Re: [ox] Replik auf Krämers Kritik an 'Die Anwendbarkeit der Werttheorie in d...
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Wed, 15 Nov 2000 07:19:12 EST
Hallo Christian,
(wenn du das geschrieben hast, das geht aus der mail nicht klar hervor). Ich
will nur auf einige Punkte eingehen, was wiederum nicht heißt, dass ich alles
andere teile, aber vieles teile ich durchaus. Und jedenfalls finde ich diese
Art von inhaltlicher Diskussion gut.
Replik auf Ralf Krämers Kritik an „Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der
Informationsgesellschaft" (C. Fuchs) vom 13.11.2000
Es kann nicht gesagt werden, daß nur Arbeit im Produktionsbereich
produktiv
ist, alle Dienstleistungen oder jede Wissensarbeit als unproduktiv zu
erachten sind etc. So einfach verhält es sich heute eben nicht.
Wenn ich davon gesprochen habe, daß Wissenschaft keine abstrakte
wertschaffende Arbeit ist, so habe ich zunächst jene an öffentlichen
Institutionen gemeint. Nichtsdestotrotz stellt sie auch hier eine
wesentliche Basis der Kapitalakkumulation dar.
Sehe ich im Prinzip auch so, habe ich aber auch in meiner Kritik schon
geschrieben.
Diese Arbeit ist Ware, indem
sie sich gegen Lohn tauscht. Daher hat sie einen Tauschwert.
Das ist wieder eine Formulierung, die ich als schief bzw. nicht korrekt
bezeichnen würde. Damit will ich sie ja nicht verbieten. Aber in einem
marxistischen Diskurs, und in einem solchen habe ich den Text von Christian
Fuchs betrachtet, ist geradezu ein Kernpunkt die Position, dass nicht die
Arbeit, sondern die Arbeitskraft hier die Ware ist und einen Wert hat. Der
Lohn _ist_ der Tauschwert dieser Ware.
Ist die Arbeit in Forschungsabteilungen kapitalistischer Konzerne
nun mehrwertschaffend? Du meinst ja. Ich denke, daß dies genau
differenziert gehört. (...)
Natürlich hat diese Forschungsarbeit nun einen Tauschwert, sie
tauscht sich gegen Geld. Aber produziert sie Mehrwert? Nicht ja, sondern
ja
und nein! Das entstehende materielle oder immaterielle Produkt ist zumeist
noch keine Ware, die auf dem Markt verkauft wird und mit anderen Waren
konkurriert. Sie ist nur für die exklusive Nutzung durch den
kapitalistischen Konzern bestimmt. Es kann daher noch keine Akkumulation
des
Kapitals stattfinden, da wir erst in einer reinen Forschungsphase sind.
Ein
entstehender Mehrwert kann hier also auch noch keine Selbstzweckdimension
haben. Der/Die Forschende wäre also in diesem Sinn keinE
produkiv-mehrwertschaffendeR ArbeitendeR.
Ich wies darauf hin, dass soweit ein Patent angemeldet und auf der Basis
Lizenzen oder wenn das Nutzungsrechts an einer Software verkauft wird,
durchaus das immaterielle Produkt der wissenschaftlichen Arbeit selbst die
wesentliche Ware ist. Aber auch wenn es nur Vorarbeit für auf der Basis in
dem Unternehmen selbst prpoduzierte Waren ist, ist es m.E. produktive Arbeit
im Sinne der Marxschen Bestimmmung. Marx hat im Kapital Bd. 1 das m.E. ganz
klar ausgeführt: "Mit dem kooperativen Charaker des Arbeitsprozesses selbst
erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres
Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu sein, ist es nun nicht
mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu
sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen." MEW 23, S. 531.
Es kann übrigens auch nicht die EINE
Marxinterpretation geben, die uns sagt, ob sie nun produktiv, unproduktiv
oder beides sind. Es gibt viele Interpretationen davon, eine als
„Wahrheit"
zu setzen wäre stalinistische Taktik. Für mich ist meine wahr, d.h. aber
nicht, daß ich einen allgemeinen Wahrheitsanspruch erhebe und andere
Interpretationen nicht akzeptieren kann. Interessant, daß es andere gibt.
Ich erachte beispielsweise die Taktik der Krisis, die „richtige"
Marxinterpretation zu beanspruchen, als problematisch. So stellen sie etwa
Michael Heinrich als „Gotteslästerer" hin, da er Marx anders
interpretiert.
Müßig, über so etwas zu streiten. Problematisch, andere Interpretationen
nicht zulassen zu wollen. Mir hat dann gut gefallen, daß Heinrich das als
stalinistisch bezeichnet hat.
Ich finde sowohl (Teile der) Marxinterpretation von Krisis falsch als auch
v.a. in der Sache ihre theoretische und politische Position. In Bezug auf
Heinrich gilt aus meiner Sicht ähnliches, die Differenzen sind aber v.a.
politisch geringer. Ebenso ist Marx selbst m.E. in Teilbereichen zu
kritisieren. Gotteslästerungsvorwürfe sind also völlig daneben, zumal es
Götter eh nicht gibt und Marx das auch weit von sich gewiesen hätte. Aber
andererseits ist es selbstverständlich legitim, die eigene Position als
richtig bzw. wahr zu betrachten und zu behaupten und andere als unwahr bzw.
falsch und dies dann mit Argumenten, Forschungsergebnissen etc. zu begründen.
Für die VertreterInnen anderer Positionen gilt das ebenso, und das ist dann
der Ausgangspunkt wissenschaftlicher Diskussion. Das heißt nicht, dass
Beliebiges behauptet werden kann (bzw. es kann schon alles mögliche behauptet
werden, aber das nimmt dann niemand wissenschaftlich erst), sondern dass es
Kriterien gibt, an denen sich die Behauptungen messen lassen müssen, wenn sie
als wissenschaftlich gelten wollen, z.B. logische Widerspruchsfreiheit, ggf.
Übereinstimmung mit emprischen Ergebnissen (ohne jetzt in
wissenschaftstheoretische Debatten einsteigen zu wollen) etc. Oft (nicht
immer) ist dann auch eine zumindet weitgehend, idealerweise auch vom
ehemaligen Kontrahenten getragene Entscheidung möglich, welches die richtige
Behauptung war. Das ist ein Weg wissenschaftlichen Fortschritts.
Stalinistisch wird es erst, wenn eine Instanz sich autoritär anmaßt, von
außen und ohne sich selbst dieser Diskussion zu stellen, zu entscheiden, was
wahr ist, und evt. sogar gegenteilige Positionen zu verbieten und ihre
AnhängerInnen zu verfolegn. Das will hier sicher niemand.
Akkumulation des Kapitals basiert auf der immer erneuten Produktion einer
Warenart. Was du beschreibst, ist der Abbruch eines Reproduktionsprozesses
und der Entzug eines Teils des Kapitals als Basis eines anderen
Akkumulations- oder Reproduktionsprozesses.
Tut mir leid und ist nicht böse gemeint, aber m.E. ist das Unfug. Es werden
nicht bestimmte Waren akkumuliert, sondern Geld als Ausgangs- und Endpunkt
der Kapitalzirkulation. Das gilt für das Einzelkapital und natürlich erst
recht für das gesellschaftliche Gesamtkapital. Ich behaupte 1., dass das auch
die Marxsche Position war (aber das ist für mich zweitrangig), und 2., das
ist v.a. wichtig, dass es die einzig sinnvolle für die Analyse
kapitalistischer Akkumulation ist. Diese ist doch gerade dadurch
gekenzeichnet, dass nicht nur immer mehr von Allem produziert wird, sondern
sowohl immer neue Konsumprodukte und erst recht Produktionsmittel entwickelt
und produziert werden. Ich habe aber nicht die Zeit, das jetzt hier weiter zu
begründen, sorry, und kann und will dich natürlich auch nicht hindern, weiter
eine andere Position zu vertreten. Ich empfehle nur, das noch mal zu
überdenken.
Du meinst, der Produktionsprozeß einer Software, die auf CD vertrieben
wird,
ist von jenem der CD zu unterscheiden. Softwareproduktion ist zwar eine
Wissensarbeit, aber sicherlich nicht Wissenschaft. Hier wird bestehendes
Wissen angewandt und vergegenständlicht, aber es wird nicht neues Wissen
geschaffen. Und auch andere Merkmale von Wissenschaft (Diskurs, Kritik,
Auseinandersetzung etc.) treffen nicht zu.
Softwareproduktion ist im Einzelnen wohl keine Wissenschaft (Informatik
schon), aber es werden dabei schon neue, so vorher nicht vorhandene
Infomationsprodukte erzeugt.
Software ist
nicht tauschfähig ohne einen materiellen Träger, sei dies eine CD, das
Internet oder sonstwas.
Da ist ein allgemeinerer Punkt angesprochen, von dem das nur die Konsequenz
ist, nämlich dass Infomation immer ein materielles Substrat braucht (und sei
es ein menschliches Gehirn), allerdings ist es sinnvoll, die Information von
diesem Substrat analytisch zu trennen und kann die stoffliche Dimension mit
modernen Methoden für praktische Zwecke vernachlässigbar klein gestaltet
werden.
Produktion einer Software, die auf CD vertrieben wird,
bedeutet für mich nicht zwei Produktionsprozesse, so wie du das
anscheinend
auffaßt (Produktionsprozeß der Software und Produktionsprozeß - d.h.
Pressen
von Information auf CD - der CD), sondern einen zusammengehörigen
Produktionsprozeß.
Vom Standpunkt der CD-Produktion kann man das so sehen, die Programmiererei
als bloße Vorstufe zu betrachten, aber schon wenn dieselbe Software nicht nur
auf CD, sondern auch auf anderen Medien verbreitet wird, zeigt sich m.E.,
dass das nicht sinnvoll ist bzw. das Problem nicht hinreichend erfasst. Und
wie gesagt, selbst wenn es so wäre, spräche das nicht gegen die Produktivität
der Programmierarbeit als Teilfunktion eines Gesamtarbeitsprozesses.
Ich denke man kann nicht sagen, daß Dienstleistungen generell unproduktiv
sind (Peter Fleissners Argumentation geht in diese Richtung), da es sich
eben um eine Restkategorie handelt.
Ja.
Genauso kann aber nicht gesagt werden,
Dienstleistungen sind grundsätzlich produktiv, wenn sie für private
kapitalistische Unternehmen erbracht werden.
M.E. im Wesentlichen doch. Ernsthaft Streiten kann dabei m.E. über
Dienstleistungem im Zirkulationsbereich (Handel, Finanzdienstleistungen
etc.). Marx betrachtete diese als unproduktiv, m.E. ist diese Sicht nicht
sinnvoll und unzureichend begründet und geht Marx hierbei nicht vom
Standpunkt des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion aus, wie es
nötig wäre. Aber das ist hier nicht das Thema.
Die Putzfrau z.B. arbeitet für
das kapitalistische Unternehmen, ihr Dienst wird aus Revenue bezahlt, ihre
Arbeit ist unproduktiv.
Dieses Beispiel (gilt analog für Gastronomie) dagegen halte ich für definitiv
falsch, definitiv aus aus Marx' Position. Es geht nicht darum, woraus vom
Konsumenten bezahlt wird, sondern woraus die Putzfrau (oder der Putzmann)
bezahlt wird. Und wenn sie für ein kapitalistisches Unternehmen arbeitet,
also nicht direkt vom Konsumenten bezahlt wird, sondern Lohn erhält, der
niedriger liegt als was der Konsument an die Firma zahlt, für die sie
arbeitet, ist sie produktive Arbeiterin und hat Mehrwert für ihren
kapitalistischen Betrieb produziert. EndkonsumentInnen bezahlen immer aus
ihrer Revenue, in deiner Logik wäre dann jede Produktion für den Endverbrauch
unproduktiv, auch materielle Warenproduktion, denn z.B. ein Auto wird von
privaten KäuferInnen auch aus Revenue bezahlt. Wo soll der relevante
Unterschied sein?
Den TFPR (tendenziellen Fall der Profitrate) für
völlig unbedeutend zu erklären, heißt eigentlich, die marxistische
Krisentheorie auf den Müllhaufen der Geschichte zu schmeißen und den
Kapitalismus als den historischen Sieger, das Ende der Geschichte, zu
betrachten.
M.E. ist er nicht als Tendenz völlig unbedeutend, aber auch nicht zu
überschätzen. Zentrale Gegentendenz ist m.E. die fortwährende Wertsenkung der
Elemente des konstanten Kapitals, so dass im Ergebnis die Wertzusammensetzung
gar nicht so stark steigt, wie das "Gesetz" es nahelegen könnte, oft sogar
über längere Phasen gar nicht steigt. Und ob die Profitrate fällt oder
steigt, ist erst recht nicht ausgemacht, weil von der Entwicklung der
Mehrwertrate ebenso abhängig in den Bereichen, die real relevant sind.
Zusammenbrechen wird der Kapitalismus daran m.E. nie. Damit ist weder die
marxistische Krisentheorie auf den Mülhaufen zu werfen noch der Kapitalismus
zum Sieger der Geschichte gekürt. Nur wird uns die Überwindung des
Kapitalismus als gesellschaftliche Aufgabe weder von diesem noch anderen
vermeintlichen ökonomischen Gesetzen abgenommen.
Da wird dann auch schnell argumentiert, daß es Ziel sei, den
Kapitalismus durch den Staat zu „zivilisieren" oder zu humanisieren. Aber
das schließt sich eben aus. Humanismus gibt es im Kapitalismus nicht,
sondern Basis von erstem wäre die Aufhebung des zweiten (und eben wieder
kein Automatismus). Eine Stabilisierung des Kapitalismus ist unmöglich, da
diese Gesellschaftsformation strukturell ökonomisch, politisch, ökologisch
etc. krisenhaft ist. Das müßte jeder Reformismus heute nach Scheitern des
Keynesianismus eigentlich begriffen haben. Auch ein Neokeynesianismus
(sollte es ihn jemals geben) wird diese Krisenhaftigkeit nicht beseitigen.
Ja und nein. Denn krisenhaft kann es eben auch ganz gut funktionieren und
gesellschaftlich ziemlich stabil. Und sicher ist Kapitalismus tendenziell
inhuman, aber ebenso sicher kann er relativ humanisiert werden. Nach meiner
Einschätzung ist z.B. ein wohlfahrtstaatlich geprägter Kapitalismus etwa in
Nordeuropa oder auch noch hierzulande wesentlich humaner als der in USA oder
GB oder erst recht der in peripheren Ländern wie Brasilien etc., oder
historisch betrachtet als der Faschismus. Und, das mag eine wesentliche
strategische Differenz sein, m.E. sind die Ausgangsbedingungen für
weitergehende und perspektiv auch die Dominanz des Kapitals überwindende
Veränderungen in den bereits relativ humanisierten, von der Einflussnahme
linker Kräfte geprägten Varianten des Kapitalismus höher als in den
inhumaneren.
„Der Staat ist und bleibt entscheidendes Mittel der Umsetzung linker
Politik"
(Krämer, Strategische Differenz: Die Bedeutung des Staates für linke
Politik, SPW 6/95) - da gibt es eben auch zulässige und zu akzeptierende
Auffassungsunterschiede.
In der Tat. Ich bin zwar nicht mehr in der SPD, finde das aber allem
modischen linken Antietatismus zum Trotz immer noch richtig. Wobei da
"Umsetzung" steht, Voraussetzung und entscheidendes Feld der
Auseinandersetzung ist linke Bewegung und Stärke in der vielbeschworenen
"Zivilgesellschaft" (jetzt nicht als nomativer Begriff gemeint). Aber das ist
eigentlich ein anderes Thema.
Der Staat ist und bleibt entscheidendes Mittel der Umsetzung des Interesses
des Kapitals.
Auch das. Der Staat ist eben so oder so wichtig und darum darf man ihn nicht
rechts liegen lassen, sondern muss auch um Einfluss auf staatliches Handeln
kämpfen.
Kritik stimuliert das eigene Denken. So auch hier. Kritik und Diskurs sind
nötig, um Klarheit über die eigenen Positionen zu erlangen. Daher auf alle
Fälle Danke für deine Kritik. Angebrachter finde ich es aber wie gesagt,
nicht alles, was nicht der eigenen Meinung entspricht und trotzdem links
ist, als „Unfug" abzutun, sondern die Existenz verschiedener linker
Ansätze
zu respektieren. Ich respektiere die Existenz deines, auch wenn ich ihn
nicht teile, kritisiere du meinen, aber mit Respekt. „Schief und
theoretisch
fehlerhaft" könnte etwas nur dann sein, wenn es eine wahre Theorie oder
Interpretation gibt. Die gibt es aber nicht. Oder dann, wenn die
theoretischen Annahmen des/r Autors/Autorin nicht konsistent sind. Aber um
das beurteilen zu können, darf man halt nicht einen kleinen Teil aus einem
umfassenden Ganzen herausreißen.
Klaro, habe ich z.T. aber weiter oben schon was zu gesagt. Einiges hört sich
vielleicht härter an als es gemeint ist.
Mit respektvollen Grüßen
Ralf Krämer
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