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[ox] Ehrenamt, Tausch oder was?



Hi!

Verschiedentlich wurde ja nun schon gefragt, ob/wie Gnu/Linux mit
anderen menschlichen Tätigkeiten jenseits der Lohnarbeit (d.h. nicht
oder zumindest nicht primär gegen Geld) vergleichbar ist:

2 days ago Oliver Hillmann wrote:
* ob und was quelloffen-freie Software (diese Begrifflichkeit ist beinahe
  schon umständlich genug, um als politisch korrekte durchzugehe ;) mit
  anderen tatsächlich oder vordergründig nicht-kommerziellen Phänomen
  (Ehrenamt, Community work) gemein hat.

2 days ago Oliver Hillmann wrote:
On Mon, 26 Jul 1999, Stefan Merten wrote:

Um vielleicht einen kleinen Bogen zu GNU/Linux zu schlagen: Ich denke,
daß GNU/Linux es geschafft hat, eine erhebliche Zahl von Individuuen,
deren Anreiz eben nicht primär monetär ist, zu einem großen
gemeinsamen zusammenzuführen. Dies zumindest unter kapitalistischen
Verhältnissen ohne den Reichtum, in dem zumindest diese Individuuen
leben nicht möglich gewesen. Ziel einer gesellschaftlichen Bewegung
müßte m.E. sein, diesen Reichtum und diese Unabhängikeit vom Geld für
alle zu erreichen.

Oder ist es vielleicht umgekehrt? Haben eine erhebliche Zahl von Menschen
gemeinsam etwas geschaffen, was wir jetzt als GNU/Linux kennenlernen?
Gerade das schon vorher existierende GNU-System, das auch rms ansprach und
das mensch trotz Differenzen zu seiner Haltung kaum leugnen kann, mag doch
andeuten, daß Linux letztlich nur die Spitze des Eisbergs sein könnte und
daß freies Verteilen und Offenlegen von Software vielleicht schon deutlich
länger selbstverständliche Praxis ist...

Augenreiben, um vom Linuxhype weggucken zu können, um festzustellen, daß
das alles gar nix Neues ist? Und nochmal die Frage: Wo sind die Parallelen
zu anderen unentgeltlicher Arbeit, Ehrenamt, Einsatz im
Kaninchenzüchterverein, Diakonie, pi pa po? Handelt es sich letztlich
vielleicht um dasselbe Phänomen, nur auf anderem (nächlich
informationstechnischem) Gebiet, daß zudem nun mal gerade prima
wirtschaftlich aauszuschlachten wäre und vielleicht auch deswegen so
hypet?

Dem vorgelagert ist die Frage, ob es eine spezifische
gnu/linux-Ökonomie überhaupt gibt:

2 days ago oliver hillmann wrote:
* was ist das besondere am ökonomischen modell von gnu/linux?

gibt es ein solches modell überhaupt? oder anders gefragt: wie geht
mensch in dieser diskussion um, daß - aus meiner sicht - der überwiegenden
freien und quelloffenen softwarebewegung zunächst mal kein formuliertes
Ökonomiemodell zueigen ist?

Finde ich beides total spannende Fragen, auf die ich auch noch keine
richtige Antwort parat habe. Hier ein paar unsortierte Überlegungen
dazu:

In Gnu/Linux wird erheblich viel Arbeit investiert. die
EntwicklerInnen auf diesem Globus haben ungezählte Arbeitsstunden für
dieses Ergebnis verausgabt.

Nun ist dies zunächst noch nichts Besonderes: Auch in z.B. ein Auto
sind reichlich Arbeitsstunden investiert worden. Ein Unterschied zu
Gnu/Linux ist aber schon, daß hier sehr wohl jemensch die
Arbeitsstunden gezählt hat - nämlich um den Preis des Autos zu
bestimmen.

Nun gilt dies umgekehrt aber für ehrenamtliche Tätigkeit genauso: Auch
dort werden oft ungezählte Arbeitsstunden in das Ehrenamt gesteckt.
Und auch hier wird die Tätigkeit nicht getan um einen monetären Profit
zu erwirtschaften.

Während die Ware (z.B. das Auto) für den Tausch produziert wird und
(im Kapitalismus) ohne ein funktionierendes Tauschsystem (d.h. ohne
einen Markt) ansonsten keine Existenzberechtigung hat, gilt dies weder
für die Produkte ehrenamtlicher Tätigkeit noch für Gnu/Linux. Beide
Tätigkeiten werden wesentlich wegen ihres unmittelbaren Nutzens ins
Werk gesetzt - d.h. wegen des Gebrauchswerts des Produkts der
Tätigkeit.

Es scheint also in der Tat viele Ähnlichkeiten zwischen Ehrenamt und
der Produktion von Gnu/Linux zu geben.

Unterschiede scheinen mir die folgenden zu sein:

Ehrenamtliche Tätigkeiten füllen i.a. nur Nischen der kapitalistischen
Vergesellschaftung aus - einE BundeskanzlerIn oder
VorstandsvorsitzendeR von Chrymler als Ehrenamtliche kann ich mir
jedenfalls nicht vorstellen.

So gesehen scheinen mir ehrenamtliche Tätigkeiten nur den notwendigen
Schmierstoff zu bilden, ohne den die kapitalistische
Vergesellschaftung nicht auskommt.

Weiterhin stehen ehrenamtliche Tätigkeiten normalerweise nicht in
Konkurrenz zur warenorientierten Produktion. Gnu/Linux hingegen will
ja ganz explizit warenorientierte Produktion (M$) verdrängen.

Well, auch wenn diese Unterschiede als vernachlässigbar scheinen
mögen, ich halte sie für so wesentlich, daß ich tatsächlich eine
andere Qualität vermuten würde.

Soweit mal mein Pfennig.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan





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