[ox] Beitrag von Christian Fuchs
- From: Hans-Gert Graebe <graebe informatik.uni-leipzig.de>
- Date: Mon, 20 Nov 2000 10:06:30 +0100 (MET)
Zu Ralf Krämers Kritik (13 Nov) an "Die Anwendbarkeit der
Werttheorie in der Informationsgesellschaft" und die Replik von
Christian Fuchs (15 Nov)
Ein entscheidendes Defizit der vorgetragenen Argumentation von
Christian Fuchs sehe ich darin, dass sie die Dynamik der
individuellen Wissensproduktion ins Auge fasst, aber die Dynamik
der sozialisierten Komponente, also der
"kommunizierten Meinungen anderer oder von Wissen aus Büchern,
Medien, Gesprächen"
nicht ausreichend berücksichtigt. Gerade diese "Wissensbasis der
Menschheit" - andernorts von mir als "Informationsraum"
bezeichnet - ist es, die nur als gesamtgesellschaftliches Gut
reproduzierbar ist und nicht in eine Summe von Privateigentum
parzelliert werden kann. Wenigstens nicht, ohne wesentliche
Sozialisierungsformen von Wissen im heutigen Verständnis
aufzugeben. Denn da ist Wissen - noch, in wesentlichen Teilen
zumindest - Gemeineigentum. Insofern ist die Frage, ob es sich
"bei Informations- und Wissensarbeit um mehrwerterzeugende
Arbeit" handelt, auch nicht deshalb mit NEIN zu beantworten, weil
sich der eventuelle Output nicht akkumulieren lässt, sondern weil
es eine PRINZIPIELL FALSCHE FRAGE ist, wenn es um die Dynamik der
Sozialisierung solcher Arbeit geht. Davon zu trennen ist die
Frage, dass Wissensarbeit auf krude Weise ein Wert
_zugeschrieben_ wird, wenn im kap. Verwertungsprozess ein solcher
benötigt wird (also das Wissen nicht deshalb kostenlos
ausgebeutet werden kann, weil es in außerökonomischen Strukturen
entstanden ist). Ich hatte bereits darauf hingewiesen, warum Marx
für eine solche Zuschreibung den Mechanismus des "capital fixe"
als _nicht geeignet_ betrachtet. Und einigermaßen gut
funktionieren all diese Wertzuschreibungsverfahren auch nur für
den Teil der Wissensarbeit, der etwas aus dem "Wissenspool"
herausnimmt, also für unmittelbar in Produkte umsetzbare
Anwendungsforschung.
Christian Fuchs (15 Nov) weiter
Das produzierte Wissen ist in seiner Abstraktheit auch noch
nicht akkumulierbar, sondern nur die Basis eines
akkumulierbaren Outputs. Es folgt erst eine weitere Phase, bis
eine marktfähige Ware hergestellt wird. Das dafür benötigte
Wissen wurde nur einmal erzeugt, das ist eben seine
vorteilhafte Eigenschaft. Es ist nicht akkumulierbar, die nun
entstehende Ware schon.
Genau das ist der Punkt. Wissen ist Teil der _Infrastruktur_, in
die produktive Aktivität im marktwirtschaftlichen Sinne
eingebettet ist. Die Dynamik von Infrastruktur ist in keiner mir
bekannten Markttheorie berücksichtigt. Im Gegenteil, Marktdenken
bedeutet ja gerade, _davon_ zu abstrahieren. Infrastruktur ist
das, was alle Marktteilnehmer haben, aber keiner bezahlen will
und aus marktwirtschaftlichem Kalkül heraus auch nicht bezahlen
_darf_, ohne es zugleich der allgemeinen kostenfreien
Verfügbarkeit zu entziehen. Dann wäre es aber keine
Infrastruktur mehr.
Christian Fuchs (15 Nov) weiter
Die Forschenden sind einerseits produktive Arbeitende, wenn
die kooperative Dimension (mit dem Produzenten, HGG)
hinzugenommen wird, unproduktive Arbeitende ohne die
kooperative Dimension (da dann die Selbstzweckhaftigkeit
entfällt). Nicht soziales Wissen wird hier verkauft, sondern
seine Vergegenständlichung.
Die kooperative Dimension bedeutet aber, dass ein Partner der
Kooperation, der Produzent der Ware, zunächst, aus dem Verkauf
der Ware am Markt, _alles_ Geld bekommt und dann erst mit dem
anderen teilt. Also die "Büchse auf dem Tisch", hier aber nur
der beiden, wobei nur einer (kraft seiner Stellung am Markt) Geld
hineinzutun hat, beide aber davon "leben". Muss schon eine gute
Freundschaft sein, wenn das gerecht ausgeht. Nun löse aber mal
diese Kooperation in ein Marktverhältnis zwischen beiden auf.
Denn darum geht es ja gerade beim Versuch, Wissen zu vermarkten.
Christian Fuchs (15 Nov) weiter
Nehmen wir als Beispiel die Produktion einer nicht massenhaft
hergestellten Spezialsoftware, die für einen einzelnen
Einsatzbereich maßgeschneidert wird. Hier ist das klassische
Schema der erweiterten Reproduktion einfach nicht
anwendbar. ... Akkumulation des Kapitals basiert auf der immer
erneuten Produktion einer Warenart. Was du beschreibst, ist
der Abbruch eines Reproduktionsprozesses und der Entzug eines
Teils des Kapitals als Basis eines anderen Akkumulations- oder
Reproduktionsprozesses. Die Herstellung einer
Individualsoftware ist kein Akkumulationsprozeß, die
Herstellung der immer gleichen Massensoftware, um immer mehr
Geldkapital anzuhäufen, schon. Stellt eine Firma nun nur
Individualsoftware her, so sind dies lauter einfache
Reproduktionsprozesse, aus denen immer ein Teil des Kapitals
als Basis für einen anderen Produktionsprozeß entzogen wird.
(Re-)Produktionsprozeß meint für mich nur die (Re-)Produktion
einer Warenart, sonst gäbe es nur einen gesellschaftlichen
Produktionsprozeß und jede differenzierende Untersuchung wäre
hinfällig.
Die Argumentation hinkt. Die Spezialsoftwarefirma reproduziert
die _Bedingungen_, ihre _Kompetenz_, Spezialsoftware
herzustellen, denn es sind keine Kapitalumlagerungen notwendig,
um _andere_ Spezialsoftware ähnlichen Kalibers von _denselben_
Spezialisten mit _denselben_ Tools zu schaffen, genau wie es wohl
kaum ein _anderer_ Reproduktionsprozess ist, wenn bei Ford nach
einem grünen ein blaues Auto vom Band rollt.
Softwareproduktion ist zwar eine Wissensarbeit, aber
sicherlich nicht Wissenschaft. Hier wird bestehendes Wissen
angewandt und vergegenständlicht, aber es wird nicht neues
Wissen geschaffen. Und auch andere Merkmale von Wissenschaft
(Diskurs, Kritik, Auseinandersetzung etc.) treffen nicht
zu. Software enthält kein neues Wissen, bereits bestehendes
vergegenständlicht sich aber in ihm. Es handelt sich um Code,
hergestellt auf der Basis bereits existierender Erkenntnisse.
Das verkennt gründlich die kreative Komponente im
Softwareerstellungsprozess, insbesondere im Bereich der
effizienten Implementierung im Prinzip bekannter Algorithmen.
Gerade um die Privatisierung der Resultate solcher Kreativität
geht es bei der Software-Patentierungsdebatte.
Hans-Gert Gräbe
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