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Zinsen verboten: Das islamische Bankensystem
Alfred Hackensberger 18.02.2004
Mit der wieder erstarkenden religiösen Orientierung in den muslimischen
Ländern ist die Scharia-Kompatibilität von Banken ein Wachstumsmarkt
Nach dem Anschlag auf das World Trade Center geriet das "islamische
Bankwesen" mehrfach ins Fadenkreuz geheimdienstlicher Ermittlungen.
Al-Qaida und andere weltweit operierende terroristische Netzwerke
sollen die Finanzierung ihrer Operationen über islamische Banken
abgewickelt haben. Beträge in Millionenhöhe wurden entweder
beschlagnahmt oder Konten und Fonds eingefroren. Das islamische
Banksystem, das sich in seiner knapp 40-jährigen Geschichte in einem
bisher ungekannten Aufwind befand, erlitt einen enormen Imageverlust.
Dabei konnte man den Banken selbst kaum etwas vorwerfen. Wer würde
schon allen Ernstes beispielsweise der Deutschen Bank Vorhaltungen
machen, wenn ein legaler Mittelsmann der RAF ein Konto eröffnet und
dort die Gelder aus einem Bankraub deponiert hätte.
Diese unsichere "Investmentlage" nach dem September 2001 führte zu
einer Kapitalflucht bei einem Teil der arabischen Anleger. Die Einlagen
in den weltweit rund 100 islamischen Investmentfonds sank nach einem
Rekordhoch im Jahr 2000 von geschätzten 5 Milliarden Dollar auf 3,8
2001 und 2002 auf 3,2 Milliarden Dollar (Zahlen nach "Institute for
Islamic Baning & Insurance"). Trotzdem diesem Einbruch von über 30%
gilt das "Islamic Banking" immer noch als eine vielversprechende
Branche, eine Alternative zum traditionellen Bankensystem. Die
jährliche Wachstumsrate beläuft sich auf 15%.
Im Libanon, der eine liberale Bankpolitik verfolgt, die etwa mit der
Schweiz vergleichbar ist, eröffneten zu Beginn diesen Jahres gleich
zwei neue "islamische Banken". Gleichzeitig installierten viele
traditionelle Banken in Beirut "islamische Abteilungen", um dem neuen
Trend, den Bedürfnissen einer wachsenden Klientel gerecht zu werden.
Der Libanon ist kein "arabischer Einzelfall". Auch die amerikanische
HSBC Bank und die Citibank gründeten Departments für islamische
Investitionen. Heute kann man in New York, Beirut, London oder in Riad
nach islamischen Prinzipien sein Geld "arbeiten" lassen.
Laut der "Vereinigung Arabischer Banken" beläuft sich heute weltweit
das gesamte islamische Vermögen von insgesamt 265 Institutionen auf
rund 260 Milliarden, die finanzielle Investitionen auf etwa 400
Milliarden und das Bankguthaben liegt bei 202 Milliarden Dollar. Ein
relativ geringer Anteil allein im Vergleich zum im Nahen Osten
vorhandenen Gesamtvermögen von geschätzten 1,1 Billionen Dollar. Aber
das Potenzial des "Islamic Banking" sei immens hoch, schrieb "Trends",
das "International Magazine for Arab Affairs" aus Paris, in einer
seiner letzten Ausgaben. "Es gibt 1.5 Milliarden Muslime in der ganzen
Welt und wenn man davon nur zwei oder drei Prozent als Kunden
betrachtet, ist das ein großes Zielpublikum." Man müsse nur Produkte
anbieten, die dem "Glauben" entsprechen.
Der Gesandte Allahs sagte: "Ein Dirham Zinsen, den man wissentlich
nimmt, ist schlimmer als sechsunddreißig unzüchtige Handlungen.
Der "Glaube" ist für arabische Anleger ausschlaggebend, die religiöse
Integrität entscheidend. Investiert wird auf der Basis des islamischen
Rechts, der "Scharia", die Zinsen und Wucher ("Riba"), zudem Geschäfte
mit Alkohol, Tabak, Glücksspiel und Schweinefleisch verbietet. Geld
darf nicht verliehen werden, nur investiert. Der Gewinn wird durch die
Beteiligung am Profit erzielt, den das Unternehmen, basierend auf die
Investitionen, macht. Laut Koran kann die ursprünglich investierte
Summe nur dann zurück verlangt werden, wenn sie tatsächlich auch ohne
die geringsten Probleme zurückbezahlt werden kann.
Diese Richtlinien erhöhen, besonders bei langfristigen Investitionen,
das Risiko des Anlegers. Vorabzahlungen in Form von Zinsen gibt es ja
nicht und man muss unter Umständen 5 oder 10 Jahre warten, bis ein
Profit erwirtschaftet wird, von dem man nicht weiß, ob er auch hoch
genug ist und in Relation zum Investment steht. Dementsprechend werden
kurzfristigere Anlagen bevorzugt. Die Prämisse, die Motivation ist beim
"Islamic Banking" nicht anders als beim traditionellem, westlichen
Bankensystem. Man sucht ein akzeptables Investment bei größtmöglicher
Risikovermeidung. Man will Geld machen, hüben wie drüben. Die religiöse
Verkleisterung gibt dem Ganzen nur einen ethisch moralischen Anstrich.
Idealerweise basiert "Islamic Banking" auf dem religiös motivierten
"Handel", wobei es einen gerechten Austausch geben sollte, wie es in
einem Ausspruch ("Hadith") des Propheten Mohammed heißt:
Gold für Gold, Silber für Silber, Weizen für Weizen, Gerste für
Gerste, Datteln für Datteln, Salz für Salz, Gleiches für Gleiches, Hand
zu Hand. Wer mehr gibt oder mehr verlangt, der hat bereits ein
Zinsgeschäft betrieben. Der Zinsnehmer und der Zinsgeber sind (in der
Schuld) gleich.
Problematisch ist, dass es keine zentrale, globale islamische Behörde
gibt, die offiziell regelt, was nach religiösen Prinzipien erlaubt
("hallal") und was verboten ("haram") ist. Islamische
Finanzinstitutionen lassen sich in Regel von einem religiösen
Konsortium beraten, die den Koran, die Aussprüche ("Hadiths") und die
Lebensgeschichte ("Sunnah") des Propheten interpretieren. Die fast 1400
Jahre alten Texte auf moderne Kompatibilität hin zu prüfen, ist für die
islamischen Rechtsgelehrten ("Imam") nicht immer so einfach - und die
Interpretationen sind von Fall zu Fall verschieden. Mittlerweile
existiert eine sehr unfangreiche Literatur zum Recht des islamischen
Finanzsystems, aber ein einheitliches, übergreifendes Instrumentarium
ist bisher nicht in Sicht.
Das islamische Bankenwesen ist noch jung, aber hat sich schnell
verbreitet
Das islamische Bankwesen ist eine im Vergleich zur westlichen, 400
Jahre alten Bankgeschichte relativ jung. 1963 und 1971 gab es in
Ägypten Banken, die ohne Zinsen arbeiteten, sich aber nicht
ausdrücklich als islamische Banken bezeichneten. 1974 wurde dann die
"Islamic Development Bank" von arabischen Regierungen (heute 55
Mitgliedsländer) gegründet. Nach Scharia-Prinzipien wurden und werden
Projekte in ökonomisch rückständigen Mitgliedsländern gefördert. Ende
der 70er Jahre gab es dann in Dubai ("Dubai Islamic Bank"), Kuwait
("Kuwait Finance House") und im Sudan ("Faisal Islamic Bank") erste
ausgesprochene "islamische Banken".
In den 80er Jahren erfolgte mit der Gründung der "Bank Islam Malaysia"
die Ausweitung des Konzepts nach Asien. Seit Beginn der 90er sind
islamische Banken rund um die Erde zu finden. Hintergrund der
Entwicklung ist zum einen der sich seit den 70er Jahren entwickelte
Wohlstand im Mittleren Osten, und die seit einigen Jahren wachsende
religiöse Rückbesinnung auf den Islam in allen arabischen Ländern.
Seit 1999 gibt es zwei Islamische Market Indices (DJIM und FTSE),
vergleichbar mit dem amerikanischen Dow Jones oder dem deutschen DAX.
In diese Indices werden Firmen aufgenommen, erst nach
Scharia-Kompatibilität geprüft wurden. Wer etwas mit Alkohol, Tabak
oder Schweinfleisch zu tun hat oder seinen Gewinn durch "Zinsen"
erzielt, wird nicht aufgenommen bzw. gegebenenfalls ausgeschlossen.
Außerdem muss jede Firma ein niedriges Schuldenniveau (absolutes
Maximum 33 %) haben. Eine zu große Überschuldung führte 1981 zum
Ausschluss von WorldCom, ein Jahr bevor das US-Unternehmen
zusammenbrach. Diese Maßnahme ersparte vielen islamischen Anlegern
große Verluste. Im April letzten Jahres wurden AT&T und Motorola aus
dem selben Grund wie WorldCom ausgeschlossen. Dieses "Vorwarnsystem"
ist ein wichtiger Bestandteil der Strategie der Risikovermeidung.
Den islamischen Indices sind rund 100 islamische Ausgleichsfonds
(Equity Funds) angeschlossen, mit einem für 2003 geschätzten Vermögen
von 3,6 Milliarden Dollar (Islamic Baking & Insurance Institute). In
den letzen sieben Jahren sind die Einlagen in diesen Fonds, die
Verluste mit Gewinnen zur Risikovermeidung ausgleichen, insgesamt um
25% gestiegen. Bevorzugte Investitionsbranchen dieser Fonds sind die
Sektoren Technologie, Telekommunikation, Bauwesen und Immobilien.
Gibt es bald die "islamische Kreditkarte"?
Außer in der "Islamischen Republik" Iran gibt es heute überall ein
duales Banksystem, d.h. islamische und traditionelle Banken arbeiten
unabhängig nebeneinander. Viele nicht nur islamische Finanzexperten
glauben, dass "Islamic Banking", das noch in den "Kinderschuhen"
steckt, in Zukunft ein größeres Stück des Marktes erobern wird. Es gäbe
ganz vernünftige Gründe, warum man auf Zinsen verzichten sollte, so
Warren Sofies, ein britischer Finanzexperte. "Zinsen können ein
Hindernis für Arbeitsplätze sein, können Geldkrisen erzeugen und
Handelsprobleme verstärken."
Noch gibt es zu wenig Fachpersonal, das entsprechend islamischer
Finanzprinzipien ausgebildet ist. Zudem fehlt ein allgemeingültiger
religiöser Kodex, der die Sharia- Kompatibilität regelt. "Und das
Wichtigste ist im Moment", meint Tarik al-Rafai, der Vizepräsident der
islamischen Abteilung der amerikanischen HSBC Bank , "dass man so viele
Produkte anbietet, wie der Markt verlangt."
Neue Wege versucht zur Zeit die "Dubai Islamic Bank", die gerade vor
einem Monat die Gründung einer "Oceanic Shipping Company" bekannt gab
und ihren Kunden riet, doch in dieser Branche zu investieren. Außerdem
arrangierte die "Dubai Islamic Bank" ein Leasing für "Emirates
Airlines" in Höhe von 112 Millionen Dollar aus islamischen Fonds. Die
Fluggesellschaft, die sich bereits zu 40 % über "islamisches Geld"
finanziert, kauft damit ihr siebtes Flugzeuge.
Laut einer Studie des "Institute for Islamic Banking & Insurance"
bevorzugen 55 % der befragten Muslime islamische Banken. Tatsächlich
hatten aber nur 21 % ein Konto bei einer islamischen Bank. Das soll
sich aber, so versprechen die Prognosen, in den nächsten acht bis zehn
Jahren ändern. Dann würden, so heißt es in der Studie, 40 - 50 % aller
Bankguthaben in der muslimischen Welt von islamischen
Finanzinstitutionen verwaltet. Dann soll jeder eine "islamische
Kreditkarte" haben.
Abhängig ist diese Entwicklung von der Zu- bzw. Abnahme der Popularität
des Islams und seiner religiösen und ethischen Prinzipien. So lange die
westliche Welt ihre "anti-islamische" Politik weiterbetreiben und der
Islam ein Vehikel der individuellen wie pannationalen arabischen
Selbstbehauptung bleibt, wird auch das "Islamic Banking" expandieren.
Als eine Art von Selbstläufer. "Aus der Marketingperspektive
betrachtet", so der Vizepräsident der HSBC Bank, Tarik al-Rifai,
"bringt die Scharia-Kompatibilität den Kunden in die Bank. Das
religiöse Prinzip verkauft".
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