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T anz den Apokalypso Es war eine Zäsur des Denkens, nicht der Politik: Seitdem berauscht sich Amerika am eigenen Untergang Für die meisten Menschen in der westlichen Welt war der 11. September vor fünf Jahren einer jener Tage, an den wir uns für den Rest unseres Lebens erinnern werden. Wir wissen noch genau, wo wir waren, als der zweite Jet vor laufenden Kameras in den Südturm des World Trade Centers einschlug, um drei Uhr nachmittags deutscher Zeit, was wir taten, als der Nordturm um fünf nach vier einstürzte und als der Südturm um kurz vor halb fünf zusammenbrach. Vieles war da noch unklar. Nur eines schien sicher: Die Welt würde nicht mehr die gleiche sein. So ähnlich ist es auch gekommen. Dabei hat sich jedoch weniger die Welt verändert, als unser Blick darauf. Der 11. September war keine Zäsur im Lauf der Weltgeschichte, sondern in unserem Denken, denn die globalen Machtverhältnisse haben sich in den letzten fünf Jahren nicht entscheidend verändert. Die Weltwirtschaft expandiert weiterhin. Die G-8-Staaten haben ihre wirtschaftliche Führungsposition behalten. Der Irakkrieg war kein plötzlicher Ausbruch, sondern die konsequente Fortsetzung einer Außenpolitik, die mit der Carter-Doktrin von 1980 begann. Es kam keineswegs zu einem Kampf der Kulturen, sondern lediglich zu einem größeren Interesse an den Vorgängen in der islamischen Welt. Dort hatte sich der militante Fundamentalismus schon seit 1979 ausgebreitet. Zwischen dem 11. September 2001 und dem 31. Dezember 2005 fielen dem Terror 18 944 Menschen zum Opfer, die meisten jedoch bei Anschlägen im Irak und im Nahen Osten. Al-Qaida, die größte Kraft des internationalen Terrors, wurde durch die Intervention in Afghanistan handlungsunfähig und verwandelte sich in eine Art apokalyptischen Konzessionsbetrieb. Gewiss darf man die Gefahren des Terrorismus nicht unterschätzen, doch zu einem Dritten Weltkrieg zwischen der islamischen und der industrialisierten Welt wird es nicht kommen. Der 11. September war also nicht der Beginn eines neuen Zeitalters, und doch hat sich das Lebensgefühl in den westlichen Ländern verändert. Denn er markierte die Rückkehr der apokalyptischen Weltbilder. Untergangspropheten gehören seit jeher zum Standardvokabular der Karikatur. So kramte die Zeichnerin Roz Chast in einer der letzten Ausgaben des New Yorker wieder einmal den archetypischen Apokalyptiker mit Bart, Kutte und Sandalen hervor, diesmal allerdings bekommt er Konkurrenz. Unter der Überschrift "Revierkampf auf der 49. Straße" stehen sich ein Pech- und Schwefelprediger und eine Hippiefrau gegenüber. Der Prediger trägt ein Schild mit der Aufschrift "Das Ende ist aus religiösen Gründen nahe", die Hippiedame eines mit "Das Ende ist aus ökologischen Gründen nahe". Die Karikaturen des New Yorker sind ein sensibler Gradmesser für gesellschaftliche Strömungen, und so darf man die Zeichnung durchaus als Bestätigung für die neue Relevanz apokalyptischer Weltbilder sehen, die sich nicht nur in den Randzonen der Religiösität verbreiten. Sicherlich ist das dominierende Endzeitszenario in Amerika immer noch das Armageddon, das in der Offenbarung des Johannes prophezeit wird. Dieses Hoffen auf ein Ende mit Schrecken, das den Gläubigen den Weg ins Paradies öffnet und die Ungläubigen in der Hölle schmoren lässt, hat nun im Islamismus ein muslimisches Pendant gefunden. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad folgt beispielsweise den schiitischen Lehren des Ajatollah Mohammed Taghi Mesbah Yazdi. Dieser vertritt die Ansicht, dass die Zerstörung Israels und die folgende Apokalypse der Rückkehr des seit rund 1000 Jahren verschollenen 12. Imams der Schiiten vorausgehen werde - und dem Sieg des Islam. Doch es sind vor allem die weltlichen Formen apokalyptischen Denkens, die den 11. September 2001 zu einem Stichtag der Geistesgeschichte machen, weil er ein vorläufiges Ende der Utopien und damit auch des unerschütterlichen Optimismus im amerikanischen Denken markiert. Die Offenbarung des Johannes vermengt sich mit religiösem Weltuntergangspop, Naturkatastrophen, rasant steigenden Benzinpreise, Al Gores Warnungen vor dem Öko-Gau und den paranoiden Schreckensszenarien liberaler und konservativer Lager zu einem Cocktail der Angst. Insofern hat die säkulare amerikanische Linke durchaus den Zeitgeist aufgegriffen, als sie in den letzten Jahren begann, ihre eigenen Endzeitszenarien zu entwickeln. Immerhin hat die Apokalypse längst Einzug in die Popkultur gefunden. Die vierzehn Bände der "Left Behind"-Serie von Tim LaHaye und Kerry Jenkins verpacken die christliche Apokalypse in Action-Romane, die eine Auflage von über 50 Millionen Stück erreichten. Inzwischen gibt es mehrere Verfilmungen und ein Videospiel. Mit ähnlichen Motiven spielt die Fernsehserie "Jericho", die in diesem Herbst anläuft. Selbst Bestsellerautor Stephen King ließ in seinem letzten Roman "Puls" gleich die gesamte Menschheit an einem Virus zu Grunde gehen, der über Handysignale verbreitet wird. Da sind die Endzeitvisionen der amerikanischen Linken etwas realistischer. Diese teilt sich in die Anhänger einer ökologischen und die Verfechter einer wirtschaftlichen Apokalypse, wobei sich die beiden Modelle gelegentlich überschneiden. Vordenker der ökologischen Apokalypse ist der ehemalige Vizepräsident Al Gore, der der Öffentlichkeit mit seinem Film "An Unconvenient Truth" das Drama des Klimawandels so drastisch vor Augen führte wie niemand zuvor. Selbst Wochen nach dem Start war der Film noch bestens besucht. Was Al Gore und seine wissenschaftlichen Zuarbeiter von den Ivy-League-Universitäten da an Fakten in neunzig Minuten packen, kann einem allerdings auch Angst einjagen. Denn im Gegensatz zu religiösen oder ideologischen Endzeitszenarien basieren die ökologischen und soziologischen Modelle einer weltlichen Apokalypse auf handfesten Fakten. Noch radikaler als die ökologischen Untergangspropheten sind die Anhänger der so genannten "Peak Oil"-Bewegung. Sie gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft am Rohstoffmangel zerbrechen wird. Und dieses Ende wird nicht erst eingeleitet, wenn die Ressourcen zur Neige gehen, sondern auf dem Höhepunkt der weltweiten Produktion. Da die Weltwirtschaft zu einem Großteil auf Erdöl basiert, so die These, ist der Anfang vom Ende der Moment des "Peak Oil", der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung. Wann es so weit ist, wird kontrovers diskutiert. Vorsichtige Schätzungen gehen vom Jahr 2025 aus. Anhänger der "Peak Oil"-Bewegung jedoch befürchten, dass dieser Zeitpunkt schon im vergangenen Herbst erreicht war. Was danach geschieht und wann, ist ebenfalls strittig. Die "Peak Oil"-Bewegung vermutet, dass die Weltwirtschaft in den nächsten fünf bis zehn Jahren implodieren wird und dass das posttechnologische Zeitalter anbricht. Verschärft werden diese Ankündigungen durch pessimistische Prophezeiungen, wie sie der Autor James Howard Kunstler in "The Long Emergency" prophezeit. Kunstler sagt eine apokalyptische Synergie aus versiegenden Rohstoffen, Klimawandel und neuen Seuchen wie der Vogelgrippe voraus, welche die Zivilisation, wie wir sie heute kennen, in die Knie zwingen wird. Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch: die Empirie. Es ist ja nicht das erste Mal, dass das Ende der Welt kurz bevor zu stehen scheint. Fast jede Weltreligion hatte ihre apokalyptischen Ideen, von den Eschatologien der Antike und dem Verfall der Menschheit, den der Buddhismus in den Sätzen des Sutta Pitaka vorsieht, über das schwarze Zeitalter Kali-Yuga der Hindus, die Endzeitvisionen der Mayas und Azteken, bis zum apokalyptischen Weltbild der Zeugen Jehovas, Mormonen und Pfingstkirchler. Säkulare Endzeitvisionen gab es zu den Jahrhundertwenden, beim Anbruch neuer technologischer Zeitalter oder in Momenten ideologischen Eifers. Die Empirie, die die Apokalyptiker seit der griechischen Antike immer aufs Neue widerlegte, ist einfach zu definieren: Hurra, wir leben noch! Das gilt selbst für die säkularen Endzeitvisionen. Weder der nukleare Winter noch das weltweite Waldsterben noch ein Aufreißen der Ozonschicht sind in den letzten Jahrzehnten eingetreten. Gerade das Ozonloch ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Menschheit ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Seit 43 Nationen unter der Führung der USA 1987 das Montreal Protokoll unterzeichnet und die Produktion von ozonzerstörenden Stoffen eingestellt haben, erholt sich die Ozonschicht zunehmend. Eine erste Stabilisierung wurde im vergangenen Jahr gemessen. Einige Forscher behaupten sogar, die Ozonschicht werde sich in den nächsten Jahren ganz normalisieren. Das illustriert den entscheidenden Unterschied zwischen religiösem und säkularem Apokalypsedenken. Während sich der gottergebene Fatalismus der Religiosität im amerikanischen Protestantismus und im schiitischen Dogma in eine Sehnsucht nach der Katharsis steigert, bewahrt sich der säkulare Endzeitglauben noch einen Funken Hoffnung: Der Mensch hat die Verpflichtung, dieses Ende aufzuhalten. Denn für den säkularen Humanismus gibt es kein Paradies im Jenseits, nur das Leben im Hier und Jetzt. Deswegen verfasste Edward O. Wilson, Biologe an der Harvard University, in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift New Republic einen offenen Brief, in dem er sich ganz allgemein an die Kleriker wandte. Es sei die Pflicht eines jeden Christen, Gottes Schöpfung zu bewahren, schreibt er da: "Religion und Wissenschaft sind die beiden stärksten Kräfte in der heutigen Welt. Wenn Religion und Wissenschaft im Naturschutz eine gemeinsame Basis finden könnten, könnten wir das Problem gemeinsam lösen." Glaubt man der Forschung, bleibt dafür nicht mehr viel Zeit. ANDRIAN KREYE Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.209, Montag, den 11. September 2006 , Seite 17 _______________________ Web-Site: http://www.oekonux.de/ Organization: http://www.oekonux.de/projekt/ Contact: projekt oekonux.de
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