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[ox] Es ist notwendig, das Europäische Patentamt in die Schranken zu weisen



SPIEGEL ONLINE - 05. Dezember 2000, 12:02
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,106278,00.html

Richard Stallman

"Es ist notwendig, das Europäische Patentamt in die Schranken zu weisen"

Von Matthias Spielkamp

Richard Stallman, Guru der Open-Source-Bewegung, kämpft seit Jahren gegen
Softwarepatente. Dass das Europäische Patentamt nun "Software als solche"
von der Patentierung ausschloss, ist für ihn trotzdem nur ein "Teilerfolg".

SPIEGEL ONLINE: Wie beurteilen sie die Entscheidung der Europäischen
Patentbehörde, die geltenden Gesetze nicht zu ändern und damit "Software als
solche" weiter von der Patentierung auszuschließen - ist das ein großer
Erfolg?

Richard Stallman: Es ist ein Teilerfolg. Wir haben weiterhin das Problem,
dass das Europäische Patentamt die Vorschriften ignoriert und Software
ohnehin patentiert. Es ist notwendig, das Patentamt in seine Schranken zu
weisen oder diese Patente in den angeschlossenen Ländern einfach abzulehnen.
Wir haben eine Attacke zurückgeschlagen, aber es gibt viele Gefechte an
anderen Fronten, die gewonnen werden müssen, um Softwarepatente loszuwerden.
Andere Länder in der Welt haben ähnliche Schwierigkeiten und wehren sich
nicht so, wie es Europa jetzt getan hat.

SPIEGEL ONLINE: Warum halten Sie Softwarepatente überhaupt für eine
schlechte Idee?

Stallman:
Softwarepatente
behindern
das
Schreiben von Programmen. Das ist, als wolle man ein Patentsystem für
musikalische Ideen einführen. Ein melodisches Motiv hätte patentiert werden
können, oder die Idee, vier Instrumente gleichzeitig spielen zu lassen.
Überlegen sie einmal, was das für jemanden bedeutet, der eine Symphonie
schreiben möchte - er muss sich jederzeit fragen, ob seine Entscheidungen zu
einem Gerichtsverfahren führen.
Selbst wenn er weiß, welche Idee patentiert ist und wie er vermeiden kann,
sie zu nutzen, macht es das Komponieren natürlich komplizierter. Irgendwann
würde es schwieriger, eine Symphonie zu schreiben, wegen der man nicht
verklagt würde, als eine, die man sich gern anhört. Jede Symphonie nutzt
Ideen, die Menschen vorher schon gehört haben, selbst wenn es eine neue
Symphonie ist. Was soll man machen, wenn einen alles, was man tut, in einen
Rechtsstreit verwickeln kann? Man hört damit auf. Beethoven hätte sich einen
anderen Job suchen müssen.

SPIEGEL ONLINE: Ein wichtiges Argument für Patente ist, dass Erfinder ihre
Ideen zu Geld machen können und das ein Anreiz für Innovationen sei.

Stallman: Die Idee, durch Softwarepatente den Fortschritt anzuspornen, führt
in die völlig falsche Richtung. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Patente.
Ich bin gegen Softwarepatente, weil ich sehe, was sie bewirken.
Diejenigen, die einer Ideologie anhängen, schauen nicht auf die
Auswirkungen, sondern gehen einfach davon aus, dass Patente den Fortschritt
befördern. Und das ist falsch. Programmierer sind gegen Softwarepatente,
weil sie ihre eigene Arbeit kennen. Sie wissen, dass es harte Arbeit ist,
Programme zu entwickeln. Und daran hindert sie nicht der Mangel an Ideen,
sondern dass es Monopole auf Ideen gibt, die sie dann nicht verwenden
dürfen. Wenn diese Ideen patentiert sind, wird das Programmieren zu einem
Gang durch ein Mienenfeld. Bei jedem Schritt befürchtet man, dass man auf
ein Patent "treten" könnte. Die Chancen, ein großes Programm zu schreiben,
ohne ein Patent zu verletzen, werden immer kleiner, je mehr Patente es gibt.

SPIEGEL ONLINE: Warum gibt es dann überhaupt Befürworter der
Softwarepatente?

Stallman: Die einen mögen Patente, weil sie ins Patentsystem eingebunden
sind. Patentanwälte etwa neigen dazu, sich für Softwarepatente
auszusprechen, weil sie ihnen ein völlig neues Geschäftsfeld eröffnen. Ein
anderer Grund ist die Eigentumsideologie. Weil man an die Idee des Eigentums
glaubt, muss jede neue Art von Eigentum eine gute Sache sein, und die Lösung
für alle sozialen Probleme ist, ein neues Monopol zu erfinden und es ein
Eigentumsrecht zu nennen.
Und wie bei vielen naiven, dogmatischen Ideologien ist das manchmal falsch.
Der dritte Grund für Softwarepatente ist der Druck, den multinationale
Softwareunternehmen auf die Gesetzgeber ausüben. Die Unternehmen besitzen
eine Menge Softwarepatente. Daher können sie die meisten anderen
Patenteigner zu wechselseitiger Lizenzierung zwingen. Dadurch vermeiden sie
die größten Probleme des Patentsystems und genießen ausschließlich die
Vorteile. Der Ärger bleibt an uns anderen hängen.


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Zum Thema:

Kontext: · Hintergrund: Wer ist Stallman?
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