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[chox] TELEPOLIS: Das Banksystem der Armen



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von HS <helmuth.s gmx.li> gesandt.

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Das Banksystem der Armen

Alfred Hackensberger   21.05.2004 

Informelle Geldüberweisungssysteme bilden eine erfolgreiche 
Schattenwirtschaft, die den herkömmlichen Banken ein Dorn im Auge ist 

Im Zuge der Ermittlungen zum Anschlags auf das World Trade Center kam 
"Hawala", ein weltweites, öffentliches Geldtransfersystem in Verruf 
(vgl.  Auf der Jagd nach den Schätzen von Terror, Inc. [1]). Al Qaeda 
soll die traditionelle Form der Geldüberweisung, besonders populär in 
Asien und dem Mittleren Osten, für ihre Zwecke nutzen. Es scheint 
jedoch so, als ob das Wort "Al Qaeda" genügt, um ein unabhängiges, 
kostengünstiges, sich selbst regulierendes und sozial effektives System 
zu diskreditieren - und es möglicherweise zu eliminieren. 

Anfang April fand in Abu Dhabi nun zum zweiten Mal eine große 
Internationale  Konferenz [2] zum Thema "Hawala" statt, um über die 
Zukunft des Geldtransfersystems zu beraten. Bereits 2002 hatten sich 
dort 400 Finanz- und Sicherheitsexperten aus 58 Ländern getroffen. 

In erster Linie ging es um Erfahrungsberichte unterschiedlicher 
internationaler Institutionen wie der Weltbank, der UNO, sowie 
nationaler Zentralbanken und "Law Enforcement-Organisationen". 
Regionale Schwerpunkte waren Asien, der Mittlere Osten und 
Lateinamerika. Geklärt werden sollte, inwieweit "Informal Money 
Transfer Systems" (IMTS) von Terroristen, Drogendealern und 
anderweitigen Kriminellen missbraucht wird und wie man das IMTS am 
besten kontrollieren kann. Im Juni letzten Jahres hatten die 
Zentralbank der Vereinigten Emirate bereits über 60 Lizenzen für 
"Hawala-Geschäfte" vergeben, um einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, 
der möglichen illegalen Missbrauch verhindern soll. 

"Hawala" ist nicht das einzige, öffentliche Geldtransfersystem, das 
unabhängig vom normalen Bankverkehr existiert. In Pakistan wird es 
"hundi" genannt, in China ist es das "fei ch'ein" und in Lateinamerika 
das "Kolumbianische System". 

Schnell, kostengünstig und sicher 

Lässt man nationale Besonderheiten einmal beiseite, funktionieren alle 
IMTS nach den gleichen Richtlinien und verfolgen den selben Zweck: 
Möglichst schnell und kostengünstig, auf sicherste Weise Geld von einem 
Land in ein anderes zu transferieren. Nimmt man den normalen Bankweg, 
dann muss man nicht nur gültige Papiere vorlegen, sondern auch einige 
Seiten ausfüllen. Zudem sind die Gebühren des Banktransfers teuer und 
kann bis zu zwei Wochen dauern. Mit Western Union geht es zwar 
schneller, aber die Kosten bleiben hoch. Besonders für Emigranten und 
Gastarbeiter, die monatlich Kleinstsummen in ihre Heimatländer 
schicken, völlig unrentabel. 

Zudem sind Banken in Entwicklungsländern oft nur in größeren Städten 
vorhanden, auf dem Land so gut wie gar nicht. Schickt also ein Sohn, 
der sich in Saudi-Arabien als Hilfsarbeiter verdingt, seiner Familie in 
Pakistan oder Indien 50 Dollar, dann muss der Vater nicht extra zwei, 
drei Tage in die nächst größere Stadt fahren. Er kann das Geld beim 
Lebensmittelhändler, im Goldgeschäft oder einem Elektroladen im nächst 
größeren Dorf oder einer nahe gelegenen Kleinstadt abholen. Und das 
eine Stunde später, nachdem der Sohn das Geld in Riad oder Mekka 
eingezahlt hat. 

Die "Überweisung", die in der Regel nur 0,5 bis 1,25 Prozent kostet und 
den günstigeren Devisenwechselkurs des Schwarzmarkts berücksichtigt, 
basiert auf Vertrauen und dem "Gewohnheitsrecht". Der IMTS-Operator 
("hawaladar") in Saudi-Arabien schickt ein Fax, eine Email oder 
telefoniert einfach mit seinem Kontaktmann in Pakistan oder Indien, 
teilt ihm die Summe und das Codewort mit, das zum Empfang des Geldes 
berechtigt. Der Kontaktmann kann aus der eigenen Familie sein oder 
stammt aus einer Familie, die seit Generationen im 
"Überweisungsgeschäft" tätig ist. 

In den rund 200 Jahren, in denen IMTS in Asien und im Mittleren Osten 
bereits existiert, haben sich feste Strukturen entwickelt. Missbrauch, 
Korruption, Veruntreuung sind sehr selten. Nur ein einziger Betrug oder 
kleiner Fehltritt bedeutet für den "Transfervermittler" eine 
lebenslange Berufssperre. 

Das "fei ch'ien" soll bereits im Alten China existiert haben, mit einem 
Kontosystem für Händler, damit sie ohne Angst vor Raub reisen konnten. 
Das "Kolumbianische System" in Lateinamerika ist weit aus jünger und 
stammt aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und ist ein 
Resultat des "Peso-Exchange-Schwarzmarkts". 

Dorn im Auge der Banken 

Das IMTS ist das "Banksystem der Armen", das insbesondere von den 
weltweit rund 300 Millionen Emigranten genutzt wird. Sie machen den 
weitaus größten Teil des internationalen Transferumsatzes aus. Wie viel 
genau "überwiesen" wird, kann nur sehr vage geschätzt werden. Laut 
einem  Bericht [3] des Commonwealth sollen es jährlich zwischen 100 bis 
300 Milliarden Dollar sein. In Indien davon alleine zwischen 10 und 20 
Milliarden und in Pakistan rund 5 Milliarden. In den USA soll der 
Umsatz des IMTS 4 bis 10 Prozent des GDPs (Bruttosozialprodukt) 
ausmachen und in Europa, so wird geschätzt, 7 bis 16 Prozent. 

Diese "Schattenwirtschaft" ist und war allen Banken und Finanzbehörden 
der Welt ein Dorn im Auge. Für die Banken ist das IMTS eine nicht zu 
schlagende Konkurrenz, für die Finanzämter ein herber Verlust an 
Steuern und für die Zentralbanken mit vorgeschrieben, fixen 
Wechselkursen eine Absage an ihre Devisenpolitik. 

In den letzten Jahren versuchte man dem IMTS immer wieder ein Ende zu 
bereiten. "Wellsfargo" bot ein System für Mexikaner an, auch ganz ohne 
Dokumente, Geld für reduzierte Bedingungen nach Hause zu verschicken. 
Western Union senkte ihre Gebühren um über 50 %. Im Libanon, Ägypten 
und Jordanien reduzierten die Banken ebenfalls die allgemeinen 
Transferkosten und entwickelten einen Schlüssel speziell für 
"Gastarbeiter". Doch alle Versuche, den riesigen Wirtschaftszweig zu 
übernehmen oder nur einen kleinen Teil des Kuchens zu bekommen, 
schlugen fehl. Ein System, das, wie auch ein  Interpolbericht [4] 
zugibt, "kostengünstig, effektiv, vertrauensvoll und völlig 
unbürokratisch ist", kann man einfach nicht so leicht schlagen. 

Da kommt nun der Vorwurf des Missbrauchs durch "Terrororganisationen" 
gerade recht. Das Wort "Al Qaeda" genügt, um ein unabhängiges, 
kostengünstiges, sich selbst regulierendes und sozial effektives System 
zu diskreditieren und es möglicherweise zu eliminieren. 

Nach dem 11/9 hieß es, "hawala" sei von den Flugzeugentführern benutzt 
worden, um ihre Aktion zu finanzieren. Dabei ist es erwiesen, wie auch 
der Commonwealth Report bestätigt, dass die Attentäter ihr Geld über 
Western Union und andere, ganz legale Bankwege verschickt und empfangen 
haben. 

Hawala - kein "Underground-Bank-System" 

Gemessen an den Millionen Normalbenutzern, dürfte die Zahl der 
illegalen Nutznießer von "Hawala" zu vernachlässigen sein. Die 
Möglichkeit, dass IMTS durch Terroristen, Drogendealer, Geldwäscher 
korrumpiert wird, ist äußerst gering. Jeder IMTS Operator, der sich auf 
Dauer mit einer dieser kriminellen Gruppen einlässt, wird früher oder 
später von seinen nationalen wie internationalen Kollegen mit einem 
Berufsverbot belegt. Man gibt ihm keine Aufträge mehr und nimmt auch 
von ihm keine mehr an. Ohnehin benutzen kriminelle Organisationen 
bevorzugt legale Bankwege, um große Summen zu transferieren oder zu 
waschen. 

Regelmäßig Hunderttausende oder Millionen Dollar über IMTS zu 
verschicken, ohne jegliche offizielle Referenz ist wohl ein Ding der 
Unmöglichkeit. Selbst die Taleban haben es in Afghanistan nicht 
geschafft, das "Hawala" für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, 
geschweige denn zu kontrollieren. 

Gerade in Afghanistan benutzen noch heute internationale 
Hilfsorganisationen bevorzugt das traditionelle Überweisungssystem, um 
Geld innerhalb des Landes zu  verschicken [5]. 

IMTS ist kein "Underground-Bank-System", es ist gemeinhin öffentlich 
und für jedermann zugänglich. Es ist historisch eins der sichersten 
Systeme, Geld zu transferieren und erfüllt eine wichtige ökonomische 
Funktion. 

Den meisten Teilnehmern der Konferenz in Abu Dhabi hielten es lieber 
mit der Definition der Zeitschrift "Time", die in einem Artikel (5. 
Oktober 2001) von "einem Banksystem für den Terrorismus" sprach. J. 
Orlin Grabbe, ein ehemaliger Professor der Wharton School of Business, 
der heute in Dubai lebt, macht auf ironische Weise deutlich wie absurd 
diese Einordnung ist: 

 Im einem der Stockwerke der Citibank in Manhattan scheint niemand zu 
arbeiten, bis das Telefon plötzlich läutet. Dann werden Notizen 
gemacht, Instruktionen geflüstert, die Tastaturen der Computer 
klappern. Die Männer dort transferieren Geld, zu Exporteuren, zu 
Drogenhändlern, Steuerflüchtlingen, an korrupte Politiker. Und an 
Terroristen. Ganz klar, es ist Zeit, die Citibank zu schließen.   

Links 

[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/eco/16990/1.html
[2] http://www.cbuae.gov.ae/Hawala/programme.htm
[3] http://www.un.org/esa/esa02dp26.pdf
[4] 
http://www.interpol.int/Public/FinancialCrime/MoneyLaundering/hawala/def
ault.asp
[5] 
http://www1.worldbank.org/finance/html/amlcft/docs/(06.23.03)%20The%20Ha
wala%20System%20in%20Afghanistan%20(Maimbo).pdf

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/special/eco/17372/1.html 

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