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Message 01884 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT01884 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] Fünf Jahre nach dem 11. September 2001: Seitdem berauscht sich Amerika am eigenen Untergang




T anz den Apokalypso

Es war eine Zäsur des Denkens, nicht der Politik: 
Seitdem berauscht sich Amerika am eigenen Untergang

Für die meisten Menschen in der westlichen Welt war der 11. September vor fünf 
Jahren einer jener Tage, an den wir uns für den Rest unseres Lebens erinnern 
werden. Wir wissen noch genau, wo wir waren, als der zweite Jet vor laufenden 
Kameras in den Südturm des World Trade Centers einschlug, um drei Uhr 
nachmittags deutscher Zeit, was wir taten, als der Nordturm um fünf nach vier 
einstürzte und als der Südturm um kurz vor halb fünf zusammenbrach. Vieles 
war da noch unklar. Nur eines schien sicher: Die Welt würde nicht mehr die 
gleiche sein.

So ähnlich ist es auch gekommen. Dabei hat sich jedoch weniger die Welt 
verändert, als unser Blick darauf. Der 11. September war keine Zäsur im Lauf 
der Weltgeschichte, sondern in unserem Denken, denn die globalen 
Machtverhältnisse haben sich in den letzten fünf Jahren nicht entscheidend 
verändert.

Die Weltwirtschaft expandiert weiterhin. Die G-8-Staaten haben ihre 
wirtschaftliche Führungsposition behalten. Der Irakkrieg war kein plötzlicher 
Ausbruch, sondern die konsequente Fortsetzung einer Außenpolitik, die mit der 
Carter-Doktrin von 1980 begann. Es kam keineswegs zu einem Kampf der 
Kulturen, sondern lediglich zu einem größeren Interesse an den Vorgängen in 
der islamischen Welt. Dort hatte sich der militante Fundamentalismus schon 
seit 1979 ausgebreitet. Zwischen dem 11. September 2001 und dem 31. Dezember 
2005 fielen dem Terror 18 944 Menschen zum Opfer, die meisten jedoch bei 
Anschlägen im Irak und im Nahen Osten.

Al-Qaida, die größte Kraft des internationalen Terrors, wurde durch die 
Intervention in Afghanistan handlungsunfähig und verwandelte sich in eine Art 
apokalyptischen Konzessionsbetrieb. Gewiss darf man die Gefahren des 
Terrorismus nicht unterschätzen, doch zu einem Dritten Weltkrieg zwischen der 
islamischen und der industrialisierten Welt wird es nicht kommen. Der 11. 
September war also nicht der Beginn eines neuen Zeitalters, und doch hat sich 
das Lebensgefühl in den westlichen Ländern verändert. Denn er markierte die 
Rückkehr der apokalyptischen Weltbilder.

Untergangspropheten gehören seit jeher zum Standardvokabular der Karikatur. So 
kramte die Zeichnerin Roz Chast in einer der letzten Ausgaben des New Yorker 
wieder einmal den archetypischen Apokalyptiker mit Bart, Kutte und Sandalen 
hervor, diesmal allerdings bekommt er Konkurrenz. Unter der 
Überschrift "Revierkampf auf der 49. Straße" stehen sich ein Pech- und 
Schwefelprediger und eine Hippiefrau gegenüber. Der Prediger trägt ein Schild 
mit der Aufschrift "Das Ende ist aus religiösen Gründen nahe", die Hippiedame 
eines mit "Das Ende ist aus ökologischen Gründen nahe". Die Karikaturen des 
New Yorker sind ein sensibler Gradmesser für gesellschaftliche Strömungen, 
und so darf man die Zeichnung durchaus als Bestätigung für die neue Relevanz 
apokalyptischer Weltbilder sehen, die sich nicht nur in den Randzonen der 
Religiösität verbreiten. Sicherlich ist das dominierende Endzeitszenario in 
Amerika immer noch das Armageddon, das in der Offenbarung des Johannes 
prophezeit wird. Dieses Hoffen auf ein Ende mit Schrecken, das den Gläubigen 
den Weg ins Paradies öffnet und die Ungläubigen in der Hölle schmoren lässt, 
hat nun im Islamismus ein muslimisches Pendant gefunden. Der iranische 
Präsident Mahmud Ahmadinedschad folgt beispielsweise den schiitischen Lehren 
des Ajatollah Mohammed Taghi Mesbah Yazdi. Dieser vertritt die Ansicht, dass 
die Zerstörung Israels und die folgende Apokalypse der Rückkehr des seit rund 
1000 Jahren verschollenen 12. Imams der Schiiten vorausgehen werde - und dem 
Sieg des Islam.

Doch es sind vor allem die weltlichen Formen apokalyptischen Denkens, die den 
11. September 2001 zu einem Stichtag der Geistesgeschichte machen, weil er 
ein vorläufiges Ende der Utopien und damit auch des unerschütterlichen 
Optimismus im amerikanischen Denken markiert. Die Offenbarung des Johannes 
vermengt sich mit religiösem Weltuntergangspop, Naturkatastrophen, rasant 
steigenden Benzinpreise, Al Gores Warnungen vor dem Öko-Gau und den 
paranoiden Schreckensszenarien liberaler und konservativer Lager zu einem 
Cocktail der Angst.

Insofern hat die säkulare amerikanische Linke durchaus den Zeitgeist 
aufgegriffen, als sie in den letzten Jahren begann, ihre eigenen 
Endzeitszenarien zu entwickeln. Immerhin hat die Apokalypse längst Einzug in 
die Popkultur gefunden. Die vierzehn Bände der "Left Behind"-Serie von Tim 
LaHaye und Kerry Jenkins verpacken die christliche Apokalypse in 
Action-Romane, die eine Auflage von über 50 Millionen Stück erreichten. 
Inzwischen gibt es mehrere Verfilmungen und ein Videospiel. Mit ähnlichen 
Motiven spielt die Fernsehserie "Jericho", die in diesem Herbst anläuft. 
Selbst Bestsellerautor Stephen King ließ in seinem letzten Roman "Puls" 
gleich die gesamte Menschheit an einem Virus zu Grunde gehen, der über 
Handysignale verbreitet wird. Da sind die Endzeitvisionen der amerikanischen 
Linken etwas realistischer. Diese teilt sich in die Anhänger einer 
ökologischen und die Verfechter einer wirtschaftlichen Apokalypse, wobei sich 
die beiden Modelle gelegentlich überschneiden. Vordenker der ökologischen 
Apokalypse ist der ehemalige Vizepräsident Al Gore, der der Öffentlichkeit 
mit seinem Film "An Unconvenient Truth" das Drama des Klimawandels so 
drastisch vor Augen führte wie niemand zuvor. Selbst Wochen nach dem Start 
war der Film noch bestens besucht. Was Al Gore und seine wissenschaftlichen 
Zuarbeiter von den Ivy-League-Universitäten da an Fakten in neunzig Minuten 
packen, kann einem allerdings auch Angst einjagen. Denn im Gegensatz zu 
religiösen oder ideologischen Endzeitszenarien basieren die ökologischen und 
soziologischen Modelle einer weltlichen Apokalypse auf handfesten Fakten.

Noch radikaler als die ökologischen Untergangspropheten sind die Anhänger der 
so genannten "Peak Oil"-Bewegung. Sie gehen davon aus, dass die 
Weltwirtschaft am Rohstoffmangel zerbrechen wird. Und dieses Ende wird nicht 
erst eingeleitet, wenn die Ressourcen zur Neige gehen, sondern auf dem 
Höhepunkt der weltweiten Produktion. Da die Weltwirtschaft zu einem Großteil 
auf Erdöl basiert, so die These, ist der Anfang vom Ende der Moment des "Peak 
Oil", der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung. Wann es so weit ist, wird 
kontrovers diskutiert. Vorsichtige Schätzungen gehen vom Jahr 2025 aus. 
Anhänger der "Peak Oil"-Bewegung jedoch befürchten, dass dieser Zeitpunkt 
schon im vergangenen Herbst erreicht war. Was danach geschieht und wann, ist 
ebenfalls strittig. Die "Peak Oil"-Bewegung vermutet, dass die Weltwirtschaft 
in den nächsten fünf bis zehn Jahren implodieren wird und dass das 
posttechnologische Zeitalter anbricht. Verschärft werden diese Ankündigungen 
durch pessimistische Prophezeiungen, wie sie der Autor James Howard Kunstler 
in "The Long Emergency" prophezeit. Kunstler sagt eine apokalyptische 
Synergie aus versiegenden Rohstoffen, Klimawandel und neuen Seuchen wie der 
Vogelgrippe voraus, welche die Zivilisation, wie wir sie heute kennen, in die 
Knie zwingen wird.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch: die Empirie. Es ist ja nicht das erste 
Mal, dass das Ende der Welt kurz bevor zu stehen scheint. Fast jede 
Weltreligion hatte ihre apokalyptischen Ideen, von den Eschatologien der 
Antike und dem Verfall der Menschheit, den der Buddhismus in den Sätzen des 
Sutta Pitaka vorsieht, über das schwarze Zeitalter Kali-Yuga der Hindus, die 
Endzeitvisionen der Mayas und Azteken, bis zum apokalyptischen Weltbild der 
Zeugen Jehovas, Mormonen und Pfingstkirchler. Säkulare Endzeitvisionen gab es 
zu den Jahrhundertwenden, beim Anbruch neuer technologischer Zeitalter oder 
in Momenten ideologischen Eifers. Die Empirie, die die Apokalyptiker seit der 
griechischen Antike immer aufs Neue widerlegte, ist einfach zu definieren: 
Hurra, wir leben noch! Das gilt selbst für die säkularen Endzeitvisionen. 
Weder der nukleare Winter noch das weltweite Waldsterben noch ein Aufreißen 
der Ozonschicht sind in den letzten Jahrzehnten eingetreten.

Gerade das Ozonloch ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Menschheit ihr 
Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Seit 43 Nationen unter der Führung 
der USA 1987 das Montreal Protokoll unterzeichnet und die Produktion von 
ozonzerstörenden Stoffen eingestellt haben, erholt sich die Ozonschicht 
zunehmend. Eine erste Stabilisierung wurde im vergangenen Jahr gemessen. 
Einige Forscher behaupten sogar, die Ozonschicht werde sich in den nächsten 
Jahren ganz normalisieren.

Das illustriert den entscheidenden Unterschied zwischen religiösem und 
säkularem Apokalypsedenken. Während sich der gottergebene Fatalismus der 
Religiosität im amerikanischen Protestantismus und im schiitischen Dogma in 
eine Sehnsucht nach der Katharsis steigert, bewahrt sich der säkulare 
Endzeitglauben noch einen Funken Hoffnung: Der Mensch hat die Verpflichtung, 
dieses Ende aufzuhalten. Denn für den säkularen Humanismus gibt es kein 
Paradies im Jenseits, nur das Leben im Hier und Jetzt. Deswegen verfasste 
Edward O. Wilson, Biologe an der Harvard University, in der jüngsten Ausgabe 
der Zeitschrift New Republic einen offenen Brief, in dem er sich ganz 
allgemein an die Kleriker wandte. Es sei die Pflicht eines jeden Christen, 
Gottes Schöpfung zu bewahren, schreibt er da: "Religion und Wissenschaft sind 
die beiden stärksten Kräfte in der heutigen Welt. Wenn Religion und 
Wissenschaft im Naturschutz eine gemeinsame Basis finden könnten, könnten wir 
das Problem gemeinsam lösen." Glaubt man der Forschung, bleibt dafür nicht 
mehr viel Zeit. ANDRIAN KREYE

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.209, Montag, den 11. September 2006 , Seite 17
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