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[ox] IBM und Open Source - Der sanfte Riese



Liebe Liste,

im Linux-Magazin 08/00 ist ein interessanter Artikel von Ulrich Wolf
erschienen, der der Frage nachgeht, warum sich ein großes Unternehmen
wie IBM so stark für Freie Software engagiert. Der Artikel ist unter

	http://www.linux-magazin.de/ausgabe/2000/08/IBM/IBM.html

nachzulesen.

Anbei die m.E. für uns wichtigsten Passagen als Ausschnitte.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan

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...

Bemerkenswert bei diesem Umbau [in Richtung Internet] war, in welch
hohem Maß das Top-Managment bereit war, bestehende starre Strukturen
einzureißen und flexiblere Organisationsformen an deren Stelle zu
setzen. Diese Wandlungsfähigkeit geht vor allem auf den Führungsstil
von Lou Gerstner zurück, der IBM seit 1993 als CEO vorsteht. Im Fall
von Linux kommt jedoch erschwerend hinzu, dass ein Engagement in
Richtung freie Software immer auch die Akzeptanz innerhalb der
Open-Source-Gemeinde einschließen muss, um nicht zum Scheitern
verurteilt zu sein. IBM hat diese Lektion früh gelernt.

...

Das Ergebnis der Arbeitsgruppe war ein gerade mal zehnseitiger Report, der
innerhalb von sieben Wochen vorlag. Damit war die Linie klar: Linux ist
geeignet, die strategische Position von IBM zu stärken. Seit Januar hat
Linux sogar den Rang eines "strategischen Schlüsselelementes". Was macht nun
aber Linux für IBM so interessant?

Der Sonne entgegen

Zum Einen geht es offenbar gegen Sun, den Erzrivalen auf dem Servermarkt.
Mit Linux steht in absehbarer Zukunft ein einziges Betriebssystem für
buchstäblich alle Serverplattformen zur Verfügung, die IBM im Angebot hat.
Die Strategen des Unternehmens rechnen offenbar mit einer stärkeren
Diversifizierung des Servermarktes, vor allem durch unterschiedliche
Ansprüche, die das heranbrechende Zeitalter des elektronischen Handels an
die Unternehmen stellt. Für alle diese Plattformen, vom kleinen
Netfinity-Server oder der RS/6000 bis zum Mainframe oder dem Zahlenfressern
der NUMA-Q-Reihe der IBM-Tochter Sequent, soll ein Betriebssystem zur
Verfügung stehen. Das schafft bei den Geschäftspartnern
Investitionssicherheit und reduziert zudem den Entwicklungsaufwand. Nicht
ungelegen dürfte IBM dabei auch kommen, dass der Support- und
Schulungsaufwand bei den Kunden und Partnern sehr hoch ist. Immerhin macht
der Konzern inzwischen fast ein Drittel seines Umsatzes mit
Dienstleistungen. Andererseits sind Linux-Spezialisten für das eigene
Unternehmen billig zu bekommen. Sie müssen nicht erst in teuren internen
Schulungen ausgebildet werden, sondern haben ihr Linux-Know-how schon an der
Hochschule oder anderswo erworben.

IBM hat also ein echtes Interesse daran, Linux als Referenzsystem auf allen
Plattformen einzusetzen und die Entwicklung voranzutreiben.

...

Hier kommt das "Linux Technology Center" ins Spiel. In dessen Gründung
spiegeln sich die derzeitigen Bestrebungen der IBM wieder, weitgehend nach
den Spielregeln der freien Projekte zu spielen. Dazu gehört, dass die
Programmierer persönlich in Erscheinung treten, wie das in der
Open-Source-Welt weitgehend üblich ist (Ausnahmen bestätigen die Regel) und
nicht nur der Arbeitgeber. Für IBM hat das den Nebeneffekt, das Unternehmen
juristisch nicht für die entstehende freie Software verantwortlich ist, die
Entwickler sind sozusagen nur "zufällig" bei IBM beschäftigt.

Laut Daniel Frye, dem Leiter des Zentrums, besteht dessen ausschließliche
Aufgabe darin, Beiträge zur Linux-Entwicklung zu leisten, und das streng
nach den Guidelines der Open-Source-Bewegung. "Eine falsche Lizenz ist wie
eine falsche Blutgruppe" sagte er dem Linux-Magazin. Das Linux Technology
Center ist weiterhin an Entscheidungen beteiligt, welche Teile aus dem
Software-Pool zugänglich gemacht werden sollen. So laufen derzeit Gespräche
mit Heinz Mauelshagen über die Freigabe von Teilen des Logical Volume
Manager von AIX, vier Personen arbeiten Vollzeit an IBMs Journaling
Filesystem JFS, dessen Quellen freigegeben wurden. Auf die Frage, ob mit
einem stabilen ReiserFS diese Problematik nicht schon Vergangenheit sei,
sagte Daniel Frye: "Die Community hat noch nicht entschieden, welches
Journaling Filesystem es sein wird." Infolge dessen treibt IBM die
Entwicklung des JFS voran. Weitere heiße Themen sind laut Frye Raw I/O,
alles im Bereich Skalierbarkeit, zum Beispiel Linux robust genug für den
unternehmenskritischen Einsatz auf Achtfach-Servern zu machen, und
natürlich, wer hätte es gedacht, eingebettete Systeme.

Derzeit sind es insgesamt bereits mehr als 50 Entwickler, die ausschließlich
an Open-Source-Projekten arbeiten. In der nächsten Stufe sollen es etwa 70
bis 80 werden und letztendlich etwa einhundert. Damit hätte IBM etwa genauso
viele Entwickler an freien Projekten wie die großen Distributoren. Mehr
sollen es voraussichtlich nicht werden, um in der Entwicklerszene nicht zu
erdrückend zu wirken. Innerhalb des Linux Technology Center werden auch die
Kontakte zu Projekten wie der Linux Standard Base gehalten. IBM leistet sich
da eine Vollzeitkraft.

...

Global Services heißt die Dienstleistungssparte des IT-Riesen. Und bei der
Umsetzung der Linux-Strategien kommt dieser eine ganz besondere Bedeutung
zu. Erstens macht IBM heute schon jede dritte Mark mit Service und Support,
und in Zukunft dann eben mit Linux-Service und -Support. Zweitens wirkt IBM
vor allem über Global Services nach außen, das heißt, auf die zahlreichen
Business-Partner ein. Derzeit läuft gerade ein massives
Linux-Schulungsprogramm für diese Partner an. Natürlich geht es auch hier
wieder nicht ohne Allianzen mit der Open-Source-Gemeinde und den
Distributoren. IBM ist einer der Hauptsponsoren des Linux Professional
Institute (LPI), das unabhägige Zertifizierungen anbietet. Dementsprechend
hat Global Services die vorbereitenden Kurse im Angebot, die auf Techniker
zielen. Aber in der Vielzahl der Kursangebote finden sich ebenfalls so
schöne Titel wie "Linux Awareness for Managers" In Deutschland hat IBM seit
Mai 1999 SuSE-Schulungen im Angebot. Außerdem ist IBM globaler Partner von
Red Hat bei dessen RHCE (Red Hat Certified Engineer)-Programm. IBM bietet
auf seiner Website derzeit sogar einen kostenlosen Einsteigerkurs in Linux
an, den man online absolvieren muss.

Wohin geht die Reise

Derzeit ist IBM wohl das Unternehmen, das sich in allen Bereichen, sei es
Software, Hardware oder Service, am meisten für Linux einsetzt. Die auf
Linux portierten IBM-Programme aufzuzählen, würde jeden Rahmen sprengen, für
den Hardwarebereich wurde ein kurzer Überblick versucht, allein die
Linux-Aktivitäten von Global Services wären einen eigenen Artikel wert. Auch
fällt auf, dass sich IBM stark darum bemüht, nach den Regeln der
Open-Source-Gemeinde zu spielen und profitiert im Moment auch davon.

Trotzdem bleiben natürlich Fragen. So ist der Konzern einer der gierigsten
Patentjäger der Welt. In jeder Mitarbeiterzeitschrift werden Patentierungen
gefeiert, als hinge das Seelenheil davon ab. Alle Projekte, die quelloffen
gemacht werden, sei es unter GPL, oder der weitgehend
Open-Source-kompatiblen IBM-eigenen Lizenz, müssen durch einen langwierigen,
formalisierten Evaluierungsprozess, wo für jedes einzelne Patent entschieden
wird, ob man darauf "verzichtet". Ein anderer Punkt ist die enorme
Kapazität, die IBM in der Entwicklung besitzt. Derzeit spürt die
Open-Source-Gemeinde eher eine liebevolle Umarmung des sanften Riesen, ob es
dabei bleibt, kann keiner mit Sicherheit sagen. Derzeit liegt es wohl nicht
im Interesse von IBM, die Entwicklung an sich zu reißen. Möglicherweise hat
die Open-Source-Fraktion hier einen mächtigen Symbionten gewonnen. Es ist
auch ein erklärtes Ziel von IBM, die bei den freien Projekten gewonnenen
Erkenntnisse über Softwareentwicklung intern für proprietäre Produkte zu
verwenden. Außerdem wird die Einbindung von IBM in freie Projekte auch die
Unternehmenskultur und die Kommunikationsstrukturen, sowohl intern als auch
nach außen, nachhaltig beeinflussen. Kommunikation wird viel weniger direkt
steuerbar sein, die Wahrung des geheiligten "intellectual property" kann
sich zu massiven Problemen auswachsen oder einer eher entspannten Haltung
Platz machen. Auf jeden Fall ist in einer der größten und einflußreichsten
globalen Strukturen ein Prozess ins Rollen gekommen, dessen Einfluss über
die IT-Welt weit hinausgehen dürfte. Bleibt zu hoffen, das aus der sanften
Umarmung nicht eines Tages eine Klammer wird. (uwo)n


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http://www.oekonux.de/



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