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[ox] Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?




Stefan Merten schrieb am 22 Jan 2001 zum Thema Grundsicherung, Arbeit
und Leistungsprinzip in Replik auf Ralf Krämer

   > und monetäre Anreize weniger Zwangscharakter haben als vieles
   > andere.

   Und nochmal Widerspruch. Das wirkt für dich so, weil du die monetären
   Anreize mit der Muttermilch aufgesogen hast. Die Feudalherrn haben das
   z.B. ganz anders gesehen.

Lassen wir das 'monetär' mal beiseite und bleiben beim Wort 'Anreiz'
stehen, denn es geht nicht (nur) um die Geldform derselben.  Wenn mir
in der DDR einer gesagt hat "Hör mal, du bist doch ein guter Genosse,
du musst doch einsehen, dass ...", dann kam was, was ich tun sollte,
obwohl es mir gar nicht schmeckte, ohne selbst was davon zu haben. Das
ist dieselbe Problematik, aber ohne 'monetär'.  Und der Feudalherr hat
vielleicht auch einfach befohlen statt monetär anzureizen (aber das
soll es heute ja auch noch geben).

Wir sind wieder mal bei Thema Fremdbestimmung, wobei ich mit der
vorsichtigen Verwendung des Begriffs mitgehe, denn Interessen sind
nichts Statisches, sondern unterliegen einer subtilen Evolution.  In
dem gegebenen Kontext hieße das einfach, allgemeine (allgemeinere?)
Interessen koppeln nicht positiv auf spezielle (speziellere?) zurück
(Klammerbemerkung bezieht sich darauf, dass die Hierarchie
allgemein/speziell vielleicht mehrstufig zu denken ist).  Das kann
sowohl an den allgemeineren Interessen liegen (die dann aber keine
Allgemeininteressen im Sinne Holzkamps wären) als auch an den
speziellen.  In beiden Fällen müssen Mechanismen der
Interessenkonvergenz wirken, wobei normalerweise eine Seite (meist die
mit den spezielleren Interessen) ihre Interessenlage überprüft und
ggf. korrigiert.  Und genau das soll ja mit Anreizen erreicht werden.

Da hier viel über Selbstentfaltung geschrieben wird und Stefan auch
weiter ausführt

   Und ganz ehrlich: Ich strenge mich tausendmal lieber an, wenn ich
   (möglichst konkret) weiß welchem Nutzen meine Anstrengung dient, als
   wenn ich es wegen des Geldes tue, das ich dafür bekomme. 

entsteht natürlich auch die Frage, ob es solche Interessenkonflikte in
der Oekonux-Gesellschaft überhaupt noch geben wird. Wenn ja, dann
braucht man auch Mechanismen, diese zu operationalisieren. Und da
halte ich skalierbare Anreizmechanismen (wieviel zahlst Du, wenn ...)
für deutlich kulturvoller als die in Basta-Manier vorgetragenen
feudalistischen bzw. oben beschriebenen realsozialistischen
0/1-Mechanismen.  Allerdings gibt es im Leben viele Stellen, wo
skalierbare Anreize auch ohne Geld auskommen und statt dessen mit
Aufmerksamkeit und ähnlichem 'zahlen' (ohne gleich bei G. Franck
landen zu wollen).

   > Also diese hier von mehreren Leuten vertretene Fixierung darauf,
   > möglichst überall Tausch und Wert beseitigen zu wollen, finde ich
   > falsch.

   Aus den dargelegten Gründen finde ich das immer noch richtig. Tausch
   und Wert waren historisch sinnvoll um eine durch die Unsichtbare Hand
   gesteuerte gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Abschaffung der
   Arbeit zu leisten. Das ist mittlerweile tendenziell erreicht: Der
   Kapitalismus hat seinen Job getan, der Kapitalismus kann gehen.

Wenn man den 'Anreiz'-Begriff aufbohrt wie eben vorgeschlagen, dann
muss man auch den Wert-Begriff aufbohren. Anreize orientieren sich ja
gerade am Wertesystem der Leute. In dem Punkt redet ihr, glaube ich,
aneinander vorbei, weil Stefan (und andere) beim Wort 'Wert' diesen
sofort und _nur_ auf dessen kapitalistische Geldform reduziert. Ich
hatte mal versucht, so was wie eine ontologische Dimension des
Wertbegriffs aufzumachen, und bin immer noch überzeugt, dass für die
Oekonux-Gesellschaft hier etwas zu diversifizieren und nicht
abzuschaffen ist. Wobei Diversifikation nicht heißen soll, dass das
alles aus derselben Quelle der kap. Wertform kommt.

Thema 2:

   Wie eine großzügige Grundsicherung sich mit monetären Anreizen
   verträgt mußt du mir mal erklären. Egal.

Hat Ralf schon erklärt. Konstanter und variabler Teil. Klar wie
Kloßbrühe, wenigstens auf den ersten Blick. Teil 2 hat allerdings
Leistungsmessung zur Voraussetzung und da geht der ganze
Kladderadatsch schon wieder los. Gerade in der Wissenschaft gibt es
viele leidvolle Erfahrungen mit solchen von außen aufgesetzten
Systemen der quantitativen Leistungsmessung. Mit inadäquaten monetären
Mechanismen kann man schnell subtilere Anreizsysteme, z.B. ein gutes
Betriebsklima, aushebeln.  Doch genug der Kontraargumente, sonst denkt
Stefan noch (Tue, 16 Jan 2001)

   Dann müßte sich Hans-Gert natürlich endgültig von jeder Form von
   Leistungsmessung verabschieden ;-) ...

ich hätte es wirklich getan.

Thema 3:

   Hier kommt ja noch die Frage mit rein, wieviele Leute wir eigentlich
   noch brauchen, um - auch unter kapitalistischen Bedingungen - die
   gesellschaftlich notwendige Arbeit zu tun.

Hört sich ja so an, als ob es immer weniger Arbeit würde. Das Thema
hatten wir schon mehrfach und es gab genügend Argumente, die die Frage
nur für die produktive Arbeit im engeren Sinne mit JA beantworten.
Der Anteil nicht marktförmiger Tätigkeiten wächst ständig und könnte
noch viel schneller wachsen, wenn entsprechend Geld da wäre.  Oder
muss ein Lehrer unbedingt 28 WS vor der Klasse stehen und der
Klassenteiler bei 32 liegen (wie derzeit in Sachsen, auch wenn es
angeblich dem 'Durchtunneln des Schülerbergs' gilt)?  Oder ein FH-Prof
18 und mehr Stunden pro Woche schrubben (und damit 0 Forschung
betreiben)?  Ist eine Frage der Umverteilung in der Gesellschaft, an
die Politik heute aus verschiedenen Gründen nicht ran will oder kann,
obwohl sie täglich mehr mit den Problemen konfrontiert wird, die aus
diesem Aussitzen resultieren.  Ansätze einer Grundsicherung würden da
den Druck deutlich erhöhen, weil das die Zumutbarkeitsschranke anhebt
(obwohl sich inzwischen auch so rumgesprochen hat, dass Lehrer kein
Traumberuf mehr ist und Hessen und NRW sich 'die Jagd' schon heute
einiges kosten lassen müssen. Brain drain schon auf diesem Level. Und
das ist erst der Anfang.)

Thema 4:

   > Es sind ständig viele tausende verschiedene Arten von Arbeit in
   > bestimmten Quantitäten und Qualitäten und an bestimmten Orten
   > notwendig zu erledigen, um die Gesellschaft bzw. die Menschen auf
   > hohem Niveau am Leben und Laufen zu halten.  Das wird sich weder
   > zufällig mit den auf Selbstentfaltung gerichteten
   > Arbeitsbedürfnissen der Einzelnen decken noch aus individueller
   > Einsicht in den gesamten Prozess noch in unmittelbarer personaler
   > Vergesellschaftung zwischen Millionen Beteiligten so ergeben,
   > dass sich dafür jeweils gerade im richtigen Zeitraum die
   > geeigneten Menschen daran machen, ihren Anteil an diesem
   > gesellschaftlichen (und letztlich sogar global verflochtenen)
   > Gesamtarbeitsprozess zu leisten.  Das muss also in der einen oder
   > anderen Weise organisiert werden.

   Ja, es muß organisiert werden. Wie stark weiß ich noch nicht - ist von
   heute aus schwer abzuschätzen. Ich denke, daß wir es da noch ziemliche
   Leerstellen haben.

   Nichtsdestotrotz wäre ich dafür, daß gesellschaftliche Entscheidungen
   nicht mehr irgendwelchen blindwütigen Prozessen überlassen bleiben,
   sondern zumindest von der Idee her in das bewußte Handeln der
   Menschheit überführt wird. Wie das genau gehen kann, bliebe zu klären.

Organisieren, aber ohne Zwang. Es gibt da ein paar sehr interessante
Überlegungen aus dem Bereich der internationalen Beziehungen
('Governance-Konzepte'), weil es dort, wenigstens bei einigermaßen
gleichgewichtigen 'Playern', keinen Träger eines Gewaltmonopols als
Garant von Zwang gibt wie im nationalen Bereich den Staat.  Auf
Lutterbecks Seiten steht dazu einiges.

   > Dies könnte durch moralischen oder sonstigen Druck oder durch
   > immaterielle oder materielle Anreize geschehen, ich präferiere
   > dabei entschieden für die Anreizvariante.

   Da bin ich anderer Ansicht. Sowohl in früheren Gesellschaften als auch
   in unseren heutigen gab und gibt es ideologische Konstrukte, die den
   Menschen das Einfügen in gesellschaftliche Notwendigkeiten
   erleichtern. Ich fasse das dann gewöhnlich als Kultur auf, die es in
   unserem Fall zu entwickeln gilt, und die sich ja sogar schon
   entwickelt.

Hmm, war es bisher nicht sowieso immer eine Mischung aus beidem?
Anreize mit _positiver_, Druck mit _negativer_ Rückkopplung auf eigene
Interessen? Nach Holzkamp ist die Anreizgesellschaft die 'gesündere',
aber sorry, ich kann mir eine Gesellschaft ohne gewisse Möglichkeiten
der Druckausübung nicht vorstellen. Wenn es die nicht gäbe, dann wären
gesellschaftliche Kurskorrekturen, die die 'ideologischen Konstrukte,
die den Menschen das Einfügen in gesellschaftliche Notwendigkeiten
erleichtern', in Frage stellen, nicht möglich.  Wird das Abschaffen
des Kapitalismus die letzte große Aktion der Menschheit sein und
danach alles zur besten Zufriedenheit aller laufen?  Druck sollte
nicht das Regelinstrumentarium sein (bzw. wenn es das wird, dann ist
was faul), aber die _Möglichkeit_, Interessen zu bündeln und so Druck
auszuüben, genauer, Sanktionen anzudrohen, halte ich für notwendig.
Die müssen ja nicht gleich bis auf die physischen Existenzbedingungen
durchschlagen ("Wenn du das tust, dann darfst du auch morgen noch
essen", sonst nicht - HGG). In den Governance-Konzepten spielt eine
solche 'Ächtung durch die Allgemeinheit', wenn ich es recht verstehe,
eine wichtige Rolle.

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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