[ox] Zu Stefan Merten
- From: "rhizom 00" <rhizom00 hotmail.com>
- Date: Sun, 10 Dec 2000 03:13:25 +0100
Hi Stefan Merten,
ob mein Name in der E-Mail steht oder nicht ist wohl meine Sache.
Mich interessiert Euer Linuxquatsch eigentlich nicht, ich habe hier nur kurz
mitdiskutiert, da einer meiner Texte angesprochen wurde.
Bei einigen Linken ersetzt halt anscheinend der Glaube an irgendwelche
zweifelhaften virtuellen Alternativen die konkrete politische Praxis.
Das Ganze ist äußerst reformistisch und technik-deterministisch.
Diese ganzen Texte die es da gibt, interessieren mich eigentlich nicht, da
ich meine Zeit besser verbringen kann als damit, daß ich stundenlang Unsinn
lese und dann eine Kritik formuliere, von der ich sowieso schon weiß, wie
sie ausschaut. Nämlich ein Reformismusvorwurf.
Entweder Fundamentalkritik des Kapitalismus oder Reformismus. Dazwischen
gibt es nichts. Für mich ist nur das erste akzeptabel, das letzte zu
kritisieren.
Alles was als politische Emanzipationsbewegung interpretiert werden könnte
war geschichtlich gesehen zwar nicht sehr erfolgreich, aber immerhin
erfolgreicher als ökonomische Emanzipationsversuche. Solche Projekte sind
nämlich meist Selbstzweck, es geht nicht darum, Menschen von etwas zu
überzeugen, sondern sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Genau so sieht das auch bei diesem Linuxgequatsche aus. Tatsächliche Politik
findet ohnehin nicht in Mailinglisten statt. Aber um Politik scheint es Dir
ja nicht zu gehen.
Wenn es irgendwann mal eine Hoffnung auf Emanzipation vom Kapitalismus
gegeben haben sollte, dann noch am ehesten in der Arbeiterbewegung in ihren
guten Tagen. Und das war nun mal kein ökonomisches Projekt, sondern eine
politische Bewegung. Heute ist das zwar eher unrealistisch, da das
Bewußtsein in seiner Eindimensionalität massenhaft hergestellt wird und das
Resultat der rassistische Arbeiter für sich ist. Das heißt aber nicht, daß
sich das Bewußtsein nicht auch positiv verändern könnte. Aber wenn, dann nur
durch einen politischen Trigger, nicht durch einen ökonomischen.
Wo waren denn historisch gesehen die großen gesellschaftlich relevanten
konkreten ökonomischen Emanzipationsbewegungen?
Glaubst Du tatsächlich, daß Linux, GPL, etc. den rassistischen
Arbeiteridioten auf der Straße interessieren??? Nein, hier zählen Argumente.
Darauf käme es nämlich an. Linux und dessen angebliche Keimform etc.
interessiert einige mit Spezialinteressen, aber von wirklicher Relevanz ist
es heute nicht.
Nennt Euch doch reformistische Informatik, denn Kritik ist etwas anderes.
Eine ökonomische "Keimform" kann es im Kapitalismus nicht geben, da du hier
niemals den Tausch aufheben kannst und Du letzen Endes immer an die Geldform
gebunden bleibst. So einfach ist das. Resultate sind in diesen
"Alterativprojekten" eben immer wieder die Reproduktion der ganzen alten
Scheiße, ob in Tauschringen, selbstverwalteten Betrieben oder sonstwas.
Und viel von dieser ganzen Reformismuskacke will eben den Tausch auch nicht
unmittelbar aufheben, sondern will eine Übergangsphase. Und jede
Übergangsphase verharrt im Alten, ist kein Fortschritt und wird auch niemals
einer sein. Ich bezweifle, daß es ein Hinüberwachsen in eine andere
Gesellschaft gibt, nur einen qualitativen Bruch samt Aufhebung im
Bifurkationspunkt.
Natürlich wird der Kapitalismus auf dem Feld der Ökonomie nicht für
unschlagbar gehalten, aber postuliert, daß er dabei nur politisch schlagbar
ist, da eine Veränderung nur durch eine Massenbewegung erfolgen kann. Und
diese Massen gilt es zur Selbstorganisation zu bewegen. Ansonsten kommt
wiederum nur Herrschaft heraus. Fortschritt ist nur die Aufhebung jeder
Herrschaft und die Aufhebung aller kapitalistischen Kategorien. Sofort.
Nicht später. Denn dieses später wird es sonst nicht geben, da es neue
Herrschende unter anderen Vorzeichen geben wird. Wie realistisch ist denn
das, daß sich all die Menschen, die zum großen Teil schauen müssen, wie sie
über die Runden kommen, an sogenannten ökonomischen "Alternativprojekten"
orientieren und dann ein revolutionäres Bewußtsein entwickeln? Noch
unrealistischer, als daß sie politisch zur sozialen Selbstorganisation
bewegt werden können.
Ob "freie" Software oder sonstwas vergleichbares. Selbstzweck.
Technologischer Determinismus. Ökonomismus. Reformismus. Weltfremdheit.
Schaumschlägertum. Hoffnungen in die Technik von frustrierten Linken, die
sonst nichts zusammenbringen und sich auf Theorie fernab jeder relevanten
Praxis beschränken.
Daß es eine ökonomische Emanzipationsbewegung innerhalb des Kapitalismus
geben kann, kann ich auch behaupten, ohne all Eure Texte auswendig gelernt
zu haben. Nimm Euch nicht so wichtig, tatsächlich ist all das eine heißer
Haufen Scheiße als Abfall des Berges an gesellschaftlich Relevantem.
Leb' weiter in Deiner pseudolinken Scheinwelt.
Unversöhnlichst.
Es gibt nichts Richtiges im Falschen.
Ein sich in dieser Mailingliste nie mehr zu Wort meldender (was ich ursprgl.
auch nicht vorhatte, da mir meine Zeit für sinnlose Diskussionen zu schade
ist)
Christian Fuchs
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