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[ox] GPL-Musik (was: Re: Materialisationen[...])




Mir ist vor ein paar Tagen aufgegangen, daß wir mit der MP3-Welle
gerade die nächste Branche erleben, die von der GPLisierung erfaßt
wird - deucht mir so.

Bei der Musik handelt es sich nochmal um ein Produkt, das wie Software
reine Information ist. Allerdings ist traditionell die Bindung von
Musik an ein materielles Medium noch sehr viel stärker als bei
Software - und es gibt massiv große und einflußreiche Firmen, die hier
ihre Felle wegschwimmen sehen. Ich denke, wir dürfen gespannt sein,
wie das ausgeht.

Hallo, Stefan!

Was die Musik angeht, bin ich eher skeptisch. 

Zunächst möchte ich mal die Musik etwas zerlegen:

o Sourcen: Komposition (bzw. Arrangement)

o Werkzeuge: Instrumente

o Libraries: Software für elektr. instrumente (z.B. Samples, Tracks)

o Compilierung: Die Darbietung oder der Aufnahme- bzw. Abmischvorgang,
  beim Tracker das Rendering

o Binaries: Die fertige Aufnahme

Vorbemerkungen:

Traditionell steht die Darbietung im Vordergrund, seit Erfindung von
Aufnahmemöglichkeiten jedoch zunehmend die Aufnahmen.

Die Unterhaltungsindustrie macht aus der Darbietung eine
Dienstleitung und aus der Aufnahme ein Produkt. Amateurmusik hat es
dabei die ganze Zeit nebenher gegeben (vgl. Freeware). 

Musik ist eine Form von Kunst und somit ein Kulturgut. Durch die
Degradierung zur Ware wird dem Volk Kultur entzogen.

Nun zu den Problemen, die ich in Bezug auf GPL-Musik sehe:

Nahezu alle Kompositionen sind proprietär, und wiederum ein Großteil
davon gehört zum "GEMA- Weltrepertoire". Nur einige Volkslieder
dürften noch frei sein. Ein Problem ist auch, daß ähnliche
Kompositionen als eins betrachtet werden (so wie es bei den
Softwarepatenten der Fall ist). Ich weiß nicht, wie weit dies geht,   
ob auch Akkordfolgen und Rhythmen geschützt sind, bzw. ab wieviel
Noten Alarm geschlagen wird.

GPL- Kompositionen dürften überdies die Schwierigkeit aufweisen, daß
sie jedermann zur Weiterbearbeitung freistehen, was den
künstlerischen Aspekt untergräbt -- andererseits war dies ja bei den
Volksliedern früher genauso.

Werkzeuge und Libraries gibt es kaum unter GPL- Lizenz. Dabei fällt
mir spontan nur der gute Soundtracker ein, aber freie Samples -- damit
sieht es schon mau aus.

Für Livedarbietungen fallen mir gar keine GPL- Werkzeuge ein.

Fertige Aufnahmen (vergleichbar mit RPMs) sind dank MP3 gut
verteilbar. Hier sehe ich keine Probleme.

Zukunftsaussichten:

1. Darbietungsorientierte Musik: 

Das Spielen von "echten" Instrumenten könnte als Alternative zu
festgefügten Bands mehr und mehr in Vereinen oder Treffs als eine Art
Funsportart betrieben werden, wobei dann die Beherrschung des
Instrumentes im Vordergrund stünde und nicht die Verwertbarkeit
dieser Fähigkeit. "Funsportart" deshalb, da durch die Vielfalt der
Instrumente und der Spielweisen keine Vergleichbarkeit besteht, bzw.
eine im Leistungssport erzwungene Vergleichbarkeit zuvor genannte
Vielfalt untergraben würde. Es muß dem Spieler überlassen bleiben,
auf welche Weise er sein Gerät einsetzt. Ein Problem sehe ich darin,
daß sich die die Spieler sicher nicht davon abhalten lassen werden,
auch proprietäre Musik zu spielen, wofür der GEMA bei jeder
Veranstaltung eine Pauschale zu zahlen wäre. Dies wäre auf das Modell
Funsportart bezogen so, als müßte jemand, der mit einem Skateboard
ein Treppengeländer hochfährt, dafür Lizenzgebühren bezahlen. Wenn es
sich jedoch als möglich erweisen sollte, diesen Schwachpunkt
auszuhebeln, hätte ein Erfolg dieser Idee zur Folge, daß

o Musik bzw. Kultur basisdemokratisch, bzw. (im konstruktiven Sinne)
  anarchistisch, mitgestaltet würde (so wie es bei Linux der Fall
  ist), sowie daß

o der Abschluß von Plattenvertägen erschwert würde und so die
  Verwertbarkeit von eventuellen Aufnahmen sinken würde.

2. Verwendung von Aufnahmen:

Dank der hohen Qualität moderner Soundkarten sind Home Recordings in
professioneller Qualität möglich. MP3s sind ein Weg zur kostenlosen
Verteilung, so daß im Musikbereich eine Freewareszene am Entstehen
ist.

Was aber m.E. fehlt, ist eine Auflehnung gegen kommerzielle Musik,
die, wie schon weiter oben gesagt, das Volk von jeglicher Kultur
entfremdet. In diesem Bereich sollte etwas getan werden, z.B. gegen
besonders dreiste Streiche, wie etwa die "GEMA- Vermutung", die
besagt, daß bei Veranstaltungen, auf denen Tanzmusik gepielt wird,
eine Pauschale zu entrichten ist, da anzunehmen sei, daß aufgrund der
Fülle des "GEMA- Weltrepertoires" Stücke aus diesem gespielt werden. 
Ich könnte mir daher ein Gütesiegel denken, das bescheinigt, daß eine
Aufnahme auch für nichtprivate Zwecke frei nutzbar ist. Desweiteren
könnte ich mir eine "Anti- GEMA- Disco" vorstellen, auf der nur
solche Musik gespielt wird.

3. GPL - Musik

Dies wäre die konsequenteste Übertragung dieses Softwarekonzeptes auf
die Musik. Die Unveränderbarkeit der Komposition wäre aufgehoben --
wie früher bei Volksliedern. Es würde eine Vielfalt von Versionen
geben. Eine Aufnahme wäre dann nur noch eine Momentaufnahme eines
Entwicklungsprozesses und nicht mehr das fertige Ergebnis. Ein
solches ist gar nicht beabsichtigt, viel eher die Portierbarkeit auf
die verschiedenen Plattformen (Live / Studio). 

Ich finde diese Idee sehr spannend. Leider sind mir aber bisher keine
derartigen Projekte bekannt, daher stehe ich der GPL- Musik bisher
skeptisch gegenüber.

Nebenbei bemerkt habe ich mal selbst Musik gemacht, mit einem 386er
und einer schrottigen Soundkarte. Da die Soundkarte nicht
Duplexfähig war, mußte ich den Gesang erst auf Kassette aufnehmen.
Für den Hintergrund und zum Abmischen habe ich Fasttracker benutzt.
Dies hat so lange Spaß gemacht, wie das keiner für Ernst genommen
hat. Von einem gewissen Tag an haben sich meine Eltern dafür
interessiert, wollten ständig die unfertigen Stücke hören und liegen
mir bis heute in den Ohren mit Sachen wie "Karaokeversion", "anderen
Text raufbringen", "will keiner hören", "zu sadistisch",
"einschicken", "Kohle machen". Nun macht es keinen Spaß mehr, d.h.
ich habe auch schon lange nichts mehr gemacht, und genau darum würde
mir ein musikalisches Projekt gut in den Kram passen, dessen
Ergebnisse absolut unverwertbar sind.

Tschüß,
Thomas

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http://www.oekonux.de/



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