Re: [ox] Literaturhinweis
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Fri, 15 Dec 2000 08:15:11 EST
Hallo allerseits.
In einer eMail vom 14.12.00 20:13:19 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt
UlrichLeicht t-online.de:
Im übrigen ein Text, der mithilft, die "unmarxsche" Sicht des
leninistischen
"Primats der Politik", die, wie uns zuletzt in der Liste auch Christian
Fuchs
mit seinen letzten verhängnisvollen mails deutlich gemacht hat, nicht nur
die
Marxsche Gesellschaftskritik (dies ist nämlich die Kritik der
p o l i t i s c h e n Ö k o n o m i e und keine Wirtschaftslehre oder
-kritik) auseinanderreißt und auf einen politischen Voluntarismus, der
schon
immer alle Abteilungen der Arbeiterbewegung und auch heute der
mainstream-linken auszeichnete, hinausläuft.
Marx hat allerdings auch den Anspruch gehabt, die realen gesellschaftlichen
und ökonomischen Entwicklungen angemessener, und das heißt durchaus auch
richtiger in Bezug auf die Empirie, erklären zu können. Dazu gibt es viele
Belege im Text (etwa in Kapital I explizit: "Es ist der letzte Endzweck
dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu
enthüllen" MEW23/16f.), in seiner empirischen Forschungsmethode und im Inhalt
seiner Texte. Er hätte sich weite Teile seines Werkes sonst schlicht sparen
können (so wie sie ja auch von den WertkritikerInnen nicht weiter beachtet
werden). Auch praktisch war Marx massiv politisch und in der aufkommenden
Arbeiterbewegung tätig und hatte von der Überwindung des Kapitalismus auch
die Vorstellung einer politischen und gesellschaftlichen Revolution, ob es
einigen ins Bild passt oder nicht. "Vorzuwerfen" wäre ihm eher, dass wohl
auch bei ihm gelegentlich der Wunsch der Vater des Gedankens war bei der
Aussicht auf das Bevorstehen dieser Umwälzung, und eine gewisse Naivität
seiner Erwartungen von einem damit verbundenen Absterben des Staates und der
Bedingungen "assoziierter Produktionsweise".
Vielleicht sollten wir uns gegenseitig einfach ersparen, zu behaupten, Marx
hätte das so oder so gesehen. Es gibt offenbar unterschiedliche
Interpretationen dazu und ich bin nicht der Ansicht, dass die der
"Wertkritiker" nun gerade die am besten belegte oder sonstwie plausibelste
ist. Viel interessanter finde ich auch den inhaltlichen, also auf die heutige
gesellschaftliche Realität bezogenen, Streit um die Frage, was denn nun von
den verschiedenen heutzutage diskutierten Alternativen zu halten ist.
Dieser kann bei allem guten
Willen mensch nicht nur in der Geschichte sondern auch heute noch in
seinen
politischen Schlußfolgerungen das Fürchten lehren, weil er meist alles
andere
als eine wirkliche Emanzipation der Menschen und der Gesellschaft auf den
Weg
brachte und bringt, die (immer bürgerliche) Politik und Politikfixiertheit
ebenso wenig wie Ware, Wert, Arbeit, Kapital aufheben will
und kann, sondern schlicht unter dem Etikett des sozialen Fortschritts,
des
"Sozialismus" oder der "Arbeiterbefreiung" verlängert. Zu diesem "Primat
der
Politik", der meines Erachtens niemals mehr einen Weg der Befreiung, der
gesellschaftlichen Emanzipation bahnen kann und dabei weit hinter solchen
anderen Wegen, wirklichen Alternativen wie "Free software" zurückbleibt
und
bleiben muß, vielleicht ein ander mal mehr.
Ich sehe die bisherige Geschichte der ArbeiterInnenbewegung keineswegs so
negativ und sehe durchaus bei aller Beschränktheit erhebliche Fortschritte im
Sinne menschlicher Emanzipation. Wenn etwas noch viel grausamer (auch im
Wortsinn) gescheitert ist als die bisherigen Sozialismusversuche in Osteuropa
oder der Reformismus (bei dem ich wie gesagt überhaupt nicht so einfach sagen
würde, dass er gescheitert ist oder keine Perspektiven mehr hätte - er hat
"nur" den Kapitalismus nicht überwunden, aber das ist ein von außen
angelegter Maßstab), dann sind es bisherige Versuche, einen Kommunismus ohne
Warenproduktion und Geld und Privateigentum durchzuführen, wie es ansatzweise
im China der Kulturrevolution oder im Kambodscha Pol Pots versucht wurde. Ich
weiß, dass man das nicht einfach übertragen kann wegen der anderen
Produktivkraftvoraussetzungen, aber positive Erfahrungen gibt es da bisher
auf gesellschaftlicher Ebene jedenfalls nicht, und schräger als die
"wertkritische" Analyse des Scheiterns des real existiert habenden ist dieser
Hinweis auch nicht.
Dort ist auch die folgende Rezension zu der Buchempfehlung von Lydia
Heller zu
finden, in der der kritische Wertkritiker Grigat neben grundsätzlicher
Kritik
ebenfalls Positives vermerkt.
Danke dafür. Ich teile die Kritik von Grigat so nicht, wahrscheinlich viele
Positionen der BuchautorInnen auch nicht. Aber trotzdem hat die Rezension das
Buch für mich interessant gemacht.
Grüße
Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844
_________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de