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[chox] (Fwd) [list48] Copyleft ante portas? (aus streifzüge.org)



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Copyleft ante portas?
Antikritisches zum Urheberrecht - und Kritisches zu Stefan Meretz´ Artikel 
"What´s Copyleft?" in Streifzüge Nr. 30 / April 2004
von Alfred J. Noll

Ach wie schön: Endlich haben wir eine Insel gefunden, um uns vom 
schnöden Verwertungszusammenhang des kapitalistischen Marktes zu lösen, 
der "Eigenarbeit" ein Loblied in emanzipatorischer Tonart zu singen und die 
"Schaffung stofflichen Reichtums jenseits der Wertform" zu antizipieren. 
Stefan Meretz setzt auf´s "Copyleft-"Konzept um "Reichtum zu produzieren, 
der keine Wertform annehmen muss" und sieht darin ein Türchen 
aufgestoßen zu einer "neuen Welt". - Wo lebt der Mann?
1. "Copyleft" setzt aufs bürgerliche Recht nicht weniger als "Copyright". Das 
durch Copyleft eingräumte Werknutzungsrecht ist ein limitiertes, also an 
Bedingungen geknüpftes Nutzungsrecht. Die Einhaltung dieser Bedingung 
(freie Verwendung unter Angabe von Autor/in, Titel und Quelle des 
Originals sowie Erhalt des Copylefts) setzt das Vorliegen eines 
urheberrechtsfähigen Werkes voraus, basiert also prinzipiell auf dem 
Ausschlussrecht der Autorin bzw. des Autors an seinem Werk - und 
unterscheidet sich von daher in keiner Weise vom "Konzept" des 
Urheberrechts. Einziger Unterschied: Wer Copyleft sagt, will bei 
entsprechender "Verwertung" seiner Leistung (Arbeit) kein Geld. Die 
"Werkschaffenden" (Urheber) müssen ihre Subsistenz zwar weiterhin wohl 
irgendwie gewährleisten, aber sie sollen dies gefälligst tun, ohne dabei vom 
typischen Produkt ihres Schaffens, nämlich dem "Werk" als marktfähigem 
Gut, einen vermögenswerten Vorteil zu ziehen. Das freut Journalistinnen und 
Übersetzerinnen, Schriftsteller und Regisseure, Komponisten und 
Kameraleute, Drehbuchautoren und Malerinnen - und alle anderen Künstler 
und Interpreten! Noch mehr aber freut es die kommerziellen Werknutzer, 
die sich diese Leistungen aneignen und daran verdienen (werden), ohne jede 
Verpflichtung einer Beteiligung der unmittelbaren Produzenten. 
2. Damit liegt das Konzept von Copyleft ganz gut im Trend: Es ist ohnedies 
die Realität des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs, dass sich die 
Protagonisten dieses Spektakels in immer größerem Ausmaß die Produkte 
menschlicher Arbeit unentgeltlich aneignen - um sie dann (allenfalls in 
modifizierter, d. h. markttauglicher Form) entgeltlich zu verwerten. Der 
immerhin mögliche Einwand, das Copyleft müsste doch erhalten bleiben, 
scheitert an der schnöden Realität: Was werden denn die Copyleft-Apostel 
machen, wenn dieser Auflage nicht entsprochen wird? Werden sie (so wie 
bisher auch) den Gang zum bürgerlichen Gericht antreten, dort den 
Werkcharakter ihrer "Schöpfung" nachweisen und auf Unterlassung der 
jeweiligen Werknutzung klagen - gestützt aufs Urheberrecht? Oder werden 
sie es hinnehmen, weil das Urheberrecht ohnedies abgeschafft gehört?
3. Die unschwer beschreibbare "Entindividualisierung und Vergesellschaftung 
des Urheberrechts" (vgl. bloß meine Notiz: Die Vergesellschaftung des 
Urheberrechts. Anfang und Ende des geistigen Eigentums, in: Wespennest, 
Nr. 108/1997, S. 60-65) vollzieht sich ohnedies. Copyleft gibt dieser quasi 
naturwüchsigen Tendenz bereitwilligst nach - und beharrt gleichzeitig auf der 
Angabe von Autor/in und Quelle (und also weiterhin auf Realisierung der 
Urheberpersönlichkeitsrechte). Richtig: Das Urheberrecht ist - 
politökonomisch gedacht - nichts anderes als die Einräumung eines 
Eigentumsrechts für den Produzenten, das andere von der Nutzung "seines 
Gutes" ausschließen soll. Darin liegt das Wesen des Eigentumsrechts. Die 
Copyleft-Bewegung hat das historische Recht auf ihrer Seite, wenn sie die 
Abschaffung des Eigentums anstrebt - aber warum sollen wir ausgerechnet 
bei denen anfangen, für die das Urheberrecht als rudimentäre Form eines 
Arbeits(schutz)rechts zumindest einen gewissen Schutz bietet? Warum steht 
nicht die Enteignung (oder zumindest Demokratisierung) der 
Vewertungsmonopole und der großen Verwertungsgesellschaften auf dem 
Programm? - Wer heute ohne entsprechende gesellschaftliche Konzeption 
den Kampf gegen "das" Urheberrecht auf seine Fahnen kritzelt, der leistet 
einen (durchaus: zyklischen!) Beitrag zum weiteren Abbau rudimentärer 
Schutzrechte der unmittelbaren Produzenten.
4. Was an den Bemerkungen von Stefan Meretz so verstört, ist der so ganz 
gar nicht thematisierte Widerspruch zwischen der demagogisch nach außen 
gekehrten Abschiednahme vom konventionellen Urheberrecht und der 
gleichzeitigen Anbindung an das Urheberrecht. "Copyleft nützt die exklusive 
Verfügungsmöglichkeiten und verfügt: Alle sollen über das Gut verfügen und 
niemand soll ausgeschlossen werden", heißt es. Mit anderen Worten: 
Gerade das überkommene Ausschließungrecht des Urhebers soll zementiert 
werden. Keine Rede davon, dass die längst fällige Neusystematisierung des 
Urheberrechts in Angriff genommen würde (vgl. für einen Problemaufriss 
etwa Joost Smiers, Geistiges Eigentum ist Diebstahl. Hat das Urheberrecht 
ausgedient?, in: Le Monde diplomatique, September 2001, S. 11). Es ist 
nicht wahr, dass es - wie Meretz schreibt - undenkbar schien, "das das 
wohlformierte Warensubjekt jemals auf die Idee käme, einfach seine 
Leistungen zu ?verschenken'". Ganz im Gegenteil: Die gesamte "kreative 
Produktion" im Kapitalismus basiert darauf, dass geistige Leistungen 
"verschenkt" werden (also weit unter dem potentiellen Tauschwert zur 
Nutzung eingeräumt werden). Die Urheberinnen und Urheber verschenken 
schon jetzt - und bis auf weiteres. Sie sind bei der "Vermarktung" ihrer 
Leistungen auf die Tätigkeit kommerzieller Marktmittler oder auf das 
Tätigwerden einschlägiger Verwertungsgesellschaften angewiesen. Das 
Copyleft-Konzept ist nichts anderes als die emanzipatorisch bemäntelte 
Perpetuierung eines gesellschaftlichen Missstandes; dem Copyleft-Konzept 
wird der Heiligenschein eines "wahrhaft genialen Hacks" aufgesetzt, ohne 
dass sich der theoretisierende Ideologe groß ums Brot der Urheberinnen 
und Urheber kümmern müßte. Gesellschaftspolitisch wird hier die 
Schwächung einer Rechtsposition betrieben - nicht deswegen, weil das 
Urheberrecht und seine Ausschließungsrechte kritisiert würden (dazu gibt es 
reichlich Anlass), sondern weil der isolierte und von jeder politisch-sozialen 
Kraftentwicklung abgekoppelte Konzeptvorschlag just jene Positionen 
schädigt, die es den unmittelbaren Produzenten erlaubt, punktuell Gegenkraft 
und Widerstand zu entwickeln.
5. Es ist ein systematischer Irrtum zu glauben, dass der kapitalistische 
Gesellschaftszusammenhang "individuelle Selbstentfaltung unter wertfreien 
Bedingungen" zuließe. Prinzipiell befestigt jede individuelle Handlung 
(abgesehen vom Selbstmord) die kapitalistische Produktionsweise. Dass 
aber der kollektive Verzicht der unmittelbaren Produzenten auf ihre 
(Urheber-)Rechte zu einer sozialen Bewegung sich auswachsen könnte - das 
ist nicht nur nicht garantiert, sondern ganz und gar unwahrscheinlich. 
"Stofflicher Reichtum jenseits der Wertform" ist unter der globalen 
Herrschaft des Wertgesetzes nicht zu haben. Jede Einräumung von 
Nutzungsrechten (oder auch nur: deren bloße "Aneignung") und jeder 
Transfer von "eigentümlichen geistigen Schöpfungen" (§ 1 UrhG) unterliegt 
den Gesetzen des kapitalistischen Verwertungsprozesses - diese aushebeln 
zu wollen, ohne die gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse insgesamt zu 
ändern, ist bestenfalls illusorisch, eher aber: eine prozyklische 
Kampfanleitung zur weiteren gesellschaften Abwertung "lebendiger Arbeit".
6. Der von Stefan Meretz notierte Widerspruch zwischen "Allgemeinem 
Wissen vs. Warenform" ist nicht umstandslos geeignet, "die Entwicklung" 
voranzutreiben. Es ist eine über den bloßen Verdacht nicht weit 
hinausweisende bloße Behauptung, dass die "Entwertung" von Originalen 
schon zu einer sozial und politisch relevanten Verallgemeinerung des darin 
vergegenständlichten Wissens führen würde. Woher die Zuversicht? Die 
Dialektik zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung im 
Kapitalismus lässt sich nicht dadurch aufheben, dass man theoretisierend von 
den tatsächlichen Verwertungsbedingungen absieht. In vielerlei Fällen ist es 
(ob wir´s kritisieren oder nicht) gerade die Zurichtung des Wissens zur 
marktgängigen Ware, die die Verbreitung des Wissens unter gegebenen 
Bedingungen überhaupt erst ermöglicht. Das nimmt der global veranstalteten 
Enteignung von Wissen, Können, Kultur und Kreativität nichts von ihrer 
Anrüchigkeit - weist aber darauf hin, dass in vielen Fällen "Reichtum" erst als 
solcher erkannt und sozial verträglich genutzt werden kann, wenn er in einem 
entsprechenden "Transaktionsraum" positioniert wird. Oder anders: Gibt es 
nicht einige gute Gründe, etwa die "streifzüge" zu kaufen, auch wenn man 
dafür nur Papier erhält (weil der content ja ohnedies frei und über 
www.streizuege.org herunterladbar ist)?
7. Nota bene: Wenn sich denn die Copyleft-Bewegung schon vom 
Ausschließungsrecht der Urheber/innen verabschieden will, dann sollte sie 
die Angst vor der eigenen Courage überwinden und theoretische Stringenz 
mit politischer Entschlossenheit paaren: Wo soziales, politischen und/oder 
kulturell bedeutsames Wissen von wirtschaftlich Mächtigen monopolisiert 
und den Nutzer/innen dadurch vorenthalten wird, sollte der Ruf nach 
"eigenwilliger Aneignung" (vulgo: Diebstahl!) dieses Wissens erschallen und 
gleichzeitig kollektiv dafür gesorgt werden, dass (etwa durch eine 
entsprechend höhere Besteuerung der kommerziellen Nutzer und zweck- 
und personengebundenen Transfer dieser Gelder) die unmittelbaren 
Werkproduzenten für ihre "wertvolle" Arbeit entsprechend vergütet werden. 
Alles andere ist nur die wortreich verbrämte Befestigung eines Zustands, der 
schon jetzt die permanente Enteignung der Werkschaffenden zur Grundlage 
hat. 

Alfred J. Noll, geb. 1960, lebt in Wien als Rechtsanwalt. Vater zweier 
Kinder im Alter von 23 Jahren.



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