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Re: [ox] Freie Hardware und Abgang des Kapitalismus



In einer eMail vom 19.12.2000 04:48:58 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt 
sloyment gmx.net:

<< Dieser Schritt-für-Schritt-Plan bringt folgende Besonderheiten mit 
 sich:
 
 o Es wird kein derzeit geltendes Recht verletzt. Daher kann gefahrlos
   sofort begonnen werden.
  >>
Hallo Thomas,

Njein. Zunächst muß man dabei beachten, daß eine "wertlose" Sache oder ein 
"wertloses" Recht schon begrifflich außerhalb des (bürgerlichen) Rechts 
stehen. Bürgerliches Recht denkt gesellschaftliche Beziehungen ausschließlich 
in Begriffen der Vermögensverfügung, sei es in Form von Waren, sei es in Form 
von Arbeitskraft als Ware, bzw. in der Fähigkeit als Rechts"subjekt" an der 
Vermögensverfügungsphäre  teilzunehmen. Daher z.B. der Begriff 
Geschäftsfähigkeit (Volljährigkeit) im Unterschied zur Rechtsfähigkeit 
(sozusagen nur der Rechtsordnung "ausgesetzt"). Sobald man/frau die insoweit 
vorausgesetzten Denkformen nicht mehr vollziehen kann oder will, folgt die 
Aussonderung in Form von Betreuung (der alte Begriff "Entmündigung" sagte es 
klar und deutlich) auf dem Fuße. Soweit sich die Rechts"pflege" mit nicht 
wertförmigen Informationsprodukten bisher beschäftigt hat, ist ihr der Kern 
der "Sache" entgangen. Vielmehr wird in allen bisher veröffentlichten 
Entscheidungen sehr wohl von Vermögens"wert" ausgegangen, indem der 
marktübliche Preis vergleichbarer Produkte als Wert gesetzt wird. Die 
Motivationslage wird gleich mitgeliefert. Allgemeine (bisherige) richterliche 
Annahme ist, daß z.B. Freie Software (auch GPL) hergestellt wird, um darüber 
Dienstleistung verkaufen zu können. Angemerkt sei, daß ich den Begriff 
proprietär bzw. nichtproprietär für unscharf, wenn nicht sogar falsch halte. 
Der einzige wirksame Rechtschutz, den Freie Software genießt, basiert auf dem 
Urheberrecht (Lizenz). Das Urheberrecht ist ein "dingliches" Recht, also dem 
Eigentum  an Dingen/Objekten gleichgesetzt. Anders gesagt, der Urheber hat 
nach bürgerlichem Verständnis Eigentum an seiner intellektuellen Urhebung. 
Nur dingliche Rechte entfalten Wirkung gegenüber "jedermann". Das von Dir 
angenommene nichtproprietäre Recht genießt also nur Schutz, weil es von der 
Rechtsordnung als proprietäres Recht "erkannt" und behandelt wird. Die 
weitreichende Verfügungsgewalt, wie z.B. Nichteinschränkbarkeit der 
unentgeltlichen Nutzungsrechte an Linux bei Weitergabe an Dritte, ist der 
allgemein bekannte und durch GG geschützte Ausfluß der Allmacht des 
bürgerlichen Subjekts über ihm zustehende verdinglichte Werte. Es gibt kein 
(bürgerliches) Eigentum ohne Wert! (Ein plastisches Beispiel übrigens für die 
Folgenlosigkeit von "Eigentumsabschaffung" bei nicht gleichzeitiger 
Wertabschafftung)
Andersherum: Solle der Rechtspflege dämmern, daß "Linux wertlos ist" (wie 
Stefan das so schön formuliert) würde nicht nur unverzüglich jedwedes 
Rechtschutzinteresse (Voraussetzung jeglicher Klage) verneint, sondern ganz 
im Gegenteil käme die ganze Maschinerie der Rechtsordnungserhaltung in Gang. 
Zu denken ist in diesem Zusammenhang an die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften 
und Verfügungen, die gegen gesetzliches Verbot, gegen die "guten Sitten", 
gegen die Auffassung "aller billig und geRECHT Denkenden" etc. verstoßen. Die 
vom linken Mainstream so oft bemühte "Sozialdienlichkeit" des Eigentums 
könnte Interpretationen erfahren, an welche diese nicht im Traum gedacht 
haben - in etwa: Freie Software als sozialschädliche "intellektuelle 
Schwarzarbeit". Letzten Endes zielt die Entwertungsbewegung auf Abschaffung 
der "herrschenden" Grundordnung ab. So sehr das zu begrüßen sein mag/ist,  
muß man doch zur Kenntnis nehmen, daß das System in diesem Fall sogar bereit 
ist, das Gewaltmonopol in die Gesellschaft zurückzugeben mit der Aufforderung 
die Abschaffung der "Ordnung" notfalls mit Gewalt zu verhindern (das berühmte 
grundgesetzliche Widerstandsrecht). Soweit Freie Software oder andere 
Entwertungsbewegungen die Freizeit- und Hobbysphäre verlassen, stehen sie 
nicht neben der Rechtsordnung, sondern stellen sie infrage - sind also 
oppositionell. Es wäre naiv anzunehmen, daß die ganze Angelegenheit 
friktionslos-organisch "im Windschatten" zu entwickeln sei. 
Auch der Juristerei scheint zwischenzeitlich "was zu schwanen". Die 
kostenlose Verteilung von Linux-Versionen (z.B. als Beipack-CD bei 
Zeitschriften) wird in der Literatur zunehmend als Schenkung unter Auflagen 
interpretiert. Dies hat die Rechtsfolge, daß die Auflagen - z.B. 
Unbeschränktheit der Nutzung, kostenlose Weitergabe etc. - nur im Verhältnis 
zwischen Schenker und Beschenktem wirksam ist. Da schuldrechtlich (nur 
zwischen Vertragspartnern) vereinbarte Beschwernisse (hier: die Einschränkung 
nur ohne Gegenleistung weiterverfügen zu können) wegen des gesetzlichen 
Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter nicht weitergegeben werden können, 
wird die schuldrechtliche Kausalkette unterbrochen.  Im Ergebnis kann der 
"Beschenkte" dann wieder entgeltlich verfügen. Der Einwand, daß daran ja 
keiner ein Interesse haben könne, da die z.B. Software ja auch kostenfrei 
erhältlich sei ist nicht ganz stichhaltig. Bei entgeltlichem Erwerb, z.B 
Kauf, Miete, Leasing usw., ist der Haftungsanspruch wesentlich stärker 
ausgeformt, was für den Unternehmer eines keinesfalls zu vernachlässigender 
Gesichtspunkt ist. Jetzt habe ich Euch wohl genug gelangweilt. 
Liebe Grüße, Petra
 
 

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