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Re: [ox] Re: Computer im Kapitalismus



Hi Benni et al.,

Benni Baermann schrieb:
Kern des erlebten Prozesses ist die Trennung von gegenständlichem
und algorithmischem Aspekt in der Produktion, oder profaner ausgedrückt:
Trennung von Hardware und Software. Früher waren beide Aspekte _in_ der
Maschinerie quasi "analog" zusammengeschlossen, heute sind sie Teile von
Spezial- und Universalmaschine, wobei letztere durch die Digitalisierung
ungeheuer "flexibel" und damit "produktiv" geworden ist.

Ich denke, man kann diesen Prozess eigentlich sogar fuer die ganze
Mechanisierung verallgemeinern, so dass der Computer wirklich nur
der letzte Schritt in einer langen Kette ist.

Es fing alles im neunzehnten Jahrhundert mit den mechanischen
Webstuehlen an. Und die waren schon digital und haben Software und
Hardware getrennt.

Ja, korrekt, und wie die Vorläufer der Computer (wie die Analytical
Engine von Babbage) zeigen, waren alle Elemente des "Computers"
vorhanden. Es fehlte "nur noch" eine hinreichende Verallgemeinerung der
ansatzweise schon geleisteten Trennung von algorithmischem und
gegenständlichem Produktionsaspekt. Warum der Computer real erst später
"erfunden" wurde (darf man Zuse inzwischen als ersten nennen?), wäre
eine gesonderte Untersuchung wert.

Die ersten beiden industriellen Revolutionen (Dampf und
Elektrizitaet) beruhen auch auf diesem Prinzip. Die Energieerzeugung
wird von ihrem konkreten Zweck entbunden. Zunaechst nur lokal, durch
die Elektrizitaet auch nicht-lokal.

Ja, wobei der energetische Produktionsaspekt (Nr. 3 sozusagen) nicht das
revolutionierende Element in der Industriellen Revolution bildete,
sondern der gegenständlich-prozessuale (konkret: die Werkzeugmaschine
wie Marx schon wußte). Nebensache, siehe auch
http://www.kritische-informatik.de/algorevl.htm.

Eine heute mögliche Steigerung der Produktivität geht keinesfalls von
den Computern aus. Hier darf man Rationalisierung, also der Ersatz
lebendiger durch tote Arbeit, nicht mit Steigerung der Produktivität
kurzschliessen. Rationalisierung ist der Hauptprozess. Auch
Produktivitätsteigerung wird es geben, aber in Maßen. Die Quelle eines
weiteren Qualitätssprungs ist nicht die tote Arbeit, sondern die
lebendige, genauer eine neue Qualität der Produktivkraftentwicklung, in
der der Mensch sich als Hauptproduktivkraft selbst entfaltet.

Da kann ich Dir nicht ganz folgen. Wie soll es Rationalisierung ohne
Produktivitaetssteigerung geben? Was genau meinst Du mit "toter
Arbeit"? Die Arbeit von Maschienen?

Tote Arbeit ist die vergegenständlichte Arbeit, also das Resultat von
Arbeit "in" einem Produkt, z.B. einer Maschine. Tote Arbeit schafft im
Unterschied zu ledendiger Arbeit keinen neuen Wert, sie kann bestenfalls
bereits vorhandenen Wert auf ein Produkt übertragen. Ersetzt der
Kapitalist lebendige durch tote Arbeit (Maschine statt Mensch =
Rationalisierung), dann kauft dieser mit der Maschine eine Menge x
bereits vorhandenen Werts ein, den die Maschine im Laufe ihres Einsatzes
an die Produkte abgibt. Das tut er dann, wenn die Maschine "billiger"
ist, "produktiver" muß sie gar nicht sein! Für den Gesamtprozess des
Kapitalismus sind solche Ersatz-Rationalisierungen fatal, denn die
Wertproduktion, die ja nur aus lebendiger Arbeit kommt, nimmt ab. Oder
wie Stefan Mn formuliert:

* Im Ergebnis schafft der Computer die Lohnarbeit tendenziell ab

(...)
_wertschaffende_ Lohnarbeit nimmt ab. BTW: Weil die Wertproduktion nicht
voran kommt, blähen sich die Börsen auf, da dort die ?Rendite? auf Basis
von Mutmaßungen über zukünftige Wertproduktion höher ist.

Gibt es denn wirklich einen Unterschied zwischen der Schaffung von
Scheinwerten, wie immer wieder neuen Konsumguetern, die keiner
wirklich braucht und der Schaffung von Fantasie-Aktienkursen?

Ob ein Konsumgut "Wert hat" und ob es jemand "wirklich braucht" sind
zwei verschiedene Fragen. Das durchschnittliche Konsumgut, das verkauft
wird, hat ökonomisch gesehen "Wert", denn es "enthält Arbeitszeit".
Scheinwerte gibt es also nicht. Und was jemand kauft, braucht er/sie
augenscheinlich auch - ob "wirklich", kann ich nicht beurteilen (_warum_
Menschen Warenmüll kaufen, was sie davon "haben", was sie damit
"verbinden", was sie damit "ersetzen" etc. wären psychologische Fragen,
die man letztlich nur mit den Betroffenen klären kann). Die Aktienkurse
sind gleichfalls insofern "real", als sie den Erwartungen der Anleger
auf zukünftige Wertrealisierungen entspringen. Gefährlich wird es nur
dann, wenn (wie massenhaft in den USA) diese "erwarteten Werte der
Zukunft" _heute_ beliehen werden und die Werterwartung dann aber nicht
erfüllt: Dann fallen nicht nur die Aktienkurse in sich zusammen, sondern
auch die Wirtschaften, die die "Zukunft beliehen" haben. Deswegen sind
auch "Aktiensteuern" (wie die Tobinsteuer) obgleich nett gemeint
zusätzlich gefährlich: Sie schöpfen zukünftigen Wert ab, der ggf. nie
realisiert wird.

Internet ist ein rationeller Vertriebskanal, dem sich
Firmen kaum entziehen können. Insofern ist das Internet in die
Verwertungsmaschine integriert.

Das Linuxbeispiel zeigt doch aber seiner Meinung nach, dass es eben
nicht so ist. Bestimmte Formen der Wertschaffung sind nur durch
bestimmte Formen der Distribution moeglich geworden. Es gibt ja eine
Geschichte der Spezialisierung und Expertisierung. Die hat dahin
gefuehrt, dass fuer konkrete Aufgaben oftmals auf der ganzen Welt
nur noch ganz wenige Leute verfuegbar sind. Diese muessen aber im
Gegensatz zu den mittelalterlichen Baumeistern auch noch
zusammenarbeiten, so dass eine Reisetaetigkeit nicht reicht. Das
fuehrt zu zwei Dingen. Einmal einer raeumlichen Konzentration in
wenigen Metropolen (Silicon Valley, Bangalore, ...) und andererseits
einer zunehmenden Vernetzung um die Kommunikation auch zwischen
diesen Metropolen moeglich zu machen. Linus T. selbst ist ein gutes
Beipiel. Angefangen hat er in Finnland. Inzwischen ist er auch ins
Silicon Valley gezogen.

Ich stimme Dir zu, habe aber nicht verstanden, warum das meiner Aussage
widerspricht (s.o.).

Gibt es das Buch auch auf Deutsch und taugt die Uebersetzung halbwegs?

Das (deutschsprachige!) Buch nochmal in vollständiger Referenz:
Kelly, Kevin (1999), NetEconomy. Zehn radikale Strategien für die
Wirtschaft der Zukunft, München/Düsseldorf: Econ.

Das englischsprachige Original erschien 1998 unter dem Titel New Rules
for the New Economy bei Viking Penguin NY. Ich kenne es allerdings
nicht, kann daher die Übersetzungsqualität nicht einschätzen.

btw: was sind das fuer komische Anfuehrungszeichen, die kommen bei
mir als Schrott an?

So sorry, habe vergessen sie zu ersetzen!

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
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