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Gesetzmäßigkeit, Zwang und Notwendigkeit (war: Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?)



Stefan Merten wrote:

Arbeit ist notwendig, aber Zwang im engeren hier offenbar gemeinten Sinne ist
ewas anderes. Essen ist auch notwendig, um sich am Kacken zu halten, aber
macht es Sinn, man das als Zwang bezeichnen?

Da reißt du eine interessante Frage auf: Wann macht es Sinn von Zwang
zu sprechen? Sind Naturgesetze Zwang? Ist Herrschaft Zwang? Ist die
Notwendigkeit zum Stoffwechsel mit der Natur Zwang? Ist die Art und
Weise der Organisation Zwang?

Ich vermute, daß es auf die Perspektive ankommt, unter der das jeweils
betrachtet werden soll. In der Physik ist es z.B. sicher sinnvoll
Naturgesetze als Zwang aufzufassen.

Kommt auch wieder drauf an, in welchem Sinne und für was/wen. Wenn ich
mich ein Hochhaus runterstürze, folge ich dem Fallgesetz. Die
Entscheidung, ob ich das will, hab ich vorher getroffen. Ich "bin" -
physikalisch gesehen - dann nur noch ein fallender physikalischer
Körper, bei dessen Fall "zwangsweise" die Relationen des Fallgesetz
gelten.

Für Menschen in ihrem Umgang mit der diesen Gesetzen "folgenden" Natur
sieht das aber prinzipiell anders aus:

a) Gesetze sind nicht identisch mit Prozessen. Ein Gesetz sagt nicht:
Dieser Gegenstand wird sich jetzt so oder so verhalten. Sondern ein
konkreter Prozeß ist immer von vielen verschiedenen gesetzmäßigen
Zusammenhängen gleichzeitig bestimmt (von denen einige grade
wichtiger/wesentlicher sind als andere...). Insofern kann man
verschiedene Gesetze "gegeneinander ausspielen". Deshalb ist technisches
Wirken nicht "gegen die Naturgesetze", wie noch Aristoteles dachte,
sondern eher eine Überlistung.

b) Gesetze wirken nie universal immer und überall, sondern immer nur
unter Bedingungen. Und diese Bedingungen kann man - mehr oder weniger -
verändern. Das ist der ganze "Trick" bei der Problemstellung der
Determination/Bestimmung/Festlegung von menschlichem Verhalten durch
Natur- und gesellschaftliche Gesetze. Man kann nicht ändern, wie ein
Körper fällt, wenn erst einmal bestimmte Anfangsbedingungen
(Vorhandensein eines Schwerefelds, massebehafteter Körper, entsprechende
Fallhöhle) gegeben sind. Ich kann aber oft darauf einwirken, ob diese
Anfangsbedingungen gegeben sind, oder nicht oder eben andere. Trotz
Gesetzmäßigkeit habe ich dann keinen Zwang im Sinne von
Unausweichlichkeit. 

Wenn Ihr jetzt meint: "Das ist doch klar, was soll das Gesülze!", dann
hier nur zwei Zitate, die zeigen, daß eine andere Interpration
gesellschaftspolitisch daneben gehen kann: 

"Im Selbstverständnis der SED galt die Partei als Vollstrecker der
gesellschaftlichen Gesetze. Das verband sich mit der Auffassung, daß ihr
eine größere Erkenntnis- und Entscheidungskompetenz zufällt als allen
anderen."(Bericht von Egon Krenz u.a. ehemaligen Mitgliedern des
Politbüros an den 1. Außerordentlichen Parteitag der SED, in:
Protokollband "Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS" 1999)

"Man kann sich der Globalisierung nicht entziehen, sie hat fast so etwas
wie den Charakter eines Naturgesetzes angenommen, man muss damit leben,
wie man mit anderen Naturgesetzen leben muß" (Schusser, Siemens AG,
Konzernbeauftragter EXPO 2000, 1998).

Als kurzer Versuch einer Arbeitsdefinition für uns würde ich mal
sagen, daß das Zwang ist, was mit Gewalt durchgesetzt werden kann /

Ich glaube, mit dem Gewaltbegriff ist nicht allzuviel geklärt, weils da
auch wieder Diskussionen drum gibt - siehe strukturelle und direkte
Gewalt. 

muß, alles durch Menschen Erzwungene also. Das andere - durch die
Natur Erzwungene? - würde ich dann mal als Notwendigkeit bezeichnen.

"Zwang  = mit Gewalt durchgesetzt - durch Menschen erzwungen 
Notwendigkeit = durch Natur erzwungen" ? 

Man kann das sicher so bezeichnen, aber es macht - zumindest für mich -
nicht viel klarer. Auch Naturgesetze setzen sich "mit Gewalt" durch.
Strukturelle Gewalt wirkt dagegen auch auf Menschen mit (einer gewissen)
Notwendigkeit... 

Dahinter steckt, daß alles sich dynamisch Bewegende/Entwickelnde von
höherwertiger Energie lebt und niederwertige Energie (Entropie) wieder
abgibt. Das ist ein umfassenderer Zusammenhang - die Bedingungen dafür
sind immer gegeben, wo etwas Dynamisches existiert (also für Alles). 
Das ist tatsächlich eine allgemeine Rahmenbedingung in der gesamten
Natur. Daraus ergibt sich aber auch, was Du dann schreibst:

In diesem Sinne wäre Essen an sich eine Notwendigkeit, aber die Art
und Weise wie oder auch was gegessen wird, kann einem Zwang
unterliegen. Ebenso natürlich die Art und Weise der Produktion der
Nahrungsmittel.

Ja, richtig.
Und was jeweils notwendig ist, ergibt sich aus den jeweils umfassenderen
Zusammenhängen, in die das, was man grad betrachtet, eingebettet ist. 
Vom Begriff her entsteht Notwendigkeit daher, daß alle Bedingungen
realisiert sind, die zu dem führen, was man als notwendig bezeichnet.
Notwendig ist jeweils das, wofür alle Bedingungen gegeben sind.
 Auf einer Ebene betrachtet, gibt es Notwendigkeit deshalb
eigentlich immer erst in der Rückschau auf das Vergangene, in der
Gegenwart können sich Bedingungen immer noch ändern oder verändert
werden. Bei verschiedenen Ebenen (wie Physik, Biochemie gegenüber
sozialem/gesellschaftlichen Verhalten) stellen die Gegebenheiten der
umfassenderen Bereiche so was wie Bedingungsgesamtheiten dar (unsre
Biochemie verlangt tatsächlich notwendigerweise bestimmte Stoff- und
Energieinputs...). 

Wenn ich dem noch ein wenig weiter nachspüre, dann ist vielleicht der
Begriff der Notwendigkeit bislang zu wenig von uns beleuchtet worden.

In abgehobener Weise ;-( hab ich eben was dazu geschrieben... 

Wenn ich ein Stück (Freie) Software bastele, das ich jetzt gerade
brauche, so kann das durchaus geschehen, um einer Notwendigkeit zu
begegnen.

Hmm... Vielleicht sollten wir den Begriff der Notwendigkeit stärker
neben den der Selbstentfaltung stellen? Vielleicht so: Freie Software
wird aus Gründen der Selbstentfaltung und aus Notwendigkeit heraus
produziert. Das ist vielleicht stimmiger, als die Notwendigkeit
einfach in die Selbstentfaltung zu integrieren.

"Freie Software wird aus Gründen der Selbstentfaltung und aus
Notwendigkeit heraus produziert."

Da ist mir die "Notwendigkeit" inhaltlich zu unbestimmt. Aus welcher
Notwendigkeit heraus? Welche Notwendigkeit siehst Du über die
Selbstentfaltung hinaus am Wirken bei Freier Software? Essen und Kacken?
Gehört das nicht auch zur Selbstentfaltung? 
Aber es stimmt, man sollte das gedanklich mal auseinanderhalten, was nur
Spaß ist  und was anders ist...

Die Frage ist, ob man die Notwendigkeiten aus der Selbstentfaltung
ableitet, den Begriff der Selbstentfaltung also total weit macht (und
eben festlegt, daß etwas, was nicht der Selbstentfaltung dient, nicht
als notwendig anzuerkennen ist - dazu gehört die stofflich-energetische
Reproduktion seiner physischen und biochemischen Existenz durchaus dazu)
- oder ob man Selbstentfaltung auf das, was nicht so streng als
notwendig gesehen wird - also eher den Spaßfaktor - reduziert (wenn man
es strikt trennt). 

Hab ichs jetzt schön verkompliziert? 


Ahoi Annette



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