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[chox] "Diese Leute sind Provokateure oder sehr dumm"



Der russische Präsident über Kritik an seiner Politik, Misswirtschaft bei 
Airbus und die Atomkrise mit Nordkorea

SZ: Herr Präsident, in Deutschland herrscht helle Aufregung. Der 
halbstaatliche Gazprom-Konzern steigt beim Bundesligisten Schalke 04 ein. 
Müssen wir Deutschen uns allmählich vor der Kauflust der Russen fürchten?

Putin: Ich glaube, Sie sollten sich darüber freuen. Was Schalke 04 betrifft, 
so geht es nicht um einen Kauf des Vereins. Es gibt den Wunsch einer 
Partnerschaft zwischen Schalke und dem St. Petersburger Verein Zenit, der 
ebenfalls von Gazprom gesponsert wird. Soweit ich weiß, sind die 
traditionellen Fans von Schalke 04 Bergleute. Das gehört ja auch zum 
Energiebereich. Für Gazprom ist Schalke also ein natürlicher Partner.

SZ: Bevor wir über Fragen der Energie reden, müssen wir auf ein Ereignis zu 
sprechen kommen, das weltweit Bestürzung ausgelöst hat. Nicht weit von hier 
ist die Moskauer Journalistin Anna Politkowskaja erschossen worden. Berührt 
Sie der Tod einer Ihrer schärfsten Kritikerinnen?

Putin: Die Ermordung eines Menschen ist ein sehr schweres Verbrechen - sowohl 
vor der Gesellschaft als auch vor Gott. Die Verbrecher müssen gefasst und 
verurteilt werden. Bedauerlicherweise ist das nicht das einzige Verbrechen 
dieser Art in Russland. Wir werden alles tun, um die Verbrecher ausfindig zu 
machen. In der Tat war die Journalistin Politkowskaja eine Kritikerin der 
jetzigen Machtverhältnisse. Im Allgemeinen ist das typisch für alle Vertreter 
der Presse, aber sie hat radikale Positionen eingenommen. In jüngster Zeit 
galt ihre Aufmerksamkeit der Kritik an der offiziellen Macht in 
Tschetschenien. Ihr politischer Einfluss im Lande war aber nicht sehr groß. 
Sie war eher bekannt in Menschenrechtskreisen und westlichen Massenmedien.

SZ: Wem nützt Politkowskajas Tod?

Putin: Die Ermordung Politkowskajas schadet der russischen und insbesondere 
auch der tschetschenischen Führung erheblich mehr, als es ein Zeitungsartikel 
vermag. Dieses schreckliche Verbrechen fügt Russland großen moralischen und 
politischen Schaden zu. Es schadet dem politischen System, das wir gerade 
aufbauen - ein System, in dem für jeden die Meinungsfreiheit garantiert ist, 
auch in den Massenmedien.

SZ: Russische Oppositionelle glauben, dass Ihr wichtigster Mann in Grosny, 
Premierminister Ramsan Kadyrow, hinter dem Mord an Politkowskaja steckt. 
Halten Sie das für möglich?

Putin: Nein. Ich kann Ihnen auch erklären warum: Ihre Veröffentlichungen haben 
weder seiner Politik geschadet noch seine politische Karriere behindert. 
Ramsan Kadyrow zählt zu jenen, die einst gegen die föderalen Truppen in 
Tschetschenien gekämpft haben. In den tschetschenischen Sicherheitsorganen 
und Institutionen können heute alle Menschen arbeiten - unabhängig von ihren 
Ansichten oder ihrer Vergangenheit. Die politischen Kräfteverhältnisse in 
Tschetschenien sind kompliziert, aber das ist doch kein Motiv für einen Mord. 
Möglich ist Unmut über die Tätigkeit der Journalistin, aber ich kann mir 
nicht vorstellen, dass eine offizielle Person sich so ein furchtbares 
Verbrechen ausdenken könnte.

SZ: Zweifel an der Pressefreiheit in Russland wirft nicht nur der jüngste Mord 
auf. Im russischen Fernsehen findet sich kaum Kritik am Präsidenten. In der 
Rangliste zur Pressefreiheit, welche die Vereinigung "Reporter ohne Grenzen" 
erstellt hat, rangiert Russland ganz weit hinten auf dem 140. Platz. Halten 
Sie die Medien in Russland für frei?

Putin: Russland befindet sich in einer Übergangszeit. Die Massenmedien 
entwickeln sich. Im Land arbeiten mehrere tausend Fernsehanstalten. So sehr 
sich die Machthaber auf allen Ebenen das auch wünschen mögen - so ein 
riesiges System kann man nicht kontrollieren. Die Zahl der Printmedien ist 
noch größer. Es sind 35 000, mehr als die Hälfte davon mit ausländischer 
Beteiligung. Wenn wir aber auf den Medienmärkten des Westens Fuß fassen 
wollen, dann ist das kaum möglich. Unter bürokratischen Vorwänden wird das 
jahrelang hinausgezögert.

SZ: Während Ihres Deutschland-Besuches werden Sie wieder mit Fragen zu 
Menschenrechten, Pressefreiheit und Demokratie konfrontiert werden. Sind Sie 
es leid, von außen belehrt zu werden?

Putin: Nein, daran habe ich mich gewöhnt. Vielmehr bin ich der Meinung, dass 
wir zu wenig über die tatsächlichen Verhältnisse in Russland aufklären. Ein 
Beispiel: Uns wird Machtkonzentration in Moskau vorgeworfen. In Deutschland 
aber wurde eine Föderalismusreform beschlossen, welche die Vollmachten des 
Bundesrates wesentlich einschränkt. Den Bundesländern wurden viele Rechte 
entzogen. Und was haben die Bundesländer dafür bekommen? Sie dürfen die 
Ladenöffnungszeiten bestimmen. Das wird bei uns auf Gemeindeebene gemacht. 
Wir reden deswegen nicht von undemokratischen Prozessen in Deutschland und 
einer übermäßigen Machtkonzentration in Berlin. Von außen her ist es sehr 
schwer zu verstehen, was gut oder schlecht für ein Land ist. Aber eines sage 
ich Ihnen: Wir hegen keinen Wunsch, zum sowjetischen System des Zentralismus 
und des Totalitarismus zurückzukehren. Schauen wir uns die Landkarte 
Russlands an: Es ist ein riesiges Territorium, das größte Land der Erde. Es 
gibt Hunderte verschiedene ethnische Gruppen. Keinerlei Stempel, so schön sie 
auch aussehen mögen, können Russland einfach aufgedrückt werden. Wir werden 
aber alles tun, um die Prinzipien der zivilisierten Welt - der Demokratie - 
einzuhalten und die Rechte und Freiheiten unserer Bürger zu achten.

SZ: In Dresden, dem Ort Ihres fünften Treffens mit Bundeskanzlerin Angela 
Merkel, haben Sie in den achtziger Jahren für den sowjetischen Geheimdienst 
gearbeitet. Frau Merkel stammt aus der DDR. Haben Sie deshalb ein 
komplizierteres Verhältnis zu ihr als zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder?

Putin: Nein, und - offen gestanden - verstehe ich den Geist Ihrer Frage nicht. 
Ich liebe Deutschland und mache keinen Hehl daraus. Ich spreche immer 
schlechter Deutsch, aber ich mag die deutsche Sprache. Ich liebe die deutsche 
Kultur. Sie nimmt einen ungeheuren Platz in der Zivilisation der Menschheit 
ein. Russland war immer durch enge Bande mit Deutschland verbunden. Katharina 
die Große, nach meiner tiefen Überzeugung eines der erfolgreichsten 
Oberhäupter Russlands, war eine Deutsche.

SZ: Das liegt mehr als 200 Jahre zurück.

Putin: Was den Regierungswechsel in Deutschland betrifft, so hat er Gott sei 
Dank die Substanz der Beziehungen zwischen unseren Ländern nicht berührt. 
Frau Merkel widmet den Beziehungen zu Russland viel Aufmerksamkeit. Sie 
spricht auch Russisch.

SZ: Gut?

Putin. Gut. Ich war überrascht. Ihr Wortschatz hat natürlich gelitten, weil 
man eine Fremdsprache jeden Tag sprechen soll, genauso wie man jeden Tag ein 
Musikinstrument spielen soll. Käme sie in eine russische Umgebung, würde sie 
aber sehr schnell frei sprechen. Gute persönliche Beziehungen helfen immer 
bei der Arbeit. Frau Merkel und ich haben einen guten menschlichen Kontakt. 
Dass sie in der DDR gelebt hat, stört nicht. Im Gegenteil, es hilft. Die 
Menschen im östlichen Teil Europas haben eine ähnliche Mentalität.

SZ: Und doch betont der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble, es gebe 
keine Sonderbeziehungen zu Russland. Ärgert Sie das?

Putin: Das sind keine Botschaften, die für Russland bestimmt sind, sondern 
eher für Übersee. Ich kenne den deutschen Innenminister und kann mir 
vorstellen, dass er seine eigenen Ansichten hat. Aber sowohl die russische 
als auch die deutsche politische Klasse sind sich der Bedeutung unserer 
Zusammenarbeit voll bewusst.

SZ: Im Januar übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Was erwarten 
Sie davon?

Putin: Deutschland ist einer der wichtigsten Partner für die Beziehungen 
zwischen Russland und dem geeinten Europa. Das Partnerschaftsabkommen 
zwischen Russland und der EU läuft 2007 aus, und wir müssen ein neues 
Dokument ausarbeiten. Wir stehen vor großen Aufgaben bei der Bildung der 
sogenannten vier gemeinsamen Räume in der Wirtschaft, der Sicherheit, der 
inneren Sicherheit und im humanitären Bereich. Vertreter der Europäischen 
Kommission haben eine Freihandelszone zwischen der EU und Russland angeregt. 
Wir halten das für sehr wichtig und sehen es positiv. Wir denken allerdings, 
dass Deutschland diesem Thema als EU-Ratspräsident mehr Aufmerksamkeit 
schenken sollte. In den europäischen Beziehungen zu Russland kann Deutschland 
nach meiner Überzeugung absolut die Führung behalten.

SZ: Sie erwarten eine Freihandelszone Europa-Russland. Frau Merkel denkt 
allerdings mehr an eine Freihandelszone mit Amerika. Lässt sich das in 
Einklang bringen?

Putin: Es war, wie gesagt, nicht unsere Idee, sondern eine Idee der 
Europäischen Union. Das ist ein typisches Problem der EU. Die EU sollte erst 
einmal für sich selbst klar machen, was ihre Prioritäten sind. Aber ich 
glaube, das eine schließt das andere nicht aus. Ich bin kein Experte für die 
europäisch-amerikanischen Beziehungen. Wenn die Freihandelszone zwischen der 
EU und den USA die vielen Streitigkeiten etwa in der Landwirtschaft oder beim 
Stahl lösen kann, dann ist sie nur gut und kann die Weltwirtschaft 
stabilisieren. Wir würden das nur begrüßen, aber das berührt uns nicht 
direkt. Wir beabsichtigen auch nicht, da in einen Wettbewerb zu treten.

SZ: Was haben Sie zu bieten?

Putin: Wir haben enorme Ressourcen. Ganz Europa braucht unsere Energie. Wir 
müssen alle Ängste und Sorgen ausräumen und stattdessen Stabilität, Vertrauen 
und Berechenbarkeit bieten. Das ist im Rahmen einer Freihandelszone zu 
bewerkstelligen. Oder nehmen sie den Flugzeugbau. Wenn wir unsere Bemühungen 
mit denen des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS bündeln würden, 
dann wären wir ein ernstzunehmender Spieler auf dem internationalen Markt. 
Ich weiß wirklich nicht, ob ähnlich idyllische Zustände zwischen 
amerikanischen und europäischen Flugzeugbauern geschaffen werden könnten. Das 
scheint mir heute wenig wahrscheinlich zu sein. Es gibt auch andere 
Möglichkeiten. Gerade erst haben wir den größten Aluminium-Konzern der Welt 
geschaffen. Die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sind vielfältig.

SZ: Aber die Türen nach Europa sind nicht immer offen. Ihr Einstieg bei EADS 
ist sowohl in Deutschland als auch in Frankreich auf Skepsis gestoßen. Haben 
Sie das Gefühl, in Europa nicht willkommen zu sein?

Putin: Nein, das habe ich nicht. Ich habe aber festgestellt, dass es zu wenig 
Informationen über unsere Position gibt. Das ist unsere Schuld. Wir wissen, 
dass der Kurs der Aktien von EADS gefallen ist. Unsere Finanzinstitute haben 
das genutzt und ein Aktienpaket aufgekauft.

SZ: Sie sprechen von dem Fünf-Prozent-Paket, das die staatliche Vneshtorgbank 
gekauft hat.

Putin: Ja, aber wir haben nicht die Absicht, unsere finanziellen Möglichkeiten 
zu nutzen, um die Arbeit irgendwelcher Industrieunternehmen in Europa zu 
stören. Im Gegenteil: Wir sind zur industriellen Zusammenarbeit mit EADS nur 
bereit, wenn wir vorher zu Vereinbarungen mit unseren Partnern gelangen. Nur 
danach kann das von unserem Finanzinstitut erworbene Aktienpaket in die Hände 
unserer neu entstehenden Flugzeug-Holding UAC übergeben werden. Wenn wir zu 
keiner Vereinbarung mit den Partnern kommen, wird die Bank mit diesen Aktien 
einfach an der Börse arbeiten. Wenn die Aktien steigen, werden sie verkauft 
und bringen Profit. Das ist alles.

SZ: So einfach ist das?

Putin: EADS hält heute schon Anteile an einem russischen Flugzeugbauer, 
nämlich an Irkut. Wir haben nicht das Gefühl, dass der Airbus-Hersteller EADS 
ein idealer Konzern ist. Wenn wir bei dieser Arbeit mitmachen sollen, müssen 
wir mit den Partnern darüber reden, wie dieser Konzern organisiert werden 
muss. Das muss eine marktwirtschaftliche Struktur sein - also keine, in der 
alles Jahre im Voraus vom Staat geregelt wird. Das untergräbt die Effizienz. 
Wir wollen nicht um jeden Preis in diesen Konzern. Es gibt keine feindliche 
Übernahme. Wir finden leichten Herzens andere Möglichkeiten.

SZ: Aber die Flugzeug-Industrie prosperiert in Russland doch nicht gerade?

Putin: Ja, natürlich. Aber wir wissen um unsere Möglichkeiten. Wir haben sehr 
gute Schulen und Fachkräfte. Und wir haben Produktionskapazitäten, die gar 
nicht so schlecht sind. Wir müssen mit unseren Partnern klarstellen, was wo 
produziert werden kann. Da kann es um Kurzstrecken- oder 
Mittelstreckenflugzeuge gehen. Zum Beispiel bei der Produktion von 
Militärflugzeugen stehen wir an der Spitze. Auch bei Spezialflugzeugen oder 
Hubschraubern haben wir eine führende Position. Es kann auch um Ersatzteile 
gehen.

SZ: Fünf Prozent sind ja nicht viel. Wollen Sie Ihren Anteil an EADS erhöhen?

Putin: Das haben wir noch nicht entschieden - ebenso wie unsere Partner sich 
noch nicht entschieden haben. Einige unserer Spezialisten sind dagegen, 
andere argumentieren, dass es unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen würde. Ich 
persönlich bin dafür, aber eine endgültige Entscheidung gibt es nicht. Dem 
müssen Gespräche der Experten vorausgehen. Darüber haben wir uns auch in 
Paris mit Frau Merkel und Herrn Chirac (Frankreichs Staatspräsident Jacques 
Chirac, Anm.d.Red.) verständigt.

SZ: Der Gasstreit mit der Ukraine hat dem Energielieferanten Russland einen 
erheblichen Imageschaden zugefügt. Haben Sie diesen Schaden während des 
G-8-Gipfels im Juli in St. Petersburg beheben können?

Putin: Ich bin der Meinung, dass dies eine zielgerichtete Attacke gegen 
Russland war. Niemand zwingt Deutschland zum Beispiel dazu, seine Waren zu 
einem viel zu niedrigeren Preis auf den internationalen Märkten zu verkaufen. 
Warum sind alle der Meinung, dass wir unsere Erzeugnisse zu Spottpreisen 
verkaufen sollten? Wir haben niemals die Lieferung an unsere Partner in 
Europa eingeschränkt und werden das auch künftig nicht tun. Das Leben hat 
gezeigt, dass Russland ein zuverlässiger Lieferant war, ist und sein wird. 
Wir müssen da kein Geld für Propaganda ausgegeben. Wir liefern an Deutschland 
zur Zeit 40 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich. Wenn wir die Ostseepipeline 
errichten, so werden wir 2010 zusätzlich 27,5 Milliarden liefern und zwei, 
drei Jahre später noch einmal 27,5 Milliarden mehr. Insgesamt kommen dann zu 
den 40 Milliarden noch einmal 55 Milliarden Kubikmeter hinzu. Deutschland 
wird so seinen wachsenden Gasbedarf nicht nur vollständig decken können. Es 
wird selbst zu einem großen Verteilungszentrum des Gases in Europa werden. 
Von Deutschland aus wird das Gas an andere europäische Staaten verteilt. Das 
Gas wird vom Gasfeld Juschno-Russkoje stammen. Aber denken Sie auch an das 
Stockman-Gasfeld. Hier lagern 3,7 Trillionen oder sogar vier Trillionen 
Kubikmeter Gas. Das ist eines der größten Gaslager der Welt. Es kann 50 bis 
60 Jahre ausgebeutet werden. Gazprom hat gerade bekanntgegeben, dass vom 
Stockman-Feld Gas teilweise auch in die Ostsee-Pipeline geleitet werden soll.

SZ: Hat Gazprom nicht auch mitgeteilt, dass es bei der Erschließung keine 
ausländische Hilfe braucht?

Putin: Nein, das ist nicht so. Gazprom hatte eine Ausschreibung veranstaltet, 
an der fünf Unternehmen teilnahmen. Gazprom machte den Bewerbern zur 
Bedingung, dass sie für eine Beteiligung entsprechende Aktiva anbieten. Es 
geht um Werte und nicht um Geld, denn das können Sie für so ein Projekt 
leicht von den Märkten bekommen. Für das riesige Vorkommen von 3,7 Trillionen 
Kubikmetern Gas konnte aber keiner einen Gegenwert erbringen. Gazprom hat 
deshalb die Ausschreibung ausgesetzt. Früher war geplant, das Gas zu 
verflüssigen und mit Schiffen nach Nordamerika zu bringen. Ein Teil des Gases 
kommt nun aber in die Ostsee-Pipeline und damit nach Deutschland.

SZ: Aber Sie wollen das Feld ohne fremde Hilfe ausbeuten?

Putin: Nein, wir verzichten nicht auf Partner bei der Förderung und beim 
Transport des Gases. Alleiniger Eigentümer aber bleibt Gazprom. Es war 
übrigens Frau Merkel, die während einem ihrer ersten Besuche in Russland 
diese Frage aufgeworfen hat. Sie bat mich zu prüfen, ob das Gas vom 
Stockman-Feld zumindest teilweise nach Europa und Deutschland geleitet werden 
könnte.

SZ: Verstehen Sie dann die Diskussion in Deutschland über die zu hohe 
Abhängigkeit von russischem Gas?

Putin: Nein, das ist mir unverständlich. Das wird künstlich politisiert. Es 
gibt Leute, die dieses Problem aufheizen, um daraus politisches Kapital zu 
schlagen. Diese Leute sind entweder Provokateure oder sehr dumm. Ich sage das 
ganz offen, auch wenn es grob klingen mag. Es ist doch so: Wenn wir ein 
gemeinsames Pipelinesystem haben, sind wir von Ihnen genauso abhängig wie Sie 
von uns. Diese gegenseitige Abhängigkeit schafft Beständigkeit, 
Vorhersehbarkeit und Stabilität. Wenn wir aber ständig hören, dass von zu 
großer Abhängigkeit gesprochen wird, fragen wir uns: Sollen unsere Exporte 
eingeschränkt werden? Dann suchen wir uns eben andere Märkte.

SZ: Sie besuchen diesmal auch München. Hoffen Sie auf gute Geschäfte mit 
Bayern?

Putin: Die bayerischen Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag. Von 2500 
in Russland aktiven deutschen Unternehmen kommt die Hälfte aus Bayern. Der 
Handelaustausch mit Deutschland wird in diesem Jahr die 
40-Milliarden-Schwelle erreichen. Etwa 15 Prozent davon macht der bayerische 
Anteil aus.

SZ: Nordkorea hat in der Nacht zu Montag offenbar erstmals einen 
Atombombentest gemacht. Wie muss die Weltgemeinschaft Ihrer Meinung nach 
darauf reagieren?

Putin: Es wäre zu wenig zu sagen, dass wir enttäuscht sind. Wir verurteilen 
das.

Der Atomtest fügt dem Prozess der Nichtverbreitung von Atomwaffen einen 
immensen Schaden zu. Die internationalen Beziehungen müssen so gestaltet 
werden, dass so etwas verhindert werden kann. Vor allem müssen wir danach 
streben, dass überall das Völkerrecht herrscht. Jeder Staat, ob groß oder 
klein, muss sich sicher fühlen können. Erstens brauchen wir dafür ein 
internationales System mit vollständigen Garantien für diese Sicherheit; dann 
werden die kleinen Staaten auch nicht nach den modernsten Waffen streben. 
Zweitens müssen wir allen Staaten einen gleichen Zugang zu den neuesten 
Technologien ermöglichen, darunter auch zur Atomtechnologie - natürlich 
ausschließlich zu friedlichen Zwecken. Drittens müssen wir das System der 
Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen stärken.

Das wird gerecht sein, wenn wir die ersten zwei Punkte verwirklichen. Was die 
heutige Lage in Nordkorea betrifft, so müssen wir genauso wie im Fall Iran 
mit politischen und diplomatischen Mitteln agieren. Unsere Reaktion muss 
adäquat sein.

SZ: Wie kann eine einheitliche Haltung gegenüber Iran aussehen, das sich 
hartnäckig weigert, die Uran-Anreicherung auszusetzen? Halten Sie Sanktionen 
für möglich?

Putin: Wir prüfen jetzt alle Optionen. Es gibt Möglichkeiten zur Lösung des 
Problems. Man sollte sich nicht in eine Sackgasse manövrieren. Ich möchte dem 
Ergebnis der Diskussion nicht vorgreifen, aber wenn es Kompromissbereitschaft 
gibt, wird auch eine Lösung gefunden werden. Die vergangenen Jahre haben 
gezeigt, dass solche Fragen nur gemeinsam gelöst werden können. Einer allein 
darf nicht allen anderen seine Meinung aufzwingen.

SZ: Und wie könnte eine Lösung im Falle Nordkoreas aussehen?

Putin: Mit Nordkorea werden seit einem Jahr keine Verhandlungen mehr geführt. 
Über die Ursachen will ich gar nicht sprechen, aber man darf den 
Gesprächsprozess nicht unterbrechen. Das Licht am Ende des Tunnels muss 
sichtbar bleiben.

SZ: Russland hat wegen der vorübergehenden Verhaftung von vier russischen 
Offizieren unter Spionageverdacht alle Verkehrsverbindungen nach Georgien 
gekappt. Wollen Sie das Land wirtschaftlich vernichten, weil es in Michail 
Saakaschwili einen pro-amerikanischen Präsidenten hat?

Putin: Nein, natürlich nicht. Das georgische Volk hat eine Wahl getroffen, und 
wir respektieren so eine Wahl immer. Wir haben eine lange Geschichte der 
Beziehungen zur georgischen Nation. Georgien hat seinerzeit darum gebeten, 
zum russischen Imperium zu gehören. Das war auch der Wunsch des georgischen 
Volkes. Es ist ein sehr stolzes, freiheitsliebendes, talentiertes Volk. Die 
Georgier sind wie die Russen orthodoxe Christen. Viele Georgier arbeiten in 
Russland. Wir sind stolz darauf, dass sie Russland als zweite Heimat gewählt 
haben. Sie leisten einen immensen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes und 
der russischen Kultur.

SZ: Nun sind die Beziehungen aber zerrüttet.

Putin: Aus irgendeinem Grund glaubt die heutige georgische Führung, dass die 
Verschlechterung der Beziehungen zu Russland ihr hilft, das Problem seiner 
territorialen Integrität zu lösen. Jedes Land hat das Recht, souverän zu 
agieren und seine Partner selbst zu wählen. Aber dieses Recht sollte es nicht 
zu aggressiven Mitteln in der Außenpolitik verleiten. Nachdem unsere 
Offiziere quasi als Geiseln genommen wurden, waren wir zu einer Antwort 
gezwungen. Ich weiß nicht, ob die Verhaftung zufällig vor den georgischen 
Kommunalwahlen erfolgte. Jedenfalls war dieser Schritt unverzeihlich.

SZ: Die Regierung in Georgien verlangt die Rückkehr der abtrünnigen Gebiete 
Südossetien und Abchasien. Ist das nicht ihr gutes Recht?

Putin: Wissen Sie und Ihre Leser, dass die Osseten der Meinung sind, dass sie 
zweimal in der neueren Geschichte Opfer eines Genozids durch die Georgier 
geworden sind, 1918 und 1989? Ähnlich verhält es sich mit Abchasien. Ob es 
unseren georgischen Kollegen gefällt oder nicht: Sie werden in der Region als 
ein Mini-Imperium aufgefasst, und das berührt uns sehr direkt. Ossetien ist 
zu sowjetischer Zeit geteilt worden. Ein Teil gehört nun zu Russland, der 
andere zu Georgien. Dieses Volk ist so geteilt wie einst die Deutschen. Bei 
den Deutschen war das ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, bei den Osseten 
eine Folge des Zerfalls der Sowjetunion. Wir sind bereit, Georgien bei der 
Wiederherstellung seiner territorialen Integrität zu helfen. Wir gehen aber 
davon aus, dass dies nur durch eine Willensbekundung des ossetischen Volkes 
geschehen kann. Man kann es nicht dazu zwingen. Nötig sind diplomatische und 
humanitäre Mittel. Die georgische Führung tut hingegen alles, um das Problem 
durch einen Krieg zu lösen. Die Georgier bewaffnen sich unmäßig und brechen 
dabei alle Vereinbarungen. Innenpolitische Probleme dürfen nicht durch eine 
antirussische Rhetorik und das Anheizen einer Kriegspsychose gelöst werden.

SZ: Herr Präsident, Ihre Amtszeit endet 2008. Die Verfassung erlaubt es nicht, 
dass Sie zum dritten Mal hintereinander antreten. Was wollen Sie in der 
verbleibenden Zeit unbedingt noch durchsetzen?

Putin: Das wichtigste Ziel ist die Entwicklung der Wirtschaft. Wir haben ein 
hohes Wachstum unserer Wirtschaft garantiert, in den vergangenen vier Jahren 
lag es bei etwa sieben Prozent. Als wir angefangen haben, betrugen die 
Goldreserven zwölf Milliarden Dollar. Allein in diesem Jahr sind sie um 80 
Milliarden Dollar auf 270 Milliarden Dollar gestiegen. Wir haben alle unsere 
Schulden bezahlt.

SZ: Und was bleibt noch zu tun?

Putin: Die Hauptaufgabe ist die Diversifizierung der Wirtschaft und die 
Stärkung des Privateigentums.

SZ: Wenn Sie an die Zeit nach Ihnen denken: Genügt es Ihnen, in der Rückschau 
respektiert zu werden? Oder wollen Sie als Politiker geliebt werden?

Putin: Ich bin kein geborener Politiker. Ich habe mich früher nie einer 
politischen Tätigkeit gewidmet. So merkwürdig das klingen mag, ich fühle mich 
auch heute nicht als Politiker. Ich erwarte keine besondere Dankbarkeit, 
obwohl ich der Auffassung bin, dass ich guten Gewissens und unter Aufwendung 
praktisch aller meiner Kräfte gearbeitet habe. Ich halte es für ein Geschenk 
des Schicksals, dass das russische Volk mir dieses hohe Amt anvertraut hat. 
Dafür muss ich dem russischen Volk dankbar sein.

Interview: Daniel Brössler und

Hans Werner Kilz

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.234, Mittwoch, den 11. Oktober 2006 , Seite 6
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