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Re: [ox] Replik auf Krämers Kritik an 'Die Anwendbarkeit der Werttheorie in d...



Hallo Christian,

(wenn du das geschrieben hast, das geht aus der mail nicht klar hervor). Ich 
will nur auf einige Punkte eingehen, was wiederum nicht heißt, dass ich alles 
andere teile, aber vieles teile ich durchaus. Und jedenfalls finde ich diese 
Art von inhaltlicher Diskussion gut.

Replik auf Ralf Krämers Kritik an „Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der 
 Informationsgesellschaft" (C. Fuchs) vom 13.11.2000

 Es kann nicht gesagt werden, daß nur Arbeit im Produktionsbereich 
produktiv 
 ist, alle Dienstleistungen oder jede Wissensarbeit als unproduktiv zu 
 erachten sind etc. So einfach verhält es sich heute eben nicht.
 Wenn ich davon gesprochen habe, daß Wissenschaft keine abstrakte 
 wertschaffende Arbeit ist, so habe ich zunächst jene an öffentlichen 
 Institutionen gemeint. Nichtsdestotrotz stellt sie auch hier eine 
 wesentliche Basis der Kapitalakkumulation dar. 

Sehe ich im Prinzip auch so, habe ich aber auch in meiner Kritik schon 
geschrieben.

 Diese Arbeit ist Ware, indem 
 sie sich gegen Lohn tauscht. Daher hat sie einen Tauschwert. 

Das ist wieder eine Formulierung, die ich als schief bzw. nicht korrekt 
bezeichnen würde. Damit will ich sie ja nicht verbieten. Aber in einem 
marxistischen Diskurs, und in einem solchen habe ich den Text von Christian 
Fuchs betrachtet, ist geradezu ein Kernpunkt die Position, dass nicht die 
Arbeit, sondern die Arbeitskraft  hier die Ware ist und einen Wert hat. Der 
Lohn _ist_ der Tauschwert dieser Ware.

Ist die Arbeit in Forschungsabteilungen kapitalistischer Konzerne
 nun mehrwertschaffend? Du meinst ja. Ich denke, daß dies genau 
 differenziert gehört. (...)
 Natürlich hat diese Forschungsarbeit nun einen Tauschwert, sie 
 tauscht sich gegen Geld. Aber produziert sie Mehrwert? Nicht ja, sondern 
ja 
 und nein! Das entstehende materielle oder immaterielle Produkt ist zumeist 
 noch keine Ware, die auf dem Markt verkauft wird und mit anderen Waren 
 konkurriert. Sie ist nur für die exklusive Nutzung durch den 
 kapitalistischen Konzern bestimmt. Es kann daher noch keine Akkumulation 
des  
 Kapitals stattfinden, da wir erst in einer reinen Forschungsphase sind. 
Ein 
 entstehender Mehrwert kann hier also auch noch keine Selbstzweckdimension 
 haben. Der/Die Forschende wäre also in diesem Sinn keinE 
 produkiv-mehrwertschaffendeR ArbeitendeR. 

Ich wies darauf hin, dass soweit ein Patent angemeldet und auf der Basis 
Lizenzen oder wenn das Nutzungsrechts an einer Software verkauft wird, 
durchaus das immaterielle Produkt der wissenschaftlichen Arbeit selbst die 
wesentliche Ware ist. Aber auch wenn es nur Vorarbeit für auf der Basis in 
dem Unternehmen selbst prpoduzierte Waren ist, ist es m.E. produktive Arbeit 
im Sinne der Marxschen Bestimmmung. Marx hat im Kapital Bd. 1 das m.E. ganz 
klar ausgeführt: "Mit dem kooperativen Charaker des Arbeitsprozesses selbst 
erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres 
Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu sein, ist es nun nicht 
mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu 
sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen." MEW 23, S. 531.

 Es kann übrigens auch nicht die EINE 
 Marxinterpretation geben, die uns sagt, ob sie nun produktiv, unproduktiv 
 oder beides sind. Es gibt viele Interpretationen davon, eine als 
„Wahrheit" 
 zu setzen wäre stalinistische Taktik. Für mich ist meine wahr, d.h. aber 
 nicht, daß ich einen allgemeinen Wahrheitsanspruch erhebe und andere 
 Interpretationen nicht akzeptieren kann. Interessant, daß es andere gibt. 
 Ich erachte beispielsweise die Taktik der Krisis, die „richtige" 
 Marxinterpretation zu beanspruchen, als problematisch. So stellen sie etwa 
 Michael Heinrich als „Gotteslästerer" hin, da er Marx anders 
interpretiert. 
 Müßig, über so etwas zu streiten. Problematisch, andere Interpretationen 
 nicht zulassen zu wollen. Mir hat dann gut gefallen, daß Heinrich das als 
 stalinistisch bezeichnet hat.

Ich finde sowohl (Teile der) Marxinterpretation von Krisis falsch als auch 
v.a. in der Sache ihre theoretische und politische Position. In Bezug auf 
Heinrich gilt aus meiner Sicht ähnliches, die Differenzen sind aber v.a. 
politisch geringer. Ebenso ist Marx selbst m.E. in Teilbereichen zu 
kritisieren. Gotteslästerungsvorwürfe sind also völlig daneben, zumal es 
Götter eh nicht gibt und Marx das auch weit von sich gewiesen hätte. Aber 
andererseits ist es selbstverständlich legitim, die eigene Position als 
richtig bzw. wahr zu betrachten und zu behaupten und andere als unwahr bzw. 
falsch und dies dann mit Argumenten, Forschungsergebnissen etc. zu begründen. 
Für die VertreterInnen anderer Positionen gilt das ebenso, und das ist dann 
der Ausgangspunkt wissenschaftlicher Diskussion. Das heißt nicht, dass 
Beliebiges behauptet werden kann (bzw. es kann schon alles mögliche behauptet 
werden, aber das nimmt dann niemand wissenschaftlich erst), sondern dass es 
Kriterien gibt, an denen sich die Behauptungen messen lassen müssen, wenn sie 
als wissenschaftlich gelten wollen, z.B. logische Widerspruchsfreiheit, ggf. 
Übereinstimmung mit emprischen Ergebnissen (ohne jetzt in 
wissenschaftstheoretische Debatten einsteigen zu wollen) etc. Oft (nicht 
immer) ist dann auch eine zumindet weitgehend, idealerweise auch vom 
ehemaligen Kontrahenten getragene Entscheidung möglich, welches die richtige 
Behauptung war. Das ist ein Weg wissenschaftlichen Fortschritts. 
Stalinistisch wird es erst, wenn eine Instanz sich autoritär anmaßt, von 
außen und ohne sich selbst dieser Diskussion zu stellen, zu entscheiden, was 
wahr ist, und evt. sogar gegenteilige Positionen zu verbieten und ihre 
AnhängerInnen zu verfolegn. Das will hier sicher niemand.

 Akkumulation des Kapitals basiert auf der immer erneuten Produktion einer 
 Warenart. Was du beschreibst, ist der Abbruch eines Reproduktionsprozesses 
 und der Entzug eines Teils des Kapitals als Basis eines anderen 
 Akkumulations- oder Reproduktionsprozesses. 

Tut mir leid und ist nicht böse gemeint, aber m.E. ist das Unfug. Es werden 
nicht bestimmte Waren akkumuliert, sondern Geld als Ausgangs- und Endpunkt 
der Kapitalzirkulation. Das gilt für das Einzelkapital und natürlich erst 
recht für das gesellschaftliche Gesamtkapital. Ich behaupte 1., dass das auch 
die Marxsche Position war (aber das ist für mich zweitrangig), und 2., das 
ist v.a. wichtig, dass es die einzig sinnvolle für die Analyse 
kapitalistischer Akkumulation ist. Diese ist doch gerade dadurch 
gekenzeichnet, dass nicht nur immer mehr von Allem produziert wird, sondern 
sowohl immer neue Konsumprodukte und erst recht Produktionsmittel entwickelt 
und produziert werden. Ich habe aber nicht die Zeit, das jetzt hier weiter zu 
begründen, sorry, und kann und will dich natürlich auch nicht hindern, weiter 
eine andere Position zu vertreten. Ich empfehle nur, das noch mal zu 
überdenken.

 Du meinst, der Produktionsprozeß einer Software, die auf CD vertrieben 
wird,  
 ist von jenem der CD zu unterscheiden. Softwareproduktion ist zwar eine 
 Wissensarbeit, aber sicherlich nicht Wissenschaft. Hier wird bestehendes 
 Wissen angewandt und vergegenständlicht, aber es wird nicht neues Wissen 
 geschaffen. Und auch andere Merkmale von Wissenschaft (Diskurs, Kritik, 
 Auseinandersetzung etc.) treffen nicht zu. 

Softwareproduktion ist im Einzelnen wohl keine Wissenschaft (Informatik 
schon), aber es werden dabei schon neue, so vorher nicht vorhandene 
Infomationsprodukte erzeugt.

 Software ist 
 nicht tauschfähig ohne einen materiellen Träger, sei dies eine CD, das 
 Internet oder sonstwas. 

Da ist ein allgemeinerer Punkt angesprochen, von dem das nur die Konsequenz 
ist, nämlich dass Infomation immer ein materielles Substrat braucht (und sei 
es ein menschliches Gehirn), allerdings ist es sinnvoll, die Information von 
diesem Substrat analytisch zu trennen und kann die stoffliche Dimension mit 
modernen Methoden für praktische Zwecke vernachlässigbar klein gestaltet 
werden.

 Produktion einer Software, die auf CD vertrieben wird, 
 bedeutet für mich nicht zwei Produktionsprozesse, so wie du das 
anscheinend 
 auffaßt (Produktionsprozeß der Software und Produktionsprozeß - d.h. 
Pressen  
 von Information auf CD - der CD), sondern einen zusammengehörigen 
 Produktionsprozeß.

Vom Standpunkt der CD-Produktion kann man das so sehen, die Programmiererei 
als bloße Vorstufe zu betrachten, aber schon wenn dieselbe Software nicht nur 
auf CD, sondern auch auf anderen Medien verbreitet wird, zeigt sich m.E., 
dass das nicht sinnvoll ist bzw. das Problem nicht hinreichend erfasst. Und 
wie gesagt, selbst wenn es so wäre, spräche das nicht gegen die Produktivität 
der Programmierarbeit als Teilfunktion eines Gesamtarbeitsprozesses.

 Ich denke man kann nicht sagen, daß Dienstleistungen generell unproduktiv 
 sind (Peter Fleissners Argumentation geht in diese Richtung), da es sich 
 eben um eine Restkategorie handelt. 

Ja.

 Genauso kann aber nicht gesagt werden, 
 Dienstleistungen sind grundsätzlich produktiv, wenn sie für private 
 kapitalistische Unternehmen erbracht werden. 

M.E. im Wesentlichen doch. Ernsthaft Streiten kann dabei m.E. über 
Dienstleistungem im Zirkulationsbereich (Handel, Finanzdienstleistungen 
etc.). Marx betrachtete diese als unproduktiv, m.E. ist diese Sicht nicht 
sinnvoll und unzureichend begründet und geht Marx hierbei nicht vom 
Standpunkt des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion aus, wie es 
nötig wäre. Aber das ist hier nicht das Thema.

 Die Putzfrau z.B. arbeitet für 
 das kapitalistische Unternehmen, ihr Dienst wird aus Revenue bezahlt, ihre 
 Arbeit ist unproduktiv. 

Dieses Beispiel (gilt analog für Gastronomie) dagegen halte ich für definitiv 
falsch, definitiv aus aus Marx' Position. Es geht nicht darum, woraus vom 
Konsumenten bezahlt wird, sondern woraus die Putzfrau (oder der Putzmann) 
bezahlt wird. Und wenn sie für ein kapitalistisches Unternehmen arbeitet, 
also nicht direkt vom Konsumenten bezahlt wird, sondern Lohn erhält, der 
niedriger liegt als was der Konsument an die Firma zahlt, für die sie 
arbeitet, ist sie produktive Arbeiterin und hat Mehrwert für ihren 
kapitalistischen Betrieb produziert. EndkonsumentInnen bezahlen immer aus 
ihrer Revenue, in deiner Logik wäre dann jede Produktion für den Endverbrauch 
unproduktiv, auch materielle Warenproduktion, denn z.B. ein Auto wird von 
privaten KäuferInnen auch aus Revenue bezahlt. Wo soll der relevante 
Unterschied sein?

 Den TFPR (tendenziellen Fall der Profitrate) für 
 völlig unbedeutend zu erklären, heißt eigentlich, die marxistische 
 Krisentheorie auf den Müllhaufen der Geschichte zu schmeißen und den 
 Kapitalismus als den historischen Sieger, das Ende der Geschichte, zu 
 betrachten. 

M.E. ist er nicht als Tendenz völlig unbedeutend, aber auch nicht zu 
überschätzen. Zentrale Gegentendenz ist m.E. die fortwährende Wertsenkung der 
Elemente des konstanten Kapitals, so dass im Ergebnis die Wertzusammensetzung 
gar nicht so stark steigt, wie das "Gesetz" es nahelegen könnte, oft sogar 
über längere Phasen gar nicht steigt. Und ob die Profitrate fällt oder 
steigt, ist erst recht nicht ausgemacht, weil von der Entwicklung der 
Mehrwertrate ebenso abhängig in den Bereichen, die real relevant sind. 
Zusammenbrechen wird der Kapitalismus daran m.E. nie. Damit ist weder die 
marxistische Krisentheorie auf den Mülhaufen zu werfen noch der Kapitalismus 
zum Sieger der Geschichte gekürt. Nur wird uns die Überwindung des 
Kapitalismus als gesellschaftliche Aufgabe weder von diesem noch anderen 
vermeintlichen ökonomischen Gesetzen abgenommen.

 Da wird dann auch schnell argumentiert, daß es Ziel sei, den 
 Kapitalismus durch den Staat zu „zivilisieren" oder zu humanisieren. Aber 
 das schließt sich eben aus. Humanismus gibt es im Kapitalismus nicht, 
 sondern Basis von erstem wäre die Aufhebung des zweiten (und eben wieder 
 kein Automatismus). Eine Stabilisierung des Kapitalismus ist unmöglich, da 
 diese Gesellschaftsformation strukturell ökonomisch, politisch, ökologisch 
 etc. krisenhaft ist. Das müßte jeder Reformismus heute nach Scheitern des 
 Keynesianismus eigentlich begriffen haben. Auch ein Neokeynesianismus 
 (sollte es ihn jemals geben) wird diese Krisenhaftigkeit nicht beseitigen. 

Ja und nein. Denn krisenhaft kann es eben auch ganz gut funktionieren und 
gesellschaftlich ziemlich stabil. Und sicher ist Kapitalismus tendenziell 
inhuman, aber ebenso sicher kann er relativ humanisiert werden. Nach meiner 
Einschätzung ist z.B. ein wohlfahrtstaatlich geprägter Kapitalismus etwa in 
Nordeuropa oder auch noch hierzulande wesentlich humaner als der in USA oder 
GB oder erst recht der in peripheren Ländern wie Brasilien etc., oder 
historisch betrachtet als der Faschismus. Und, das mag eine wesentliche 
strategische Differenz sein, m.E. sind die Ausgangsbedingungen für 
weitergehende und perspektiv auch die Dominanz des Kapitals überwindende 
Veränderungen in den bereits relativ humanisierten, von der Einflussnahme 
linker Kräfte geprägten Varianten des Kapitalismus höher als in den 
inhumaneren.

 „Der Staat ist und bleibt entscheidendes Mittel der Umsetzung linker 
Politik" 
 (Krämer, Strategische Differenz: Die Bedeutung des Staates für linke 
 Politik, SPW 6/95) - da gibt es eben auch zulässige und zu akzeptierende 
 Auffassungsunterschiede. 

In der Tat. Ich bin zwar nicht mehr in der SPD, finde das aber allem 
modischen linken Antietatismus zum Trotz immer noch richtig. Wobei da 
"Umsetzung" steht, Voraussetzung und entscheidendes Feld der 
Auseinandersetzung ist linke Bewegung und Stärke in der vielbeschworenen 
"Zivilgesellschaft" (jetzt nicht als nomativer Begriff gemeint). Aber das ist 
eigentlich ein anderes Thema.

Der Staat ist und bleibt entscheidendes Mittel der Umsetzung des Interesses 
des Kapitals. 

Auch das. Der Staat ist eben so oder so wichtig und darum darf man ihn nicht 
rechts liegen lassen, sondern muss auch um Einfluss auf staatliches Handeln 
kämpfen.

 Kritik stimuliert das eigene Denken. So auch hier. Kritik und Diskurs sind 
 nötig, um Klarheit über die eigenen Positionen zu erlangen. Daher auf alle 
 Fälle Danke für deine Kritik. Angebrachter finde ich es aber wie gesagt, 
 nicht alles, was nicht der eigenen Meinung entspricht und trotzdem links 
 ist, als „Unfug" abzutun, sondern die Existenz verschiedener linker 
Ansätze 
 zu respektieren. Ich respektiere die Existenz deines, auch wenn ich ihn 
 nicht teile, kritisiere du meinen, aber mit Respekt. „Schief und 
theoretisch 
 fehlerhaft" könnte etwas nur dann sein, wenn es eine wahre Theorie oder 
 Interpretation gibt. Die gibt es aber nicht. Oder dann, wenn die 
 theoretischen Annahmen des/r Autors/Autorin nicht konsistent sind. Aber um 
 das beurteilen zu können, darf man halt nicht einen kleinen Teil aus einem 
 umfassenden Ganzen herausreißen.

Klaro, habe ich z.T. aber weiter oben schon was zu gesagt. Einiges hört sich 
vielleicht härter an als es gemeint ist.

Mit respektvollen Grüßen

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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Organisation: projekt oekonux.de



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