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Re: [ox] Hinweis



Danke, Sabine, für den Hinweis auf  
www.linksnet.de
.

Schon der erste Aufsatz von heute, 9.10.2000,
"Über Human Capital und Informationsrenten,
Cyberlords und modernen Sozialismus
                           von Ralf Krämer (SPW) 
Theoretische und strategische Anmerkungen als Ausgangspunkt einer einer
breiteren Debatte zur Positionsbestimmung von SozialistInnen zur
Informationsökonomie "

verdient breite Lektüre. Was Ulrich Sigor "Medienfeudalismus" genannt hat,
wird hier von anderer Seite bestätigt: die Informationsrente ähnelt
ökonomisch der Grundrente und ist ihr auch sonst sehr verwandt.
Der Kapitalismus in seiner Spätphase kehrt zurück zum Muster
des Feudalsystems. Und der Schluß von Krämer ist eindeutig:

"Das Hauptinteresse des Informationskapitalismus besteht daher darin, die
technisch mögliche billige Verbreitung und Nutzung von
Informationsprodukten zu verhindern."
"Dabei ist dann die Qualität des Produkts letztlich nicht mehr
entscheidend"
(fast ein Euphemismus)

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ich zitiere den Mittelteil, vor allem weil linksnet erfreulicherweise
tagesaktuell die Leitartikel wechselt:

"Wertschöpfung oder Ausbeutung?

Welchen sozialökonomischen Charakter haben nun die Erträge bzw. Einkommen,
die der quantitativen Bestimmung des Human Capital zugrundeliegen? Zum
einen sind es Löhne, so gesehen kann jede einigermaßen
"beschäftigungsfähige" Arbeitskraft als Human Capital betrachtet werden.
Das spannende Thema, um das es auch bei Sass geht, sind allerdings die
weit über üblichen Löhnen auch qualifizierter Beschäftigter liegenden
Einkommen, die von besonders begehrten "Knowledge Workern" insbesondere in
aufstrebenden Bereichen der "New Economy" erzielt werden. Diese sind
offenbar nicht, wie es Löhne in marxistischer Sicht allgemein sind, durch
den Wert der Arbeitskraft bestimmt, also ihren Reproduktionskosten auf dem
historisch erreichten und gesellschaftlich im Rahmen der
Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit durchgesetzten Niveau
(incl. aller Abgaben, Altersvorsorge und den normalen Annehmlichkeiten des
Lebens). Sondern sie liegen deutlich darüber, auch unter Berücksichtigung
des Qualifizierungsaufwands, werden keineswegs von allen qualifizierten
Erwerbstätigen erreicht.

Deshalb wird ja nun das Konstrukt des besonders großen Human Capital
eingeführt, über das diese Menschen verfügen, und das ihnen dieses hohe
Einkommen verschaffen soll. Dies ist allerdings keinerlei Erklärung,
sondern ein klassischer Zirkelschluss, denn wie wir eben sahen, ist genau
andersherum dieses Human Capital gerade durch die Höhe dieser Einkommen
bestimmt, die es hier erklären soll, und davon unabhängig überhaupt nicht
zu bestimmen. Auch die in der "Human Capital Investitionsrechnung" nach
Davenport (Sass: 41) genannten Faktoren ermöglichen keine solche
Bestimmung, denn dass und in welchem Maße und welches "Können und
Verhalten" hohe Einkommen ermöglicht, ist ökonomisch bzw. gesellschaftlich
bestimmt und nicht durch die Fähigkeiten der betreffenden Person. Als
Legitimationsideologie wird diese angebliche Erklärung allerdings gerne
aufgegriffen.

Selbstverständlich ist trotzdem etwas Wahres an diesen Modellen,
reflektieren sie reale Bedingungen und Prozesse. Zum Einen ist ein
qualifiziertes Arbeitskräftepotential selbstverständlich eine wichtige
Bedingung für hochproduktive Produktion. Aber es geht immer um
gesellschaftliche Produktion und Produktivität und es ist nur eine
Bedingung, und sie ist nicht individualisierbar und nicht wie oben
dargestellt als "Human Capital" quantifizierbar. Auch das Anlagevermögen
einer Volkwirtschaft wird ja in keiner seriösen Statistik in Höhe seines
Shareholder Value oder fiktiven Kapitalwerts ausgewiesen, sondern
ausgehend von den Anschaffungs- oder Wiederbeschaffungspreisen.

Zum Anderen haben die von Sass dargestellten Faktoren und Anforderungen an
die Träger des "Human Capital" sowie angemessene Formen des Managements
und der Betriebsorganisation tatsächlich große Bedeutung dafür, ob diese
Person oder der Betrieb in der Lage ist, unter den gegebenen Bedingungen
besonders hohe Einkommen oder Erträge zu erzielen oder ob ihnen das nicht
gelingt und sie ggf. sogar in der Pleite enden. Aber es geht hier um
Mechanismen, die zu einer extrem ungleichen Aneignung gesellschaftlich
produzierter Werte führen, nicht um die Produktion besonders hoher Werte.

Anders gesagt: Dort wird über den im Betrieb selbst produzierten Mehrwert
hinaus Extramehrwert angeeignet, zu Lasten anderer Bereiche der Wirtschaft
und der dort Arbeitenden. Auch Sass sagt zurecht: "Das Ganze ist ein
beispielloser Raubzug" (Sass: 45). Allerdings erleben wir nicht nur und
primär einen Raubzug zu Lasten der Profite anderer Firmen, sondern v.a.
auch zu Lasten der Arbeitenden bzw. der ArbeiterInnenklasse. Denn dass
zugleich die Profite insgesamt gestiegen sind, liegt nicht an höherer
Wertschöpfung durch verstärkte Nutzung immaterieller Produkte und
Produktion, sondern an der vom Kapital auf Basis der ungünstigen
Kräfteverhältnisse in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit durchgesetzten
Umverteilung zu Lasten der Löhne bzw. steigenden Mehrwertrate.

Und in dem Maße, wie hier tätige "Knowledge Worker" übermäßig hohe
Einkommen erzielen, auch wenn sie als Angestellte tätig sind und dies
aufgrund ihrer besonderen Bedeutung oder "Produktivität" für den Betrieb
durchsetzen können, oder als kleine Selbständige, die keine oder nur
wenige Lohnabhängige beschäftigen, sind ihre Einkommen Bestandteile
solchen Extramehrwerts, beruhen also auf Ausbeutung. Das ist kein
moralischer Vorwurf, aber es es sollte analytisch klar sein, weil es
Konsequenzen für die Verallgemeinerungsfähigkeit der damit
zusammenhängenden Interessen und für die Strategie hat.

Informationsrenten

Um auf den springenden Punkt zu kommen, ist eine weitere Analyse des
Charakters dieses angeeigneten Extramehrwerts erforderlich. Es geht
nämlich nicht nur um den in allen kapitalistischen Wirtschaftszweigen
üblichen Extraprofit, den sich die produktiveren oder qualitativ besseren
Produkte herstellenden Betriebe zu Lasten ihrer Konkurrenten aneignen
können. Dieser Prozess treibt die Produktivkraftentwicklung voran und ist
insoweit gerechtfertigt, und durch das Nachziehen oder Überholen der
Konkurrenz sind diese Extraprofite immer wieder gefährdet. Es geht auch
nicht nur darum, dass aufgrund des raschen Wachstums in dieser Branche das
Produktionspotential und insbesondere das Potential qualifizierter
Arbeitskräfte gegenüber der wachsenden Nachfrage knapp ist und deshalb die
Profitraten und die Einkommen hier überdurchschnittlich sind. Auch diese
Situation ist zeitlich begrenzt, und danach werden sich die Löhne hier
denen für qualifizierte Arbeitskraft in anderen Bereichen tendenziell
angleichen, bei Überangebot vielleicht sogar darunter fallen. Es gibt aber
einen spezifischen, in dieser Form nur für Informationsprodukte
zutreffenden Grund dafür, dass in diesem Sektor erfolgreiche Unternehmen
dauerhaft überdurchschnittliche bis exorbitante Profite erzielen können,
von denen dann auch die für diese spezifischen Produkte individuell
wichtigen Personen (seien es z.B. Musik- und Filmkünstler oder
"Programmierkünstler") durch exorbitante Einkommen profitieren können.

Als Informationsprodukte betrachte ich hier z.B. Software, Texte, Musik,
Filme, Erfindungen, Design und andere Ideen usw., also Produkte, die
wesentlich Resultate geistiger Arbeit sind und deren Vervielfältigung und
Verbreitung nur relativ geringe bis nahezu gar keine Kosten verursacht.
Die wesentlichen Kosten fallen bei der Entwicklung bzw. ursprünglichen
Produktion an, hier ist erheblicher Kapitalvorschuss notwendig, der heute
häufig über die Börse oder andere Kapitalanlagemodelle von vermögenden
Privathaushalten eingesammelt wird. Wenn das Produkt kein Erfolg wird,
kann dieser Einsatz verlorengehen. Wenn das Produkt aber ein Erfolg wird
und der "break even point", also die für die Kostendeckung notwendige
verkaufte Auflage bzw. Nutzung überschritten wird, dann ist es fast so gut
wie eine Lizenz zum Gelddrucken, weil mit jeder zusätzlich verkauften
Kopie oder Lizenz ein Vielfaches von Einnahmen gegenüber den zusätzlichen
Kosten entsteht. Der ökonomischen Form nach handelt es sich dabei nicht um
gewerbliche Profite, sondern um Renten, Informationsrenten.

Marx hat die Grundrente analysiert, die sich die Eigentümer knapper, nicht
beliebig produzierbarer Produktionbedingungen wie Ackerboden,
Rohstoffquellen, Infrastruktureinrichtungen usw. aneignen. Die
produzierenden Betriebe sind auf die Nutzung dieser Produktionsbedingungen
angewiesen, können andererseits mittels dieser Nutzung
überdurchschnittliche Profite erzielen. Soweit die Kapitalisten der
Produktionsbetriebe und die Eigentümer dieser Produktionsbedingungen nicht
identisch sind, fließt letzteren die Differenz zwischen diesem
überdurchschnittlichen und dem normalen Profit als Rente, konkret als
Pacht oder irgendeine andere Form von Nutzungsentgelt zu. Da sie auf einer
monopolistischen Position beruhen, unterliegen diese Renteneinkommen nicht
dem Ausgleich der Profitraten, sondern können dauerhaft und in großer Höhe
bestehen.

Informationskapitalismus und moderner Imperialismus

Nun könnte man meinen, dass Informationsprodukte ganz im Gegensatz dazu
doch gerade keine knappen Produktionsbedingungen, sondern beliebig und
extrem billig zu vervielfältigen sind. Technisch gesehen ist das richtig,
und das ist die Basis für die Verbreitung von "Raubkopien",
"Markenpiraterie" usw. Aber gesellschaftlich ist es nicht so, sondern die
Informationsprodukte sind als kapitalistisches Eigentum produziert worden.
Das Eigentumsrecht bezieht sich auf das ideelle Produkt, die Urheberschaft
der Idee bzw. des ursprünglichen Produkts, das den folgenden Kopien oder
Anwendungen zugrunde liegt. Als solches ist es ein Monopol, und damit eine
potenzielle Basis für Renteneinkommen. Dieses Eigentum soll möglichst hoch
verwertet werden, indem möglichst nicht nur ein Rücklauf der Kosten oder
normaler Profit erzielt wird, sondern darüber hinausgehende
Informationsrenten.

Das Hauptinteresse des Informationskapitalismus besteht daher darin, die
technisch mögliche billige Verbreitung und Nutzung von
Informationsprodukten zu verhindern. Dabei kann es, im Softwarebereich
oder bei Handys z.B., durchaus sinnvoll sein, bestimmte Produkte sogar
kostenlos zu verbreiten, aber nur, um damit die Basis für die möglichst
massenhafte Nutzung darauf aufbauender Dienste oder Informationsprodukte
zu schaffen. Die zentrale ökonomische Triebkraft der Informationsökonomie
ist die Aneignung möglichst hoher Informationsrenten. Das gilt bis
hinunter zu den "Start-ups" und den einzelnen Unternehmensgründern in
diesem Bereich, denn davon träumen sie doch fast alle: jetzt reinklotzen
und mit einem Produkt ganz vorne sein, und dann Geld scheffeln ohne Ende.

Dabei ist dann die Qualität des Produkts letztlich nicht mehr
entscheidend, sondern ob es gelungen ist, eine möglichst starke, am besten
nahezu monopolistische Position auf dem entsprechenden Markt aufzubauen.
Dabei führt die Natur solcher Informationsprodukte tendenziell zu einer
Verfestigung monopolistischer Positionen, weil der Gebrauchswert steigt,
wenn es möglichst viele benutzen und damit diverse Transaktionskosten
sinken. Musterbeispiel ist hier sicherlich Microsoft, deren
Windows-Betriebssystem eher schlecht ist, aber weil es fast jede/r hat, es
bei fast jedem neuen Computer dabei ist und dafür die meisten
Anwendungsprogramme existieren, verdient sich MS mit seinen Programmen
dumm und dämlich, weil sie weltweit in gigantischen Auflagen verkauft
werden. Um diese Stellung zu halten und auszunutzen, werden alle möglichen
technischen und geschäftlichen Tricks eingesetzt.

Die Gier nach globalen Informationsrenten ist auch eine zentrale
Triebkraft des modernen Imperialismus und eine Hauptmotivation der
massiven Bemühungen der entwickelten Staaten und insbesondere der USA, im
Rahmen der WTO weltweit ihr Konzept der "Intellectual Property Rights"
(IPR) durchzusetzen (vgl. Verzola 1).

Cyberlords

Betrachtet man nun die sich im Sektor der Informationsökonomie
darstellende Klassenstruktur, kann man die Eigentümer intellektueller
Eigentumsrechte (Software- und Medienunternehmen, aber auch Patentinhaber
im Bereich der Pharmazie, Biotechnologie etc.), die Eigentümer der zur
Produktion oder Verbreitung der Informationsprodukte nötigen Infrastruktur
(z.B. des Internet), und die privilegierten KünstlerInnen, besonders
herausragenden Text- oder SoftwareautorInnen, Staranwälte etc., die sich
Informationsrenten aneignen und so übermäßige Profite oder Einkommen
erzielen können, als die Rentiersklasse der Informationsökonomie
bezeichnen. Der philippinische Autor Roberto Verzola hat dafür aus den
Wörtern "Cyberspace" und "Landlord" die Bezeichnung "Cyberlord"
konstruiert (Verzola 2). Diese "Cyberlords" sind ein immer wichtiger
werdender Teil der herrschenden Klasse in den entwickelten Ländern, in den
USA vielleicht schon der dominante Teil.

Die überwältigende Mehrheit der von Fiete Sass beschriebenen "Knowledge
Worker" gehört nicht zu diesen "Cyberlords", sondern zu den von Verzola so
bezeichneten "Intellectuals", die überwiegend von Einkommen aus ihrer
Arbeit leben. Allerdings gibt es hier fließende Übergänge zu Gruppen, die
"es geschafft haben" und deren Einkommen überwiegend nicht mehr als
Arbeitseinkommen im engeren Sinne, sondern als Anteile am angeeigneten
Mehrwert zu betrachten sind. Solche Übergangsgruppen zur Bourgeoisie sind
kein Spezifikum von "Human Capital"-intensiven Branchen, machen hier nur
einen höheren Anteil aus. Insbesondere ist aber in diesem Bereich die
ideologische Orientierung verbreiteter, durch besonderen Einsatz in jungen
Jahren vielleicht relativ schnell zu Reichtum zu gelangen und für den Rest
des Lebens dann ausgesorgt zu haben - in der Ideologie als Resultat der
eigenen besonderen Leistungen, real durch Aneignung fremder Arbeit.

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http://www.oekonux.de/



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