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Re: [ox] Re: Computer im Kapitalismus



On Thu, Dec 09, 1999 at 05:36:55PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
* Computer stehen an der Spitze der kapitalistischen
  Produktionsmittelentwicklung

  Das dürfte klar sein - wobei Computer hier im weiten Sinne also
  incl. der erwähnten Werkzeugmaschine verstanden werden sollen.
  Ohne die durch die Informatisierung, ohne die Mikroelektronik
  wären die Produktivitätsschübe der letzten Jahre undenkbar.

Rainer Fischbach würde dir u.U. widersprechen, aber ich denke, es trifft
zu. Kern des erlebten Prozesses ist die Trennung von gegenständlichem
und algorithmischem Aspekt in der Produktion, oder profaner ausgedrückt:
Trennung von Hardware und Software. Früher waren beide Aspekte _in_ der
Maschinerie quasi ?analog? zusammengeschlossen, heute sind sie Teile von
Spezial- und Universalmaschine, wobei letztere durch die Digitalisierung
ungeheuer ?flexibel? und damit ?produktiv? geworden ist.

Ich denke, man kann diesen Prozess eigentlich sogar fuer die ganze
Mechanisierung verallgemeinern, so dass der Computer wirklich nur
der letzte Schritt in einer langen Kette ist.

Es fing alles im neunzehnten Jahrhundert mit den mechanischen
Webstuehlen an. Und die waren schon digital und haben Software und
Hardware getrennt.

Die ersten beiden industriellen Revolutionen (Dampf und
Elektrizitaet) beruhen auch auf diesem Prinzip. Die Energieerzeugung
wird von ihrem konkreten Zweck entbunden. Zunaechst nur lokal, durch
die Elektrizitaet auch nicht-lokal.

* Computer markieren einen Epochenbruch innerhalb des Kapitalismus

  Ich denke, seit der industriellen Revolution hat es nichts gegeben,
  was die Produktion und die gesamte (kapitalistische) Arbeitsweilt
  durchgreifender verändert hat. Selbst der fordistische Schub (vulgo:
  Fließband, aber siehe Stefan Mz.s Ausführungen dazu) dürfte in
  historischer Perspektive gegen die heute mögliche Steigerung der
  Produktivität verblassen.

Der These stimme ich zu, bei den Erläuterungen bin ich skeptischer. Die
These trifft m.E. aus dem o.g. Grund der Trennung von gegenständlichem
und algorithmischem Produktionsaspekt zu. Alles was man trennt, kann man
dann einer separaten wissenschaftlichen Bearbeitung unterwerfen. Die
Informatik ist logisch-historisch genau deswegen entstanden. Den
Epochenbruch würde ich also im Übergang von der industriellen Revolution
in den Fordismus ansiedeln - auch wenn die ersten realen Computer erst
in den Vierzigern gebaut wurden.

Wie gesagt, dass Prinzip ist aelter, das wuerde Deine These ja sogar
stuetzen.

Eine heute mögliche Steigerung der Produktivität geht keinesfalls von
den Computern aus. Hier darf man Rationalisierung, also der Ersatz
lebendiger durch tote Arbeit, nicht mit Steigerung der Produktivität
kurzschliessen. Rationalisierung ist der Hauptprozess. Auch
Produktivitätsteigerung wird es geben, aber in Maßen. Die Quelle eines
weiteren Qualitätssprungs ist nicht die tote Arbeit, sondern die
lebendige, genauer eine neue Qualität der Produktivkraftentwicklung, in
der der Mensch sich als Hauptproduktivkraft selbst entfaltet. 

Da kann ich Dir nicht ganz folgen. Wie soll es Rationalisierung ohne
Produktivitaetssteigerung geben? Was genau meinst Du mit "toter
Arbeit"? Die Arbeit von Maschienen?

* Im Ergebnis schafft der Computer die Lohnarbeit tendenziell ab

  Na, das ist dann eigentlich eine klare Konsequenz. Natürlich kann
  ich hier irren, aber momentan ist schlicht nichts in Sicht, was die
  Arbeitsplatzverluste durch Rationalisierung auch nur annähernd
  auffangen könnte. (...)
  Für die Arbeitsgesellschaft heißt das, daß ihr Ende in Sicht ist.

Da führt kein Weg dran vorbei. Aber auch hier muss man genau hingucken,
denn innerhalb der Arbeitsgesellschaft gibt es Umschichtungen: weg von
Vollzeitarbeit hin zu prekären Lohnarbeitsverhältnissen, von denen es
immer mehr geben wird (siehe USA). Aber Kern des Prozesses ist: Die
_wertschaffende_ Lohnarbeit nimmt ab. BTW: Weil die Wertproduktion nicht
voran kommt, blähen sich die Börsen auf, da dort die ?Rendite? auf Basis
von Mutmaßungen über zukünftige Wertproduktion höher ist.

Gibt es denn wirklich einen Unterschied zwischen der Schaffung von
Scheinwerten, wie immer wieder neuen Konsumguetern, die keiner
wirklich braucht und der Schaffung von Fantasie-Aktienkursen?

* Der Computer ermöglicht lustbetonte produktive Tätigkeit

  Nun, nichts grundsätzlich Neues. Klar gibt es im Bereich der
  Hobbies auch eine Menge lustbetonter produktiver Tätigkeiten.
  Aber dennoch ist es wichtig, weil es ohne diesen Effekt vieles
  nicht gäbe.

Du denkst an die Programmiertätigkeit, oder? Wenn ich aber diese Mail
z.B. schreibe, dann ist das Teil für mich quasi gar nicht existent. Es
verschwindet sinnlich völlig hinter dem Inhalt dieser Mail, mit dem ich
mich beschäftige und dem Spass, den es mir macht, einen Gedanken in
Schriftform zu bringen.

Was anderes ist das Programmieren. Hier ist der Computer (wie auch
vermittelt) Gegenstand meiner Tätigkeit - und _nicht nur_ Mittel (aber
auch). Neben den vielen Gründen, warum Programmieren Spaß macht, sehe
hier den Bezug zur Produktivkraftentwicklung. Indem in programmiere,
schraube ich sozusagen an der Front der Entwicklung mit rum - und wer
hat sonst schon diese Möglichkeit! Und ich kann ein Stück der angesagten
neuen Qualität der Selbstentfaltung schon vorwegahnen - die
Entwickler/innen freier Software erleben dies schon ansatzweise. Dem
Durchbruch stehen jetzt ?nur noch? die Verwertungszwänge entgegen...

Es gibt durchaus auch nicht-programmiertaetigkeit, die den Computer
kreativ nutzt. Das gilt eigentlich fuer alle "Kunst" und aehnliches.
Eben fuer alles, wobei es sich um Symbolmanipulation handelt (also
auch emails schreiben!), da dort der Computer sein Heimspiel hat.
Ich denke Beispiele gibt es zu Hauf in der Musik, in der bildenden
Kunst, bei Computerspielen, etc...

* Computer ermöglichen das Internet

  Mehr und mehr halte ich das Internet für einen ganz
  entscheidenden Faktor. Nicht nur, weil ohne das Internet
  Gnu/Linux nie diese Dimension hätte erreichen können, sondern
  weil es mir - wie in einigen vergangenen Mails schon angedeutet
  - so scheint, als wäre das Internet zumindest nicht massiv in die
  kapitalistische Verwertungsmaschine zu integrieren.

Computer ermöglichen das Internet - wohl klar. Bei Internet und
Verwertung muß man m.E. deutlich zwischen Wertproduktion und
Distribution unterscheiden. Wert wird im Internet kaum geschaffen, aber
vertrieben schon. Internet ist ein rationeller Vertriebskanal, dem sich
Firmen kaum entziehen können. Insofern ist das Internet in die
Verwertungsmaschine integriert.

Das Linuxbeispiel zeigt doch aber seiner Meinung nach, dass es eben
nicht so ist. Bestimmte Formen der Wertschaffung sind nur durch
bestimmte Formen der Distribution moeglich geworden. Es gibt ja eine
Geschichte der Spezialisierung und Expertisierung. Die hat dahin
gefuehrt, dass fuer konkrete Aufgaben oftmals auf der ganzen Welt
nur noch ganz wenige Leute verfuegbar sind. Diese muessen aber im
Gegensatz zu den mittelalterlichen Baumeistern auch noch
zusammenarbeiten, so dass eine Reisetaetigkeit nicht reicht. Das
fuehrt zu zwei Dingen. Einmal einer raeumlichen Konzentration in
wenigen Metropolen (Silicon Valley, Bangalore, ...) und andererseits
einer zunehmenden Vernetzung um die Kommunikation auch zwischen
diesen Metropolen moeglich zu machen. Linus T. selbst ist ein gutes
Beipiel. Angefangen hat er in Finnland. Inzwischen ist er auch ins
Silicon Valley gezogen.

* Beides zusammen ermöglicht interessante unbezahlte Produktion

  Interessant ist daran, daß das Produkt einen hohen Gebrauchswert 
  hat und ebenfalls an der Spitze der kapitalistischen
  Produktionsmittelentwicklung steht.
  Weiterhin ist es interessant, daß hier (historisch erstmals auf
  diesem Vergesellschaftungsniveau) eine Produktionsweise
  aufscheint, die eine Vergesellschaftung ohne Tausch real und 
  an einem praktischen Beispiel vorstellbar macht.

Du denkst wieder an Software, gell? Ich glaube, daß ?unbezahlte
Produktion? absehbar sogar unter kapitalistischen Bedingungen generell
möglich ist. Die Produkte werden verschenkt, die Kohle wird sekundär
eingefahren über Werbung, Support, Zweitgeschäfte etc. Ein solches
Szenario entwirft - noch völlig systemimmanent - Kevin Kelly im Buch
NetEconomy, das ich heftigst empfehlen kann. Dort wird das ?Netzwerk?
die zentrale Metapher für eine neue Ökonomie. Beim Lesen dachte ich,
dass man ?nur noch? die Verwertung als gesellschaftlichem
Vermittlungsmechanismus (z.B. zwischen Produzenten und Konsumenten)
ersetzen müsse - dann könnte das ein Szenario für die Zukunft sein. Na,
das ist jetzt sehr in Blaue gedacht...

Gibt es das Buch auch auf Deutsch und taugt die Uebersetzung halbwegs?

btw: was sind das fuer komische Anfuehrungszeichen, die kommen bei
mir als Schrott an?

Gruesse, Benni

-- 
Testspieler gesucht:
                http://www.uni-frankfurt.de/~benni/ragnaroek/hello.html

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