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Message 02515 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT02515 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] Kopieren, aber nicht verdienen




"Creative Commons" und das Modell eines gestaffelten Urheberrechts für die digitale Welt

Waren früher vornehmlich Buchverlage, Filmverleiher und Musikproduzenten mit Urheberrechtsfragen befasst, weil nur sie über Mittel und Maschinen zu Produktion und Vervielfältigung von Werken verfügten, so ist dies heute jeder, der sich mit dem Computer in den weltweiten Mahlstrom von Inhalten einklinkt. Ein Mahlstrom deshalb, weil in ihm zuerst die Rechte alten Zuschnitts unterzugehen drohen. Die banale Wahrheit lautet einfach: Wer Zugang zu etwas hat, kann es auch kopieren. Und jeder hat Zugang zu allem. Darum haben die Vertreter der klassischen Produktionszweige, also des Film-, Musik- und Verlagsgewerbes und der Verwertungsgesellschaften, eine Front gegen die Aufweichung der alten Rechtsgewohnheiten gebildet, die ihre Stellung mit Macht und strafbewehrt verteidigt.

Und kann man die Industrie nicht verstehen? Die Vereinigung der amerikanischen Phonoindustrie, RIAA (Recording Industry Association of America) stellte jüngst fest, dass im Jahr 2002 die Gewinne aus CD-Verkäufen um 6,7 % gegenüber dem Vorjahr gesunken seien. RIAA macht dafür Internetpiraterie verantwortlich, da jeder "raubkopierten" CD eine nicht gekaufte entspreche. In konkreten Zahlen liest sich aber völlig das anders: RIAA gibt für dasselbe Jahr 2002 an, dass 803 Millionen CDs verkauft wurden, hingegen seien 2,1 Milliarden CDs illegal heruntergeladen worden. Obwohl also 2,6- mal soviel CDs gratis heruntergeladen wie gekauft wurden, ging der Gewinn nur um 6,7% zurück. Er hätte nach dieser Rechnung nicht mehr existieren dürfen.

Es sind, aber das wird nur selten erwähnt, auf Urheberseite jedoch längst auch Alternativen entstanden, in denen die Schöpfer der Werke selber neue Möglichkeiten probieren, ihre Rechte zu schleifen. So haben sich Kooperationsmodelle zur Erstellung von Inhalten etablieren können, deren Urheber sich ausdrücklich gegen die Behauptung ihrer Rechte alten Zuschnitts verwahren: Das Betriebssystem Linux als weltweite Gemeinschaftsarbeit nach dem Open-Source-Modell ist hier zu nennen, die wachsende Sammlung des Weltwissens "Wikipedia" und die Computerprogramme, die man unter dem bewusst alternativ klingenden Begriff "Copyleft" zusammengefasst hat. Es sind Programme, die unter die explizite Verzichtslizenz "GNU General Public License" (GPL) gestellt werden, die allerdings eine Alternativbehandlung explizit vorschreibt.

Seit der Jahreswende 2[PHONE NUMBER REMOVED] gibt es zudem "Creative Commons" (CC), eine in den USA unter anderem von dem Rechtsprofessor Lawrence Lessig gegründete, gemeinnützige Organisation, die versucht, alternative Lizenzmodelle auch für Künstler und ihre Werke anzubieten. Inzwischen gibt es Dependancen in 38 Ländern, die deutsche Filiale sitzt in Berlin. Man versucht, die Form der alternativen Lizenzierung des CC an die jeweilige nationale Rechtssituation anzupassen. Was nicht immer ganz einfach ist, da etwa hierzulande Mitglieder der Gema die Wahrnehmung der Rechte für alle ihre Werke an die Verwertungsgesellschaft übertragen haben.

Hinter CC steckt nun aber kein konzertiert geführter Angriff auf das national wie international geltende Urheberrecht, wie immer wieder fälschlich behauptet wird. Denn ohne intaktes Urheberrecht würde auch CC nicht funktionieren. "CC betreibt nicht die Abschaffung des Urheberrechts", sagt denn auch einer der beiden deutschen Projektführer, John Hendrik Weitzmann, "Es ist vielmehr der Versuch, dem ausdrücklichen Künstlerwunsch nach einer Anpassung an die veränderte Situation mit modifizierbaren Lizenzen zu entsprechen. Wir führen so etwas wie Freiheit und Selbstbestimmung in das Urheberrecht ein."

Gebändigte Piraten

Tatsächlich sind es nun die Künstler, die sich mithilfe von Creative Commons ihre eigenen, abgestuften Sets an Rechtevergaben für ihre Werke wie nach einem Baukastensystem zusammenstellen. Es ersetzt die Ausschließlichkeitsrechte des "All Rights Reserved", das immaterielle Güter nach dem Schöpferprinzip auch ohne expliziten Antrag schützt, durch ein standardisiertes, modulares System von Rechte-Optionen. Statt: "Alle Rechte vorbehalten" gilt hier: "Einige Rechte vorbehalten" - welche Rechte das sind, bestimmt der Urheber jeweils selber. Eine Idee, die längst Praxis ist bei der 1985 von Richard Stallman gegründeten Free Software Foundation - Lawrence Lessig gehört auch hier zum "Board of Directors".

So bietet Creative Commons kostenlos Lizenzverträge an, die zum einen juristisch einwandfrei formuliert sind, um einer gerichtlichen Überprüfung standzuhalten, und die zum anderen so einfach zu verstehen sind, dass sie auch von Nicht-Juristen unproblematisch benutzt werden können. Ein eigens entwickeltes Icon-System deklariert die für ein Werk jeweils gewünschte Rechtesituation - ganz so, wie man das von den eingenähten Darstellungs-Codes aus der Wäschepflege kennt. Mit CC-Auszeichnung versehene Inhalte machen etwa kenntlich - auch für Suchmaschinen! -, dass jedermann die MP3s einer Musikband vervielfältigen darf, solange damit kein Profit erwirtschaftet wird. Oder dass die Weitergabe dieser Musik nur gestattet wird, wenn die Musik unverändert bleibt. Oder ob diese Musik zwar bearbeitet werden darf, dass diese Bearbeitungen dann aber nach demselben Rechteprinzip wie das Original verbreitet werden dürfen. Creative Commons bietet also Freigaben-Muster an, die zu insgesamt sechs unterschiedlichen Rechtepaketen kombiniert werden können. Die Grundmodi sind: 1. Nennung des Urhebers, 2. nichtkommerzieller Gebrauch, 3. Unveränderbarkeit des Werks und 4. Ableitung identischer Rechte für die Produktion von Variationen. Man kann, aber man muss seinem Werk diese Rechte-Erklärungen nicht alle mitgeben. Einzelne Rechte schließen einander auch aus, etwa 3. und 4. Die Kombinationsmöglichkeiten sorgen dafür, dass ein justierbares Spektrum an Legitimationen entsteht, die vom bekannten Copyright eines Werkes bis zu dessen völliger Freigabe als Public Domain reichen. Wobei immer gilt, dass die modulierten Rechte nicht wieder genommen werden können, wenn sie einmal deklariert sind. Es besteht auch unter CC Rechtssicherheit.

Tatsächlich verzichten bereits sehr viele Künstler auf ihre angestammten Urheberrechte, modifizieren und geben ihren Werken die Tags der CC mit, weil sie eine gelenkte Verbreitung im Internet gewährleisten. Giorgos Cheliotis von der "School of Information Systems" an der "Singapore Management University" hat ermittelt, dass weltweit bereits über 40 Millionen Webseiten Künstlerinhalte anbieten, die mit CC-Freigaben versehen sind. Die überwiegende Mehrheit liegt auf amerikanischen Servern. Es sind vor allem Fotografien und Grafiken. Deutsche Angebote belegen mit etwa 1 Million Seiten Platz 4. Die Weise der Freigaben zeigt nun klare Prioritäten - unabhängig von nationalen Mentalitäten: 70 Prozent aller Tags deklarieren Inhalte dann als frei, wenn sie nicht-kommerziell genutzt werden. 50 Prozent der Inhalte sollen genutzt und verändert werden dürfen, wenn diese Neuschöpfungen und die Originale wiederum als frei verwendbar angeboten werden. 25 Prozent wollen gewährleistet wissen, dass nur die vom Künstler veröffentlichten Originale weitergeben werden, dass also keine Variationen oder Bearbeitungen ihrer Inhalte hergestellt werden sollen - etwa als Remixes von Musiktiteln. Giorgos Cheliotis glaubt, dass das explizite Anti-Copyright/Pro-Piraterie-Bewusstsein in den Industrieländern ein starkes Motiv für das hohe Aufkommen von CC-Lizenzen hier sei. Und er glaubt, dass den Urhebern die Zugehörigkeit zur Netz-Community mit ihren neuen Möglichkeiten wichtiger ist als die angestammte Rechtsverankerung in ihren jeweiligen Herkunftsstaaten. Seine weiteren Beobachtungen: Sehr unpopulär sind Freigaben, nach denen ein Werk zwar unverändert bleiben soll und nur mit Nennung des Urhebers weitergegeben werden darf, das dann aber für nicht-kommerzielle wie kommerzielle Zwecke. Äußerst populär, mit etwa 25 Prozent Gesamtanteil, sind hingegen Kennzeichnungen, die genau dieselben Werkrestriktionen vorsehen, aber zusätzlich auch noch die kommerzielle Nutzung ausschließen. BERND GRAFF

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.200, Freitag, den 31. August 2007 , Seite 15
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