemessen" ist und 
vor allem, was überhaupt verlegt oder produziert wird.

Die im neuen Gesetz verlangte "Angemessenheit" ist eine blosse Worthülse, die 
aber einseitig die Vertragsfreiheit zwischen Verleger und Autor beseitigt und 
damit Stoff bietet für endlose Rechtsstreitigkeiten. Die Justitzministerin 
sägt an dem Ast, auf dem nicht nur die Buchverlage, sondern auch die Autoren 
und die Übersetzer sitzen: Die Kündigung der Verwertungsverträge nach dreissig 
Jahren mag für den einen oder anderen Urheber und besonders für deren Erben von 
grosser Bedeutung sein. Er kann erneut einen vielleicht sogar grossen Vorschuss 
auf die nächsten dreissig Jahre einstreichen, besonders wenn es etwa einem 
Grosskonzern in den Kram passt, den Eckpfeiler im Programm eines literarischen 
Verlages herauszubrechen. Die in der Begründung des Entwurfs geäusserte Meinung 
dazu, "die kleineren Verlage könnten stets mithalten", ist nicht etwa dumm, 
sondern zynisch.

Sie ist ausserdem, wie auch die angebliche "Angemessenheit", ein Verrat an den 
nicht so erfolgreichen Autoren, die auch dann ihre Bücher veröffentlichen 
möchten, wenn sie nicht so gut verkauft werden. Aber auch dies versteht die 
Ministerin nicht, für sie "kann ein reichhaltiges kulturelles Angebot nur dort 
erwartet werden, wo Kreativität sich lohnt".

Solch platter Materialismus wird aber den Intentionen der Autoren und auch der 
Verleger nicht gerecht. Aber in gewisser Hinsicht hat sie Recht: das Risiko, 
Neues und Unbekanntes zu schaffen, werden die Autoren immer eingehen, aber die 
Verleger, die das finanzielle Risiko tragen, werden das nur noch selten können, 
wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. Die grossen Konzerne könnten viel Geld 
vielleicht aus anderen Geschäftsbereichen abzweigen, die TV~Sender finanzieren 
sich durch Werbung oder Gebühren. Bei den kleinen und mittleren Verlagen kann 
dies aber nur durch das eigene Programm geschehen. Bei uns müssen die 
erfolgreichen Titel und eine aktive Backlist die Vielfalt der Bücher und damit 
die Suche nach neuen erfolgreichen Titeln querfinanzieren. Zu dieser 
Querfinanzierung gehört auch die Beteiligung an den Nebenrechtseinnahmen eines 
erfolgreichen Buches. Solange die Verleger die Bücher nicht selber schreiben, 
bleibt dies als simple Notwenigkeit bestehen, auch wenn dies nicht in die Köpfe 
von deutschen Professoren und Ministorinnen passt.

Die Regelung gleicht daher einer Steuer, die nicht den Gewinn, sondern die 
Einnahmen besteuert, die Ausgaben aber nicht berücksichtigt.Fast jedes 
Unternehmen würde dadurch in den Ruin getrieben und die Steuerquelle würde 
versiegen. Ein solcher Pyrrhussieg könnte daher die Mehrheit der Urheber nicht 
glücklich machen. Die deutschen Autoren würden es dadurch noch schwerer haben, 
Verleger zu finden. Die übersetzte englischsprachige Literatur hat in 
Deutschland fast 80 Prozent Marktanteil in der Belletristik. Von diesen 
gesetzlichen Regelungen wird sie nicht betroffen, ausser dass ihre starke 
Marktstellung zementiert wird. Die deutschen Verlage könnten die Übersetzungen 
der englischen Literatur gleich bei den Verlagen in New York oder den Agenten 
in der Schweiz einkaufen, gegen "total buy out" nach amerikanischem Recht und 
nur noch wenige direkte Beziehungen zu deutschen Übersetzern haben. Auch 
Verträge mit deutschen Autoren könnten in Zukunft über ausländische Holdings 
abgeschlossen werden, mit noch weniger Rechten für die unbekannten Autoren. 
Die könnten erst dann auftrumpfen, wenn sie dort erfolgreich waren und sich mit 
späteren Titeln getrost von einem Grosskonzern vermarkten lassen, dem diese 
Bestimmungen im Urheberrecht egal sind, da er sowieso nur Bestseller verlegen 
will. Die sind meist nur zu noch schlechteren Bedingungen zu haben, als das 
neue Gesetz festlegt. Aber der gesetzliche Zwang, alle Autoren wie 
Bestsellerautoren zu behandeln, wird den unabhängigen Verlagen das Genick 
brechen.

Gesetzgebers Alleingang

Die in der Gesetzesbegründung genanne "mächtige Filmindustrie" hat zwar 
vielfältige Verträge mit den nicht weniger "mächtigen" Organisationen der 
Urheber geschlossen, aber eine gesetzliche Regelung besteht nicht. Das ist die 
Grundlage für viele "independent" Produzenten, die low-budget Filme mit (noch) 
unbekannten Künstlern machen, völlige Vertragsfreiheit geniessen, und in ihrer 
Kreativität auch die wirkliche Basis der amerikanischen Filmindustrie sind.

Im Zeitalter der globalen Wirtschaft und der bestehenden Überlegenheit der 
amerikanischen Verlagsindustrie (Bertelsmann ist in dieser Hinsicht längst ein 
amerikanisches Unternehmen und nennt seine Buchsparte auch in Deutschland jetzt 
konsequent Random House) ist der Alleingang des Gesetzgebers in Deutschland für 
die einheimische Literatur verheerend. Das deutsche Kino ist schon lange von 
Subventionen abhängig. Auf diesen Weg führt das neue Gesetz endlich auch die 
deutsche Literatur. Das Herumspielen am Urheberrecht wird gewiss nicht die 
Gerechtigkeit bringen, sondern das Lieblingsszenario der Sozialdemokratie: 
grosse Konzerne mit Betriebsrat und viel Verwaltung auf der einen, grosse 
Gewerkschaften mit vielen Funktionären auf der anderen Seite. Auf der Strecke 
werden bleiben: die unabhängigen Verlage, die meisten Autoren und schliesslich 
die deutsche Literatur, sofern sie nicht subventioniert wird von 
sozialdemokratisch besetzten Gremien.

Der Autor ist Verleger des Aufbau Verlages.





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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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