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Re: [ox] Literaturhinweis



Hallo allerseits.

In einer eMail vom 14.12.00 20:13:19 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt 
UlrichLeicht t-online.de:

Im übrigen ein Text, der mithilft, die "unmarxsche" Sicht des 
leninistischen 
 "Primats der Politik", die, wie uns zuletzt in der Liste auch Christian 
Fuchs 
 mit seinen letzten verhängnisvollen mails deutlich gemacht hat, nicht nur 
die 
 Marxsche Gesellschaftskritik (dies ist nämlich die Kritik der  
 p o l i t i s c h e n   Ö k o n o m i e  und keine Wirtschaftslehre oder 
 -kritik) auseinanderreißt und auf einen politischen Voluntarismus, der 
schon 
 immer alle Abteilungen der Arbeiterbewegung und auch heute der 
 mainstream-linken auszeichnete, hinausläuft.

Marx hat allerdings auch den Anspruch gehabt, die realen gesellschaftlichen 
und ökonomischen Entwicklungen angemessener, und das heißt durchaus auch 
richtiger in Bezug auf die Empirie, erklären zu können. Dazu gibt es viele 
Belege im Text (etwa in Kapital I explizit: "Es ist der letzte Endzweck 
dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu 
enthüllen" MEW23/16f.), in seiner empirischen Forschungsmethode und im Inhalt 
seiner Texte. Er hätte sich weite Teile seines Werkes sonst schlicht sparen 
können (so wie sie ja auch von den WertkritikerInnen nicht weiter beachtet 
werden). Auch praktisch war Marx massiv politisch und in der aufkommenden 
Arbeiterbewegung tätig und hatte von der Überwindung des Kapitalismus auch 
die Vorstellung einer politischen und gesellschaftlichen Revolution, ob es 
einigen ins Bild passt oder nicht. "Vorzuwerfen" wäre ihm eher, dass wohl 
auch bei ihm gelegentlich der Wunsch der Vater des Gedankens war bei der 
Aussicht auf das Bevorstehen dieser Umwälzung, und eine gewisse Naivität 
seiner Erwartungen von einem damit verbundenen Absterben des Staates und der 
Bedingungen "assoziierter Produktionsweise".

Vielleicht sollten wir uns gegenseitig einfach ersparen, zu behaupten, Marx 
hätte das so oder so gesehen. Es gibt offenbar unterschiedliche 
Interpretationen dazu und ich bin nicht der Ansicht, dass die der 
"Wertkritiker" nun gerade die am besten belegte oder sonstwie plausibelste 
ist. Viel interessanter finde ich auch den inhaltlichen, also auf die heutige 
gesellschaftliche Realität bezogenen, Streit um die Frage, was denn nun von 
den verschiedenen heutzutage diskutierten Alternativen zu halten ist. 

 Dieser kann bei allem guten 
 Willen mensch nicht nur in der Geschichte sondern auch heute noch in 
seinen 
 politischen Schlußfolgerungen das Fürchten lehren, weil er meist alles 
andere 
 als eine wirkliche Emanzipation der Menschen und der Gesellschaft auf den 
Weg 
 brachte und bringt, die (immer bürgerliche) Politik und Politikfixiertheit 
 ebenso wenig wie Ware, Wert, Arbeit, Kapital aufheben will 
 und kann, sondern schlicht unter dem Etikett des sozialen Fortschritts, 
des 
 "Sozialismus" oder der "Arbeiterbefreiung" verlängert. Zu diesem "Primat 
der 
 Politik", der meines Erachtens niemals mehr einen Weg der Befreiung, der 
 gesellschaftlichen Emanzipation bahnen kann und dabei weit hinter solchen 
 anderen Wegen, wirklichen Alternativen wie "Free software" zurückbleibt 
und 
 bleiben muß, vielleicht ein ander mal mehr.

Ich sehe die bisherige Geschichte der ArbeiterInnenbewegung keineswegs so 
negativ und sehe durchaus bei aller Beschränktheit erhebliche Fortschritte im 
Sinne menschlicher Emanzipation. Wenn etwas noch viel grausamer (auch im 
Wortsinn) gescheitert ist als die bisherigen Sozialismusversuche in Osteuropa 
oder der Reformismus (bei dem ich wie gesagt überhaupt nicht so einfach sagen 
würde, dass er gescheitert ist oder keine Perspektiven mehr hätte - er hat 
"nur" den Kapitalismus nicht überwunden, aber das ist ein von außen 
angelegter Maßstab), dann sind es bisherige Versuche, einen Kommunismus ohne 
Warenproduktion und Geld und Privateigentum durchzuführen, wie es ansatzweise 
im China der Kulturrevolution oder im Kambodscha Pol Pots versucht wurde. Ich 
weiß, dass man das nicht einfach übertragen kann wegen der anderen 
Produktivkraftvoraussetzungen, aber positive Erfahrungen gibt es da bisher 
auf gesellschaftlicher Ebene jedenfalls nicht, und schräger als die 
"wertkritische" Analyse des Scheiterns des real existiert habenden ist dieser 
Hinweis auch nicht.
 
 Dort ist auch die folgende Rezension zu der Buchempfehlung von Lydia 
Heller zu 
 finden, in der der kritische Wertkritiker Grigat neben grundsätzlicher 
Kritik  
 ebenfalls Positives vermerkt.

Danke dafür. Ich teile die Kritik von Grigat so nicht, wahrscheinlich viele 
Positionen der BuchautorInnen auch nicht. Aber trotzdem hat die Rezension das 
Buch für mich interessant gemacht.

Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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